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Die Außen-vor-Politik

Die Außen-vor-Politik

Saudi-Arabien ist auf einem guten Weg, sagte die deutsche Außenministerin — am selben Tag dokumentierte Amnesty International die wachsende Zahl der Hinrichtungen dort.

Zwei Meldungen, zwischen denen nur einige Stunden lagen: Einmal jene, wonach Außenministerin Annalena Baerbock in Saudi-Arabien ankam und eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit der dortigen Monarchie in Aussicht stellte — und dann gab es noch diesen AI-Bericht über die Hinrichtungen in aller Welt und speziell auch in Saudi-Arabien. Waren es 2021 noch 65 Hinrichtungen, steigerte man sich 2022 auf 196: Währenddessen mahnte die Außenministerin zwar durchaus noch Luft nach oben in punkto Menschenrechte an, fand aber lobende Worte: Es gäbe Bemühungen und das honoriere sie.

Ob nun Saudi-Arabien ein menschenrechtlich besser aufgestelltes Land ist als Russland, beantwortete die oberste Außendienstmitarbeiterin der Bundesrepublik nicht. Man darf es aber erahnen. Während Russland für sie für alles steht, was einen Staat nicht mehr ausmachen darf, scheint jenes Land, das seine Todesurteile nochmal steigerte, auf einem guten Weg zu sein. Assad hingegen nicht: Auch vom syrischen Präsidenten sprach Baerbock nämlich, als sie bei den Arabern war — er dürfte „für täglich schwerste Menschenrechtsverletzungen“ nicht auch noch belohnt werden, erklärte sie. Bei Assad sind Menschenrechtverletzungen also wieder zu ächten und kein Ausdruck dessen, auf einem guten Weg zu sein. Das alles scheint schrecklich kompliziert zu sein …

Geschmeidige Menschenrechtsverletzungen

Man sieht hier schon recht deutlich, wie sich die amtierende Außenministerin und Herrin über die deutsche Außenmoral durch die Reihen laviert. Was des einen Verdienst sein soll, ist des anderen Verbrechen: Wer welche Rolle einnehmen soll und darf, entscheidet die deutsche Pseudomoral im Hosenanzug selbst. Es ist Chefinnensache. Da gilt dann mal der von den Russen gewählte Präsident Wladimir Putin als der schlimmste Mensch auf Erden, während das Königshaus eines Landes, welches sogar den Namen eben jenes Königshauses trägt, lobend erwähnt wird, nur um am Ende dem syrischen Präsidenten eine moralische Abfuhr zu erteilen.

Baerbock nennt dies feministische Außenpolitik. Die sei wertebasiert — ganz so wie die Weltordnung, von der sie und der Westen häufig sprechen. Wer aber mit welchem Wert bemessen wird, ist von Fall zu Fall offenbar ganz verschieden zu betrachten. So verschieden sogar, dass an einem einzigen Tag als Außenministerin dieses Deutschlands, das jetzt die Welt moralisch betraut, mehrere Sprünge notwendig werden, um dieser kuriosen Außenpolitik auch nur im Ansatz gerecht werden zu können.

Menschenrechte scheinen eine recht dehnbare Verfügungsmasse im Kopf derer zu sein, die jetzt mit ihnen hausieren gehen. Man kann sie geschmeidig an den jeweiligen Umstand anpassen.

Einen generellen Anspruch scheinen sie nur dann zu haben, wenn man die Menschenrechte dazu benutzen möchte, um damit wirtschaftlichen — oder wie jetzt im Falle Russlands: kriegerischen — Druck aufzubauen.

Manche nennen dieses Vorgehen schlicht Doppelmoral. Vermutlich ist da aber keine zweifache Moral im Einsatz, sondern eine ganz einfache, ja eindimensionale geradezu: Es ist die Moral der Opportunisten. Und daran ist erstmal nichts Verwerfliches. Ganz im Gegenteil: Außenpolitik bedeutet genau das. Man sollte nur ehrlich genug sein, das auch zuzugeben — und den symbolpolitischen Anstrich entfernen. Nicht nur, weil das ehrlicher wäre, sondern auch, um andere Länder nicht unnötig zu brüskieren.

Staaten haben keine Moral — sie haben Interessen

Dass Annalena Baerbock jetzt über die Umstände in Saudi-Arabien hinwegsieht, kann man ihr nüchtern betrachtet gar nicht zum Vorwurf machen. Das wäre der normale Ablauf auf diplomatischer Mission. Das bedeutet ja noch lange nicht, dass jemand auf Staatsbesuch zum Befürworter von Todesstrafe und Hinrichtungen wird, nur weil er das Thema nicht aufs Tapet bringt. Die Frage ist, wie Nationen miteinander Umgang pflegen. Sie tun es ja nicht als moralische Zweckbündnisse, sondern als staatliche Interessensgemeinschaften. Henry Kissinger meinte mal, dass die USA keine Freunde hätten — sie hätten Interessen. Egon Bahr erweiterte diese Einsicht, er machte klar, dass alle Staaten keine Moral kennen, sondern schlicht Interessen pflegten. Auf dieser Grundlage muss man Außenpolitik begreifen.

Dass die amtierende Außenministerin jetzt im Falle Saudi-Arabiens fünf so halbwegs gerade sein lässt: Das ist an sich richtig. Aber wozu dieser moralische Anstrich, den sie sich bewahren möchte? Lügt sie sich selbst oder ihre Wähler an, von denen sie einst sagte, es sei ihr egal, was sie von ihr dächten?

Wir haben es hier erneut mit genau dem politischen Feld zu tun, das im Deutschland dieser Jahre so erfolgreich ist, wie nie zuvor: Mit der Symbolpolitik nämlich. Irgendwo in den Tiefen von Außenlenas Denkapparat mag sich langsam der für sie triste Gedanke durchgesetzt haben, dass außenpolitisches Handeln bedeutet, die Moral Moral sein zu lassen — um handfeste Interessenspolitik machen zu können. Zugeben kann sie das freilich nicht frank und frei: Das käme einen Offenbarungseid gleich — und kostete sie all die liebevollen Würdigungen, die man über sie derzeit lesen kann. Wie neulich in der Welt, in der der Journalist Hannes Stein sie einen Segen nannte, denn sie sei „klug, lustig, taff, moralisch völlig eindeutig“. Und: „Ein besserer Mensch, ein besserer Politiker hat das deutsche Außenministerium nie angeführt.“

Es ist diese Melange aus verherrlichender Pressearbeit und eigenem moralischen Furor, der die deutsche Außenpolitik fest im Griff hat: Gegenseitig zieht man sich hoch, nährt weiterhin eine Vorstellung davon, dass die Welt nur darauf warte, von Menschen aus Deutschland beglückt zu werden, die einen moralischen Kompass in der Tasche haben. Und je offenkundiger wird, dass zwischen diesem Anspruch und der Wirklichkeit ein Grand Canyon klafft, desto offensiver postuliert man die Außenmoral und redet sich ein, dass selbst die Saudis unserem Staatsverständnis näherstehen als unser europäischer Nachbar Russland.

Die Außen-vor-Politik Baerbocks

Wie beispielhaft beschrieben, erreicht diese Form moralisierender Außenpolitik nichts, ja wirkt sogar konträr: Sie wird je nach Bedarf verborgen und verzerrt, um angepasst werden zu können. Baerbocks Auftritt im arabischen Raum gibt davon ein beredtes Beispiel. Eine Sache verursacht sie aber dennoch: Sie erzeugt Befremden und lässt Deutschland in der Welt wie eine arrogante und abgehobene Nation aussehen. Keine moralische wohlgemerkt, sondern eine doppelmoralische — eine, die mit Doppelstandards arbeitet und manipuliert.

So wird keine Außenpolitik gestaltet, sondern langfristig eine Außen-vor-Politik vorbereitet. Wer so in die Welt hinausgeht, wird früher oder später begreifen, dass er vor der Türe stehen bleiben muss: Außen vor bleibt.

Die Erinnerung an die Kolonialpolitik des Westens ist in vielen Ländern dieser Erde noch frisch. Verbunden mit dem Kolonialismus war stets eine Moral, die man den anderen Nationen überstülpte. Man muss die Geschichte des Kolonialismus nicht nach dem heute gängigen Geschichtsverständnis eines vollkommenen Totalitarismus begreifen, um doch einzusehen: Gegen die Aufpflanzung einer Moral, die nicht der eigenen ethnischen entspricht, gibt es global betrachtet etwaige Allergien. Als Person, die das Außenamt eines Landes vertritt, sollte man das wissen können — und die eigene Moral sehr sparsam einsetzen. Zumal sie ja kein zielführendes Konstrukt ist und wenig bis gar nichts zur Pflege der nationalen Interessensvertretung beiträgt.

Natürlich kann ich es als Mensch aus diesen Breitengraden nur schwer nachvollziehen, dass es in etlichen Ländern der Erde Hinrichtungen gibt — meine Vorstellung von Staat und Gesellschaft ist das nicht. Aber wenn man mich heute zum Außenminister ernennt, reise ich als Außenminister und nicht als Privatperson mit Privatmeinung über die Landstriche und Meere dieser Erde. Was ich denke, was ich fühle, hat nur noch sehr unterschwellig die Verhandlungen zu beeinflussen, die ich führen muss. Es ist die private Annalena Baerbock, die dieses Land in Gefahr bringt — weil sie nicht unterscheiden kann zwischen ihrem Amt und ihrer Person, bleiben wir über kurz oder lang außen vor.


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