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Die Freibier-Mentalität

Die Freibier-Mentalität

Die Politik versucht mit kostenlosem Nahverkehr und Gratis-Kindergartenplätzen für sich Stimmung zu machen und treibt so einen verhängnisvollen Trend voran.

Im Leben bekommt man nichts geschenkt. Es sei denn, man ist Wählerin oder Wähler in Frankfurt. Dann gibt es Präsente, kriegt man etwas, ohne dafür bezahlen zu müssen. Jedenfalls versprachen das neulich die SPD-Plakate bei der städtischen Kommunalwahl. Kinderkrippen sollen demnach kostenlos sein. Und zwar für alle. Sechs Stunden Krippenbetreuung sind es ja jetzt schon. Und so soll es auch bleiben. Das ist nämlich Leitlinie in der von der SPD regierten hessischen Metropole. Als vor einigen Jahren die Schwimmbäder für Kinder gratis öffneten, präsentierten sie einen am Beckenrand plantschenden Oberbürgermeister Feldmann, der sich hemdsärmelig neben Wasserball und Schwimmnudel räkelte.

Das tut das Oberhaupt der Stadtverwaltung eh gerne: posieren nämlich. Vor Jahren sah man ihn im Führerstand der U-Bahn abgebildet, darüber stand, dass die U-Bahnen nun auch nachts durchfahren würden. Offenbar erledigt der Mann in dieser Stadt alles alleine. Selbst nächtliche Mobilität fällt in sein Aufgabengebiet.

Jene, die in Nachtschichten die Stadt tatsächlich in Bewegung halten, sah man nicht.

Respekt der Stadtpolitik gegenüber Werktätigen? Geschenkt! Wieder so etwas Kostenloses von der Frankfurter SPD.

Die Aushebelung des Solidarprinzips

Getrieben wurden die städtischen Sozialdemokraten von den Linken. Vor einigen Jahren, im Zuge der letzten Landtagswahlen, luden sie zum Sozialgipfel ein. Es war Herbst 2018. Mit dabei war auch Janine Wissler, die mittlerweile Bundesvorsitzende der Linkspartei ist. Damals irritierten mich einige Punkte ihrer Agenda: Sie sprach wiederholt von kostenlosem Nahverkehr für jedermann und kostenloser Mittagsverpflegung für Schüler. Das Kostenlose machte das Herzstück ihrer Rede aus.

Außerdem betonte sie, dass ihr Landesverband schon seit langer Zeit kostenlose Kindertagesstätten fordere. Die Landesregierung habe diese Forderung aufgegriffen und werde sie nun einführen. In der Zwischenzeit ist das in Hessen tatsächlich zur Realität geworden. Ob nun Linke, Sozialdemokraten oder CDU: Alle schmücken sich mit dieser Kostenlosigkeit. Die einen behaupten, sie hätten den Druck aufgebaut, damit es dazu kommen konnte, die anderen tun so, als hätten sie es erfunden, während die Sozis jetzt so tun, als müssten sie die Beibehaltung dieser Errungenschaft überwachen.

Im Verlaufe jenes Sozialgipfels kamen die Gratis-Forderungen gut beim Publikum an. Aber ich fragte mich, ob das noch linke, noch sozialstaatliche Politik sei. Daran müsse man doch eigentlich zweifeln. Speziell dann, wenn selbst die Konservativen einschwenken und mitmischen. Es ist nun mal kein sozialer Fortschritt, wenn sich jene aus der Verantwortung stehlen können, die es sich leisten könnten, einen Solidarbeitrag zu entrichten. Die Gleichmacherei auf Basis kostenloser Zuteilung widerspricht dem ursprünglichen Gedanken sozialstaatlicher Prägung: starke Schultern stärker zu belasten als schwache.

Diese Gratis-Kultur ist zudem Augenwischerei: Eine Kostenfreiheit gibt es nicht. Es ist schlicht unseriös, wenn man so tut, als sei das Kost-Nix-Gemeinwesen der ganz große Wurf eines neuen Sozialstaatsverständnisses, ein Fortschritt für unser aller Zusammenleben. Leistungen müssen bezahlt werden — so oder so.

Die eingangs erwähnte Binsenweisheit, wonach man im Leben nichts geschenkt bekomme, sie ist halt doch mehr als nur so ein alberner Spruch von Söhne belehrenden Vätern — sie zeugt von Realitätssinn und Welterfahrung.

Eigenbeteiligung: Auch ein Stückchen Würde

Ob nun Eltern Hartz IV beziehen, bei Aldi an der Kasse sitzen oder im Banken- oder Versicherungswesen doppelverdienen: Das alles spielt in hessischen Kindertagesstätten seit einigen Jahren keine Rolle mehr. Das Einkommen ist demnach gar keine Kennzahl mehr, die man heranzieht. Eine etwaige Härtefallregelung entfällt, weil die hessische Landesregierung plötzlich so tut, als seien alle zu Härtefällen geworden.

Härtefallregelungen für Schüler aus Familien, die nur ein niedriges Einkommen beziehen oder gar auf Transferleistungen angewiesen sind, sind aber unabdingbar. Gerade zum Beispiel bei der Schulverpflegung.

Doch warum sollten es alle gratis bekommen? Ist die Gratiskultur nicht zwangsläufig immer auch an die Qualitätsfrage gebunden? Insbesondere beim Essen? Qualität und Arbeitskraft kosten nun mal — das sollte es uns auch wert sein.

Nicht so viel anders sieht es beim Herzensprojekt der Umweltbewussten aus. Wenn es nach ihnen ginge, sollte der Nahverkehr kostenfrei für alle sein. Pilotprojekte gab es ja auch schon in verschiedenen deutschen Städten. Wenn aber Mobilitätsunternehmen nicht mehr auf den Ticketverkauf angewiesen sind und rein durch feste staatliche Zuschüsse finanziert werden sollen, muss man befürchten, dass man es mit den Qualitätsstandards noch weniger ernst nimmt als ohnehin schon.

Freilich muss es für Arme günstige Tickets zum Sozialtarif geben — nicht aber für Leute, die es sich leisten könnten, auch verteuertes Fahrtgeld zu entrichten. Das nennt man Solidarprinzip: Jeder beteiligt sich nach seinen Mitteln — aber eben jeder beteiligt sich. In der Frankfurter Innenstadt, im Franziskustreff, gibt es für hiesige Obdachlose die Möglichkeit, an jedem Tag ein Frühstück zu bekommen. Aber 50 Cent Eigenbeteiligung sind ausdrücklich erwünscht. Zwar lässt man auch mal Fünfe gerade sein, wenn der Hungrige nichts aufwenden kann — aber nur ausnahmsweise. Warum? Weil das etwas mit Würde zu tun hat, sagen die Initiatoren. Wenn der Bedürftige etwas beisteuert, sei es auch nur ein verschwindend geringes Sümmchen, so ist er kein Bettler mehr, so hat er sich etwas erkauft.

Kostenlos ist nur die PR

Bezahlt werden muss dieses kostenlose Politikverständnis ja ohnehin. Dieser Tage wurde das überdeutlich, als Gesundheitsminister Spahn mit kostenlosen Masken für Risikogruppen hausieren ging und das den Steuerzahler 2,5 Milliarden Euro kostete.

Umsonst ist also gar nichts. Nur die PR ist kostenlos. Es ist eine ausgesprochen günstige Werbung, die sich mit der Zurschaustellung kostenneutraler Leistungen machen lässt. Und sie kommt gut an. Etwas nicht bezahlen zu müssen, Kosten zu sparen: Geiz war und ist geil in dieser Republik.

Letztlich ist das die politisch motivierte Verschleierung der wirklichen Kosten. Man versteckt sie hinter dem Vorhang, die Bürgerinnen und Bürger sollen den Eindruck erhalten, dass sie vollumfänglich und effizient versorgt werden, ohne dabei auch nur einen Cent in die Hand nehmen zu müssen. Nebenher höhlt das die soziale Komponente der Umverteilung auf: Alle werden zu kostenlosen Anspruchsberechtigten, Minijobber und Abteilungsleiter sind in diesem Moment — aber nur in dieser Sache — völlig gleich.

Letztlich zeigt sich in dieser Haltung zur Umverteilung auch der Verfall der Wertschätzung. Denn Dinge, Leistungen, die Arbeit anderer Menschen, ein gutes Produkt: Das alles muss uns etwas wert sein. Zwar wird das alles auch entlohnt, wenn man die allgemeine Kostenlosigkeit ausruft, die ja meint: Bezahlt wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit — aber man spricht halt nicht mehr über den pekuniären Wert des Geleisteten, tut so, als spiele Geld gar keine Rolle mehr. Es schadet aber überhaupt nicht, wenn man weiß, dass das Leben etwas kostet — um den Wert wenigstens einschätzen zu können.

Ob nun Kindergartenplatz oder Schulmittagessen: Es spricht nichts dagegen, diejenigen, die das beanspruchen wollen, sozial verträglich und nach eigenem Leistungsvermögen zu beteiligen. Auch das ist Ausdruck der Teilhabe an der Gesellschaft. Fair muss es zugehen, gerecht und nach Einzelfallprüfung.

So zu tun, als kost‘ die Welt nichts mehr, ist Ausdruck eines allgemeinen Werteverfalls, zeigt im Grunde nur, wie wir mit der Inanspruchnahme menschlicher Arbeitskraft umgehen: als hätte sie keinen Wert, als wäre sie für lau zu haben.

Der Billigheimer ist gewissermaßen zum Organisator des Gemeinwesens mutiert. Und das kommt uns teuer zu stehen.


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