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Die Dekolonialisierung der Schokolade

Die Dekolonialisierung der Schokolade

Junge Menschen in Togo nehmen ihr Schicksal und das ihrer Gemeinschaften selbst in die Hand.

Als Délia Diabangouaya und ihre Mitstreiter 2014 Chocotogo, eine Genossenschaft zur Verarbeitung von Kakaobohnen, gründeten, war Westafrika zwar das größte Kakaoanbaugebiet der Welt, aber es verarbeitete dieses Produkt nicht. Damals wussten die Kakaobauern in Togo, welche die jungen Unternehmerinnen und Unternehmer getroffen hatten, nicht, wozu die Kakaobohnen, die sie produzierten, verwendet wurden. Für sie war es nur ein für den Export bestimmtes Produkt, das sie oft mit Verlust verkauften, je nach den Preisen, die auf den internationalen Börsenmärkten festgelegt wurden. Délia und die anderen waren zehn frischgebackene Studenten und gingen dank einer Schulung in Italien einen neuen Weg. Denn dort hatten sie gelernt, dass man traditionelle Schokolade mit handelsüblichen Geräten herstellen kann, ohne einen millionenschweren Businessplan für den Geschäftsstart zu benötigen. Sie entschieden sich für die Herstellung von Bio- und Fairtrade-Schokolade, mit der Vision, die Lebensbedingungen der Produzenten verbessern zu können.

Manovas Weltredaktion: Délia, Sie sind 31 Jahre alt und Mitbegründerin von Chocotogo, einer Genossenschaft, die seit acht Jahren Bio- und Fairtrade-Schokolade sowie Kakaoprodukte herstellt und verkauft. Ihre Erfahrung zeigt, dass die Lebensmittelverarbeitung ein Sektor werden kann, in dem junge Hochschulabsolventen unternehmerisch tätig werden und selbst neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt schaffen können. Würden Sie jungen Absolventen raten, Ihren Weg zu gehen?

Délia Diabangouaya: Absolut! Ich glaube, dass die jungen Togolesen heute bereit sind, Risiken einzugehen, um in das Unternehmertum einzusteigen. Viele gehen in die Agrar- und Ernährungswirtschaft, auch wenn es viele Schwierigkeiten gibt, wenn man sich auf dieses Abenteuer einlässt. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Agrar- und Ernährungswirtschaft nach wie vor eine der wichtigen Säulen der wirtschaftlichen Transformation der Länder Westafrikas und insbesondere Togos ist. In den Verarbeitungssektor einzusteigen ist wirklich eine Gelegenheit, die die Jugend ergreifen muss.

Sie vertreiben Ihre Produkte in Togo, aber auch in Benin, Burkina Faso, Mali, an der Elfenbeinküste sowie in Europa, den USA und auch in Japan. Wie kamen Sie und Ihre Geschäftspartner auf die Idee, den Handel mit Schokoladenriegeln zu entwickeln?

Chocotogo entstand dank des Projekts „Fair Young Sustainable Inclusive and Cooperative“ von der Europäischen Union, in dessen Rahmen 2013 in Togo 60 junge Menschen in Unternehmertum ausgebildet wurden. Sechs von ihnen wurden ausgewählt, um im italienischen Ort Modica in traditioneller Schokoladenherstellung und verantwortungsbewusstem Tourismus ausgebildet zu werden.

Das war der Schlüsselmoment: Wir verstanden, dass man Schokolade auf traditionelle Weise verarbeiten kann, um eine Schokolade zu erhalten, die wir Ciocco Modica nennen. Es ist eine körnige Schokolade, die nicht schmilzt, leicht herzustellen und aufzubewahren ist. Wir haben verstanden, dass hier eine große Chance lag, nicht nur für die Schaffung von wirtschaftlichem Wert, sondern auch für die Aufwertung unserer Kulturen und Ressourcen.

Die eigentliche Grundlage unseres Unternehmens ist es, die Lebensbedingungen der Bauern verbessern zu können.

Dafür zahlen wir einen Aufschlag — mindestens 500 CFA-Francs, etwa 0,75 Euro, pro Kilo — auf den Preis, den die Kakaobörse in London für die lokalen Erzeuger festlegt. Ziel dieser Prämie ist es, die Ortschaften über die Kooperativen oder Erzeuger hinaus zu unterstützen, um die sozioökonomischen Bedingungen in der Umgebung zu verbessern.

Wir ermitteln mit den Genossenschaften, ob es einen Bedarf an Schulen, Büchern für die Kinder, Bohrungen für den Zugang zu Wasser oder den Zugang zu Strom gibt. Dadurch werden diese Gelder vorrangig für soziale Bedürfnisse der gesamten Gemeinschaft eingesetzt und ermöglichen, dass der in diesem Gebiet produzierte Kakao wirklich Auswirkungen auf die Lebensbedingungen nicht nur der Bauern, sondern der gesamten Gemeinschaft hat.

Sie schlagen vor, vom Export dieses Rohstoffs wegzukommen und ihn vor Ort zu verarbeiten. Welche Schwierigkeiten gab es anfangs?

Die erste Schwierigkeit bestand zunächst darin, einen Produktionsprozess einzurichten: Wir begannen auf traditionelle Weise mit den einfachsten Geräten, die wir finden konnten. Es hat praktisch ein Jahr gedauert, bis wir einen Produktionsprozess und ein Produktionsdiagramm eingeführt hatten, um eine Schokolade auf den Markt zu bringen.

Dann gab es noch Fragen zum Vertrieb: das Produkt bekannt machen, Arbeitskräfte finden, das Unternehmen aufbauen. Wir mussten auch viel Aufklärungsarbeit leisten, um zu vermitteln, dass Schokolade nicht nur ein Luxusprodukt ist. Wir versuchen zu vermitteln, dass es sich um ein Produkt aus unserer Heimat handelt und dass wir auch in der Lage sein sollten, aus seinen ernährungsphysiologischen Vorteilen Kapital zu schlagen.

In Togo funktioniert am besten die 70-prozentige Naturschokolade, aber auch die Schokolade mit Zutaten wie Erdnuss, Ingwer, Kokosnuss ... Auch die 60-prozentige Schokolade hat ihre Konsumenten. International ist es entweder Schokolade mit einem höheren Prozentsatz, also von 70 bis 100 Prozent, oder die Kakaobohne, ob geröstet oder karamellisiert.

Sie engagieren sich sehr stark dafür, dass Ihre Verarbeitungsaktivitäten wirklich dem Wohlbefinden und dem besseren Leben der produzierenden Landwirte zugutekommen. Ist das ein Weg, um die Nachhaltigkeit Ihres Unternehmens zu gewährleisten?

Ja, natürlich, denn die Landwirte sind die eigentliche Grundlage der Produktion und der gesamten Wertschöpfungskette. Wenn Sie Kakaobauern haben, die in ihrer Produktionsarbeit aufblühen, haben Sie bessere Produkte und Sie haben bessere Folgeprodukte wie Schokolade.

Unsere Realität ist, dass die Kakaobauern heute ebenso wie die Pflanzen, die Grundstücke, die Plantagen altern. Wir haben Kakaobauern, die alt sind, und die junge Generation ist nicht mehr an diesem Anbau interessiert, weil es kein ausreichendes Einkommen gibt, es ist schwierig.

Wenn wir die Branche nicht unterstützen, wenn wir die Produktion nicht unterstützen, werden wir auf lange Sicht keinen Kakao mehr haben, wir werden niemanden mehr haben, der dieses Land bewirtschaftet.

*Ihre Genossenschaft startete zunächst mit Eigenkapital. Was war Ihre Strategie, um Ihr Unternehmen später zu vergrößern? *

Wir haben uns Schritt für Schritt weiterentwickelt und dabei hauptsächlich die Ressourcen genutzt, die wir intern hatten. Von Anfang an und auch heute noch werden wir von der Nichtregierungsorganisation (NGO) „Enfant-Foot-Développement“ unterstützt, die die Entstehung von Chocotogo ermöglicht hat.

In unserem Modell werden die anfänglichen Ressourcen und Verkäufe in das Unternehmen und in bessere Ausrüstung reinvestiert. Jedes Mal haben wir versucht, uns zu besseren Ausrüstungen und Prozessen, zu besseren Räumlichkeiten zum Beispiel, weiterzuentwickeln.

Sie haben die Unterstützung „Coup de pouce“ (deutsch: Anstoß, Anschub) des PAFAO-Programms erhalten. Wofür wird Ihnen diese Anschubfinanzierung nützen?

Das „Coup de Pouce“-Projekt bietet uns die Möglichkeit, unsere Arbeit auf eine höhere Ebene zu bringen. Bei der Suche nach einer Finanzierung waren wir mit mehreren Problemen konfrontiert, insbesondere mit Bankgarantien. Wenn Sie einen Kredit aufnehmen wollen, werden Sie meistens nach Sicherheiten durch Immobilien gefragt. Und da wir uns selbst finanziert haben, waren die Gelder immer für die Expansion und Vergrößerung des Unternehmens bestimmt, also ist es schwierig, eine Sicherheit für die Banken zu haben.

Für den PAFAO-Anschub haben wir uns mit einem Antrag auf Landerwerb beworben, der zwei Ziele hatte: eine Bankgarantie für die Suche nach weiteren Finanzierungen oder Investitionen zu erhalten, aber auch kurzfristig, um Räumlichkeiten zu haben, die für eine Massenproduktion und für eine diversifizierte Produktion geeignet sind, in der wir viel mehr Produkte haben werden.

Was könnte Ihrer Meinung nach in Zukunft diesen Aufbau von Unternehmen mit starken sozialen Auswirkungen im Bereich der Lebensmittelverarbeitung erleichtern?

Eines der Hauptprobleme, das wir hatten, war der Zugang zu Geräten und Verpackungen.

Wir haben eine Bevölkerung, deren Bezugspunkt die importierten Produkte mit sorgfältiger Verpackung sind, mit attraktiven und ansprechenden Verpackungen. Aber wenn die jungen Leute anfangen, haben sie leider keinen Zugang zu dieser Art von Verpackung und leiden unter diesem Vergleich.

Ihnen wird gesagt, dass ihr Produkt gut ist, die Verpackung aber verbesserungswürdig ist, während man, um diese Art von Verpackung zu bekommen, große Bestellungen tätigen und über ein ziemlich großes Kapital verfügen muss, was die jungen Leute anfangs nicht haben. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, in dem die jungen Unternehmer gute Produkte anbieten, aber nicht in der Lage sind, sie zu vermarkten. Und da sie keine Gelder erhalten, können sie ihre Produkte nicht verbessern ...

Der Zugang zu Finanzmitteln für junge Menschen und insbesondere junge Frauen sollte wirklich verbessert werden, aber auch die Ausbildung sollte ausgebaut werden, um zu lernen, wie man das Beste aus Finanzmitteln und Investitionen herausholt, und institutionelle Aufträge sollten gefördert werden. Auch die Begleitung von Unternehmen und Jungunternehmern könnte durch eine institutionalisierte Unterstützung verbessert werden, damit die Unternehmer, die bereits vor Ort sind, den jungen Menschen, die sich auf den Weg machen, helfen und mit ihnen zusammenarbeiten können.

Die größte Sorge, die wir haben, ist es, unsere Unternehmen so zu gestalten, dass sie von Dauer sind. Wir haben es heute leicht, Unternehmen zu gründen und aufzubauen, aber wir müssen in der Lage sein, sie zukunftssicher zu machen, damit wir in 10, 20, 50 oder 100 Jahren sehen können, dass diese Unternehmen immer noch aktiv sind. Und ich glaube, dass dies eine unserer großen Herausforderungen ist.


Foto: Délia Diabangouaya



Das Chocotogo-Team, Foto: Chocotogo



Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Encourager l’avenir des jeunes du monde rural: Entretien Délia Diabangouaya, Chocotogo“ in einer Publikation im Rahmen des Programms „Promotion de l’agriculture familiale en Afrique de l’Ouest (PAFAO)“ des Comité Français pour la Solidarité Internationale (CFSI), das 2009 von der Fondation de France gegründet wurde. Er wurde von Elisa Gratias übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratsteam lektoriert.


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