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China à la carte

China à la carte

Vieles an der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung im „Reich der Mitte“ schmeckt der westlichen Konkurrenz nicht — muss es auch nicht.

Chinesische Restaurants sind aus Europa und den USA nicht mehr wegzudenken. Sie sind bei weniger abenteuerlustigen Gästen auch dadurch beliebt, dass sie ihre Gerichte dem vermuteten lokalen Geschmack anpassen und schärfere Gewürze oder im Gastland weniger beliebte Zutaten nur vorsichtig benutzen. Das Geschäftsmodell ist zudem dadurch so erfolgreich, dass die meisten Restaurants preiswert sind und lange Öffnungszeiten haben, die oft nur durch die Selbstausbeutung einer Großfamilie möglich sind.

China als neue wirtschaftliche Weltmacht passt sich den Erwartungen in Europa und den USA nicht so flexibel an wie seine Restaurants. Die Erfolge seiner Exportwirtschaft haben das politische und nationale Selbstbewusstsein gestärkt, nachdem die „verlängerte Werkbank“ mit ihren qualifizierten und im Vergleich preiswerten Arbeitskräften westlichen Firmen wie Apple oder den deutschen Autokonzernen immense Gewinne beschert hat. Damit konnte man die Kooperation weitgehend als Win-Win-Situation einordnen und hoffen, dass die vorteilhafte Arbeitsteilung so weitergehe.

Aus deutscher Sicht ist der bisher gewaltige Auto-Absatz in China inzwischen problematisch geworden, weil die chinesische Autoindustrie immer mehr zum Konkurrenten heranwächst und mit der neuesten Generation von E-Fahrzeugen und der besseren Planung der Batterieproduktion schnell gefährlich werden kann.

Chinesen in den USA

In den Vereinigten Staaten mit ihrer traditionell selektiven Einwanderungspolitik gab es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erhebliche rassistische Vorbehalte gegenüber China.

Der „Chinese Exclusion Act“ von 1882, der nur noch Geschäftsleuten, Lehrern, Studenten und Urlaubern die Einreise gestattete, wurde erst 1943 abgeschafft, als China im Krieg gegen Japan wichtig wurde. In den letzten Jahren fühlen sich nicht nur Chinesen, sondern auch andere Asiaten in den USA diskriminiert oder werden tätlich angegriffen, unter anderem, weil sie in vielen Bereichen erfolgreicher sind als die Bio-Amerikaner, vor allem im Bildungsverhalten und Arbeitsethos.

Von der verlängerten Werkbank zum systemischen Herausforderer

Wie so oft schwappen Entwicklungen und Trends aus den USA zeitlich verzögert nach Europa über. Der wirtschaftliche und technologische Fortschritt Chinas, der alle bisherigen Aufholjagden der Geschichte übertrifft, wurde in den USA eher als in Europa als Bedrohung erkannt.

Die aus chinesischer Sicht zur Verteidigung notwendig gewordene Modernisierung der Armee war nicht zuletzt eine Antwort auf die US-Militärbasen in unmittelbarer Nähe, 73 in Südkorea und 120 in Japan mit zusammen rund 80.000 dort stationierten Truppen. Dieses Netz expandiert weiter, zuletzt vor ein paar Wochen mit der Öffnung von weiteren vier Marinebasen in den Philippinen. Das amerikanische Militär ist nicht nur durch die weltweit rund 800 Stützpunkte und das ausgefeilte Spionage- und Überwachungssystem seiner Satelliten gut über die chinesischen Rüstungsanstrengungen informiert. Entscheidender für die Politik ist die Lobbyarbeit verschiedener Anti-China Gruppierungen.

Das „Committee on the Present Danger: China“ (CPDC)

Nach vorbereitenden Diskussionen wurde das CPDC im März 2019 offiziell gegründet. Es sieht sich als unabhängiges (non-partisan) Gremium, das die amerikanische Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger vor den drohenden Gefahren warnen will, die aus seiner Sicht vom Missmanagement der kommunistischen Regierung Chinas ausgehen.

Auf der Website heißt es:

„Its purpose is to explain these threats that range from: the PRC’s accelerating military build-up; its active information and political warfare that targets the American people and our business, political and media elites; cyber warfare; and economic warfare.“

Es geht also um Aufrüstung, Informationskrieg und Wirtschaftskrieg, die zusammen die Geschäftsinteressen und die Sicherheit der amerikanischen Bevölkerung bedrohen.

Trotz massiver Investitionen in neue Waffensysteme liegen die chinesischen Militärausgaben tatsächlich noch unter einem Drittel der amerikanischen, und von Angriffsplänen auf die USA ist bisher nichts zu hören gewesen.

Aber der vor allem inneramerikanisch kritisierte „endlose Krieg“ weltweit, Afghanistan ist eine noch zu frische Wunde, hat offenbar zu einem erhöhten Bedrohungsgefühl geführt.

Vorsitzender des CPDC ist Brian T. Kennedy, der auch Präsident der American Strategy Group ist, einer ähnlichen Organisation, die aber außerdem noch Russland, die islamische Welt und den Verlust der US-Gründungsprinzipien in das Bedrohungs-Szenario einbezieht. In Deutschland vermutlich am bekanntesten unter den Mitgliedern aus Militär, Geheimdiensten und Diplomatie ist der umstrittene Steve Bannon, ehemaliger Chefstratege von Donald Trump.

Europa übernimmt das Bedrohungs-Szenario

Noch sorgt der Export in den boomenden chinesischen Automarkt für satte Gewinne der deutschen Prestigemarken. Aber auch für viele kleinere deutsche Unternehmen ist China wichtig. Regierungsauflagen und vor allem der Transfer von Fertigungsmethoden und Patenten haben immer wieder Sorgen bereitet, aber die chinesischen Verhandlungspartner sind oft genug einfach clever und möchten aus der Rolle als verlängerte Werkbank herauskommen, bei der die Gewinne nicht gerade fair verteilt werden. Bei den Mobiltelefonen und Computern, die in China gefertigt und weltweit vermarktet werden, kann man die ungleichen Profitraten studieren. Technisch entsprechende Geräte ohne Marke sind für einen geringen Bruchteil der offiziellen internationalen Verkaufspreise zu haben.

Abgesehen von diesen eher technisch-betriebswirtschaftlichen Differenzen war in Deutschland von einer Bedrohung durch China bisher nie die Rede.

Die „wertebasierte Außenpolitik“ der Ampelkoalition hat Menschenrechtsfragen und vor allem die Lage der muslimischen Uiguren in Xinjiang in den Vordergrund gerückt. Damit haben die Uiguren zu einer Grundüberzeugung der deutschen Öffentlichkeit und der Medien beigetragen, die das Chinabild massiv ins Negative veränderten.

Harte Fakten bleiben zwar weitgehend unbekannt, aber die Meinungen sind gefestigt: China ist eine Einparteien-Diktatur und die Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Dass ein Viertel der jüngeren Afro-Amerikaner im Gefängnis sitzt oder vorbestraft ist, oder die USA die weltweit mit Abstand höchste Inhaftierungsrate haben, wird als „Whataboutismus“ abgetan, das könne man doch nicht vergleichen.

Die deutsche und die europäische Politik haben das bedrohliche Chinabild der USA übernommen. Außenministerin Annalena Baerbock warnt China ausgerechnet bei einem Besuch in Peking vor einer Invasion Taiwans und die dann drohenden Konsequenzen aus Europa. Und Kommissionschefin Ursula von der Leyen versucht gerade noch bei aller Chinakritik die wichtigsten wirtschaftlichen Interessen zu retten.

China a la carte?

Bisher ist die Frage zu kurz gekommen oder nie gestellt worden, wie China eigentlich regiert werden müsste, um als demokratisch, gleichberechtigt und nicht bedrohlich akzeptiert zu werden. Im Gegensatz zu der antikommunistischen Rhetorik des amerikanischen Anti-China-Komitees spielt die ideologische Frage in Deutschland keine besondere Rolle. Von einer geschlossenen sozialistischen Ideologie wie in sowjetischen Zeiten vor dem Ende des Kalten Krieges kann kaum die Rede sein. Die Frage wurde schon bei der deutschen Wiedervereinigung sehr schön zu „What is left?“ kondensiert.

Der chinesische Pragmatismus hat neben dem kommunistischen Parteinamen immerhin einen egalitären Anspruch aufrechterhalten, der die historisch überkommene Armut, vor allem auf dem Land, zu reduzieren und auszurotten versucht.

Auch auf diesem Gebiet hat China deutlich mehr erreicht als die meisten westlichen oder pro-westlichen Staaten.

Wie könnte eine Demokratie chinesischer Prägung im Vergleich mit dem „Sozialismus chinesischer Prägung“, aussehen, wie ihn Deng Xiaoping auf dem XII. Parteitag 1982 einführte? Der Begriff ist seitdem nicht intensiv theoretisch oder systematisch ausgebaut worden, aber auch vonseiten westlicher oder exilchinesischer Theoretiker sind keine Konzepte für eine Art „Demokratische Republik China“ oder „Federal Republic of China“ bekannt geworden. Wäre Taiwan dabei ein mögliches Modell?

Taiwan hat lange auf einem Alleinvertretungsanspruch für ganz China bestanden und tritt seit den diktatorischen Zeiten des Staatsgründers Chiang Kai-Shek als „Republic of China“ auf. Die internationale Anerkennung, obwohl informell, und die demokratische Legitimation Taiwans stehen außer Frage, aber die Ein-China-Politik der USA, die in den letzten Jahren mit der Anti-China Stimmung in Politik und Medien relativiert wird, haben Taiwan intern belastet. Als die Nationalchinesen Chiang Kai Sheks 1949 die Insel übernahmen, waren sie keineswegs bei der einheimischen Bevölkerung willkommen und ihre äußerst autoritäre und brutale Herrschaft änderte daran nichts.

Erst die Aufhebung des Kriegsrechts und die demokratische Öffnung Ende der 1980er Jahre etablierten ein demokratisches System, allerdings mit Schwachstellen. So bleibt etwa die Anhängerschaft der beiden Hauptparteien DPP und KMT in der Bevölkerung geteilt und strittig. Im entscheidenden Disput über Unabhängigkeit oder größere Nähe zu China sind die Meinungen im langjährigen Durchschnitt fast hälftig geteilt und die Wahlausgänge schlagen wegen anderer Themen, etwa Korruption, einmal zugunsten der DPP aus und dann wieder für die KMT.

Im Demokratie-Index der Economist Intelligence Unit für 2022 rangiert Taiwan auf Platz 10 und China auf Platz 156. Zusammen mit Japan und Südkorea zählt Taiwan zu den drei einzigen entwickelten Demokratien in Asien. Eindeutiger kann es nicht beschrieben werden, obwohl bestimmte Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung in China auch Beachtung verdienen würden. Aber solange es um den Machterhalt der Staatspartei geht, darf man sich keine Illusionen über eine Demokratisierung im westlich-internationalen Sinne machen.

Allerdings ist im Westen die Euphorie über einen Sieg demokratischer Systeme inzwischen abhanden gekommen. Francis Fukuyamas Theorie vom „Ende der Geschichte“ mit einer weltweiten Verbreitung liberaler Demokratien war zu optimistisch, die „Dritte Welle der Demokratisierung“ ist endgültig vorbei.

Im Gegenteil, es entstehen mehr autokratische Systeme, als solche überwunden werden. Die teilweise missionarische Demokratieförderung amerikanischer und europäischer Organisationen steckt in einer Sackgasse.

Geopolitisch sind die Verschiebungen zugunsten Chinas in Eurasien, Afrika und Lateinamerika so eindeutig, wie sie zu Lasten der traditionellen amerikanischen Vormachtstellung gehen. Nach den Kriegen im Irak und in Afghanistan haben die unterschiedlichen Strategien der Großmächte im Globalen Süden folgenden Slogan generiert „Die USA bombardieren und China baut“, nämlich mit dem Großprojekt Belt and Road Initiative (BRI) Transportinfrastruktur durch Eisenbahnen, Häfen und Flughäfen, die dem eigenen Handel dienen, aber auch den Partnerländern.

Den Mangel an Modellen und theoretischen Vorarbeiten für eine künftige Demokratie der Volksrepublik China komplizieren zunehmend die militärischen Spannungen mit den USA, die Europa weitgehend unterstützt. Die dabei benutzte Kriegsrhetorik und lange Debatten über eine vermeintliche Thukydides-Falle, die einen Krieg mit China so unvermeidlich macht wie die Kriege zwischen Athen und Sparta vor mehr als 2000 Jahren, dürften weder zur Reformbereitschaft des Regimes noch zu entsprechenden Forderungen in der Bevölkerung beitragen.

China und viele seiner 1,3 Milliarden Menschen fühlen sich vermutlich stärker bedroht als die amerikanischen Durchschnittsbürger und stellen sich eher hinter die wirtschaftlich so überaus erfolgreiche Regierung. Hinzu kommt, dass die allzu sichtbaren demokratischen Schwachstellen in den USA und in den zunehmend zersplitterten Parteiensystemen Europas allemal kein attraktives Vorbild für China ergeben.

Das Fatale an der Situation ist, dass die Konfrontation, besonders die militärische, keine tragfähige gemeinsame Zukunftsvision ergeben kann.


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