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Das Paradies wartet

Das Paradies wartet

Die wahre Freiheit liegt jenseits unseres Vorstellungshorizonts, der zugleich eine Art Gefängnismauer darstellt — als bewusste Menschen können wir diese durchbrechen.

„Et jibt zwe Zoorte Mensche“, sang die Kölner Gruppe „Brings“, und ich glaube nicht, dass diese Ansicht nur eine grobe Polarisierung einer doch viel zu komplexen Wirklichkeit ist. Aber bevor ich beschreibe, welche „zwei Sorten“ das sein könnten, muss Licht auf die psychosoziale Situation geworfen werden, die dafür die Grundlage bildet. Die Art und Weise, wie wir das Leben und Lebendigkeit als Ganzes betrachten, ist entscheidend für die Welt, die wir erschaffen. Immerhin wünscht sich doch die überwältigende Mehrheit unserer Spezies ein freudvolles und friedliches Leben. Wieso ist das Produkt einer solchen Sehnsucht global nicht sichtbar? Wieso scheint eher das Gegenteil ablesbar? Normalität ist das, was geschieht, weniger das, was wir uns wünschen. Unbemerkt wird Normalität zur Normopathie. Also sollte man die Normalität untersuchen, um das Ungesunde, besser: das Lebensfeindliche darin aufzuspüren.

Die vergangenen drei Jahre waren ein Booster, ein Turbo in der Entwicklung von Bewusstheit. Niemand konnte sich im Strom gewöhnlicher Alltäglichkeit passiv treiben lassen, ausnahmslos jeder Einzelne musste direkt oder indirekt Stellung beziehen.

Natürlich stand es jedem frei, selbst festzulegen, auf welcher Grundlage er das tat. Auch wer die eigene Bequemlichkeit als Vertrauen in die offiziellen Instanzen tarnte und die Basis seiner Entscheidungen unhinterfragt ließ: Jeder bezog Stellung.

Dabei ist ein gesundes Misstrauen den herrschenden Autoritäten gegenüber seit Langem selbstverständlicher Konsens jedes Stammtisches. Wann hatten die Herrschenden in der Geschichte denn schon selbstlos das uneingeschränkte Wohl der Bevölkerung im Sinn? Wir ahnen es, wir wissen es, wir vermuten es — und das aus gutem Grunde. Macht korrumpiert eben, und das nicht nur in den Ländern, auf die wir vorwurfsvoll mit dem Finger zeigen.

Die Mächtigen wissen um die Grundlage ihrer Macht und der Führbarkeit „funktionierender“ Gesellschaften: Halte sie satt, halte sie müde und halte sie in Angst.

  • Satt müssen sie sein, weil sie dann glauben, ihre Bedürfnisse gestillt zu bekommen. Sie glauben, sich in Freiheit entfalten zu können, umfassend informiert zu sein und sogar der Souverän zu sein.
  • Müde müssen sie sein, weil sie keine wirkliche Kraft haben, auszubrechen und wirklich Neues zu wagen. „Erholung“ finden sie in dem reichen Angebot scheinbarer Bedürfnisbefriedigung, die jedem das Passende zur Verfügung zu stellen scheint.
  • Angst müssen sie haben, weil sie außerhalb dieser etablierten Normalität keine Sicherheit erwarten können. Im Gegenteil: Alle Existenz ist nur innerhalb derselben legal. Nicht? Wie viel kostet dich der Quadratmeter Lebensraum deines Heimatplaneten im Monat, den du zum Leben nutzt?

Dieser Mechanismus hegt umfassende Lebendigkeit ein und beschränkt ihren individuellen Ausdruck. Natürlich ist dabei zu berücksichtigen, dass ich erst die Verantwortung wirklich für mich übernehmen kann, wenn ich mich nicht mehr zum Opfer und andere zu Tätern mache. Dann wird auch etwas Neues sichtbar:

Das autopoietische Gefängnis

Stell dir vor: Wir leben in einem Gefängnis, dessen Betreiber und Gestalter wir selbst sind. In diesem Gefängnis darf sogar angebaut werden, es darf neu eingerichtet werden. Jeder kann sich darin ungehindert bewegen und es gibt jede Menge Türen mit der Aufschrift „Freiheit“.

Dabei ist ausnahmslos alles künstlich.

Für den Betrieb des Gefängnisses zahlen wir mit unserer Lebenszeit, die wir in Arbeitsleistung umwandeln müssen. Es ist Raum für die Oppositionellen, für Kritiker und Warner, für Abweichler und Märtyrer, für Zyniker und Propheten, auch für Analytiker und Spötter, die den Austausch des Leitungspersonals fordern.

Selbst der Aussteiger findet eine Tür zu einem „Anbau“, in dem er sich als ausgestiegen wähnen kann. Wir stellen sogar die Wärter, die uns in unsere Grenzen weisen, wenn wir sie überschreiten oder ihnen empfindlich zu nahe kommen. Und auch die Abteilungsleiter, die auf der Bühne andauernd neue Schauplätze von Scheinkonflikten inszenieren, entstammen unseren eigenen Reihen. Scheinbar alles, was man erreichen will, ist in diesem Gefängnis möglich.

Informationen scheinen frei zugänglich. Natürlich sind die Werte und Ziele dahinter entsprechend vordefiniert. Die Insassen werden überdies in Schuld gehalten, denn die meisten sind finanziell verschuldet und gezwungen, die eigene Existenz als Belastung des Planeten zu empfinden. All das ist möglich, weil wir uns keine andere Normalität, keine vitale und spontane Lebendigkeit vorstellen können und uns darüber hinaus ganz und gar von dem Schauspiel fesseln lassen.

Wie im Film „Die Truman Show“ braucht es die tiefe Krise, die uns die Grenzen unserer künstlichen Normalität erfahren lässt.

Im Film stößt der Protagonist physisch auf die Grenze der Welt, die er bis dahin für real hielt. Dadurch war er gezwungen einzusehen, dass er sich in einem bis dahin für ihn unsichtbaren Gefängnis einer inszenierten Normalität befand. Erkennen wir das nicht, werden die Mächtigen die Krise weiterhin für ihre inzwischen unverhohlenen Absichten nutzen.

Die wenigsten Menschen wollen sich erlauben, es für möglich zu halten, dass diese unsere Welt ein manipuliertes System sein könnte, welches eigentlich ein Gefängnis ist. Die Konsequenzen einer solchen Vorstellung sind zu gewaltig. Die Ohnmacht und Sinnlosigkeit, mit der man dann einem solchen Leben gegenüber stünde, wären zu gewaltig. Es ist allerdings genau dieser Denk-Stopp, der ein solches System ermöglicht.

Sprache — das Gefängnis des Denkens

Realität entsteht durch die Konvention der Sprache. Wo Sprache nicht hinreicht, findet für die meisten kein Denken statt. Doch Realität ist eben nur ein Ausschnitt einer umfassenderen Wirklichkeit, die nicht völlig sprachlich erfassbar ist. Diese Wirklichkeit haben wir überschrieben und beschnitten mit unseren Etiketten und Begriffen. Wir unterhalten uns gar nicht über Erfahrung, sondern über Verpackungen, die nichts weiter sind als Konsensbegriffe. Wie die Überschriften in Zeitungen werden so Inhalte verkürzt und verfälscht, sie bleiben oberflächlich und abstrakt und beginnen, eine eigene Wahrheit zu bilden, eine Wahrheit der Headlines, der Heuristiken und Labels. Das Wort wird zur (Informations-)Waffe der Mehrheit.

In solcherlei gesetzten Markern operiert unser Verstand und verwechselt Begriffe mit der Realität. Wir übersehen, dass unsere „Wahrheiten“ Konzepte sind, die wir als Raster zur Entschlüsselung der Welt verwenden. Das ist die Mechanisierung der Lebendigkeit.

Und so wird die Wirklichkeit sukzessive gegen eine künstliche Realität ausgetauscht. Sie ist kein Erlebensfeld mehr, was sich ständig aufs Neue bildet, sondern ein strukturierter und kalkulierbarer Ablauf von Bekanntem.

Begriffe sind deshalb immer auch Denkautomatismen. Der Begriff steht für die Reduzierung komplexer und dynamischer Inhalte, die ich verstanden zu haben glaube. Das hat fatale Folgen für meine Vorstellung zu dem, was ich selbst bin. „Ich“ wird zum Begriff einer addierten Vergangenheit, meine Geschichte definiert meine Rolle.

Allerdings ist Authentizität in der Rolle kaum möglich, weil sie mich einschränkt auf eben dieses selbstgewählte Rollen-Set. Authentizität braucht die Vergangenheit kaum, denn sie ist gegenwärtig und reagiert damit immer frisch und neu, immer gemäß dem, was gerade neu erscheint. Sie kann daher Fragen neu stellen und vor allem auch sich selbst hinterfragen. Der authentische Mensch ist nicht die Kulmination seiner Erfahrungsanhäufung, die ihn zwingt, sich entsprechend seiner Rolle zu verhalten. Der authentische Mensch erlebt jeden Tag neu.

Die Dynamik der Rollenidentifikation und unseres Begriffsdenkens führt dazu, dass der Einzelne seine Freiheit fortschreitend verliert, weil er indirekt gezwungen ist, die Welt entsprechend der konventionalisierten Maßsetzungen zu interpretieren, anstatt wirklich aktiv an der Gestaltung ihres Designs und ihrer Erfahrung mitzuwirken.

Alles Leben findet also innerhalb des Gefängnisses statt. Das ist für die meisten nicht spürbar, weil sie ihr ganzes Leben und alle ihre Erwartungen daran innerhalb seiner Mauern scheinbar befriedigt finden. Zumindest die eine „Sorte“ Mensch.

Wer bin ich?

Krisen machen sichtbar, was bisher unter der Oberfläche verborgen war. In der Krise wird deutlich, wo künstliche Systeme mit natürlichen Prinzipien kollidieren. Sie sind eine Chance, die vielen lebenswichtigen Gleichgewichte wiederherzustellen. Sie sind eine Aufforderung, Fragen neu zu stellen.

Eine dieser Fragen wäre die nach der Natur des Menschen. Definiere ich mich über meine Identität als vergängliches und isoliertes Individuum, kann ich nicht anders, als in der Tiefe von der Angst vor meiner Vergänglichkeit gesteuert zu sein. Diese Art, Leben zu betrachten, wird vertreten durch die „Sorte“ Mensch, die ich die „Sterblichen“ nenne.

Für sie ist Bewusstsein ein Produkt, nicht aber die Ursache ihrer Existenz. Es ist völlig verständlich, dass sich ihre Themen um Dinge drehen, die direkt oder indirekt mit dem Tod beziehungsweise mit dessen Vermeidung zu tun haben. Auch ist es verständlich, dass es in diesem Denken Feinde geben muss, die eine Bedrohung für ihr Wohl darstellen. Für solche Menschen bedeutet Eigenverantwortung, gehorsam zu sein. Auch ist es nachvollziehbar, wieso geschlechtliche Dualität keine Orientierung bietet, da sie keine höhere Ordnung in der Schöpfung vermuten, die es zu erkennen gibt und deren Bewusstseinsträger sie selbst sind. Alles scheint relativierbar. Andererseits existiert in diesem Selbstverständnis keine Tiefe, denn alles, was nicht messbar ist, wird auch nicht als relevante Wirklichkeit angenommen.

Und so entsteht eine Oberflächenwelt der Worte und Begriffe, der Konventionen, des Gut und Böse und des Kampfes „gegen“. Der „Sterbliche“ kann nicht erkennen, dass alles logisch verwoben und er selbst der Weber ist. Er glaubt nicht an eine Wirklichkeit hinter dem Sichtbaren. Er übersieht, dass die Haltung seines Bewusstseins eine analoge Welt erschafft, der er sich dann ausgeliefert fühlt. Er kann nicht erkennen, dass seine eigene Angst es ist, die eine furchterregende Welt erschafft. Verständlicherweise ist er bemüht, alle Unwägbarkeiten zu beherrschen, wozu Technologie das geeignete Mittel zu sein scheint. Dazu unterwirft er sich freiwillig, er akzeptiert ihre Bedingungen: „Ich stimme zu“ ist der Leitspruch seiner Unterwerfung, die fast etwas Religiöses hat, weil er von dort Erlösung vom „Bösen“ erhofft.

Dem gegenüber steht „der ewige Mensch“. Er ist nicht etwa der „bessere“ Mensch, nur versteht er seine Existenz als Ausdruck eines Bewusstseins, welches sich selbst erfährt und daher einen höheren Zweck hat, auch wenn sich dieser nicht vollständig erfassen lässt. Er weiß, dass „Leben“ kein Produkt chemischer Aktivität, sondern eine Eigenschaft des Kosmos und vitaler Ausdruck dieses Bewusstseins ist.

Der ewige Mensch weiß, dass er aus einem komplexen Erfahrungsraum entstammt und er ein Lebensthema hat, zu welchem diese Welt ihm ideale Voraussetzungen bietet. Er erkennt diesen „roten Faden“ und bleibt bei sich.

Damit entfallen Vorwürfe, Schuldzuweisungen sind überflüssig und Verantwortung ist mehr als eine normative Forderung. Dazu braucht es nicht das Kostüm der „Spiritualität“, sondern die eine achtsame Bewusstheit: „Was hat mit mir zu tun?“, ist der Tenor, der ihn immer mehr zu sich bringt. Die Welt, das Gefängnis, die „Truman Show“, wird gemessen an der Frage: „Was hat es mit mir zu tun?“.

Dadurch werden die Mauern langsam durchlässiger. Wirkliche Fragen tauchen auf wie „Was ist Liebe?“ oder „Was ist wirkliches Glück?“. Die Frage nach dem Sinn der Existenz wird nicht mehr im Außen gesucht, sie löst sich vielmehr auf, wird unsinnig wie die Frage nach dem Sinn guter Musik. Abhängigkeiten werden sichtbar und lösen sich ebenfalls auf.

Beide Gruppen sind leider nicht miteinander zu versöhnen, denn sie nutzen eine völlig unterschiedliche Grammatik. Beide werfen sich Realitätsferne und Verbohrtheit vor, beide sind von ihrer eigenen Wahrheit verständlicherweise überzeugt. Doch die Schnittmengen werden größer. Jeder Mensch spürt den Wachstumsdrang, Entwicklung geschieht.

Der Pfad der Mittelmäßigkeit wird schmaler; denn entweder stelle ich mich den Fragen oder ich verknöchere.

Und daher leben wir in einer guten Zeit. Nicht die Probleme in der Welt sind die wirkliche Herausforderung, sondern unser aller Bewusstheitsgrad. Wenn wir die Idee zulassen können, dass ausnahmslos alles ein Symptom unserer Bewusstseinsverfassung ist, kommen wir in die volle Verantwortung für unser Leben. Wir verschwenden keine Energie mehr durch Symptombekämpfung, sondern verwirklichen das Gesunde in dem Maße unserer Einsicht. Dadurch haben wir die Gelegenheit, echte sittliche Autonomie und Reife zu entwickeln, die nicht mehr alles als gegebenen „Sachzwang“ hinnimmt, gefolgt von einer Kritikfähigkeit, die in der Lage ist, die Grenzen der eigenen Erfahrungen zu überschreiten.

Die Folge davon könnte eine Welt sein, in der Machtkonzentrationen weder verdeckt noch offen die Menschen gegeneinander ausspielen können. In einer solchen Welt würde zuerst nach den Gemeinsamkeiten gefragt werden können und Grenzen würden sich aus natürlichen Unterschiedlichkeiten bilden anstatt aus Ideologien, Religionen und politisch oder kommerziell motivierten Machtspielen. Keiner würde sich erklären lassen, wie der moderne Mensch beschaffen ist, weil er ihn selbst individuell verkörpert. Respekt wäre keine äußerliche Geste mit begrenzten und klar definierten Endpunkten, sondern basierte auf der Erkenntnis, dass wir im Kern alle gleich sind, und das nicht nur in profan-biologischer Hinsicht.

Eine solche Welt ist keine Utopie, sondern das etelechale Ziel, also das inhärente Ideal, der durch im Menschen stattfindenden Evolution. Seine Verwirklichung ist keine Herausforderung, die uns überfordern würde, sondern ein natürlicher Reifeprozess, den wir uns nur bewusst zu machen brauchen.


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