von Ibrahim Traoré
An Seine Heiligkeit Papst Robert Francis
Ich schreibe Ihnen nicht aus einem Palast oder aus dem Komfort einer ausländischen Botschaft, sondern aus meiner Heimat, dem Land Burkina Faso, wo sich Staub mit dem Blut unserer Märtyrer vermischt und die Echos der Revolution lauter sind als das Summen ausländischer Drohnen am Himmel.
Ich schreibe Ihnen nicht als jemand, der um Zustimmung bittet, noch als jemand, der sich in diplomatische Höflichkeiten verstrickt.
Ich schreibe Ihnen als Sohn Afrikas, mutig, unbeugsam, ungebrochen.
Sie sind nun der geistige Vater von mehr als einer Milliarde Seelen, darunter Millionen hier in Afrika. Sie übernehmen nicht nur eine Kirche, sondern ein Vermächtnis. Und in diesem Moment des Übergangs, während noch weißer Rauch über den Dächern des Vatikans schwebt, muss ich diesen Brief über Meere und Wüsten hinweg, vorbei an Wachen und Mauern, direkt an Ihr Herz senden, weil es die Geschichte verlangt, weil es die Wahrheit gebietet, weil Afrika, das verwundete und aufstrebende Afrika, zuschaut.
Eure Heiligkeit, wir Afrikaner kennen die Kraft des Kreuzes. Wir kennen die Hymnen, die Gebete, die Litaneien. Wir haben mit schwieligen Händen Kirchen gebaut und unseren Glauben mit unserem Blut verteidigt.
Aber wir kennen auch eine andere Wahrheit, eine, die zu viele lieber begraben möchten. Die Wahrheit, dass die Kirche manchmal an der Seite der Kolonisatoren stand, dass, während Missionare für unsere Seelen beteten, Soldaten unser Land verwüsteten, dass, während Ihre Vorgänger über den Himmel sprachen, unsere Vorfahren auf Erden in Ketten lagen.
Und selbst jetzt, in diesem sogenannten modernen Zeitalter, spüren wir die Ketten, nicht aus Eisen, sondern aus Schweigen. Aus Gleichgültigkeit gegenüber geopolitischen Spielen, die im Schatten der Heiligkeit gespielt werden.
Deshalb frage ich im Namen der Mütter, die auf schmutzigen Böden beten, und der Kinder, die mit leeren Mägen zum Katechismus gehen: Wird Ihr Pontifikat ein anderes sein?
Werden Sie der Papst sein, der Afrika nicht als Randgebiet betrachtet, sondern für den es ein prophetisches Zentrum ist? Werden Sie der Papst sein, der Slums nicht nur für Fototermine besucht, sondern der es wagt, das zornige Wort gegen die Kräfte zu erheben, die diese Slums zum Dauerzustand machen?
Sehen Sie, Eure Heiligkeit, ich bin ein Mann, den der Krieg geprägt hat, nicht der Reichtum. Ich wurde nicht von westlichen Institutionen für die Politik verdorben. Diplomatie wurde mir nicht in Paris beigebracht. Ich habe Führung in den Schützengräben unter den Menschen gelernt, wo Schmerz der Lehrer ist und Hoffnung Widerstand bedeutet.
Ich führe eine Nation, die von der Welt so lange beiseitegeschoben wurde, bis sie sich weigerte, länger zu schweigen. Man sagte uns, wir seien zu arm, um unabhängig zu sein, zu schwach, um souverän zu sein, zu instabil, um Widerstand zu leisten.
Aber ich sage Ihnen dies im Namen meiner Vorfahren: Wir werden nicht länger um die Erlaubnis bitten, existieren zu dürfen.
Wir haben es satt, bei Mächten, die unsere Bodenschätze ausbeuten und gleichzeitig Moral predigen, um Anerkennung zu betteln. Und wir haben es satt, absolut satt, zuzusehen, wie die geistigen Führer der Welt ihre Ohren vor Afrikas Schreien verschließen, weil hinzuhören eine unbequeme Politik wäre.
Eure Heiligkeit, ich spreche jetzt nur für Burkina Faso, ein Land in einem Kontinent, der zu lange bevormundet wurde. Afrika ist kein bemitleidenswerter Kontinent, sondern ein Kontinent der Propheten. Propheten, die ins Gefängnis geworfen, verbannt und ermordet wurden, weil sie es wagten, das Imperium herauszufordern. Und Sie, jetzt, da Sie den Ring des Heiligen Petrus tragen, werden Sie den Weg der Propheten gehen? Oder werden auch Sie ein Gefangener der Politik sein?
Wir brauchen keine weiteren Plattitüden. Wir brauchen keine weiteren Gedanken und Gebete, während westliche Firmen unter bewaffneter Bewachung Uran im Niger und Gold im Kongo fördern.
Wir brauchen keine diplomatische Neutralität, während afrikanische Jugendliche auf der Flucht vor Kriegen im Mittelmeer ertrinken. Sie haben diese Kriege nicht angefangen, die mit Waffen gekämpft werden, die sie nicht hergestellt haben.
Wir brauchen keine zuckersüßen Erklärungen, während die Souveränität Afrikas hinter verschlossenen Türen in Brüssel, Washington und Genf versteigert wird.
Was wir brauchen, ist ein Papst, der den modernen Herodes benennt, der gegen die Wirtschaftsimperien genauso kühn vorgeht, wie die Kirche einst gegen den Kommunismus vorging.
Der ohne Pardon sagen wird, dass es eine Sünde ist, wenn Nationen von der Zerstörung Afrikas profitieren.
Sie kennen die Lehre Christi. Sie wissen, dass er die Tische der Geldwechsler umgeworfen hat. Sie wissen, dass er gesagt hat: „Selig sind die Friedfertigen“, aber er hat nie gesagt: „Selig sind die Beschwichtiger.“
Deshalb frage ich Sie persönlich: Werden Sie sich gegen das Schweigen Frankreichs und seine verdeckten Operationen in der Sahelzone aussprechen?
Werden Sie die Waffengeschäfte verurteilen, die die Stellvertreterkriege in unseren Wüsten und Wäldern schüren? Werden Sie die Gier benennen, die sich in Nächstenliebe hüllt?
Wir erleben Diplomatie, bei der sich der Imperialismus mit Friedensgesprächen tarnt.
Eure Heiligkeit, ich bitte Sie nicht, Afrikaner zu sein. Ich bitte Sie, menschlich zu sein, moralisch zu sein, mutig zu sein. Denn Mut, wahrer Mut, bedeutet nicht, die Mächtigen zu segnen. Es bedeutet, die Machtlosen zu verteidigen, auch wenn es seinen Preis hat.
Lassen Sie es mich klar sagen: Der Vatikan verfügt über unvorstellbaren Reichtum, über Kunstschätze von unglaublichem Wert.
Aber wahre Macht misst sich nicht an Schätzen hinter Mauern aus Marmor, sondern am Mut, sich der Ungerechtigkeit zu stellen.
Eure Heiligkeit, auch wenn die Welt in einem maßgeschneiderten Anzug daherkommt, diplomatische Beglaubigungsschreiben mit sich führt und über all ihre Sünden hinweglächelt: Die Welt steht am Abgrund, und Afrika, dieser ebenso geschundene und wie wunderschöne Kontinent, wird nicht weiter nur von unten zuschauen, sondern den Aufstieg wagen.
Wir bluten, wir erheben uns, und wir wagen es, Fragen zu stellen, die lauter hallen als das kanonische Recht.
Wo war die Kirche, als unsere Präsidenten von ausländisch unterstützten Söldnern gestürzt wurden?
Wo war die Kirche, als unsere Jugendlichen entführt und indoktriniert wurden, um Kriege zu führen, die von Nationen finanziert wurden, die sich als Friedenswächter ausgaben?
Wo war die Kirche, als unsere Währungen zusammenbrachen? Als der IWF unsere Volkswirtschaften strangulierte?
Als unsere Führer dafür bestraft wurden, dass sie Souveränität über Unterwerfung stellten?
Sagt uns nicht, wir sollen vergeben, solange die Peitsche noch in der Hand des Täters ist.
Sagt uns nicht, wir sollen beten, während unsere Gebete mit Drohnenangriffen beantwortet werden. Sprecht nicht von Frieden, ohne die Profiteure des Krieges beim Namen zu nennen.
Denn Schweigen, Eure Heiligkeit, ist nicht länger heilig, und Neutralität ist nicht länger edel.
Wenn Ihr der Hirte dieser globalen Herde sein wollt, dann hört diesen Schrei aus dem Staub von Ouagadougou.
Auch wir sind Ihre Schafe. Aber wir weiden nicht friedlich auf Wiesen, wir marschieren auf Straßen, wir sterben an der Front.
Wir erheben uns aus der Asche mit Feuer in unseren Knochen und der Heiligen Schrift auf den Lippen.
Wir bitten nicht um Almosen, wir fordern Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit muss mit der Wahrheit beginnen.
Die Wahrheit des Christentums in Afrika war sowohl Balsam als auch Schwert. Die Wahrheit war, dass die Kirche unseren Geist genährt hat, während sie es versäumte, unseren Körper zu schützen.
Die Wahrheit ist, dass Erlösung ohne Aufarbeitung nur eine Halbwahrheit ist und Halbwahrheiten noch nie Nationen geheilt haben.
Eure Heiligkeit, Ihr sitzt jetzt auf dem Stuhl des Heiligen Petrus.
Aber denkt daran, Petrus hat Christus dreimal verleugnet, bevor der Hahn krähte. Lasst die Geschichte nicht sagen, dass die Kirche Afrika erneut verleugnet.
Lasst den Hahn im Vatikan laut und deutlich krähen. Lasst ihn das Gewissen der Kardinäle und Könige wecken.
Lassen Sie sein Krähen durch die Korridore der Macht hallen, wo Männer in Roben und Männer in Uniform ihren Einfluss mit Schweigen erkaufen.
Lassen Sie ihn eine neue Morgendämmerung verkünden, nicht nur für die Kirche, sondern für die ganze Welt.
Denn hier in Afrika fürchten wir die Morgendämmerung nicht, wir gestalten sie.
Wir sind die Söhne und Töchter von Sankara, Lumumba, Nkrumah und Biko.
Wir tragen die Heilige Schrift in der einen Hand und die Erinnerung an die Revolutionäre in der anderen.
Wir haben gelernt, mit dem gleichen Atemzug zu beten und zu protestieren.
Und wir fragen: Wird Ihr Papsttum mit uns gehen? Werden Sie uns in unserem Schmerz begegnen, nicht nur in unseren Kirchenbänken? Werden Sie Gott in unserem Hunger erkennen? Christus in unserem Chaos? Den Heiligen Geist in unseren Kämpfen?
Wann, wenn nicht jetzt, wenn nicht in Jehuda? An welches Evangelium können wir noch glauben, wenn die Kirche weiterhin Frieden predigt und dabei die Unterdrückungsmechanismen ignoriert? Ich sage dies nicht aus Wut, sondern in frommer Bedrängnis.
Wir sind ein Volk am Kreuzungspunkt zwischen Verheißung und Politik. Afrikas Zeit ist nicht mehr fern. Sie ist da.
Wir schreiben die Geschichte neu, gestalten die Zukunft neu, fordern die Würde zurück, die uns durch Jahrhunderte fremder Herrschaft und spiritueller Manipulation vorenthalten wurde.
Und die Kirche muss sich entscheiden, wo sie steht: auf der Seite der Mächtigen oder auf der Seite der Menschen, die ihr Blut vergießen.
Ich schreibe diesen Brief nicht, um zu verurteilen. Ich schreibe ihn, um Sie, Eure Heiligkeit, zu einer tieferen Solidarität einzuladen, zu einer Solidarität, die barfuß mit den Armen geht, die es wagt, in Rom ebenso mutig die Wahrheit zu sagen wie in Ruanda, die die Heiligen nicht nur nach ihren Wundern benennt, sondern nach ihrem Engagement für Gerechtigkeit.
Wir warten darauf, dass Sie Ihre Stimme erheben, nicht von Balkonen herab, sondern aus Schützengräben und Favelas. Aus Flüchtlingslagern und aus politischen Gefängnissen, wo die Wahrheit hinter Gitter gesperrt wurde.
Denn nur diese Stimme, Ihre Stimme, kann das Schweigen befreien. Und wenn Sie es wagen, sie zu erheben, wird nicht nur Afrika Sie hören, sondern die ganze Welt.
Captain Ibrahim Traoré, Statthalter des Übergangs
Burkina Faso, Sohn Afrikas, im Dienste der Souveränität
Redaktionelle Anmerkung: Die Rede von Ibrahim Traoré wurde von Angelika Gutsche übersetzt und ist hier zu sehen.

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