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Das große Ziel

Das große Ziel

Um einen wirklichen Wandel auf den Weg zu bringen, muss es perspektivische Klarheit geben.

Im folgenden Text beziehe ich mich auf die Artikel von Hermann Ploppa: „Massen auf der Straße — aber wie machen wir den Wandel?“ und von Anselm Lenz: „Wir Montagsspaziergänger“.

In beiden Artikeln geht es um die Frage, wie die Lage einzuschätzen ist und wie es weiter gehen soll. Zwar gibt es inzwischen eine gewaltige Bewegung, aber die Frage ist, wie es Hermann Ploppa formuliert:

„Wie machen wir den Wandel“, „um eine neue, wirklich humane, wirklich demokratische Gesellschaft auf den Weg zu bringen“?

Ja, das ist die gegenwärtige historische Frage! Allen, die jetzt gegen das totalitäre Corona-Regime ankämpfen und die zumindest in Umrissen auch die Bedrohungen durch Kriegsvorbereitungen, Finanz-Zusammenbruch, Ressourcen-Zerstörung und soziale Zerrissenheit erkennen, allen also, die immer mehr auf die Widersprüche und die schreienden Ungereimtheiten im System stoßen, ist klar, dass es so wie bisher nicht weiter gehen kann. Aber was genau alles macht dieses „so“ aus, das nicht weitergehen kann? Was alles muss vom Wandel erfasst werden?

Um einen wirklichen Wandel auf den Weg zu bringen, muss es perspektivische Klarheit geben. Nur wer wenigstens im Ansatz klar weiß, zu welchem Ziel der Weg führen soll, kann dauerhafte Kraft entfalten.

Eine Idee der Bewegung, die Anselm Lenz so zusammenfasst, dass

„bürgerliche Kontrollräte in den einzelnen Behördengebäuden eingesetzt werden [sollen], die an Ort und Stelle die Arbeit der Institutionen überprüfen und im Zweifel Grundgesetz und Menschenrecht unmittelbar per Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes durchsetzen“,

ist als Vorstellung beflügelnd und als Widerstand gegen Verfassungsbruch auch theoretisch praktizierbar, weil man sich als Richtlinie auf die Verfassung berufen kann. Aber damit ergibt sich noch kein grundsätzlicher Wandel, außer, dass eine solche Form direkter Demokratie für sich schon ein Schritt des Wandels wäre, aber eben noch ohne strategische Zielrichtung.

Zwei Jahre „Corona“ haben den Menschen, die aufwachen, vorgeführt, was die Macht der Milliardäre, der Konzerne, der Finanzkonglomerate sowie die Abhängigkeit der Medien und der Politik von diesem Reichtums- und Machtkomplex bedeuten.

Schon aus den Occupy-Bewegungen, die sich als Antwort auf den Beinahe-Total-Zusammenbruch des Finanzsystems 2008 unter dem Motto „Wir sind die 99 Prozent“ entfaltete, war klar, dass das Wesen zur Beantwortung der Frage in der Ökonomie liegt. Anselm Lenz formulierte es für die „Nicht ohne uns“ Bewegung vom Anfang an mit der Forderung nach

„Demokratisierung der wirtschaftlichen Produktion“.

Ja, das ist der Kernpunkt.

Wir hatten vor 250 Jahren die großen bürgerlichen Revolutionen in Amerika und Frankreich und von dort aus angestoßen auch mehr oder weniger in anderen Ländern, aber alle diese revolutionären Umwälzungen stellten — außerhalb der demokratischen Neuordnung des Politischen — gewisse ökonomische Regeln nicht in Frage. Konkreter gesagt, die Eigentumsrechte und die Freiheit, alles zu unternehmen, was der individuellen Bereicherung dient, wurden bewusst so festgelegt, dass ein demokratischer Eingriff in die ökonomischen Regeln und Entscheidungen nicht vorgesehen war.

Das Ergebnis ist, was wir jetzt erleben: Nach der wuchernden Blüte von Kapitalismus, Imperialismus und verheerenden (Welt)-Kriegen haben sich die Finanz-Digital- und sonstigen Bereicherungs-Gebilde in den Sattel schierer Allmächtigkeit gesetzt und sind nun dabei, selbst die formale politische Demokratie auszuschalten.

Das Resümee ist, dass „uns allen“ und „irgendwie“ immer klarer wird, wie unmöglich es ist, einen „Wandel zu einer neuen, wirklich humanen, wirklich demokratischen Gesellschaft auf den Weg zu bringen“, wenn es nicht gelingt, die wirtschaftlichen Regeln so zu ändern, dass diese sich der Volksherrschaft, also der Demokratie unterordnen und das Volk sich nicht den Regeln der Berechtigung zur unbegrenzten Bereicherung unterwerfen muss.

Der Kampf muss sich um die Grundsatzfrage drehen und diese ist eben bei weitem nicht Corona, wenngleich der seit zwei Jahren stattfindende Corona-Umzug des Wahnsinns alle Widersprüche des Systems eklatant zuspitzt und besser sichtbar macht, zumindest für jene, die hinschauen wollen oder können.

Aber ganz zu Recht formuliert Hermann Ploppa:

„Selbst wenn achtzig Millionen Deutsche gegen das Corona-Regime aufstehen würden — eine kleine radikale zu allem entschlossene Minderheit kann dann immer noch die Oberhand behalten, wenn sie ein klares Konzept hat.“

So ist es. Den Menschen sitzt diese Minderheit in wandelnden Formen und mit unterschiedlicher Brutalität seit Jahrtausenden im Genick. Es sind eben die Bereicherungsoligarchen, die niemals ihre Position freiwillig aufgeben werden, sei das ökonomische System Sklaverei, Leibeigenschaft, Lohnsklaverei oder Geldmacht-Sklaverei.

Aber es gilt auch umgekehrt: Wenn die Masse der Menschen von einer Klarheit über ihre strategische Zielsetzung erfasst wird, dann ist sie nicht aufzuhalten. Und diese Klarheit ist etwas, das durch jene, wechselnd große Gruppe vorankommt, die dank Recherche, Erkenntnis, Auseinandersetzung und menschlicher Haltung eben diese Klarheit so gut als möglich schaffen kann. Und darum geht das Ringen seit Jahrhunderten. Häufig werden Denker und Anführerinnen korrumpiert und die Massen irgendwie gekauft. Aber je weniger die Widersprüche eine Fluchttüre offen lassen, desto eher führt ein dialektischer Prozess dazu, dass die Masse der Menschen das Wissen und die Überzeugung erlangt und sich einig wird, wohin sie will. Ab dann sind alle Bereicherungsoligarchen samt ihren Staatsapparaten machtlos.

Wenn wir also

„jetzt keinen Plan haben, wie es bitte weitergehen soll“,

so geht es weniger um taktische Fragen als mehr um die Frage, wie wir dazu kommen, dass für die breite Masse der Menschen ein strategisches Ziel klar formuliert auf dem Tisch liegt, dass wir also

„endlich eine Strategie entwickeln“,

wie es Hermann Ploppa formuliert. Wonach uns dürstet, ist nicht so sehr der nächste taktische Spielzug, sondern das große historische Ziel, das wir klar vor Augen haben möchten, um den nächsten taktischen Spielzug ersinnen zu können. Einigkeit müssen wir vor allem über das große, langfristige Ziel erlangen! Das ist es, worum die Masse ihre Kraft gruppieren kann. Taktische Fragen sind auch immer wichtig, aber den großen Wandel bekommen wir nur mit der Einigkeit über strategische Ziele.

Die Marxisten, Sozialisten, Gewerkschafter, auch manche Christen und so weiter brauchten zu den Zeiten, als die Arbeiterbewegung groß wurde, Jahrzehnte, um die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung so weit zu unterrichten und zu gewinnen, bis sie nach den Verheerungen des Ersten Weltkriegs endlich eine Chance wahrnehmen konnte. Diese Wahrnehmung der Chance war historisch gesehen vor allem die erfolgreiche russische Oktoberrevolution. Und im Rest der Welt war diese Chance der von den Massen erzwungene reformerische Ansatz zum Sozialstaat.

Aber wir wissen heute, um es sehr verkürzt auszudrücken, dass die Ziele der Marxisten und ihre konkrete Umsetzung die Weltgeschichte nicht auf jene Linie gebracht haben, auf der das Problem erfolgreich gelöst werden konnte. Und der reformerische Ansatz des New Deal und des europäischen Sozialstaats, dem die Herrschenden vor allem nachgaben, um eine Entwicklung zu verhindern, die ihnen ihre Existenzberechtigung hätte völlig entziehen können, hat, wie zu befürchten war, letztlich in eine Konterrevolution geführt — in die Konterrevolution des „Neoliberalismus“ von Margaret Thatcher, Ronald Reagan, Milton Friedman et cetera, mit all den Konsequenzen, die wir heute erleben.

Aber wer, von den Massen, die heute in Bewegung gekommen sind, hätte ein vergleichbares Ziel, wie es der Marxismus und die Arbeiterbewegung hatte? Und noch dazu ein Ziel, das die Fehler dieses Marxismus beziehungsweise des reformerischen Ansatzes vermeidet?

Wohl kaum jemand, geschweige denn, Jahre der Herausbildung und Festigung dieser Zielvorstellung lägen hinter der Bewegung. Das müssen wir realistisch einschätzen! Aber das können wir ändern und das ändert sich gerade und es kann auch schnell gehen.

Die Demokratiebewegung hat sich eine Defensivaufgabe gestellt, die Demokratie gegen eine faschistoide Entwicklung zu verteidigen.

„Wir verteidigen nun geeint den liberalen Rechtsstaat gegen Schlechteres“,

formulierte Anselm Lenz. Das war richtig und wichtig. Und gehetzt von der rasenden historischen Entwicklung tut sich schon wieder so eine dringend notwendige Defensivaufgabe auf: Die wohl unter falscher Flagge laufende Kriegsvorbereitung gegen den Osten der Ukraine, wo Menschen sich unabhängig erklärt haben und wo scheinbar unfassbar überhebliche Teile des Westens „das Problem“ militärisch „lösen“ und dabei die Aggression Russland in die Schuhe schieben wollen. Wir kommen also mit den Defensivaufgaben gar nicht zu Ende. Und auch hier ist es richtig, die breitest mögliche Einheit anzustreben.

Wie immer sich das alles weiterentwickelt, all diese zunehmend unlösbaren inneren und äußeren Widersprüche werden mit Sicherheit große Umbrüche bewirken. Aber aus der Defensive tut sich noch kein strategisches Ziel auf.

Denn das muss ja allen klar sein, der Zusammenbruch der Demokratie, die plötzlich wieder „aufpoppende“ Kriegsbereitschaft ist ja gerade eben aus dieser Art von „Demokratie“ gekommen, die die Herrschaft der Bereicherungsoligarchen gestützt, entfaltet und nicht angegriffen hat. Und der Kampf um echte Demokratie ist eben letztlich chancenlos, wenn er nicht die „Herrschaft des Volkes“ auch über die ökonomischen Regeln vor Augen hat.

Aber trotzdem steht die Sache nicht nur zum Verzweifeln! Die Massen und die fortschrittlichsten Denker suchen vehement nach Lösungen. Es gibt die Masse der Menschen, die zunehmend erwachen. Es gibt sogar in vielen Detailfragen sehr viele schon ausgearbeitete Lösungsansätze. Aber es gibt noch nicht diesen Ziel-Rahmen, der all die Lösungssuchen mit Blick auf die Kernfrage vereinheitlicht und damit die Kraft der Bewegung entfalten kann. Darum geht es! Und wenn es so weit ist, dann wird sich dies in einfachen, sehr klaren Forderungen ausdrücken.

Die Idee der „Thinktanks“, wie sie Hermann Ploppa formuliert, ist auf dieser Linie.

„Wir brauchen Denkfabriken und Netzwerke, die eine produktive Synergie herstellen.“

Natürlich müssten unsere Thinktanks von der öffentlichen Debatte gekennzeichnet sein und nicht von den Aufträgen der Geldgeber. Darin werden sie sich fundamental von Thinktanks der Bereicherungsoligarchen unterscheiden. Wenn man einen auf Spenden basierten Thinktank schaffen würde, so müsste man ein Statut formulieren, das dieses Verhältnis von Forschungsarbeit, Öffentlichkeit und Auftraggeber festhält. Wahrscheinlich muss auch ein Teil der Debatte nicht öffentlich stattfinden, zum Schutz vor staatlichen Demokratie-Zerstörern.

Aber hier kommt noch etwas dazu. Lenin zeigte lange vor der Oktoberrevolution, wie man eine straffe Parteiorganisation mit klarer Zielsetzung aufbaut — „Was Tun?“, 1902. Und auch die „Neoliberalen“ zeigten unter Führung vor allem von Friedrich August von Hayek und der Mont Pèlerin Society, dass sie das Prinzip der Kaderschmiede und der langfristigen strategischen Zielsetzung verstanden wie die Bolschewiki, wenngleich sie diese als die tiefsten Feinde bekämpften.

Das ist alles nicht ohne Bedeutung und auch heute können wir noch viel aus diesen Erfahrungen lernen. Aber wir müssen auch anerkennen, dass die straffe Parteiorganisation und die straffe Ausrichtung auf ideologische Ziele die Grundlage für eine spätere Diktatur sein können. Die „Diktatur des Proletariats“ war ein ideologisches Ziel. Die Erklärung dafür war zwar in sich logisch: Wenn man die „Ausbeuter“ einmal besiegt hat, so muss man schauen, dass sie nicht wieder die Oberhand gewinnen. Aber die Sache hat einen entscheidenden Haken. Diktatur ist nicht das Ziel, das wir anstreben, darin denke ich, ist sich die Bewegung einig! Weder staats-, noch privatwirtschaftliche, noch politische Diktatur — ganz im Gegenteil eben! Es geht um echte Demokratie.

Die Masse der Menschen hat sich nicht nur wegen der kapitalistischen Indoktrinierung von diesem Gewalt-Konzept abgewandt. Nein, es liegt auch eine wirkliche historische Erfahrung dahinter. Partei, Kampf, Sieg, Diktatur, das wollen die Menschen zu Recht nicht mehr in dieser Abfolge. Gut so! Aber die andere Seite ist, hinter den Kulissen gehen die Herrschenden ihrerseits diesen Weg der Diktatur gegen die Interessen der Bevölkerungen unbekümmert weiter. Einen Weg, den sie eine Zeit lang mit Tricks à la Edward Bernays gestalteten. Wenn es aber mit Public Relation und so weiter nicht mehr geht, dann muss eben die Diktatur immer offener zur Anwendung kommen, wie wir gerade erleben.

Aber wie machen wir das, diese Diktatur zu brechen, ohne selbst die Startlöcher für eine Diktatur auszuheben?

Gibt es darauf schon die Antwort? Können wir diese Antwort im Ansatz bereits in der gegenwärtigen Massenbewegung erkennen? Die friedliche Masse, die ein Ziel sehr klar vor Augen hat, ist mächtiger als alle Oligarchen und aller Staatsapparat. Denn es gibt keine Macht in diesem Staatsapparat, wenn die Polizisten, Richter und Journalisten beginnen, ihm davonzulaufen, weil die Millionen auf der Straße eine andere Perspektive zeigen. Davon sind wir noch weit entfernt, aber es lässt sich schon erahnen.

Wenn Millionen Menschen auf die Straße gehen und ein Ziel verfolgen, das sie wirklich in größtmöglicher Einigkeit durchsetzen wollen, so wird jede undemokratische Macht daran zerbrechen und echte Demokratie kann sich durchsetzen. Das ist jedenfalls die Hoffnung, die uns bleibt. Eine andere Chance scheint es nicht zu geben. Paramilitärische Vorstellungen gehören in die Geschichte und sind wie schon gesagt, der falsche Weg der Gewalt. Und Flucht ist auf diesem einen Planeten nicht wirklich machbar. Und anders als nach dem Zweiten Weltkrieg wird uns auch niemand von außen zu Hilfe kommen. Allerdings häufen sich die inneren Widersprüche im System rasant.

Und das ist der zweite Faktor von großer Bedeutung: Die Geschichte muss mitspielen. Und sie spielt auf jeden Fall mit, weil eben die inneren Widersprüche jedes Herrschaftsgebäudes mit verlässlicher Gesetzmäßigkeit dieses selbst irgendwann an den Rand der Selbstzerstörung bringen — leider mit all den Tendenzen zu Faschismus, Krieg, Not und Leid. Das kann aber im Lauf der Entwicklungen auch jederzeit der Moment werden, wo sich die Klarheit wie ein Sturm durch die Masse bewegt — aber nur, wenn die inneren Widersprüche des Systems und die Klarheit über die neuen Ziele zuvor schon aufgedeckt, dargestellt, breit debattiert und ins Bewusstsein wenigstens einer entscheidenden Gruppe von Menschen gelangt und die entscheidenden Forderungen als Ziel einer Bewegung breit verankert sind.

Und wie kann das gelingen, die Demokratie auch auf die Wirtschaft auszudehnen? Wie können wir da das Ziel formulieren, das die Kraft haben kann, eine breite Einigkeit herzustellen?

Die Milliardäre müssen gestürzt werden, die Konzerne müssen zerschlagen werden. Ist es das? Ist damit der große Wandel schon erreicht? Die Wirtschaft muss zur Bedürfnisbefriedigung aller dienen und nicht der Bereicherung einiger Weniger. Ja, das ist sicher. Aber wie geht das? Das Volk hat keine Macht, Konzerne zu zerschlagen und die Staaten sind in der Hand der Oligarchen. Und wer soll die Trümmer übernehmen? Wer soll garantieren, dass die Geld- und die Real-Wirtschaft nicht ganz zusammenbricht, mit all den wahrscheinlich verheerenden Folgen? Und wie funktioniert die Wirtschaft dann, nach dem Zerschlagen der Konzerne und der Verhaftung der Milliardäre, die sich selbst nach den bestehenden Gesetzen schuldig gemacht haben? Wie bisher? Haben wir dann nicht bald wieder dasselbe System?

Ist Enteignung der Bereicherungsoligarchen das Hauptziel? Aber wer bekommt dann das Eigentum? Der Staat? Wollen wir dem Staat diese Macht geben? Nein. Diese Erfahrung gibt es schon, sie ist gescheitert. Ist vielleicht das Eigentum in der Hand Einzelner gar nicht das entscheidende Problem? Geht es vielleicht viel mehr vor allem um die Möglichkeit zur Bereicherung, die mit diesen Eigentumsrechten nach unseren Vorstellungen untrennbar verbunden ist? Kann man diese Möglichkeit der Bereicherung mit neuen gesellschaftlichen Regeln begrenzen?

Ja, ganz leicht. Das ist die Forderung nach einem Höchsteinkommen. Zum Beispiel das 10-fache eines Mindesteinkommens. Egal, in welcher Funktion sich jemand befindet, sein Einkommen ist begrenzt auf ein Höchsteinkommen. Das gilt auch für Unternehmen. Was sie mehr erwirtschaften, als ein Maß festlegt, das für den Betrieb des Unternehmens ausreichend Spielraum lässt, das müssen sie abgeben. Monopolprofit, der die Investitionsmacht verleiht, gibt es nicht mehr. Die Wirtschaft kann also grosso modo weiterlaufen, nur eben mit den neuen Regeln des Höchsteinkommens. Mit einer solchen Vorgehensweise ist der Fokus auf die Begrenzung des individuellen Einkommens und des Einkommens der Firmen gerichtet, nicht auf das Vermögen und die derzeitigen Eigentumsverhältnisse. Es muss also nicht alles auf einmal zerschlagen und wieder neu aufbaut werden.

Wenn wir uns einig sind, so einen Weg zu beschreiten und Millionen von Menschen in ihren Staaten und innerhalb der ganzen EU, möglichst auf der ganzen Welt, dafür kämpfen, das hätte eine Chance, wenn die Regierungen ausgetauscht werden und die Staaten sich wieder ihrer Ordnungsmacht im Sinne der Bevölkerung besinnen müssen. Alles nur Illusion? Ich hoffe nicht. Wir werden keinen Wandel erreichen, wenn die Bereicherungsökonomie nicht gestoppt wird. Krisen, Kriege, Zusammenbrüche sind dann nicht aufzuhalten. Lange Jahrzehnte lachten alle über diese Prophezeiungen der einstigen Marxisten. Heute aber erschaudern viele.

Natürlich wird es viele andere Maßnahmen brauchen, um die Wirtschaft wieder in den Dienst der Menschen zu stellen. Nehmen wir das Aktien-System. Was ist das einzige Ziel dieses Systems? Aus Geld mehr Geld machen. Andere arbeiten dafür, dass dieser Gewinn zusammenkommt oder wieder Andere müssen es zulassen, dass sie von den großen Spekulanten über den Tisch gezogen werden, während die Gewinner des Nullsummenspiels ihre Macht und Möglichkeiten weiter ausbauen. Das Aktien-System muss aufgehoben werden. Das Geld für Investitionen muss in einen großen Topf. Wer dann das Recht haben soll, daraus bedient zu werden, das muss die Bevölkerung in einem fundamental neuen Schritt echter Demokratie selbst entscheiden — nicht der Staat und nicht mehr die großen Eigentümer. Dafür könnten demokratische Zufallskomitees gegründet werden, bei denen man allerdings sicherstellen muss, dass sie jedem Lobbyeinfluss entzogen sind.

Oder nehmen wir das Geld. Es ist nicht das Problem, dass heute Geld aus dem Nichts erzeugt wird. Das war immer mehr oder weniger so und wenn nicht zu viel Geld auf diese Art und Weise geschaffen wird, und wenn vor allem dieses Geld dann im Sinne der Menschen eingesetzt wird, ist es auch kein Problem. Das Problem ist, wenn Geld aus dem Nichts produziert wird, um es Bereicherungsgewinnern zukommen zu lassen. Das ist der Wahnsinn, der die Gesellschaft zerreißt. Aber auch das lässt sich ganz leicht ändern.

Jedes Geld, das neu gedruckt wird, muss auf alle Menschen eines Währungsraumes zu gleichen Teilen aufgeteilt werden. Fertig, basta. Also können die Banken von sich aus kein Geld mehr schöpfen und auch keine Kredite mehr vergeben, wenigstens keine großen, denn die großen Investitionsentscheidungen liegen bei der Bevölkerung. Die Banken werden Verwaltungseinheiten und verlieren ihre bestimmende Stellung im Konzert einer dann abgeschafften Bereicherungsökonomie. Finanzkonglomerate gehören der Vergangenheit an.

Und so weiter. Ich habe auch in dem Artikel „Das Tor zur Zukunft“ versucht, dieses Thema anzureißen, aber es gäbe, so denke ich, sehr große Aufgaben in dieser Hinsicht für Thinktanks und eine öffentliche Debatte.

Aus meiner Sicht liegen all diese Gedanken in etwa auf der Linie, die Anselm Lenz so formuliert: Die „gemeinsame Klammer“ der Bewegungen und der verschiedenen Sichtweisen auf Gesellschaft sollte „eine Abkehr vom Neoliberalismus“ sein. So ist es! Aber da kommt dazu: Ein zurück zum Alten, das ja der Ausgangspunkt des Neoliberalismus war, ist Unsinn. Dieser „Neoliberalismus“, oder wie Hermann Ploppa sagt, dieser „Marktradikalismus“ ist von Anfang an nichts anderes gewesen als ein Konstrukt, das die Säulen der Bereicherungsökonomie ideologisch stützen und gegen die Angriffe des Marxismus, der Arbeiterbewegung und der antikolonialen Bewegungen in unsere aller Denken verankern sollte. Nicht nur das Gebäude der „Corona-Pandemie“ bröckelt. Ja, es bröckelt auch das Gebäude des „Neoliberalismus“.

Nun geht es dringend darum, eine Strategie vor allem für eine neue ökonomische Zukunft zu erarbeiten, zu debattieren und den neu wachsenden Zukunftsgedanken zur Grundlage der Kraft, der in Bewegung geratenen Masse von Menschen zu machen.


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