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Die Spätberufene

Die Spätberufene

Nun steht es fest: Sahra Wagenknecht gründet eine neue Partei. Die Entscheidung kommt vielleicht zu spät — denn der Glauben an diesen Parlamentarismus ist erschüttert.

BSW, „Bündnis Sahra Wagenknecht“ heißt nun also der Verein, der die abspaltungswilligen Linken in eine neue Partei führen soll. Sie habe sich überlegt, was BSW noch heißen könnte, sagte Wagenknecht neulich in einem ARD-Feature zur Causa. Eingefallen sei ihr allerdings leider nichts, lachte sie. Wohl aus diesem Grund hat man dem BSW noch einen Untertitel hinzugefügt: „Für Vernunft und Gerechtigkeit“.

Auch wenn die Namenswahl etwas unglücklich scheint, so hat Sahra Wagenknecht doch etliche Abgeordnete aus der Linkspartei mitgenommen. Die Linke wird daher ihren Fraktionsstatus verlieren. Die bekannten Köpfe der Linkspartei erklären nach wie vor, dass ihre Partei noch zu retten sei. Aber das sind vermutlich nur Durchhalteparolen. Sie ahnen wohl selbst, dass die Zukunft ein schwieriges Terrain für diese Partei sein wird. Der Wagenknecht-Partei gehört hingegen die kommende Zeit, vernimmt man nun häufig. Sie sei Hoffnungsträgerin. Und ja, auch Retterin. Sie verhindert die AfD und wird eine wirkliche Alternative für Deutschland.

Acht bis 15 Jahre

Das wären schöne Aussichten: Endlich wieder eine Partei, die die Interessen des sogenannten „kleinen Mannes“ vertritt. Eine linke Alternative, die sich gewerkschaftlich orientiert und nicht dauernd oberlehrerhaft erklärt, wie man jetzt zu sprechen, wie zu fühlen habe. Dabei wird maßgeblich sein, dass das BSW nicht jedermann aufnimmt, nur weil der bereit ist, einer neuen Partei beizutreten. Als vor Jahren schon mal ein ähnlicher Versuch unternommen wurde, damals unter dem Label „Aufstehen“, tummelten sich plötzlich identitätsthematisch Orientierte im Umfeld dieser parteiinternen Plattform. Am Ende sah Aufstehen aus wie die Linkspartei selbst, die bereits den Irrweg der Wokeness eingeschlagen hatte. Damals sprach man hierzulande allerdings noch nicht von der Wokeness. Das kam erst später.

Eine Neugründung tut sicherlich not in diesen Zeiten. Die Linke trat 2005 erstmals bei der Bundestagswahl an. Sie erzielte damals einen Achtungserfolg. Seit einigen Jahren geht es bergab mit ihr. Jutta Ditfurth schrieb in ihrem Buch „Das waren die Grünen“, dass die junge grüne Partei „vielleicht acht bis 15 Jahre“ hätte, „bevor die Anpassungsmechanismen dieser Gesellschaft das Projekt verschluckt haben würden“. Dann müsste sich eine neue außerparlamentarische Bewegung etablieren, „die den Integrations- und Anpassungsdruck aushebeln würde“.

Für die Linkspartei hat diese Zeitspanne in etwa auch gegolten. Die Partei ist sich Selbstzweck geworden, hat den Anschluss an die Menschen im Lande verloren. Der Wagenknecht-Partei wird es unter Umständen nicht so viel anders ergehen im Laufe der Zeit. Sie ist jetzt auf Tuchfühlung mit den Menschen, die unzufrieden sind in Deutschland. Aber diese Nähe wird sich natürlich verlieren, Karrieren wollen vorangebracht, Posten verteilt werden. Das ist kein Vorwurf, es ist das politische System hierzulande. Ein neues Projekt hat durchaus Chancen — aber wohl immer nur einige Jahre, bis es sich selbst verwässert.

Insofern ist jede Parteigründung immer auch der Prozess einer Enttäuschung. Bei den Linken hat man es zuletzt gesehen. Man geht mit den besten Vorsätzen an die Arbeit, legt Idealismen an den Tag, muss aber sukzessive davon ablassen, die Erwartungen reduzieren.

Plötzlich sind Mitglieder in der Partei, die vieles ganz anders sehen — und die die Leitlinie der Partei verändern. Alle Hoffnung einer Parteineugründung angedeihen zu lassen, ist insofern immer auch ein Akt der Naivität.

It’s the system, stupid!

Dies eben auch, weil viele derer, die sich jetzt als Protestwähler identifizieren lassen, nicht einfach nur ihrem Widerwillen an den Wahlurnen Ausdruck verleihen, weil sie so enttäuscht sind von der Union oder der Sozialdemokratie. So wird es ja gerne von den Politologen, die in Deutschland als „Experten“ herumgereicht werden, dargelegt. Dahinter steckt doch mehr: Protestwähler sind im Regelfall keine verprellten Ex-CDU-Wähler oder konsternierte SPD-Wähler mehr. Ihr Protest geht viel weiter.

Sie protestieren gegen den hiesigen Parlamentarismus. Denn in seiner heutigen Form, als von Lobbyisten frequentierte Entscheidungsinstanz, bindet er kaum noch Bürger hinter sich. Als vor einigen Jahren offenbar Reichsbürger versuchten, in den Bundestag einzudringen, sprach der Bundespräsident von einem „Angriff auf das Herz unserer Demokratie“. Dabei ist das Herz dieser Demokratie, also der Ort, an dem entschieden wird, nicht durch den Vordereingang des Bundestages zu erreichen — oder jedenfalls nur unter Inkaufnahme weiter Wege. Man muss den Hintereingang nehmen, das geht viel schneller. Den direkten Weg in die Hinterzimmer nämlich. Dort werden Entscheidungen getroffen.

Vielen Menschen in Deutschland ist das bewusst. Sie haben nach langen Jahren des sozialen Niedergangs verstanden, dass das System korrupt ist. Eine neue Partei zu gründen: Das kann man machen. Aber ob man ihr wirklich so viel Hoffnung schenken kann? Die Protestwähler gieren ja nicht nach noch einer Partei. Sie sähen lieber, dass dieses Berliner System mit seiner Nähe zu Medien und Wirtschaft eingehegt wird — und wieder mehr Nähe zum Bürgerwillen gezeigt und sich der Beeinflussung lobbyistischer Influencer entzogen würde.

Das Vertrauen in diesen Parlamentarismus ist weithin erschüttert. Niemand wählt heute etwa die AfD, weil er möchte, dass die CDU und die SPD wieder auf Kurs kommen. Diese Partei ist ein Instrument, das deutlich macht: „Mit eurem System sind wir fertig.“

Ob da eine neue Partei, egal mit welch hehren Absichten sie an den Start geht, wirklich Probleme löst, sei dahingestellt. Was aus Sicht der Protestwähler nötig ist, ist eine Revision dieses Systems. Wie immer die dann aussehen mag. Die neue Partei um Sahra Wagenknecht, man muss es fast befürchten, kommt deutlich zu spät. Die Desillusionierung der Bürger hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen.

Mehr als nur Parteienhader

Häufig hört man im Augenblick, dass die Absichten Wagenknechts systemstärkend seien. Sie würde der AfD das Wasser abgraben, damit das marode System stützen. Diese Betrachtung ist natürlich nicht statthaft. Es ist nicht die Aufgabe Sahra Wagenknechts und ihrer Entourage, die AfD unbedingt stark halten zu müssen. Welches Interesse hätten denn die Neugründer an der AfD? Wirtschaftspolitisch kommt man mit ihr doch auf keinen gemeinsamen Nenner. Es gibt keine Pflicht, auf andere Parteien Rücksicht nehmen zu müssen.

Der Vorwurf an Wagenknecht führt ins Leere, zeigt aber auf, dass viele die Erstarkung der AfD nicht unter den Gesichtspunkten eines Rechtsruckes betrachten, sondern als einen Anschlag auf die, die es sich in diesem Parlamentarismus nur allzu bequem gemacht haben. Sie sind nicht enttäuscht von den etablierten Parteien — das waren sie vielleicht mal. Für viele geht der Protest mittlerweile mit einer viel grundlegenderen Frage einher: Ist dieses korrumpierte System überhaupt wert, gerettet zu werden?

Über viele Jahre haben politische Beobachter erklärt, dass die Menschen hierzulande an politischer Ermattung leiden, an Politikverdrossenheit, die sich aus dem Parteienhader rekrutiert. Das mag eine Weile zugetroffen haben. Unzufriedenheit ist aber auch kein statistisches Moment. Sie entwickelt sich, kommt vom Stöckchen auf den Stock.

In den letzten Jahren hat sich bei vielen das Bewusstsein entwickelt, dass es nicht die Parteien sind, sondern das System, das wirkliche Probleme bereitet.

Insofern ist die Neugründung einer linken Partei durchaus mit Skepsis zu betrachten. Sie kommt in einem Augenblick zustande, in dem viel grundsätzlichere Fragen die Entscheidung der Menschen beeinflussen. Sicher, auch die Wagenknecht-Partei wird Wähler finden, vielleicht sogar in den nächsten Bundestag einziehen. Aber die große Hoffnung, die man mit ihr verbindet, wird sie vermutlich nicht erfüllen können. Sie kommt zu spät. Und sie kommt in einer Zeit, da Menschen nicht mehr nur einfach protestieren, weil sie sich von Parteien nicht angemessen repräsentiert fühlen. Sondern sie stellen die Frage der Repräsentanz jetzt ganz generell.


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