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Die untergehende Weltmeermacht

Die untergehende Weltmeermacht

Die US-Marine setzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts neue Standards in der maritimen Kriegsführung. Doch auch zu Wasser werden die Gefechte immer asymmetrischer, wodurch die einstige Seemacht ihre Spitzenposition verlieren wird.

Ende des 18.Jahrhunderts strebte der europäische Kolonialismus rasant auf seinen Höhepunkt zu, vor allem der britische. Zudem expandierten die gerade 1783 unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten nicht nur auf dem eigenen Kontinent, sondern entwickelten auch sehr schnell weltweite Handelsinteressen, die sie bald darauf auch militärisch zu verteidigen wussten. Bei der wachsenden aus Europa einwandernden Bevölkerung war die internationale Ausrichtung des neuen Staates kein Wunder. Sie verstärkte sich durch die Kampferfahrung der neuen Siedler gegen die britische Kolonialmacht, nicht zuletzt im Seekrieg.

Entscheidend wurde allerdings die Gründung des United States Marine Corps 1798 unter Präsident John Adams. Hinzu kam eine Reihe von Innovationen im Schiffbau und deren Bedeutung im Handelswettbewerb sowie für den militärischen Schutz der Schiffe. Die Häfen der Ostküste, Baltimore, Boston, Portland, Mystic, Plymouth und andere hatten schon durch den Walfang, der das unabdingbare Lampenöl lieferte, einen erheblichen Bedarf an neuen Schiffen. Ende des 18. Jahrhunderts entwickelten amerikanische Reeder den Baltimore Clipper und ähnliche Windjammer, die weniger Laderaum hatten, aber deutlich schneller waren als die europäische Konkurrenz und diesen besonders im Tee- und Opiumhandel davonfuhren.

Opium, Wein, Baumwolle, Olivenöl, Gewürze und vieles mehr wurden im Mittelmeerraum gehandelt und wurden mitsamt der Schiffe und ihrer Mannschaften fast drei Jahrhunderte lang zur Beute der Piraten aus den türkischen Vasallenemiraten Algier, Tunis und Tripolis im heutigen Libyen sowie Marokko. Unter den Namen Sarazenen, Barbaresken, Mauren oder Morisken verbreiteten die Korsaren auf der Nordseite des Mittelmeers Angst und Schrecken und machten Befestigungsanlagen und Wachtürme notwendig, die bis heute vielen bekannten Urlaubszielen eine romantische Note geben. Zu Lande und zu Wasser machten sie aber auch Jagd auf Menschen, die als Sklaven verkauft wurden. Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ von 1782 vermittelt bis heute eine Ahnung, wie dieser Menschenhandel damals auf Europa wirkte. Die Piraten brauchten vor allem Männer für die Galeeren, die wegen ihrer Wendigkeit bis ins 19. Jahrhundert im Gebrauch waren. Die Sklavinnen wurden allerdings selten so nobel behandelt wie in Mozarts Oper.

In Nordafrika florierte der Sklavennachschub aus beiden Richtungen, aus Schwarzafrika, auch mit Weiterverkauf in die koloniale Plantagenwirtschaft des amerikanischen Kontinents, und aus Europa. Die Anzahl der von den Piraten gefangenen europäischen Sklaven schätzen Historiker auf bis zu 1,25 Millionen. Dass darunter auch viele Deutsche waren, belegen die Bemühungen der Hansestädte, durch Beiträge der Seeleute und Spenden den Freikauf der Sklaven zu organisieren. Die Hamburger Sklavenkasse gab zwischen 1719 und 1747 für die Freilassung von 633 Seeleuten insgesamt 1,8 Millionen „Mark Banco“ aus. In Italien und Spanien gab es in jeder Kirche eine besondere Kollekte für die „armen Sklaven“. Einer der berühmtesten Freigekauften war der spanische Schriftsteller Miguel Cervantes, der Autor des Don Quijote, der fünf Jahre lang in Algier als Sklave festgehalten wurde.

Die Anzahl gekaperter Handelsschiffe war enorm. In einer Liste des französischen Konsulats in Algier wird für die Jahre 1613 bis 1621 die folgende Anzahl von Schiffen genannt, die allein von den Algeriern gekapert wurden: 447 holländische, 193 französische, 56 deutsche, 60 englische, 120 spanische und 60 provenzalische. Das Geschäft der Piraten, die nach 1492 erheblichen Zulauf von den aus Spanien vertriebenen Mauren bekommen hatten, war so lukrativ, dass sich den ursprünglichen Berbern, die den Barbaresken den Namen gegeben hatten, auch Araber, Türken, Niederländer, Griechen und Briten anschlossen. Zu den erbeuteten Waren aus den gekaperten Handelsschiffen kamen die Verkaufserlöse bei den Sklavenhändlern einschließlich der Lösegelder und später auch pauschale Schutzgelder, die einzelne Länder zahlten, damit ihre Schiffe verschont blieben.

Warum beendeten ausgerechnet die jungen USA die Piratenplage?

Gerade die Schutzgeldzahlungen wurden den Piraten schließlich zum Verhängnis. Ende des 18. Jahrhunderts begannen die europäischen Seemächte England, Schweden, Dänemark und die Niederlande, die Piraten energischer zu bekämpfen, blieben aber weitgehend erfolglos. Viele zahlten Schutzgelder, darunter Großbritannien, die Hansestadt Hamburg und die jungen Vereinigten Staaten.

Bereits 1785 zahlten die USA pro Jahr eine Million Dollar an die Tripolitaner und Marokkaner, was etwa 10 Prozent des Staatshaushalts ausmachte. Im Jahr 1800 stiegen Tribute und Lösegelder auf 20 Prozent des Etats.

Als Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, die Zahlungen verweigerte, verstärkte Tripolis die Angriffe auf amerikanische Schiffe. Jefferson ordnete daraufhin den Bau weiterer Kriegsschiffe und eine Blockade der Korsarenfestung Tripolis an, worauf der dortige Pascha 1801 den USA den Krieg erklärte. In zahllosen kleineren Scharmützeln und den sogenannten Barbareskenkriegen, dem Amerikanisch-Tripolitanischen Krieg (1801 bis 1805) und dem Amerikanisch-Algerischen Krieg (1815), machten die überlegenen Kriegsschiffe und die US-Marines dem Piratenunwesen schließlich ein Ende. Das erlöste auch die Nordseite des Mittelmeers und die europäischen Handelsflotten von den endlosen Raubzügen der Korsaren.

Die US-Marines, bis heute eine Elitetruppe mit Traditionsbewusstsein, erinnern sich immer noch an die Schlachten um Tripolis. Die Anfangszeilen ihrer Hymne lauten „From the hall of Montezuma to the shores of Tripoli“. Militärhistorisch interessant ist die innovative Weiterentwicklung der amerikanischen Kriegsschiffe. Sie wurden Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur deutlich größer als die europäischen, sondern waren auch mit mehr Kanonen und Mannschaften ausgestattet. Eins davon ist die USS Constitution, erbaut 1797 in Boston, das heute weltweit älteste erhaltende und noch seefähige Schlachtschiff. Eine für die Kampfkraft der Constitution mitentscheidende Innovation war die Verkleidung des Schiffsrumpfes mit dem außerordentlich harten Holz der Virginia-Eiche, das feindliche Kanonenkugeln so gut wie wirkungslos abprallen ließ. Die Constitution wurde deshalb auch „Old Ironside“ genannt. Für die weitere Instandhaltung unterhält die Navy einen eigenen Wald in Indiana mit den auch „white oak“ genannten Virginia-Eichen.

US-Marines und US-Navy heute

Die Geschichte der US-Marines inspiriert bis heute die Einheiten und Mannschaften. Die lange Tradition und die heute über alle fünf Weltmeere dominierende Rolle der US-Navy tragen zum Selbstwertgefühl ihres Personals und der verantwortlichen Politiker bei. Die technisch anspruchsvollen Aufgaben auf den Schiffen und an den Waffen geben den amerikanischen Marinesoldaten ein elitäres Bewusstsein, das die Eintönigkeit und Enge des Lebens an Bord ausgleicht. Ein weiterer Faktor ist die administrative Aufteilung im Verteidigungsministerium. Die Marine hat zwei Unterabteilungen, die US-Navy und das US-Marine Corps, was den internen Wettbewerb und den Korpsgeist als Elitetruppe fördert. Weit an der Spitze stehen aber die legendären United States Navy „Sea, Air, and Land“ (SEAL) Teams, kurz Navy SEALs genannt. Auswahlkriterien und Härte der Ausbildung sind extrem, ihr Motto „The only easy day was yesterday“ spricht für sich.

Für uns Deutsche ist diese Art ungebrochenen Stolzes auf so weit zurückliegende kriegerische Ereignisse und Traditionen kaum vorstellbar, gerade bei der Marine. Die von Kaiser Wilhelm mit dem Motto „Deutschlands Zukunft liegt auf dem Meer“ 1896 eingeleitete Flottenpolitik wurde von Großbritannien als Bedrohung empfunden und trug zur Inkubation des Ersten Weltkriegs bei. Und im Zweiten Weltkrieg als erfolgreich gefeierte Einsätze der deutschen Kriegsmarine sind mit der Aufarbeitung der Niederlage weitgehend in den Archiven verschwunden. Das schwierige historische Erbe belastet auch die Personalsituation der Bundeswehr, die durch den Krieg in der Ukraine noch einmal mit deutlich weniger Bewerbungen konfrontiert ist. Ende Dezember 2023 waren laut Statista 20.898 Unteroffiziers- und Offiziers-Dienstposten nicht besetzt.

Die Zukunft des Seekriegs und die Verteidigung Deutschlands

Nach dem für Europa außerordentlich hilfreichen Sieg der amerikanischen Marines über die maghrebinischen Piraten Anfang des 19. Jahrhunderts haben sich Schiffbau und Seekrieg lange Zeit nur langsam entwickelt. Es kamen immer mehr Panzerungen und stärkere Feuerkraft hinzu, dazu die U-Boote und ihre Bekämpfung unter Wasser und aus der Luft, schließlich die gigantischen Flugzeugträger unserer Zeit. Ein Artikel vom Januar 2024 (Difference Between U.S. Navy And Marine - VIVA DIFFERENCES) beschreibt die Gesamt-Tonnage der Navy als so groß wie die Schiffe der nächsten 13 Länder zusammen. Doch der Vorsprung schrumpft, vor allem durch den chinesischen Flottenausbau, der in den USA zunehmend Befürchtungen erzeugt, dass die eigene Dominanz gefährdet ist.

In Zukunft dürfte es immer schwieriger werden, diese aufrecht zu erhalten. Vor allem die Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer oder die erfolgreichen ukrainischen Attacken auf die russische Schwarzmeerflotte sind deutliche Zeichen, dass auch der Seekrieg immer asymmetrischer wird.

Drohnen, auch unter Wasser, verändern rapide Taktiken und Strategien, hinzu kommen waffentechnische Neuerungen wie schnellere und treffsichere ballistische Raketen, neue Möglichkeiten im Cyberkrieg, Laserkanonen und Weltraumwaffen.

Die Rüstungsspirale wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach weiterdrehen und riesige Ressourcen verschlingen, mit fortgeschrittener Technik aber möglicherweise die überkommenen Kampfmuster ablösen, in denen sich wie in Urzeiten der Menschheit die Soldaten gegenüberstehen und sich Auge in Auge gegenseitig umbringen. Wie schnell neue Technologien das traditionelle Morden ablösen könnten, steht freilich in den Sternen. In den zahllosen gegenwärtigen Kriegen weltweit bleibt es oft beim Nahkampf, und der Ukrainekrieg erinnert erschreckend an die Grabenkämpfe des Ersten Weltkriegs.


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