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Das Erbe der Mütter

Das Erbe der Mütter

Die Geschichte weiblicher Herrschaft und Kraft zeigt Wege in eine egalitäre Gesellschaft, in der es nicht mehr um Herrschaft, sondern um Gleichberechtigung und Lebendigkeit geht.

Es ist Markttag. In bunten und üppigen Auslagen werden die Waren feilgeboten: frisches Obst und Gemüse aus lokalem Anbau, Teigwaren, lebende Hühner und Ziegen, allerlei Haushaltsgeräte und Werkzeuge, Stoffe und Körbe ― alles, was man zum Leben braucht. Menschen stehen in Gruppen zusammen und reden miteinander, Kinder spielen Fangen zwischen den Ständen. Ein Fest wird vorbereitet. Girlanden aus Blumen und Zweigen zieren den Platz. Musik klingt herüber, auf den Terrassen werden Tische und Stühle geschoben. Ich setze mich und bestelle einen Kaffee.

Es ist noch früh am Morgen. Männer überqueren den Platz. Die Nacht haben sie bei ihren Liebsten und Lebensgefährtinnen verbracht und sind nun auf dem Weg zu ihren Clanhäusern. Es sind Frauen, die diese Häuser führen und ihnen vorstehen. Sie halten die Güter zusammen und sind für deren gerechte Verteilung an alle Hausbewohner zuständig. Anders als die Männer sind sie dafür geeignet, für das Wohl aller zu sorgen, denn sie sind es, die Leben empfangen und auf die Welt bringen.

Benommen reibe ich mir die Augen. Ich muss geträumt haben. Es ist ja nicht möglich, als Ungeimpfte in einem Café zu sitzen, und ich lebe in keiner Gemeinschaft, in der Frauen im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens stehen. Ernüchtert sehe ich mich um. Nein, da ist kein Markt. Da sind keine fröhlichen Menschen, keine lachenden Kinder, keine von Frauen geführten Clanhäuser, keine Männer, die ihre Geliebten nachts besuchen und tagsüber dort beschäftigt sind, wo sie wohnen: in ihrem Clanhaus, das ebenfalls von einer Frau geführt wird.

Meinungsmache

Wie könnte das möglich sein? Wo leben Frauen und Männer zusammen, ohne dass sich ihre Liebe im Alltag verbraucht und ohne dass sie aus materiellen Gründen zusammenbleiben, ohne Hierarchien und Machtspielereien, Besitzansprüche und Gewalt? Haben nicht die vergangenen Jahrtausende gezeigt, dass das nicht funktionieren kann? Außer vielleicht bei ein paar Wilden gibt es in unserer Welt kein Matriarchat, eine Gesellschaftsordnung, in der laut Google und Duden „die Frau eine bevorzugte Stellung in Staat und Familie innehat und bei der in Erbfolge und sozialer Ordnung die weibliche Linie ausschlaggebend ist“. Den gleichen Wortlaut findet man, wenn man unter „Patriarchat“ nachschlägt, nur dass Frau durch Mann ersetzt wird.

Wer in der meinungsmachenden Wikipedia stöbert, findet unter Matriarchat, dass es keine wissenschaftliche und allgemein anerkannte Definition des Begriffes gibt. Man weiß nicht einmal, ob es sich hier um Fakten oder um Wunsch- beziehungsweise Angstbilder handelt. Bei dem Begriff Patriarchat hingegen ist man sich sicher: Es beschreibt in der Soziologie, der Politikwissenschaft und verschiedenen Gesellschaftstheorien ein System von sozialen Beziehungen, maßgebenden Werten, Normen und Verhaltensmustern, das von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird. Die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen nennen einige ihrer Verwaltungsgebiete Patriarchate.

Posthumanismus oder Leben?

Ich komme ins Nachdenken. Anstatt uns über Gendersternchen zu zanken und unsere gemeinsame Sprache weiter zu zerhackstücken, anstatt uns von den 72 neu definierten „Geschlechtern“ verwirren zu lassen und anstatt uns dafür zu schämen, spießig und politisch unkorrekt „nur“ Frau oder „nur“ Mann zu sein, beschäftigt mich die Frage, was Matriarchat und Patriarchat eigentlich voneinander unterscheidet und welches der beiden Gesellschaftsmodelle geeigneter ist, allen ein friedliches Leben auf diesem Planeten zu ermöglichen.

Zugegeben: In dieser Frage bin ich als Frau voreingenommen. Ich bin nicht neutral, kein Fräulein, kein unfertiges Ding. Objektiv bin ich ebenfalls nicht, also laut Google unabhängig von einem Subjekt und seinem Bewusstsein existierend und nicht von Gefühlen bestimmt. Doch ich tue mein Bestes, unparteiisch zu sein, denn es liegt mir vor allem an einem: dass Frauen und Männer harmonisch zusammenleben.

Das Patriarchat, also die Gesellschaftsform, in der ich lebe und die weltweit dominiert, sorgt offensichtlich nicht dafür.

Für so ziemlich alle Lebewesen auf diesem Planeten sieht es düster aus. Wir sind in der Zeit des Posthumanismus angekommen, in der der Mensch gewissermaßen ausgedient hat.

Biologisch gesehen haben wir den Zenit unserer Evolution überschritten und ergeben uns nun der künstlichen, computergestützten Intelligenz. Laut Wikipedia werden wir über Nanotechnologie und eine Kombination aus Gentechnik, Psychopharmakologie, lebensverlängernde Maßnahmen, neurale Schnittstellen, gedächtniserweiternde Drogen und tragbare oder implantierte Computertechnologie zu einer Art Kreatur, die die Grenzen der Natur überwunden hat.

Natürlich werden nicht acht Milliarden Menschen derart aufgepeppt werden können. Was mit dem Rest der Menschheit passieren soll, sei der Vorstellungskraft jedes Einzelnen überlassen. Diese Technologie, die das Ende des Menschseins bedeutet, ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern wird, Corona und Klimawandel sei Dank, genau jetzt abgespielt. Bevor es also demnächst überhaupt keine Männer und Frauen mehr gibt, sollten wir uns gemeinsam darüber Gedanken machen, was eigentlich schiefgelaufen ist und wie wir es anders machen können.

Abgehoben

Es soll nun nicht um die Frage gehen, wer schuld ist, oder darum, dass Frauen an die Macht sollen und die Männer gewissermaßen ersetzen. Es soll überhaupt nicht um Macht gehen, sondern um die Möglichkeit, sich ergänzend zusammenzuwirken. Klar ist: Wir haben gemeinsam diese Situation geschaffen. Was Männer getan haben, haben Frauen zugelassen und unterstützt. Sie haben sich in die Hierarchien gefügt und sind der aufsteigenden männlichen Linie gefolgt.

Eine kraftvoll aufwärtsstrebende Vertikale ist im Prinzip nichts Negatives. Problematisch wird es, wenn es mit der Potenz übertrieben wird und die Vertikale die Horizontale nicht erreicht und miteinbezieht. Die Horizontale ist dem weiblichen Prinzip zugeordnet. Im idealen Fall ergänzen sich horizontal und vertikal, weiblich und männlich, wie in der chinesischen Philosophie des Yin und Yang: Wie in Wellen fließen beide Prinzipien ineinander und vereinen sich, wobei im Männlichen stets auch das Weibliche und im Weiblichen stets auch das Männliche enthalten ist.

Doch die patriarchalen Hierarchien haben es derart auf die Spitze getrieben, dass ein gefährliches Ungleichgewicht entstanden ist. Wir sind aus der Balance gekommen. Die Pyramiden, die wir symbolisch überall aufgebaut haben, halten nicht mehr und sind dabei, in sich zusammenzufallen. Die Spitze hat sich von der Basis getrennt und die Fortschrittsgerade verliert sich im Nichts. Nur das Besinnen auf das Horizontale, Weibliche kann uns auf den Boden der Tatsachen zurückbringen, dorthin, wo alles Leben beginnt: in der gebärenden Frau, den Tiefen der Urmutter Erde.

Von der Dominanz zur Komplementarität

Das Leben wird durch das Männliche befruchtet und entspringt dem Weiblichen. Es ist die Frau, die das Kind neun Monate lang in ihrem Leib trägt. Aus der Erde entstehen unsere Körper. Der Himmel flößt ihnen seinen Geist ein, seinen Odem, den Atem. Beide, Himmel und Erde, hat das Patriarchat zerstört. Alles hat es erobert, vergewaltigt, zugemüllt. Es hat keine Sorge dafür getragen, das Lebendige zu schützen. Denn daran hat es kein Interesse. Es gehört zu seinem Programm, sich das Weibliche zu unterwerfen und die Natur zu beherrschen. Entsprechend ist das Patriarchat nicht darauf ausgerichtet, für das Wohl aller zu sorgen. Auf „Vater Staat“ zu vertrauen, ist eine trügerische Sicherheit und eine gefährliche Illusion.

Die Männer und Frauen, die das Patriarchat bilden und unterstützen, haben ihre Grenzen übertreten.

Mit Quotenregelungen, Rechtschreibreformen und frühen Krippenplätzen, mit #metoo, Political Correctness und Cancel Culture werden verdorbene Appetithappen in die Menge geworfen, um einen Anschein von Emanzipation und Gleichberechtigung zu geben.

In Wirklichkeit handelt es sich um versteckte Maßnahmen, um Männer und Frauen immer weiter auseinanderzutreiben und zu verhindern, dass wir einander erkennen und gemeinsame Sache machen.

Matriarchat geht anderes. Als komplementäre Gleichheit zwischen den Geschlechtern und Generationen definiert es die Philosophin Heide Göttner-Abendroth. „Am Anfang die Mütter“ ― so übersetzt sie den Terminus (1). Dem mütterlichen Prinzip des Lebensschenkens dienen Frauen und Männer gleichermaßen. So ist es das Schenken, das anstelle von Gewinnmaximierung im Zentrum der Ökonomie des Matriarchats steht. An die Stelle des linearen Fortschrittsdenkens tritt ein Ausrichten an den Zyklen und Kreisläufen der Natur. Würde, Respekt und Heiligung ersetzen Machtgier, Unterdrückung und Ausbeutung.

Hierbei handelt es sich nicht um utopische Träumereien oder naive Schöne-Welt-Fantasien, sondern um Realitäten. Denn es gibt bis heute matriarchal orientierte Gesellschaften, die in Frieden und ausgeglichenem Wohlstand zusammenleben. Zu ihnen gehören unter anderen die Mosuo in China, die Minangkabau in Indonesien, die Khasi in Indien, die Tuareg in Afrika, die Irokesen und die Hopi in Nordamerika, die Juchiteken in Mexiko und die Aborigines in Australien. Nur in Europa wurde das Matriarchat vollständig ausgerottet. Allein einige Schriften der Basken, Bretonen und Balten sind der Zerstörung entgangen.

Der matriarchale Clan

Matriarchate sind nichthierarchische, horizontale, egalitäre Verwandtschaftsgesellschaften. Es gibt keine Herrschaft, keine Gewalt, keine Ausbeutung ― keinen Staat. Als Reichtum gelten die Unterschiede zwischen allen Menschen. Egalität bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass alle gleich sind oder auf dieselbe Höhe zurechtgestutzt werden, sondern dass alle natürlichen Unterschiede respektiert werden.

Im Zentrum des Matriarchats steht die Mütterlichkeit. Sie bedeutet Nähren, Pflegen, Fürsorge, gegenseitige Unterstützung, Friedenssicherung und sie gilt für alle Mitglieder der Gesellschaft, Männer und Frauen, ob sie Mütter sind oder nicht. Die Frauen dominieren hierbei nicht über die Männer. Sie sind ihnen nicht übergeordnet, sondern gleichberechtigt. Hierarchien wie im Patriarchat gibt es nicht. Die höchsten Aufgaben werden an die verteilt, die am besten geeignet sind, für das Wohl aller zu sorgen. Es sind die nach menschlichen Qualitäten Angesehensten, nicht die Stärksten, Gerissensten oder Großmäuligsten, die die größte Verantwortung tragen und die meiste Arbeit verrichten.

Vier Ebenen unterscheidet Heide Göttner-Abendroth, die bei allen Matriarchatsformen ähnlich funktionieren: soziale Ordnung, Politik, Ökonomie und Kultur. Die matriarchalen Clans werden durch Matrilinearität und Matrilokalität zusammengehalten. Das bedeutet, dass alle in einem Clanhaus zusammenleben: die Mutter mit ihren Brüdern und Schwestern, Söhnen und Töchtern. Die Väter der Kinder wohnen im Hause ihrer eigenen Mutter mit deren Geschwistern und Nachkommen. Die Paare sind nur über Nacht beieinander. Ehen können einfach geschlossen und wieder aufgelöst werden und halten so lange, wie die Liebe hält: ein paar Wochen, ein paar Monate, ein paar Jahre, ein ganzes Leben.

Beide Geschlechter genießen sexuelle Freiheit. Da jeder im jeweiligen Mutterhaus zu Hause ist und hier versorgt wird, gibt es keinen Streit wegen materieller Abhängigkeiten. Für die Kinder gibt es keine Probleme bei einer Trennung, denn die soziale Vaterschaft der männlichen Verwandten der Mutter steht über der biologischen Vaterschaft. Die Väter können ihre Kinder und Frauen besuchen, sind jedoch nicht für sie verantwortlich.

Gelebte Basisdemokratie

Die matriarchalen Clans sind die Grundlage für eine egalitäre Konsensgesellschaft. Alle Politik entsteht im Clanhaus. Hier — und nur hier — werden die Regeln des Zusammenlebens entschieden. In dieser Kleinstruktur kann jeder zu Wort kommen. Jugendliche sind ab 13 Jahren stimmberechtigt. Bei Regelungen, die größere Zusammenschlüsse angehen, werden die im Clanhaus getroffenen Entscheidungen an die verschiedenen Räte weitergegeben: Siedlung, Dorf, Stadt, Region. Darüber hinaus gibt es nichts.

Bei Übereinkünften im größeren Rahmen entsendet das Clanhaus gewählte Delegierte. In der Regel sind das eine Frau und ein Mann. Ihre Funktion ist allein beratend. Sie tauschen nur Informationen aus und entscheiden nichts. Die erhaltenen Informationen tragen sie in ihr Clanhaus zurück, wo neu beraten wird. Dies geschieht so lange, bis eine einstimmige Einigung gefunden ist und Konsens herrscht. Das Verfahren ist langwierig und komplex und braucht Zeit, Geduld, menschlich Reife und eine ausgeprägte Bereitschaft zum Zuhören — so wie eine echte Basisdemokratie. In ihr gibt es keine Klassenbildung, keine Herrschaftsstrukturen und keine abstrakten, undurchsichtigen Institutionen.

Land, Häuser und Lebensmittel befinden sich in den Händen der Frauen. Sie sorgen für die gerechte Verteilung aller Güter. Versorgungsart ist eine Subsistenzwirtschaft aus Garten- oder Ackerbau, die den Clans ein weitgehend autarkes Leben ermöglicht. Produziert wird ausschließlich nach Bedarf.

Im Gegensatz zur lust-, angst- und mangelorientierten Akkumulationsökonomie des Patriarchats lässt die Ausgleichsökonomie des Matriarchats ein Horten in den Händen weniger nicht zu.

Geld wird so gut wie nicht gebraucht. Entsprechend gibt es keine Abhängigkeiten schaffenden Schulden und Zinsen.

Die Ökonomie der Feste und des Schenkens sorgt für eine gerechte Verteilung der Güter und Reichtümer. Wer hat, der nimmt sich nicht noch mehr, sondern gibt und erhält dadurch soziales Ansehen und Ehre. Wenn es einem Clan schlecht geht, ist es selbstverständlich, dass ihn die anderen unterstützen. So kommt keine Angst vor Mangel auf. Eigenschaften wie Gier, Neid, Eifersucht, Geiz oder Verschwendungssucht, das Schmieröl patriarchal ausgerichteter Ökonomien, werden damit nicht genährt. Wer weiß, dass für ihn gesorgt ist und er seinen Platz in der Welt hat, der kann sich andere Herausforderungen im Leben suchen als die, andere Menschen zu überlisten oder kleinzumachen.

Werte und Würde

Das matriarchale Denken richtet sich an der Natur aus. Kosmos und Erde sind weiblich und werden als Schöpfergöttinnen verehrt. Das Göttliche ist nicht wie im Patriarchat transzendent, irgendwo da oben, sondern hier und jetzt präsent. Das Paradies ist kein ferner Ort, in dem man irgendwann für seine guten Taten belohnt wird. Es ist hier. Auf der Erde hat alles eine Seele und jede Tat ist Teil einer spirituell-symbolischen Ordnung, deren Konsequenzen man in seiner Verkörperung zu spüren bekommt. So wird die gesamte Gesellschaft von spirituellen Werten durchzogen. Die Verehrung der Göttin Erde prägt die Ökonomie, die Achtung vor der Verschiedenartigkeit der Menschen und die Politik.

Kinder werden als wiedergeborene Ahnen gesehen und entsprechend gewürdigt. Jedem Alter kommt Ehre zuteil und jeder Anlass bietet eine Gelegenheit zu feiern. Rituale durchziehen den Alltag und bieten immer wieder Möglichkeiten, sich zu besinnen und die materielle mit der geistigen Welt zu verbinden. In ihr herrscht kein aufpassender Polizist, kein penibler Erbsenzähler, der die Rechtschaffenen belohnt und die Abtrünnigen bestraft. Im nichtdualistischen Weltbild des Matriarchats gibt es kein „Gut“ und kein „Böse“. Menschen irren sich und machen Fehler. Das ist alles. Das Leben ist dazu da zu lernen, sie zu korrigieren.

In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sind Frauen und Männer gleich repräsentiert. Jedes Amt wird gleichzeitig von einer Frau und von einem Mann besetzt. Kein Geschlecht kann über das andere bestimmen oder es den eigenen Vorstellungen anpassen. Die Aufgabe der Delegierten ist es, zu informieren, zu beraten und bei Bedarf zu schlichten — jedoch in keinem Fall, den Menschen die Verantwortung für ihr eigenes Leben abzunehmen. Jede Entscheidung läuft immer wieder ins Clanhaus und damit zum Einzelnen zurück. Im Matriarchat, so Heide Göttner-Abendroth, sei es undenkbar, Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen, an andere abzugeben.

Vom Haben zum Sein

Im zweiten Teil des Buches geht es darum, wie diese Prinzipien in die Praxis umgesetzt werden können. In jedem Fall ist ein radikaler Wandel notwendig, denn, so Heide Göttner-Abendroth, es ist nicht möglich, Patriarchat und Matriarchat miteinander zu verbinden. Was den Schutz und die Pflege des Lebendigen voraussetzt, ist nicht vereinbar mit dem Spaltenden und Zerstörerischen. Man kann eben nicht ein bisschen schwanger sein. Es geht hier nur ganz oder gar nicht. Wir müssen uns für eine Richtung entscheiden: Leben wir als Frauen und Männer weiter, oder als Schimären, als Mischwesen zwischen Mensch und Maschine?

Viele Hindernisse gilt es auf dem Weg in eine egalitäre Gesellschaft zu überwinden. Sie sind weniger organisatorischer Natur, sondern zielen direkt auf unser Ego. Sind wir bereit zu teilen und zu schenken und auf Privatbesitz weitestgehend zu verzichten? Sind die Frauen offen dafür, sich aus der leidigen, doch auch bequemen Rolle der Unterdrückten zu befreien und Verantwortung für das Leben zu tragen? Sind die Männer bereit, ihre Macht abzugeben und nicht mehr in ihrer Funktion dazustehen, sondern als Mensch unter Menschen?

Matriarchat braucht Reife. Es braucht die Erkenntnis, dass uns im Grunde nichts gehört ― unsere Kinder nicht, unsere Partner nicht, nicht das Land, auf dem wir leben und auch nicht die Güter, die wir um uns herum ansammeln, um uns in der Illusion von Sicherheit zu wiegen. Während das Patriarchat eine Gesellschaft des Habens ist, kommt im Matriarchat dem Sein die wichtigste Bedeutung zu. Um das zu lassen, was wir uns aufgeladen haben und was uns immer unbeweglicher gemacht hat, braucht es mehr als ein Fingerschnippen. Es braucht die Bereitschaft, noch einmal von vorne anzufangen und neu zu lernen.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Heide Göttner-Abendroth: Der Weg zu einer egalitären Gesellschaft. Prinzipien und Praxis der Matriarchatspolitik, Drachen-Verlag 2008.


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