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Das verlorene Paradies

Das verlorene Paradies

Retten wir unseren Glauben an eine bessere Welt.

Seit wir denken können, sehnen wir uns an jenen mythischen Ort der Schönheit, der Fülle und des ewigen Lebens zurück. Wir suchen ihn in all unserem Streben, auch dann noch, wenn wir vielleicht längst den Glauben an eine bessere Welt verloren haben. Denn in uns allen pulsiert die Erinnerung an einen Ort und eine Zeit, in der wir uns glücklich und ganz fühlten.

Wir träumen uns hin zu diesem Paradies, wo alles fließt und alles gedeiht, und wo es wie im Mutterleib keine harten Kanten, nur Weichheit und sanfte Töne gibt. Kein Lärm schreckt uns auf, keine Lanze stellt sich uns in den Weg. Hier ist Ruhe, Harmonie, Sicherheit, Schönheit.

Unter den Füssen wächst weiches Gras, Insekten umschwirren die blühende Wiese. Die Luft ist erfüllt vom Gesang der Vögel, die sich in den blauen Sommerhimmel hinauf schwingen, während wir am Ufer eines kristallklaren Baches unter dem Dach eines weit ausladenden Baumes Frische finden.

Welchem von Straßenlärm, Stress und Schmutz belasteten Menschen, der sich noch lebendig fühlt, gefiele es nicht, an diesem Ort eine Weile zu rasten? Ohne Ballast setzt er sich nieder, die Hände frei, um sie ins frische fließende Wasser zu tauchen. Es rinnt durch seine Finger, unaufhörlich und unhaltbar, immer neu und doch immer dasselbe, so wie das Leben in seinem Kreislauf des Werdens und Vergehens.

Auszug aus dem Paradies

Doch mit der Zeit wird es ihm langweilig. Er hat genug geruht, sich genug genährt, genug geschwelgt. Er kann sich nicht mehr damit zufrieden geben, sich eins mit der Natur zu fühlen und ihrem Pulsschlag zu folgen. Er will Hand anlegen, sich messen, die Hände hineintauchen in die Materie und sie nach seinen Vorstellungen gestalten. Er beginnt, den Lauf des Wassers zu verändern. Mach nur zu, du schaffst es, zischt ihm die Schlange zu, während er mit bloßer Hand hier tiefer gräbt und dort anhäuft, hier Steine entnimmt und dort wieder niederlegt.

Im Schweiße seines Angesichts schleppt er, krümmt den Rücken und reißt sich die Hände blutig. Mit starrem Blick treibt er sein Werk voran. Er hört nicht mehr die Vögel im Himmel singen und verliert den Sinn für die Schönheit und die Perfektion um sich herum. Er will weiterkommen, voranschreiten, die Dinge besser machen, als sie sind.

Schließlich verlässt er seine Wiese, seinen Bach und seinen Baum und geht hinaus in die Welt, um sie sich untertan zu machen. So hat er es verstanden. In immer neue Gebiete dringt er vor. Er jagt, erobert, züchtet, baut an und ab und lernt, sich die Kräfte jener zu Nutzen zu machen, die sich ihm unterordnen.

Die Welt unserer Vorstellungen

Allem drückt er seinen Stempel auf. Er verändert nicht nur Flussläufe, sondern versetzt auch Berge. Er legt hier trocken und bewässert dort, macht hier ärmer und dort reicher. Alte Landschaften verschwinden, neue entstehen. Betontürme und Asphalt ersetzen Wälder und Wiesen.

Die Natur muss beherrscht werden. Das Lebendige wird in Reservate gesperrt, in Ställe eingepfercht, in Zoos begafft oder gleich ganz beseitigt. Die neue Welt ist Kontrolle, Hierarchie, Manipulation. Dort, wo früher Kreislauf war, ist Müll, wo es Poesie gab, ist Berechnung.

So hat der Mensch die Welt nach seinen Vorstellungen geformt. Er hat es bequem, er hat Prestigeobjekte, er hat Ablenkung – doch glücklich ist er nicht. Er fühlt sich ausgebrannt, gestresst, frustriert, deprimiert, krank, und erträgt seine Realität nur noch mit Betäubungsmitteln aller Art. Orientierungslos verzieht er sich in die künstlichen Welten, die er geschaffen hat, oder träumt davon, auf andere Planeten umzusiedeln. Als einzige Chance bleibt ihm nur, sein Menschsein aufzugeben und als Avatar oder als Cyborg zu überleben.

Die Einheit hinter den Gegensätzen

Er erinnert sich an die Zeit, als er eins war mit seiner Umgebung und es ihm an nichts mangelte. Doch es war ihm nicht bewusst, denn in seiner Welt gab es kein Innen und kein Außen, kein Voll und kein Leer. Es gab nur Einheit. Um das zu erkennen, musste er die Grenze überschreiten, die das Innen vom Außen trennt. Mit dem Schritt in die Welt der Gegensätze nahm er sich nicht mehr als ganz wahr und erfuhr Verlust, Mangel und Schmerz. Er erkannte, dass er nackt war, verletzlich und schwach.

Die Schuld daran schob er der Frau in die Schuhe. Bis tief in unsere aufgeklärte Gesellschaft hinein haben wir ihr nie verziehen, dass sie es war, die neugierig genug war, auf die Schlange zu hören und die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu pflücken. Bis heute begrabschen und vergewaltigen wir sie und lassen sie nicht wirklich an die wichtigen Posten. Bis heute beneiden wir sie dafür, dass ihr die höchste Macht dieses Universums zukommt: Leben zu geben. Wie aus Angst vor der weiblichen Schöpfungskraft macht seit Jahrtausenden vor allem der Mann von der zweitgrößten Kraft des Universums Gebrauch: Leben zu zerstören.

Den Schleier beiseiteschieben

Nur wenn wir die uralte Arena verlassen, in der sich die vermeintlichen Gegensätze bekämpfen, kann es für uns weitergehen. Wir sind immer noch ganz, auch wenn wir es nicht so erleben. Zusammen und isoliert, gestern und morgen, viel und wenig sind nichts weiter als Orientierungshilfen, dank derer wir unsere Welt erkennen können. Die Gegensätze sind nichts weiter als die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Um das zu erkennen, müssen wir nur den Schleier beiseiteschieben, der die Apokalypse vom Paradies trennt.

Das Paradies ist noch da. Es ist hier, direkt vor unseren Augen, inmitten all der Zerstörung, die wir um uns herum wahrnehmen.

Es gehört nicht in eine ferne Zeit. Es ist kein abgeschiedener Ort, an den wir gelangen, wenn wir nur genug investiert haben. Wir sind dem gigantischen Irrglauben auf den Leim gegangen, dass das Paradies woanders wäre als dort, wo wir uns gerade befinden. Denn nur so konnte es geschehen, dass wir unseren Planeten verbrannt und das Leben auf ihm zerstört haben, anstatt ihn zu ehren und zu schützen.

Wenn uns das bewusst wird und die Gegensätze wieder miteinander verbunden sind, können wir unser Paradies erneut entdecken. Wir sind immer noch ganz und perfekt wie zu unserer ersten Stunde. Es fehlt uns an nichts. Es gibt keinen Mangel. In diesem Wissen können wir uns unter den nächsten Baum am Ufer des Flusses setzen, dem Rascheln seiner Blätter im Wind zuhören und dem Zirpen und Summen der Insekten, die immer noch da sind.

In der Natur, die uns bleibt, können wir den Duft des Paradieses atmen. Es ist nichts verloren. Die Fülle, die Schönheit und die Perfektion sind da, vor unseren Augen. Und wenn wir Mangel empfinden oder Leere, dann ist das nur der Raum, der uns gegeben ist, um in ihn hinein zu wachsen und uns weiter zu entfalten. Mit Liebe und Respekt dieses Mal.


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