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Cowboy und Indianer

Cowboy und Indianer

Native Kulturen halten dem zivilisierten Mensch den Spiegel vor und veranschaulichen ihm, dass sein vermeintlicher Fortschritt in einer Sackgasse münden wird.

„Wer die Erde nicht respektiert, zerstört sie. Wer nicht alles Leben wie das eigene respektiert, wird zum Mörder. Der Mensch glaubt manchmal, er sei zum Besitzer, zum Herrscher erhoben worden. Das ist ein Irrtum: Er ist nur Teil des Ganzen. Seine Aufgabe ist die des Hüters, nicht des Ausbeuters. Der Mensch hat Verantwortung, nicht Macht. Wir denken bei jeder Entscheidung an die siebte Generation nach uns. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Ungeborenen eine Welt vorfinden, die nicht schlechter ist als unsere — und hoffentlich besser“ (Oren Lyons, Häuptling der Onondaga).

Ich erinnere mich noch, wenn wir als Kinder „Indianer und Cowboy“ gespielt haben, dass ich immer ein „Indianer“ war. Ganz selbstverständlich fühlte ich mich dieser Seite zugehörig, und die Faszination und Verbundenheit dorthin hat nie aufgehört. Ein- oder zweimal im Jahr nehme ich eines meiner Bücher mit dokumentierten Reden, Aussagen und Erzählungen verschiedener Angehöriger nativer „Erdenhüter“ in die Hand. Diesmal fiel mir auf: Es wurde alles schon gesagt. Alles, was gesagt wurde, wurde schon erkannt. Wie wir aber wissen, bedeutet Erkenntnis oder Einsicht nicht unbedingt auch, dass daraus eine erforderliche Kurskorrektur erfolgt. Fehlt uns dazu kollektiv die Weisheit? Nur wenn Wissen und Erkenntnis integriert werden, können sie zu Weisheit werden. Das Resultat von Weisheit ist immer Harmonie und Frieden.

Wir existieren genauso wie der ganze Kosmos nur, weil Harmonien dauerhaft und umfassend vorhanden waren, um dann die synergetischen Effekte zu ermöglichen, welche zum komplexen Phänomen des biologischen Lebens geführt haben. Insofern könnte man echter Intelligenz die Fähigkeit zur Herstellung harmonischer Zustände unterstellen. Der Kosmos scheint so betrachtet intelligenter zu sein als wir, denn auf vielfältige Art vermag er „Wissen“ zu integrieren, das heißt, „Erfahrung“ in nachhaltige Praxis zu überführen.

Lege ich diese Definition als Maßstab für Intelligenz an, dann verhalten wir uns — kollektiv gesehen — aktuell ziemlich dumm. Es gelingt uns einerseits, eine gewaltige Wissensmenge zu kulminieren, während wir uns andererseits als Ergebnis dessen um unseren Fortbestand ernsthaft sorgen müssen. Wir schaffen „künstliche Intelligenz“ ohne offenbar zu wissen, wie Intelligenz umfassend zu begreifen ist. Unser Leben ist gesättigt mit technischen Annehmlichkeiten, die überflüssig wären, wenn wir nicht gezwungen wären, dieses Leben zu leben.

Wir führen Kriege um Ressourcen, die nötig sind, um einen nicht nachhaltigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten, der von den Wenigsten als erfüllend und sinnstiftend empfunden wird. Wir entziehen uns und anderen Spezies die Lebensgrundlagen, während wir wissenschaftlich bemüht sind, die Geheimnisse und den Sinn des Lebens zu ergründen. Wir, die westliche Leitkultur, sind die „Cowboys“!

„Jeder muss den richtigen Weg finden. Du kannst ihn nicht sehen, deshalb ist er schwer zu finden. Keiner kann ihn dir zeigen. Jede Person muss den Weg alleine finden“ (Charlie Knight, Medizinmann der Ute).

Gilt das auch für ganze Kulturen? Falls ja, dann ist unser Verhalten legitim, denn es ist Teil der Suche nach dem „richtigen Weg“. Ich frage mich aber, ob wir dafür genug Zeit haben, oder ob es nicht an der Zeit ist, unsere Erfahrungen bis hierher zu integrieren.
Der nötige Wandel wird eintreten, wenn die Mehrheit den „richtigen Weg“ erkannt hat, ein Weg, der in seinen Grundzügen einfach ist: Wir sind EINE Menschheit, Gewalt an Mensch und Umwelt führt niemals zu einer höheren Ordnung, und eine Verkünstlichung der Welt zerstört sie. Hierarchien korrumpieren, wenn ihre Macht und ihr Einfluss zu groß werden. Wahrscheinlich gehörst du bereits zu dieser Gruppe. Dann brauchst du nicht für deine Wahrheit zu kämpfen, denn niemand, der nicht aus eigener Einsicht an diesen Punkt gelangt ist, wird dich verstehen.

„Das Leben ist wie ein Pfad, und wir müssen alle diesen Pfad entlang wandern. (…) Jeden Morgen müssen wir aufstehen und den Weg auf diesem Pfad fortsetzen. Beim Gehen werden wir immer Erfahrungen wie kleine Papierschnipsel vor uns liegen sehen. Wir müssen diese Schnipsel aufheben und in die Tasche stecken. Eines Tages werden wir diese Stücke zusammensetzen, und wenn wir genügend gesammelt haben, werden diese Schnipsel einen Sinn ergeben. Je mehr wir lesen, desto mehr begreifen wir den Sinn. Wir können weise werden — oder zumindest weiser als wir vorher waren.“

Uncle Frank Davis, Ältester der Pawnee

Ob wir wollen oder nicht: Wir sind unterwegs, und wir haben die Freiheit, die „Papierschnipsel“ zusammenzusetzen oder nicht. Wenn es offensichtlich wird, dass unser System von einer globalen Elite für deren Ziele konstruiert wurde, wenn es offensichtlich wird, dass Angst deren Mittel ist und ich damit in Resonanz gegangen bin, wenn es offensichtlich wird, dass meine Art zu leben dem Glauben entspringt, dass es nun einmal nicht anders geht — dann ist es an der Zeit innezuhalten. Wann habe ich mir das letzte Mal erlaubt, mich zu fragen, was ich wirklich will? Was mir wirklich guttut? Was, wenn die Antworten darauf außerhalb der erlaubten Möglichkeiten des gegenwärtigen Systems liegen? Wirke ich mit an der Realisierung einer Welt, die ich mir wünsche, oder hoffe ich auf eine wundersame Besserung zum Guten, herbeigeführt durch diejenigen Führer, die unsere Welt an diesen Punkt gebracht haben?

Auch das habe ich immer an Indianern bewundert: ihre Ernsthaftigkeit. Ernsthaftigkeit ist keine Freudlosigkeit, aber in unserer Gesellschaft ist Humor oft zu Häme, Sarkasmus oder Ironie verkommen. In Spaß und Ablenkung fliehen wir vor der Ernsthaftigkeit, die etwas Bedrohliches hat. Wir können Ernst nicht ertragen.

Ernsthaftigkeit verlangt, Verantwortung zu übernehmen, erlaubt es nicht, passiv im Kabarett zu sitzen und sich die eigene Absurdität spiegeln zu lassen. Sie ist weder das Ergebnis eines erwarteten Verhaltens noch einer umfassenden Informiertheit. Ernsthaftigkeit verlangt eine Haltung, und eine Haltung muss man aktiv einnehmen.

„Unter welchem Gesetz lebt ihr? Dem Gesetz der Vereinigten Staaten? Das ist ein Menschengesetz. Wer es bricht, zahlt eine Geldbuße oder kommt ins Gefängnis — oder auch nicht. Doch die Menschen vergessen, dass es ein anderes Gesetz gibt: Das Gesetz des Schöpfers. Dieses Gesetz gilt überall. Es hebt Menschengesetze auf. Es kennt keine Richter und Anwälte, man kann sich nicht herausreden oder freikaufen. Wenn man das Gesetz des Schöpfers verletzt, schlägt es zu, und zwar hart. Das meine ich mit gesundem Menschenverstand. Jeder kann es verstehen“ (Oren Lyons, Onondaga).

Der Häuptling führt in diesem Zusammenhang aus, dass alles Leben an sauberem Wasser hängt und wie fatal die Verschmutzung des Wassers ist:

„Wenn ihr das Wasser tötet, tötet ihr alles Leben, euer eigenes miteingeschlossen.“

Wir können beginnen — oder darin fortfahren —, für unser Verhalten noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Damit werden sich immer neue Möglichkeiten eröffnen, diesem System die Energiezufuhr zu entziehen. Wir erkennen dann immer deutlicher die Gewalt, die unserer Art zu leben innewohnt. Wir entwickeln immer mehr Respekt: Respekt vor der Erhabenheit dieser Welt, vor unserer eigenen Existenz, Respekt vor der Wahrheit des Anderen. Daraus kann sich Verständnis entwickeln, ein Verständnis für die Bedürfnisse und Grenzen unserer Mutter Erde und ein Verständnis für diejenigen, die anscheinend so anders sind als wir. Und es entwickelt sich ein Verständnis für die Grenzen von Toleranz: Nämlich, wenn wir vorgeschrieben bekommen, wo und auf welche Art wir „tolerant“ zu sein haben, auch wenn diese Toleranz zu Lasten natürlicher Ordnungen und des Friedens geht.

Solch ein Verständnis kann die Quelle echter Demut sein. Wir sind alle auf dem „Pfad“ unterwegs. Keiner kann den Lernprozess anderer beschleunigen, bestenfalls anregen. Jede Form der Belehrung ist daher auch eine Form von Gewalt. Unsere eigene Weisheit ist nicht das Ergebnis besonderer Intelligenz oder besserer Informiertheit. Sie ist eine Gnade.

„Weisheit kommt erst dann, wenn man nicht mehr danach sucht und wirklich das Leben lebt, das einem zugedacht ist“ (Leila Fisher, Älteste der Hoh).

Aus Demut entwickelt sich unausweichlich eine Haltung der Dankbarkeit. Ein dankbarer Mensch ist ein wertschätzender Mensch, jemand, der seine Grenzen kennt, der sich nicht aus einem Mangel heraus profilieren oder bereichern muss.

Dankbarkeit verhindert, seine Umwelt als minderwertig zu betrachten oder sie auszubeuten. Dankbarkeit ist der Blick in die Gegenwart, denn im Blick ist das, was man hat, und nicht die Projektion dessen, was man zu brauchen glaubt. Welche Konsumgüter brauche ich wirklich? Welche Schäden werden durch ihre Produktion verursacht? Dankbarkeit erschafft auch eine offene und neugierige Haltung, die verhindert, dass ich mich in irgendeiner Form anderen überlegen fühle.

„Ich arbeite für die Schöpfung. Ich weigere mich, an ihrer Zerstörung mitzuarbeiten“ (Leon Shenandoah, Haudenosaunee).

Ich glaube, das ist ein lebbares Motto. Man braucht nicht religiös zu sein, um die tiefe Dimension hinter dem Leben zu erahnen. Glück ist eine Tatsache, Harmonie ist eine Möglichkeit, die der aktiven Verwirklichung durch uns Menschen harrt. Respekt, Dankbarkeit und Demut sind Ausdrucksformen der stärksten Kraft, die uns antreibt — der Liebe. Alles, was uns daran hindert, liegt in Wahrheit nicht im Außen, da die Welt immer nur eine Manifestation unserer Innenwelt sein kann.

Shenandoah führt weiter aus:

„Dies ist unsere Zeit und unsere Verantwortung. Jeder Mensch hat die heilige Pflicht, das Wohlergehen unserer Mutter Erde zu schützen. Um das zu tun, müssen wir den Feind erkennen — den Feind in uns. Wir müssen bei uns selbst beginnen.“

Ich meine, das ist der Ort, an dem Weisheit beginnt.


Quellen und Anmerkungen:

Quelle der Zitate: „Hüter der Erde — Begegnungen mit den Indianern Nordamerikas“, Frederking & Thaler, 3. Auflage, München, 1993


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