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Die Vermessung des Menschen

Die Vermessung des Menschen

Wir sollen der Wissenschaft blind folgen — gerade dieser totalitäre, quasi-religiöse Anspruch ist jedoch zutiefst unwissenschaftlich.

Warum wir im letzten Spätherbst in eine weitere Welle schlitterten, war vielen in diesem Lande klar: Weil man nicht auf die Wissenschaft gehört habe. Hätte man dies getan, also strikt die AHA-Regeln auch über den Sommer angewandt, weiterhin Restaurants geschlossen gehalten, dann hätten wir Anfang November viel weniger positiv Getestete gezählt. Aber weil die Politik wissenschaftsresistent sei, konnte das ja nichts werden.

Das ist die Haltung jener, die sich als Aktivisten von No Covid oder Zero Covid zu erkennen geben. Sie behaupten im Namen der Wissenschaftlichkeit zu sprechen, sich ihr unterordnen zu wollen, weil nur das der Weg aus der Pandemie sei. Man dürfe dabei nicht zu viel hinterfragen, um die Moral nicht zu untergraben, und solle es den Fachleuten überlassen. Die Wissenschaft führt uns aus dem Jammertal, wenn wir ihr nur alle Kompetenzen überlassen.

Diese Haltung birgt einen totalitären Anspruch — und wenn sich der Gedanke etabliert, mündet er direkt im Ende des Menschseins, wie wir es kennen.

Es ist notwendiger denn je, über die Wissenschaft und ihre Arbeit zu sprechen.

Transhumanismus: Der Gott, der einst Mensch war

Wissenschaftler betätigen sich ja auf vielen Feldern. Im Silicon Valley basteln sie zum Beispiel an der Unsterblichkeit. Das ist zumindest das ganz große Ziel, das vielleicht nicht ganz realistisch ist, aber als Wegweiser dient: Der Mensch soll gesünder werden — und vor allem länger leben. Mancher Experte hält eine Lebenserwartung von zweihundert Jahren für realisierbar. Und dies innerhalb der nächsten fünf Jahrzehnte. Insbesondere die Nanotechnologie soll es richten.

Der israelische Schriftsteller Yuval Noah Harari hat seine „Geschichte von Morgen“ passenderweise mit „Homo Deus“ übertitelt. Für ihn sei das nämlich der nächste Schritt. Dem Homo Sapiens folgt der Homo Deus. Aus dem wissenden Menschen wird der vergöttlichte Mensch: Die nächste Stufe der Evolution geht über das Menschliche hinaus. Und dann ist nichts mehr so, wie wir wissenden Menschen es heute noch kennen.

Harari erklärt, dass sich „die neue menschliche Agenda“ aus dem Humanismus entwickelte. Einer ideengeschichtlichen Vorstellung, wonach der Mensch einen Wert an sich habe. Diese Idee kennen wir alle, wir sind mit ihr groß geworden. Der Transhumanismus allerdings, also jene Vorstellung, dass die menschliche Konditionierung oder menschliche Determinanten durch Technologie überwunden werden können, stellt den nächsten Schritt dar. Speziell der Tod, die prägende Erfahrung des irdischen Daseins über viele Jahrtausende, soll so aus der menschlichen Wahrnehmung getilgt werden.

Der Mensch erhebt sich damit zum Gott, macht sich schier unsterblich, unterzieht seinen von Natur aus anfälligen und als unzureichend gefühlten Körper medizinischer Überholungen. Er lässt seine Vitalwerte per Chip und App dauerüberwachen, sammelt Daten über sich selbst, bewertet seinen Zustand über dieses gesammelte Zahlenmaterial neu, wird auch Entscheidungen des täglichen Lebens von auf diese Weise entworfenen Algorithmen abhängig machen. Die Partnerwahl benötigt dann kein Bauchgefühl mehr, keine prickelnde Spannung, weil man ins Ungewisse springt: Sie lässt sich mathematisch fundiert treffen.

Der verwissenschaftlichte Mensch

Der israelische Historiker nennt das die „Datenreligion“. Die Welt zu einem Zahlensalat geraten zu lassen, in der jederzeit zu allem alles abrufbar ist: Das wird einen ordentlichen Teil der transhumanistischen Zukunft ausmachen. Denn der Körper bleibt ja anfällig und schwach, er braucht eine Grundlage, auf die er bauen kann. Und das ist die Auswertung, die Analyse, damit der Mensch gegen den Verfall ansteuern kann.

Dieser vergöttlichte Mensch ist zugleich nicht weniger als ein verwissenschaftlichter Mensch. Er ist beständig damit konfrontiert, sein Dasein auszuwerten und an Erhebungen auszurichten.

Seine Intuition, ein Selbstgefühl, das nicht auf Zahlen, sondern auf Eindrücken und Empfindungen basiert, wird dabei zunehmend überflüssig, kann ignoriert werden. Wieso mit fehleranfälligen Impressionen oder Stimmungen zu Entscheidungen gelangen, warum also spekulieren, wenn man gesammelte Zahlenreihen heranziehen kann?

Dass die menschliche Lebenswirklichkeit bereits jetzt eine zahlenbasierte Selbstreflexion erfährt, ist uns schon nicht mehr ganz fremd. Wir lassen per App Schritte zählen und uns den Puls messen. Diese Vorstellung der Durchüberwachung des eigenen Körpers wird wohl künftig einen großen Teil der menschlichen Realität ausmachen. Wir vermessen uns selbst und werden aus der Erhebung ableiten, wie wir zu leben haben. Spontanität wird dabei vermutlich ein Auslaufmodell werden. Denn warum ins Blaue schießen, wenn man Zahlen, die schwarz auf weiß stehen, „um Rat fragen“ kann?

Werden dann wieder Oberlehrer in die Gesellschaft hineinwirken, so wie zuletzt, um eine Lanze für die absolute Wissenschaft zu brechen? Werden sie all jene Zeitgenossen kritisieren, die doch noch auf ihren Bauch hören und nicht auf jene Fakten, die irgendwo in langen Zahlenreihen zu finden sind? Müssen wir dann wieder hören, dass es ratsam sei, der Wissenschaft zu folgen, weil sie die tatsächliche Wahrheit kenne? Und nicht etwa jener Einzelne, der auf sich hört, auf sein Gefühl, dieser wilden Spekulation, die auf eigenen Empfindungen gründet?

Alles Menschliche wird uns fremd

Der Transhumanismus gebiert viele Fragen, mit denen sich schon heute meistens Philosophen auseinandersetzen. Wie viel Mensch steckt eigentlich in einem Wesen, das dann zur Hälfte aus künstlichen Teilen besteht? Wie viel Menschlichkeit ist das noch, wenn man als körperlicher Erfüllungsgehilfe einer Datensammelwut fungiert? Und darf Wissenschaft das eigentlich, soll sie uns in eine solche potenzielle Zukunft führen dürfen? Ist sie eigentlich grundsätzlich immer auf der richtigen Seite, egal was sie macht?

Dass das so sein soll, könnte man in den letzten Monaten glauben. Da wurde viel über Wissenschaft geredet. Ganz besonders darüber, dass sie uns längst aus der Pandemie geführt hätte, wenn man sie nur entscheiden ließe, und zwar unverwässert von der Politik. Da kollidiert schon Anspruch und Wirklichkeit: Wissenschaft bewegt sich innerhalb mehrerer Entitäten, denn der menschliche Kosmos gebiert viele Spannungsfelder. Es gibt etwa gesellschaftliche Konventionen, soziale Kontaktnotwendigkeiten, ökonomische Grundlagen und menschliche Bedürfnisse nach Kunst und Kultur, die nicht hinter der Wissenschaft stehen. Auch sie müssen berücksichtigt werden.

Der Wissenschaftstotalitarismus blendet das alles aus. Er begründet mit Zahlenmaterial und zieht daraus Schlüsse. Welche Verwerfungen das für das Leben der Menschen mit sich bringt, fragt er nicht.

Das ist nämlich nicht sein Fachgebiet. Ihm ist alles Menschliche fremd. Im Hinblick auf den Transhumanismus, auf den wir uns zubewegen, ist diese Haltung Programm.

Er wird dem Menschen alles Menschliche fremd machen, eine neue Kreatur erschaffen und so traurige Götter in die Welt setzen, deren Lebensaufgabe es sein wird, sich selbst zu überwachen, um nicht zu verfallen, der Natur noch ein Jahrzehnt und noch ein Jahrzehnt Lebensspanne abzuluchsen.

Die Stimmen, die in der jetzigen Krise eine freie Entfaltung der Wissenschaft fordern, sind daher gefährliche Wegbereiter. Wissenschaft braucht Überwachung und kritisches Hinterfragen. Eben auch von Laien. Denn sie sind die Adressaten dessen, was Wissenschaft hervorbringt. Wollen wir so leben? Die Frage stellt sich in dieser Pandemie ebenso wie gemünzt auf das, was uns als Menschheit droht? Wir sollten diese Frage eben nicht der Wissenschaft überlassen. Tun wir es, wird sie Zahlen aufbereiten, die unterstreichen: Ja, wir sollten so leben. Solche Fragen beantwortet man aber mit Intuition: Auch wenn sie fehleranfällig sein mag. Ein Risiko einzugehen: Das ist menschlich.

Und sollte es bleiben.


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