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75 Jahre Tod

75 Jahre Tod

In einer Rede in London für die Jüdische Stimme für den Frieden sagt Morgan Bassichis dem Zionismus als rassistischer Ideologie den Kampf an.

von Morgan Bassichis

Es ist mir eine sehr große Ehre, heute Abend als einer von Hunderttausenden antizionistischer Juden hier zu sein, die sich stolz den Millionen von Menschen auf aller Welt anschließen, die aufstehen in Solidarität mit den Menschen von Gaza und allen Palästinensern, die für ihre Freiheit kämpfen.

Wir weigern uns, schweigend zuzusehen, wie Israel den 2,3 Millionen Menschen von Gaza, die seit 2007 unter einer Blockade leben und größtenteils Flüchtlinge der Nakba sind, unvorstellbare Gewalt antut.

Schweigend zuzusehen, wie Israel Tausende von Kindern in Gaza ermordet, alte Menschen, Journalisten, Dichter, Eltern, Ärzte, Lehrer, ganze Familien.

So viele, die noch immer unter den Trümmern verschüttet sind.
So viele, die noch immer Hunger leiden.
So viele, die krank sind, ohne nennenswerte medizinische Behandlung.

Wir trauern um jedes einzelne Leben. Jedes einzelne Leben, eine ganze Welt. Und aus dieser Trauer heraus prangern wir 75 Jahre israelischer Apartheid und Besatzung an, die die Bedingungen für diese Krise schufen.

Aus ganzem Herzen lehnen wir den Zionismus selbst als rassistische und koloniale Ideologie ab.

Wir wissen, dass unsere Sicherheit, unsere Würde und unsere Seelen als jüdische Menschen in der Solidarität und nicht in der Apartheid zu finden sind. In multiethnischen Koalitionen gegen die weiße Vorherrschaft, nicht in Koalitionen mit weißen Rechtsextremen.

Indem wir unsere Angst, unsere Wut und unsere Trauer in Richtung einer Bewegung für Gerechtigkeit kanalisieren, nicht hinzu zu militärischen Großmächten.

Wir lassen uns nicht als moralisches Deckmäntelchen für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes benutzen.

Nicht in unserem Namen.

Ich flog direkt von Washington D.C. hierher, wo ich die große Ehre hatte, 18 ältere jüdische Frauen zu unterstützen — die Älteste davon 81 Jahre alt —, als sie sich ans Weiße Haus ketteten, um von Präsident Biden die Beendigung dieses Völkermordes zu fordern und einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand zu verlangen.

Diese Frauen, von denen viele älter als der Staat Israel sind, viele Kinder des Holocaust und viele, die den Horror der Unterdrückung der McCarthy-Ära erlebt haben, schrieen: „Biden, You cannot hide. We charge you with genocide“. Biden, du kannst dich nicht verstecken, wir klagen dich des Völkermords an.

Sie lasen die Namen der Palästinenser vor, die in den letzten zwei Monaten der israelischen Bombardierung und Belagerung getötet wurden. Diesmal begannen sie mit den Ältesten. Mehrere 93-jährige Überlebende der Nakba.

Als der Geheimdienst ihre Ketten mit Bolzenschneidern durchtrennte, standen diese kraftvollen jüdischen Frauen zusammen mit Millionen Menschen weltweit, die die Freiheit Palästinas als integralen Bestandteil der Freiheit aller Menschen ansehen.

Während die US-Medien versuchen, die massive Zunahme des Antizionismus unter den US-amerikanischen Juden als bloße Randnotiz unter den jungen Menschen darzustellen, wissen wir es besser. Es handelt sich nicht um einen Generationenkonflikt. Es ist ein Generationen übergreifendes Erbe.

Wir sind stolz darauf, aus Generationen von Juden hervorgegangen zu sein, die jeglicher Art der Unterdrückung, auch dem Zionismus, Widerstand geleistet haben. Die den Zionismus als das gesehen haben, was er ist: eine falsche Lösung für die Verbrechen des europäischen Antisemitismus, die dazu benutzt werden sollte, die einheimischen Palästinenser ihres Landes zu berauben.

Die ihren eigenen Aktivismus gegen Rassismus und Patriarchat im eigenen Land mit Krieg und Kolonialismus im Ausland in einen Zusammenhang brachten und einen gemeinsamen Feind sahen: Weiße Vorherrschaft und ein weißes Imperium.

(…)

Die Ältesten unserer Bewegung haben uns gelehrt, dass es entweder alle sind oder keiner von uns. Dass jeder die Möglichkeit verdient, Kind zu sein, und dass jeder die Möglichkeit verdient, alt zu werden.

Und aus diesem Grund lehnen wir aus ganzem Herzen und ganzer Seele den Zionismus ab.

Weil er bis heute als Vorwand für 75 Jahre Enteignung, Exil und Tod der Palästinenser genutzt wird.

Weil er verzweifelt versucht, das Judentum mit dem Zionismus zu verquicken, obwohl das Judentum unsere tausend Jahre alte, reiche Tradition ist und Israel ein 75-jähriger Siedlungs-, Kolonial- und Apartheidsstaat.

Weil er bis heute dazu benutzt wird, Waffenhersteller, Kriegsprofiteure, Technologieunternehmen und westliche Militärmächte reich zu machen.

Weil er aus Friedensgesängen auf dem Uni-Campus irgendwie etwas kontroverseres macht als aus einem tatsächlichen Völkermord, der jetzt, in diesem Moment, vor unseren Augen geschieht.

Weil er bis heute dazu benutzt wird, Islamfeindlichkeit zu schüren, Dissens zu kriminalisieren und durch falsche und zynische Antisemitismus-Anschuldigungen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit zu spalten.

Weil er bis heute dazu benutzt wird, die unterschiedlichen jüdischen Lebensweisen, Traditionen, Geschichte und Schmerzen zu verflachen und sie zu Werkzeugen der Unterdrückung zu machen.

Weil er bis heute dazu benutzt wird, den Misrahim und Sefarden zu schaden, indem man sie von ihren Herkunftsländern und -kulturen trennte und Palästinenser und Juden arabischen Ursprungs auf entgegengesetzte Seiten eines kolonialen Regimes stellte anstatt als Nachbarn, die seit Generationen zusammenleben.

(…)

Weil er bis heute als Werkzeug für einen britischen Imperialismus in Palästina benutzt wird, als falsche Lösung für Jahrhunderte europäischer antisemitischer Gewalt, von europäischem Faschismus, mit dem Palästinenser nichts zu tun haben und für den sie auch nicht zu zahlen haben sollten.

Weil ihr, wenn euch die Themen jüdische Sicherheit und Antisemitismus wirklich am Herzen lägen, den Faschismus bekämpfen würdet und die Vorherrschaft der Weißen, ihr würdet dann auch die Knappheit und den Militarismus bekämpfen — und nicht die Palästinenser.

Weil wir das Wort Genozid bewusst und absichtlich benutzen — nicht nur, weil Israels Taten den Tatbestand des Völkermordverbrechens erfüllen, sondern auch, weil wir wissen, was ein Völkermord ist, und weil die Lehre, die wir aus dem Holocaust ziehen, die ist, dass Menschen ihn jeden Tag geschehen lassen.

Weil wir das Leben oder den Tod von Palästinensern als dringlicher empfinden müssen als unsere Angst vor Kritik, Ausgrenzung oder Kündigung.

Weil die Geschichte uns daran messen wird, was wir tun und was wir unterlassen – jetzt.

Wie mein Freund Sumaya Awad sagt: „Dein Schweigen wird dich verfolgen.“

Die israelische Regierung möchte die Öffentlichkeit glauben machen, dass sie für alle Juden spricht. Aber hier kommt die Wahrheit. In den vergangenen zwei Monaten haben wir weltweit die größten Demonstrationen jüdischer Menschen in Solidarität mit der Freiheit der Palästinenser in der Geschichte organisiert.

Wir sind massenweise auf die Straße gegangen, haben Kongressbüros versperrt, Bahnhöfe zum Erliegen gebracht, Brücken blockiert und die Hauptstadt des Landes eingenommen, um zu sagen: „No business as usual“ — „Nicht weiter wie gehabt“, während die USA den Völkermord an den Palästinensern mit Waffen unterstützt und finanziert.

Die israelische Regierung hofft, dass wir müde und überdrüssig werden. In unserer eigenen Regierung gibt es viele, die das auch hoffen. Sie hoffen, dass wir aufgeben und einlenken.

Ich will euch aber folgendes sagen: Wir werden immer mehr. Wir gewinnen immer mehr an moralischer Klarheit. Wir gewinnen immer mehr an Dringlichkeit und an Macht.

Das einzige, das wir stärker fühlen als ein gebrochenes Herz, als Entsetzen und Wut ist eine noch nie dagewesene Entschlossenheit.

Während Tausende auf der ganzen Welt skandieren, befreien nicht wir Palästina.

Palästina befreit uns. Weil keiner von uns frei sein wird, solange nicht alle von uns frei sind. Von jedem Fluss zu jedem Meer. Vielen Dank.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text entstand aus der Transkription des Videos „‚Not in Our Name: On Jews Rejecting Zionism‘ - Passionate speech by Morgan Bassichis of JVP“. Sie wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.


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