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Ein Leben außer Atem

Ein Leben außer Atem

Die Geschichte der Schauspielerin Jean Seberg dokumentiert, wie eine mutige Künstlerin, die sich politisch einmischte, vom FBI vernichtet wurde.

Ich war vierzehn, als ich mich das erste Mal in ein Mädchen verliebte, dem ich nie begegnet war. „Coconut woman is calling out, everyday you can hear her shout …“ — die Älteren unter euch erinnern sich vielleicht: Harry Belafonte hatte sie auf seine unnachahmlich rauweiche Art besungen. Sie wuchs in meinem Herzen heran wie eine tropische Blume.

Das zweite nie gekannte Mädchen rührte ihn an, als er siebzehn war. Sie war ebenfalls Verkäuferin. Sie schlenderte die Avenue des Champs-Élysées entlang, hielt ein Zeitungsxemplar in die Luft und rief: „New York Harold Tribune! New York Harold Tribune!“ Ihre zarte Stimme ähnelte eher der eines Vogels im Frühling als einer Frau, die entschlossen war, Umsatz zu machen. Jean Seberg hieß das Mädchen, und ihr Bild trägt er noch heute in seiner Seele.

Das ging einer ganzen Generation so, wir alle hatten ja Jean-Luc Godards Meisterwerk „Außer Atem“ gesehen, das heute als Beginn der Nouvelle Vague gilt. Es war dieses filigrane Wesen, dieses fast durchsichtige Geschöpf, das dem Film einen besonderen Anstrich gab, ihn sozusagen in Goldpapier wickelte. Ganz nebenbei reüssierte auch noch ein großartiger Jean-Paul Belmondo vor der Kamera. Als er seiner Partnerin im Bett mit dem Daumen langsam über die Lippen fährt, seufz, — so etwas vergisst man nicht.

Die Amerikaner ertragen es nicht, wenn ein europäischer Film bei ihnen ein Erfolg zu werden droht. Bevor das passieren kann, drehen sie lieber ein Remake. In diesem Fall hieß der Film „Atemlos“, in den Hauptrollen Richard Gere und Valérie Kaprisky. Auch nicht schlecht, aber es fehlte die Würzmischung des Originals, die durch Jean Seberg zustande kam. Dass die New York Harold Tribune, für die sie in dem Film auf die Straße ging, nur zehn Jahre danach an der perfiden Rufmordkampagne gegen sie beteiligt war, ist ein besonders makabrer Aspekt in der tragischen Biografie dieser mutigen Frau.

Zehn Jahre später nämlich kam es auf einem Friedhof in Los Angeles zu einer Szene, wie sie sich ein Drehbuchautor gespenstischer nicht hätte ausdenken können. Vor einem geöffneten Kindersarg drängelten sich hundertfünfzig Fotografengeier, um ein totes Baby abzulichten, das nur zwei Tage gelebt hatte, vom 23. bis 25. August 1970. Der Name des Winzlings: Nina Hart Gary, Tochter der US-amerikanischen Schauspielerin Jean Seberg. Was war der Grund für diesen absurden Auflauf? Ganz einfach: Die Öffentlichkeit sollte und wollte erfahren, ob die Kleine tatsächlich von schwarzer Hautfarbe war.

Die Zeitschrift Newsweek und zahlreiche andere Mainstreammedien im Land hatten monatelang von der Schwangerschaft berichtet und auch den mutmaßlichen Vater genannt: Hakim Jamal, Black-Panther-Aktivist. Das Gerücht über Jamals angebliche Vaterschaft war vom Federal Bureau of Investigation (FBI) gestreut und von der Presse nur allzu gerne kolportiert worden. Im FBI sind sowohl die Strafverfolgungsbehörde als auch der Inlandsgeheimdienst der US-Bundesregierung zusammengefasst. Erst an dem Tag, als ein Blitzlichtgewitter auf das tote Baby niederprasselte, wurde klar, wie übel das FBI der Schauspielerin mitgespielt hatte: Das Baby war weiß!

Die Geschichte lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Jean Sebergs Engagement für die schwarze Bürgerrechtsbewegung machte sie zum Ziel des FBI und führte letztlich zu einer medialen Vernichtungskampagne, die sie das Leben kostete.

Die „Akte Seberg“ umfasst Hunderte von Seiten. Ziel der groß angelegten Überwachungsaktion war die „Neutralisierung“ der Schauspielerin, wie es intern hieß. Jede Seite der Seberg-Akte ist voller illegal erworbener Einblicke in das Leben, die Psyche und das Bett des Hollywood-Stars. Die Akte zeichnet ihre Tagesabläufe nach und listet ihre Aufenthaltsorte auf, ist voller mitgeschnittener Telefonate und heimlich geschossener Fotos. Interne Memos der Ermittlungsbehörde bestätigen, dass Jean Seberg wegen ihrer Einstellung gegen Rassismus und für die Black Panther Party, die sie mit großzügigen Spenden bedacht hatte, ins Fadenkreuz des FBI geraten war.

„Ich fühle mich wirklich verpflichtet, die Stimme und die Plattform zu gebrauchen, die mir mein Ruhm gewährt hat, um mich für diejenigen einzusetzen, deren Stimmen keine Chance haben, gehört zu werden“ (Jean Seberg).

Jean Seberg ist erst siebzehn Jahre alt, als sie in einer Talentshow entdeckt wird und das ländliche Iowa verlässt, um ihr Glück in Hollywood zu versuchen. Tatsächlich wird einer der großen Regisseure auf sie aufmerksam: Otto Preminger. Er macht die junge Sean in dem Film „Saint Joan“ zu seiner Jeanne d’Arc. Damals wird in Hollywood noch weitgehend auf künstlich erzeugte „Special Effects“ verzichtet. So zündet man den Scheiterhaufen, auf dem Jeanne d’Arc verbrannt wird, tatsächlich an. Das Feuer gerät außer Kontrolle und fügt der Schauspielerin starke Verbrennungen zu. Ein traumatischer Moment, den Preminger gutzumachen versucht, indem er Jean Seberg kurz darauf in der Verfilmung von Françoise Sagans Bestseller „Bonjour Tristesse“ besetzt.

Nach dem Dreh verlässt die Schauspielerin in Begleitung ihres ersten Mannes, einem französischen Anwalt, die USA. In Frankreich dreht sie den Film, der sie weltberühmt machen sollte: „A bout de souffle“ (Außer Atem). Die folgenden zehn Jahre arbeitet sie ausschließlich in Frankreich und avanciert zum Gesicht des französischen Kinos.

Schließlich jedoch versucht sie einen Neustart in Hollywood. Sie kommt mit ihrer europäisch-intellektuellen Weltanschauung nach L. A. und gerät mitten hinein in die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung. Das FBI wird schnell auf sie aufmerksam — was nicht verwundert, denn Jean Seberg nutzt ihre Popularität, um in zahlreichen Interviews für die Ziele der Black Panther Party zu werben. Ihr Ruf und ihr Einfluss mussten, so besagen später gefundene FBI-Akten, gründlich zerstört werden. Als Jean Seberg davon erfährt, dass auch die Familie von Hakim Jamal bedroht wird, gewährt sie ihr in ihrem kalifornischen Haus Unterschlupf. Das bringt das Fass zum Überlaufen. Die Vernichtungstragödie der Jean Seberg nimmt Fahrt auf.

Das FBI weiß längst von ihren Liebschaften mit dem Black-Panther-Aktivisten. Im Frühling 1970 erwartet Jean ein Kind. Ihre Schwangerschaft bietet die Chance zu einem letzten, unerbittlichen Schlag. In einer direkt an FBI-Chef Hoover gerichteten Anfrage heißt es: „Es wird um Erlaubnis gebeten, die Schwangerschaft der bekannten Filmschauspielerin publik zu machen.“ Man will das Gerücht streuen, dass der Vater des ungeborenen Kindes der Black-Panther-Aktivist Hakim Jamal sei. „Wir glauben, dass eine Veröffentlichung dieses Gerüchts dazu führen könnte, sie bloßzustellen und ihr Image in der Öffentlichkeit zu entwerten“, heißt es in der Anfrage weiter. Hoover erteilt die Erlaubnis — mit der Anweisung, so lange zu warten, bis der gewölbte Bauch der Schauspielerin zu sehen ist.

Die Falschinformation wird Klatschblättern in Hollywood gesteckt. Sie erscheint auch in der Klatschspalte der Los Angeles Times, von wo sie ihren Weg in die Zeitungen quer durch die USA findet.

Die Hetzjagd hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Der ehemalige Filmstar ist inzwischen eine gebrochene Frau, alkoholabhängig und tablettensüchtig. Im Spätherbst 1979 verschwindet Jean Seberg aus ihrer Pariser Wohnung; niemand weiß, wo sie sich aufhält.

Nach zehn Tagen wird sie tot in einem geparkten Auto gefunden, in der Hand einen kurzen Abschiedsbrief. Nur Tage später stellen ihre Anwälte einen Antrag auf die Herausgabe der „Akte Seberg“, dem das FBI nachkommen muss. Die gezielte Zerstörung der Jean Seberg liegt nun für alle sichtbar offen aus.

Im Jahre 2019 erschien ein Film, der ihre tragische Geschichte sehr gut erzählt. Titel: „Jean Seberg — Against All Enemies“, mit einer großartigen Kristen Stewart in der Hauptrolle. Hier der Trailer.


Redaktionelle Anmerkung: In seinem Buch „HEROES“, an dem Dirk C. Fleck gerade arbeitet und in dem er 50 Persönlichkeiten aus den letzten 150 Jahren ein Andenken setzen möchte, ist Jean Seberg ebenfalls vertreten. Seine Heroes sind Menschen, die sich dem zu allen Zeiten galoppierenden Wahnsinn unter hohen Risiken entzogen oder widersetzt haben; Menschen, die Auswege aufgezeigt haben, hin zu einer Gesellschaft, deren Zusammenhalt durch Toleranz und Verständnis geprägt ist. Wobei er darauf achten wird, nicht ins oberste Regal zu greifen, wo die prominenten Namen lagern. Er möchte auf jene Helden aufmerksam machen, deren Geschichte nicht schon überall breitgetreten wurde.


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