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Das chinesische Trauma

Das chinesische Trauma

China hört einfach nicht auf „uns“. Was dabei immer vergessen wird, sind die Erfahrungen, die das Reich der Mitte mit westlichen Nationen gemacht hat.

Der Rausch des Abstiegs

Alles fing damit an, dass die chinesische Oberschicht des 19. Jahrhunderts gerne high war. Sie rauchte Opium – das Land war unabhängig von Importen, der Merkantilismus im Reich der Mitte erzeugte Wohlstand für die Begüterten und die kaiserliche Familie: Warum nicht mal was Berauschendes schmauchen und das Leben genießen? Für die Armen galt das freilich nicht. Und auch wenn es in China wenig Hungersnöte gab – dem Reisanbau sei Dank –, Armut war durchaus reichlich vorhanden. Die Habenichtse konnten kein Opium rauchen.

Die Briten indes erschlossen die Welt, handelten mit jedem – auch mit denen, die nicht wollten: Also den Chinesen. Das Opium versprach eine Nische zu sein, in der das britische Empire mit China Geschäfte machen konnte – die Briten bezogen es aus ihren südostasiatischen Kolonien. Recht schnell überfluteten sie den Markt, Opium wurde zur Schleuderware, sodass der Genuss kein Recht der Oberklasse mehr war, sondern ab dann konnte sich jeder einem Rausch hingeben. Die gesellschaftlichen Strukturen Chinas verfielen recht schnell, Opium setzt keine Energien frei – Kokain, das da anders wirkt, gab es noch nicht –, ganz im Gegenteil, es macht schläfrig. Wer Opium konsumiert, kann den Alltag kaum noch meistern.

Ohne die Geschichte des Ersten und des schon bald darauf folgenden Zweiten Opiumkrieges aufdröseln zu wollen: Der chinesische Kaiser verbot den Import und ließ die Bestände im Lande beschlagnahmen, die Briten antworteten mit einem Waffengang – mit einem Wirtschaftskrieg auf dem Schlachtfeld, könnte man sagen. Sie waren der kaiserlichen Armee überlegen und drückten China jetzt die Abnahme von Opium auf. Das Kaiserreich verrottete, die Gesellschaft zerrüttete, Opiumsüchtige lagen auf den Straßen herum, Familien zerbrachen und die chinesische Autorität, der Kaiser und seine Funktionseliten, verloren massiv an Zuspruch. In jenen Jahren begann auch die Auswanderung vieler Chinesen ins Ausland – insbesondere in die Vereinigten Staaten. Das Reich der Mitte verlor seine Mitte.

Die Kaiserinwitwe Cixi, versuchte, das alte China zu retten, zimperlich war sie dabei nicht. Sie war Reformerin, wo Reformen versprachen, die Macht der Dynastie zu erhalten – und Reaktionärin dort, wo ein harter Kurs Aussicht auf Erhalt der Dynastie in Aussicht stellte. In jener Zeit hatten die Europäer das Sagen in China, sie drangen ins Reich ein, öffneten Handelszentren, diktierten den chinesischen Beamten Bedingungen – China war schwach. Auf der einen Seite hielt die Moderne Einzug durch die Fremden aus dem Westen und auf der anderen Seite mussten sich die Chinesen mit Eliten herumschlagen, die ihre Macht konservieren wollten – und dies entgegen dem Umstand, dass deren Zeit längst abgelaufen war und sie keine Autorität mehr besaßen.

Das Jahrhundert der Demütigung

Das chinesische Volk hat diese Zeit, dieses verlängerte 19. Jahrhundert, das bis 1912 dauerte – als der letzte Kaiser abdankte – als ein Säkulum der Schmach in Erinnerung behalten. Als „Jahrhundert der Demütigung“ ist es heute bekannt. Schon die damaligen Zeitgenossen empfanden das so – der Boxeraufstand legt Zeugnis davon ab: Er war eine Widerstandsbewegung gegen Ausländer; die Aufständischen töteten Europäer, sie wollten ihr Land zurück. Schon damals hat man die Europäer für den Niedergang verantwortlich gemacht. Über die Jahrzehnte hat sich das eingebrannt ins kollektive Gedächtnis der Chinesen.

In der Folge überschlugen sich die Ereignisse: Es gab Bürgerkrieg, China wurde von Japan überrannt, das man vormals nur als kleine benachbarte, ja auch als barbarische Insel wahrnahm. Jetzt hatte es China überholt und sogar besetzt. Das Reich der Mitte war eben genau das: Mittelpunkt der Welt – jedenfalls für die Chinesen. Die Welt war den Kaisern einst tributpflichtig, egal woher die Fremden kamen. Die Haltung, sich nur um die eigenen Belange zu kümmern und den Rest der Welt zu ignorieren, wie man das dem modernen China und seinem Staatspräsidenten Xi Jinping unterstellt, ist nicht neu. Sie hat ihren Ursprung schon in der Kaiserzeit.

Man brauchte die Welt nicht, daher auch die Verweigerung, viele Waren zu importieren. China war autark. Als die Europäer dann in China eindrangen: Das war die andere Erfahrung, die das 20. Jahrhundert prägte und die bis ins 21. Jahrhundert noch präsent ist.

Wenn ausländische Vertreter in China sprechen, sieht man sie heute als Verhandlungspartner – aber Ansprüche zu stellen, gesteht man ihnen nicht zu. Schon gar nicht, wenn sie aus dem Teil der Erde stammen, den wir den Westen zu nennen pflegen. Der Westen brachte schon mal Demütigung über das Land, riss das alte Gemeinwesen nieder, rücksichtslos, profitorientiert und bereit, die Chinesen im eigenen Land wie Sklaven zu behandeln. Man hat seinen Frieden gemacht, in der ehemaligen deutschen Kolonie Tsingtau gibt es noch so etwas wie stolz auf die deutsche Sozialisierung der Stadt, berichtet Bernhard Hommel. Aber vergessen kann und will man das nicht, was der Westen China antat. Es gibt eine Losung, die man auch bei uns in anderem Zusammenhang hörte: Nie wieder!

Die KP Chinas: Aus der Geschichte gelernt

Wenn jemand wie Annalena Baerbock vor eine chinesische Delegation tritt und anmeldet, wie sich dieses Milliardenvolk zu verhalten hat, schwingt das Jahrhundert der Demütigungen immer mit. Das lässt sich aus der chinesischen Perspektive nicht ausblenden. Von der Warte der Moral – welcher sei mal dahingestellt, nehmen wir also die, die uns im Westen plagt – mag sich ja manche Entscheidung der chinesischen Politik falsch anfühlen. Aber für China ist das irrelevant – jede Aussage eines frömmelnden Westlers unterstreicht eigentlich nur, dass man keinen ganz falschen Kurs einschlägt.

Die Kommunistische Partei (KP) Chinas weiß natürlich auch, dass sie das Produkt der demütigenden Zeit ist. Ohne jene Jahre, da die Fremden China dominierten, wäre die chinesische Gesellschaft nicht – oder viel später und in ganz anderer Weise – ins Rutschen geraten. Bürgerkrieg, der Einmarsch der Japaner: Vermutlich wären diese Ereignisse nicht eingetreten. Und Mao und die KP hätte es nicht oder nur als Randnotiz gegeben.

Man könnte auch sagen, dass die dominierende Partei also weiß, wie Imperien stürzen, wenn sie von außen zu stark beeinflusst werden. Sie muss es wissen, denn sie ist ein Geschöpf des chinesischen Niedergangs des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts – und als Kreatur dieser Entwicklungen gibt sie den Chinesen das Versprechen, dass es eine solche Phase des nationalen Fiaskos nicht mehr geben soll, nicht mehr geben wird. Sie hat also, man könnte es so formulieren, aus der Geschichte gelernt.

Westliche Mächte, die China einst sukzessive kolonisierten, es mit wirtschaftlicher Macht an und in den Abgrund trieben, scheinen keine Lehren aus ihrer Vergangenheit gezogen zu haben.

Natürlich kann man dem Westen nicht die gesamte Schuld am innerchinesischen Verfall geben, wie eingangs gesagt, das Kaiserreich war kein Paradies, es hatte gravierende Schwächen, man verschloss die Augen vor einer sich wandelnden Welt; außerdem darbte die Armut, man war nicht mehr der Mittelpunkt der bekannten Welt, denn die einst bekannte Welt war längst frühglobalisiert und damit gewachsen. Aber in den Köpfen der Chinesen waren es nun mal die Briten, denen dann andere europäische Nationen folgten, die das Land taumeln ließen. Daran sollte man denken, wenn man als politisch Verantwortlicher einen Staatsbesuch in China antritt. Diplomatie heißt eben auch, die nationalen Traumata anderer zu kennen, anzuerkennen und vorsichtig mit ihnen umzugehen.


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