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Der Geist des Habens

Der Geist des Habens

Wo der Mensch die Natur gegen Konsum eintauscht, verliert er sich selbst. Was ihn wirklich glücklich macht, kann er nicht kaufen.

Vor 20.000 Jahren

Stellen wir uns vor, wir wären Jäger und Sammler. Wir sind, nachdem wir die Kindheit und all ihre Gefahren überlebt haben — rings um uns wird gestorben, der Tod ist ein normaler, alltäglicher Geselle —, erwachsen geworden, zähe, kräftige Erwachsene, die am liebsten in der Gruppe unterwegs sind, denn als Gruppe können wir uns effektiv schützen. Kampf scheuen wir, denn in Kämpfen können wir uns verletzen und selbst dann noch an einer Infektion sterben, wenn wir gewonnen haben. Nicht nur Verteidigungs- und Kampfbereitschaft sind wichtige Eigenschaften, sondern auch Freundlichkeit bewahrt uns vor dem Schlimmsten. Die Natur um uns ist wie wir: gesund, üppig, fruchtbar, wehrhaft, aber tendenziell freundlich.

Und da kommt sie, die Situation, das Geschenk, das Glück. Nachdem unsere Region „geerntet“ war, sind wir in ein neues Gebiet weitergezogen, der ganze Clan mit Kind und Kegel und den uns freundlich gesinnten Wölfen, die für jeden weggeworfenen Knochen dankbar sind. Wir haben ein neues, fruchtbares Tal entdeckt und darin eine Mulde mit einem köstlichen Süßwasserteich, in den sich die Kinder gestürzt haben, umgeben von alten, schattenspendenden Nussbäumen — ein Schatz! Für Monate werden wir davon zehren können, monatelang können wir uns die mühsame und gefährliche Jagd ersparen. Und in ein paar Tagen feiern wir mit all dem herumliegenden Holz ein Dankes- und Freudenfest.

Gestern und heute

Nun lasst uns dies mit einer heutigen, typischen Situation vergleichen. Du hast als Kind zwei schwere Grippeattacken und eine Lungenentzündung überlebt, du hattest eine Hirnhautentzündung und hast auch sie dank effektiver Pharmaka gut überwunden. Als Vierzehnjähriger hast du dir beim Skaten einen Arm gebrochen, aber auch der wurde mühelos repariert. Jetzt bist du vierzig. Mit deiner engstirnigen Familie kommst du nicht so gut klar; ihr seht euch gelegentlich zu besonderen Jahrestagen, ansonsten telefonierst du mit deiner noch lebenden Mutter alle vierzehn Tage ein paar Minuten. Dein Vater war dement. Du hattest ein paar Affären, bis letztes Jahr warst du Single, aber inzwischen genießt du die neue Partnerschaft in vollen Zügen. Ihr macht zwei- bis dreimal im Jahr zusammen Urlaub, letztes Jahr in Florida, dieses Jahr wollt ihr die Mongolei erkunden.

Du musstest wegen eines Jobwechsels umziehen, aber das war für euch kein Problem, denn dein Partner arbeitet im Homeoffice. Deine neue Position ist deutlich besser dotiert, zusammen kommt ihr inzwischen auf weit über 10.000 Euro netto. Die neue Wohnung ist bezogen, der ganze Stress ist rum, und nun erkundet ihr die Umgebung, Düsseldorf. Geiles Shoppingklima, der Wahnsinn. Ihr seid im Frischecenter „Zurheide Feine Kost“ und packt in den Einkaufswagen, was euer Herz begehrt. Das habt ihr euch verdient, 60 Wochenstunden sind bei dir keine Seltenheit. Heute Abend werdet ihr euch eine kleine, feine Einweihungsfeier genehmigen, ganz für euch, schmausen, genießen, und dann ein erotischer Höhepunkt. Egal, wie spät es wird, denn morgen hast du frei und dein Partner kann sich’s einteilen.

Ohne Moos nix los

Worauf will ich hinaus? Auf das, was das Geld mit uns macht, jeden Tag aufs Neue, solange wir Geld verdienen, also bei den meisten von uns von Beginn unseres Berufslebens bis zum Tod. Denn auch im Alter bekommen wir Geld, auch wenn es nur ein indirekter, geringerer Verdienst ist. Wir kennen die Regel: „Geh nicht in den Supermarkt, wenn du hungrig bist!“ Selten formuliert, aber zugehörig ist der Satz: „… und nur, wenn du genug Geld einstecken hast.“ Denn Geld tut zweierlei mit uns: Es ist ein Ermöglichungsinstrument. Ohne Moos nix los, ganz klar. Aber es ist auch ein Machtinstrument. Mit Geld oder Scheckkarte bin ich ermächtigt, mir abzugreifen, was ich will. Keiner kann es mir verbieten.

Geld macht mich zum Konsum-Souverän, der fordert, was er bezahlen kann und will — weltweit. Mein Wille ist mein Himmelreich und Geld der Zauberstab, mit dem ich das Konsumreich meinem Willen unterwerfe, solange niemand die Lieferkette unterbricht.

Natur? Muss nicht sein.

Natur? Was ist das? Sie unterwirft sich meinem Willen nur widerstrebend. Ein Baum, selbst wenn er mein Eigentum ist, treibt unerwünschte Wasserschosse aus, liefert nie die gleiche, standardisierbare Ernte. Mein Garten hat sich nach meinem Australienurlaub in einen Unkrautacker verwandelt, und wenn ich mich nicht um das geerbte Waldstück kümmere, sieht es nach zehn Jahren aus wie ein Dschungel. Mal ehrlich: Natur muss nicht sein. Dann doch lieber ein vom Gärtner getrimmtes Rasenstück und ein Vorgärtchen im Zen-Stil: Kies, ein paar Steinbrocken und einige hochwachsende Gräser.

Aber zum Glück gibt es „helfende Hände“; von Arbeitern rede ich ungern, das hat einen „kommunistischen Geruch“, und von Negern und Indios schon gar nicht. Für wenig Geld machen sie mir die Natur untertan, soweit ich sie brauchen kann: Hartholz aus dem Regenwald (sieht einfach hübscher aus), Blumen aus Afrika (was tut man nicht alles für seinen Partner), Wildlachs aus der Hochsee (leckerschmecker), Kupfer und Uran aus den Minen (und damit geht’s an die Börse); der ganze Rest des Ungestohlenen kann mir gestohlen bleiben.

Ärgerliche Primitive

Apropos „gestohlen“: Anfangs, zu Beginn der guten neuen Zeit, gab es nur wenig zu stehlen. Sobald ich meine Feldfrüchte angebaut hatte, gab es immer ein paar Primitive, die nicht begriffen, dass das jetzt „meins“ war, und sich wie Mäuse über die „Speisekammer“ freuten, die ich mühsam der Erde abgerungen hatte. Aber mit meinen Überschüssen und später mit Geld konnte ich mir ein paar Krieger kaufen und sie zu Soldaten machen. Damit war das Problem gelöst und die Primitiven blieben, wo sie hingehörten: im Wald. Allerdings taten sich neue Probleme auf, mit denen ich nicht gerechnet hatte.

Je mehr Geld ich hatte und je besser sich der Markt entwickelte, desto mehr gab es zu stehlen.

Da genügten ein paar Krieger nicht mehr. Also musste ich die Polizei erfinden und die Gefängnisse, die Soldaten und die Armeen — ein enormer Aufwand, den ich als friedliebender Mensch gerne gelassen hätte und nur ungern bestreite. Zum Glück lassen sich die Kosten auf die Preise umlegen.

Manche — auch Erich Fromm gehört zu diesen Burschen — bezeichnen das alles als den „Geist des Habens“. Ich finde, das ist Heuchelei pur. Auch sie nutzen Geld nicht anders als ich. Angemessener ist das Wort „Fortschritt“. Mal ganz ehrlich: Wo gehobelt wird, da fallen nun mal Späne. Und Späne, da sind wir uns sicherlich einig, sind etwas ganz Natürliches.

Ach, wer’s tatsächlich noch nicht kennen sollte:


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