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Existieren ist Widerstand

Existieren ist Widerstand

Menschen in Kuba erleiden viele Widersprüche — einer davon ist, dass sie in einer Revolution leben, sich aber nichts ändern darf.

„‚Sozialismus oder Tod‘ ist kein Slogan,
es sind die Optionen, die man dir gibt ...“

(El B, Viva Cuba Libre).

Ich war elf Jahre alt, als ich zum ersten Mal eine unterdrückte Demonstration in Kuba sah. Jeden Sonntag konnte ich vom Balkon meines Hauses aus die „Damas de Blanco“ (auf Deutsch: „Damen in Weiß“) sehen, die von der katholischen Kirche in meinem Viertel aus losmarschierten und bis zur Ecke meines Hauses liefen — eine Strecke von zweihundert Metern.

Damals wurde viel über sie gesagt: dass sie Terroristinnen seien, dass sie Söldnerinnen seien, dass sie dafür bezahlt würden, eine instabile Lage im Land vorzutäuschen, dass sie Kinder entführten.

Tatsächlich handelt es sich bei den „Damas de Blanco“ um eine friedliche Oppositionsgruppe, bestehend aus Frauen, deren Söhne, Ehemänner, Väter oder Brüder aus politischen Gründen in kubanischen Gefängnissen einsitzen.

Mehrere Jahre lang besuchten diese Frauen jede Woche in weißen Kleidern die katholische Messe und begannen anschließend ihren Pilgerweg. Sie sagten nichts; ihre Kleidung und ihre stoische Haltung waren ihre Waffen.

Die Polizei, in der Regel weibliche Beamte, wurde in der Nähe der Demonstration eingesetzt. Eine Gruppe vermeintlicher Zivilisten, die sich angeblich empörten, konfrontierte die Frauen und beschimpfte sie mit allen möglichen Beleidigungen — von frauenfeindlichen und machohaften Äußerungen bis hin zu „Gusanas“ (auf Deutsch: „Würmer“) und „Vendepatrias“ (auf Deutsch: „Vaterlandsverräterinnen“), Bezeichnungen, die Fidel Castro und die kubanische Regierung jedem gaben, der auch nur im Geringsten anderer Meinung war.

Als die „Volkshorde“ auf die „Damas de Blanco“ reagierte, handelte die Polizei „zugunsten“ von ihnen. Sie schritt ein und „beschützte“ sie. Oft wurden die Frauen in Busse verladen, und man hörte nie wieder etwas von ihnen.

Es ist anzumerken, dass diese Zivilisten in den meisten Fällen Mitglieder der repressiven Organe der kubanischen Diktatur waren: der Nationalpolizei, des Innenministeriums, des Ministeriums für Staatssicherheit, der Streitkräfte oder des Militärgeheimdienstes.

Wenn die Damen hingegen Plakate hochhielten, reagierte die Polizei anders. Mit elf Jahren wurde ich Zeugin einer willkürlichen Festnahme, weil eine Frau die Freilassung politischer Gefangener forderte.

Ich erinnere mich nicht daran, dass sie geschlagen wurde. Ich erinnere mich aber daran, dass sie in einen Polizeiwagen gesetzt wurde. Ich verstand das nicht, glaubte aber, dass sie es verdient hatte. Denn das hatte man uns so beigebracht.

In Kuba geboren und aufgewachsen zu sein, bringt viele Widersprüche mit sich. Einer davon, vielleicht der größte, ist, dass wir in einer Revolution leben, sich aber nichts ändern darf und wir nichts kritisieren dürfen — außer dem, was gegen diese Revolution ist.

Von Kindesbeinen an werden wir in der Schule nicht nur akademisch bewertet, sondern auch nach etwas, das als „erzieherische Komponente“ bezeichnet wird: einer qualitativen Charakterisierung, bei der Anwesenheit und Pünktlichkeit, Disziplin, die Pflege der Schuluniform und der Bücher, der Respekt vor den nationalen Symbolen, die Teilnahme an von der Institution organisierten Aktivitäten und die Einstellung zu Fehlverhalten beurteilt werden. Das gilt von der Grundschule bis zur Universität, und dieser Faktor kann sogar den Zugang zu Studiengängen oder Arbeitsplätzen beeinflussen.

Seit unserer Kindheit sind wir daran gewöhnt, dass Versammlungen abgehalten werden, in denen wir aufgefordert werden zu melden, was unsere Mitschüler tun, was sie sagen und was sie unterlassen. Von Kindheit an wird uns auch gesagt, dass alles, was gegen die „Revolution“ verstößt, gegen uns und unsere Zukunft gerichtet ist und daher bekämpft werden muss. Wenn deine Lehrerin etwas falsch macht, wenn du etwas hinterfragst, das in deinem Land nicht funktioniert, sagen dir alle Erwachsenen, du sollst leise sprechen, du darfst dich nicht äußern, du darfst nicht einmal schlecht über das denken, was ihrer Meinung nach gut funktioniert.

Das heißt, dass wir, die wir nach 1959 in Kuba geboren wurden, in einer Art Panoptikum, einem Big Brother, gelebt haben. Nicht einmal in deinen eigenen vier Wänden kannst du widersprechen, denn, und das ist ein sehr kubanischer Ausdruck, auch wenn er wie eine schlechte Entsprechung aus einem Buch von George Orwell klingt, „es gibt immer ein Auge, das dich sieht“, es besteht immer die Gefahr, gehört, überwacht und gedemütigt zu werden.

In Kuba beginnt die Unterdrückung im Bewusstsein.

Das wurde mir klar, als ich mich mit 15 Jahren zum ersten Mal mit Faschismus beschäftigte. Der Personenkult, der Autoritarismus, die Militarisierung, der Totalitarismus, die Kontrolle der Produktions- und Kommunikationsmittel, die Machtkonzentration in den Händen eines einzigen Führers oder einer Gruppe von Personen sowie die Nulltoleranz gegenüber Pluralismus — all das war mir vertraut, all das hatte ich erlebt.

Ich kam nach Hause und erzählte meinen Eltern, dass ich glaubte, in einer autokratischen Regierung, in einer Diktatur zu leben. Sie leugneten es nicht; sie baten mich nur, leise zu sprechen und solche Dinge nicht „in der Öffentlichkeit“ zu sagen. Es ist nicht leicht, mit 15 Jahren zu entdecken, dass alles, was man über sein Land und seine Gesellschaft gelernt hat, eine Lüge ist.

Also begann ich, andere Dinge zu studieren. Mit der Offline-Version von Wikipedia und dem damals noch sehr spärlichen Internet erfuhr ich von der Existenz der UMAP („Unidades Militares de Ayuda a la Producción“, auf Deutsch: „Militärische Einheiten zur Produktionsunterstützung“) und von den „Volksreaktionen“ auf die Demonstrationen von 1980 und 1994.

Die UMAP waren Zwangsarbeitslager, die zwischen 1965 und 1968 auf der Insel eingerichtet wurden und in denen Tausende von Männern interniert wurden, wenn sie nicht zum Wehrdienst zugelassen waren oder sich weigerten, diesen zu leisten. Hier wurden Oppositionelle, Homosexuelle, Geistliche, Bourgeois und Künstler inhaftiert. Viele starben, andere begingen Selbstmord, und eine große Gruppe trug lebenslange Verletzungen davon.

Sowohl 1980 als auch 1994 kam es zu großen Protesten, die in Kuba beispiellos waren. Beide endeten mit einer Auswanderungswelle von Kubanern in die Vereinigten Staaten, von denen viele allein aufgrund der Folgen ihrer Dissidenz zur Auswanderung gezwungen waren.

Die Reaktion der Regierung auf beide Proteste war dieselbe: große Aufmärsche zur Unterstützung der Revolution, bei denen jene Kubaner, die einfach nur aus Kuba ausreisen wollten, weil sie es leid waren zu kämpfen, als Abschaum, Würmer und Verräter beschimpft wurden.

1980 stürmte eine Gruppe von Personen mit einem Bus die peruanische Botschaft in Kuba. Sie forderten politisches Asyl.

Kuba lebte noch immer unter der Gunst der Sowjetunion. Dissidenten oder Menschen, die einfach nur das Land verlassen wollten, um ihre in anderen Ländern lebenden Familienangehörigen wiederzusehen, wurden mit Eiern beworfen.

Die Fluchtkrise der „Balseros“ im Jahr 1994 war ein beispielloser Höhepunkt. „Balsa“ bedeutet „Floß“, und Balseros bezeichnet die Kubaner, die versuchen, von Kuba aus die Floridastraße zu überqueren und die Küsten der Vereinigten Staaten zu erreichen.

Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers war Kuba, das vollständig von der UdSSR abhängig gewesen war, allein und am Boden. Ohne Treibstoff, ohne Lebensmittel und ohne Hygieneartikel begann für die Kubaner das, was als „Sonderperiode in Friedenszeiten“ bezeichnet wurde. Die Stromausfälle dauerten tagelang, es gab keine Verkehrsmittel, der Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten war prekär, Krankheiten aufgrund von Unterernährung nahmen zu, ebenso wie psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen.

Kuba war eine Zombie-Insel ohne Ausweg. Auswandern bedeutete Rettung. Aus diesem Grund ging 1994 in Havanna eine Gruppe von Kubanern auf die Straße, um gegen ihre Lebensrealität zu protestieren und ihre Ausreise zu fordern.

Denn auch die Ausreise war illegal. Kubanern war es verboten, das Land legal zu verlassen, und sie stachen mit selbstgebauten, einfachen Booten in See. Wenn sie von der Polizei gefasst wurden, drohte ihnen eine Gefängnisstrafe.

Die Menschen hatten genug, gingen auf die Straße, besetzten die Uferpromenade von Havanna — viele mit ihren Flößen im Schlepptau. Die Polizei reagierte mit brutaler Gewalt. Auch von Seiten der Demonstranten kam es zu Gewalt, jedoch unter ungleichen Bedingungen und in geringerem Ausmaß.

In den Schulen wird dies nicht gelehrt. Auf den Straßen wird darüber nicht gesprochen. Erinnerung ist eine zu mächtige Waffe, und deshalb wird sie in Kuba ausgelöscht. Um in Kuba als Oppositioneller zu gelten, reicht es manchmal schon aus, selbst zu denken, sich zu erinnern oder eine verbotene Schallplatte anzuhören.

Das ist meinem Vater passiert. Er hat seine Meinung nie verheimlicht. Er hörte die Beatles, obwohl Castro sie als Importeure feindlicher Ideologien betrachtete. Er hörte Radio Martí, einen kubanischen Sender mit Sitz in den Vereinigten Staaten, der verbotene Nachrichten aus Kuba sendete. Er hörte Willy Chirino, einen Musiker, der in Kuba wegen seiner offenen Opposition gegen die Diktatur zensiert wurde. Und das wusste jeder.

Deshalb drangen sie eines Tages in sein Haus ein, nahmen ihm seine Kassetten weg und luden ihn zu einem Gespräch mit der Staatssicherheit vor. Mein Vater, ein Bauingenieur, der (illegal) Käse verkaufte, um die Krise zu bewältigen, hatte sich Tage zuvor in eine Liste eingetragen, die angeblich an das Büro für US-Interessen in Kuba geschickt werden sollte, um denjenigen, die das Land verlassen wollten, die Ausreise zu erleichtern. Von der Liste hat man nie wieder etwas gehört. Es war eine Falle.

Der Beamte, der ihn bediente, sagte zu meinem Vater zwei Sätze, mit denen ich aufgewachsen bin: „Deine Freunde, die auch meine Freunde sind, haben mir alles erzählt“ und „Du verlässt das Land, wenn ich es will“.

Ich wuchs auf, ohne zu verstehen, wie man deinen Körper, deinen engen Kreis, dein Leben kontrollieren konnte, und erlebte es am eigenen Leib, als ich mit 18 Jahren zum ersten Mal versuchte, zu widersprechen.

Im Jahr 2019 wurde in Kuba ein Referendum über einen Entwurf zur Verfassungsreform abgehalten. Obwohl dieser die gleichgeschlechtliche Ehe vorsah, schränkte er die politischen und sozialen Freiheiten ein und erklärte stillschweigend, dass das auf der Insel herrschende System unumstößlich sei.

In den Diskussionen über den Entwurf, die in Stadtvierteln, Arbeitsstätten und Schulen stattfanden, debattierten die Menschen darüber, ob gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen oder nicht. Meiner Meinung nach ist dies ein Recht, über das nicht in einer Volksabstimmung entschieden werden sollte.

Die gleichgeschlechtliche Ehe war ein Ablenkungsmanöver, um von dem Wichtigsten abzulenken, nämlich der Verankerung von Unterdrückung und Zensur im obersten Gesetz des Landes.

Ich habe mich in meiner Schule und in meinem Viertel dazu geäußert und meine Meinungsfreiheit in meinen sozialen Netzwerken ausgeübt — bis ich bedroht wurde. Ich war in meinem letzten Jahr vor dem Studium, hatte eine Karriere als Journalistin vor mir und wurde von meiner Schule freundlich darauf hingewiesen, dass ich diese verlieren könnte, wenn ich mich weiterhin so äußern würde.

Ich habe gegen die Verfassung gestimmt. Und ich wage zu behaupten, dass 99 Prozent meiner Bekannten das Gleiche getan haben. Dennoch wurde sie angenommen.

Ebenfalls 2019 habe ich zum ersten Mal über soziale Netzwerke miterlebt, wie es zu Protesten auf der Insel kam. Cenesex hatte den traditionellen Marsch der LGBTIQ+-Community abgesagt, der normalerweise im Mai, am Tag des Kampfes gegen Homophobie, stattfindet. Doch die Community ging davon aus, dass der Marsch ihnen gehörte und nicht einer Institution, und ging dennoch auf die Straße, um ihren Stolz zu zeigen.

Sie wurden unterdrückt, geschlagen, verhaftet und weggebracht, weil dieser Marsch illegal war. In Kuba ist fast alles illegal.

Dank der sozialen Netzwerke erfuhr ich auch von der Existenz der Bewegung „Movimiento San Isidro“ (MSI), angeführt vom Künstler Luis Manuel Otero Alcántara, der derzeit als politischer Gefangener inhaftiert ist.

Die MSI führte eine sehr intensive Kampagne gegen das Gesetzesdekret 349 durch, das ein Instrument der Zensur und staatlichen Kontrolle über Kunst und Künstler darstellt.

Im November 2020 protestierte die MSI auch gegen die Inhaftierung von Denis Solís, einem offen oppositionellen Rapper. Der Protest bestand darin, sich im Haus von Alcántara zu verschanzen und in einen Hungerstreik zu treten, bis der Rapper freigelassen würde.

In dieser Nacht fiel das Internet auf der ganzen Insel für mehrere Stunden aus. Während wir versuchten, eine Verbindung herzustellen, drangen die Sicherheitskräfte in den Sitz der MSI ein, um den Streik zu beenden und alle Demonstranten festzunehmen.

Am nächsten Tag, dem 27. November 2020, versammelten sich Hunderte von bildenden Künstlern, Musikern, Filmemachern, Schriftstellern und Bürgern vor dem Kulturministerium, um Freiheit, ein Ende der Zensur, der Unterdrückung und der Verfolgung zu fordern. Sie protestierten im Sitzen und sangen die Nationalhymne und Lieder der Nueva Trova Cubana, die traditionelle Elemente kubanischer Volksmusik mit anderen Musikrichtungen kombiniert und stark durch ihre politischen und poetischen Texte geprägt ist.

Es gab auch eine Reaktion der Polizei: Busse, um die Festgenommenen abzutransportieren, und Tränengas in der Umgebung, um weitere Demonstranten fernzuhalten. Innerhalb des Ministeriums wurde ein Raum für den Dialog mit einigen Demonstranten geschaffen, die von den Versammelten ausgewählt worden waren.

Die Demonstranten sprachen. Die Beamten hörten zu. Es wurde gesagt, dass man an den dort vorgebrachten Punkten arbeiten werde. Es ist nie etwas passiert. Ich stelle mir den 27. November gerne als unseren Prager Frühling vor. Auch wir wurden getäuscht.

Das Jahr 2020 ging zu Ende, die Gesundheitskrise verschärfte sich aufgrund der COVID-19-Pandemie, aber auch die wirtschaftliche und soziale Krise. Wir Kubaner mussten mit dem Verlust von Familienangehörigen fertigwerden und auch auf die Straße gehen, um buchstäblich mit anderen Kubanern um Lebensmittel und Hygieneartikel zu kämpfen. Es gab auch keine Medikamente.

Außerdem begannen die Stromausfälle, die bis heute andauern. Zunächst waren es sechs Stunden Stromausfall pro Tag.

Langeweile, Verzweiflung, Wut, Hunger und Angst veranlassten die Kubaner auf der ganzen Insel, auf die Straße zu gehen. Es war Sonntag, der 11. Juli 2021. Mittags gingen in San Antonio de los Baños, einer Gemeinde in der Provinz Artemisa im Westen des Landes, mehrere Menschen auf die Straße. Sie übertrugen live auf Facebook. Es kam zu einem Dominoeffekt im ganzen Land. In allen Städten gingen die Menschen auf die Straße.

Sie forderten Strom, Lebensmittel, Heimat, Leben und Freiheit. Sie sangen die Nationalhymne. Freunde umarmten sich. Sie riefen, dass das vereinte Volk niemals besiegt werden werde: „El pueblo unido jamás será vencido.“

Die Regierung sperrte das Internet und gegen vier Uhr nachmittags erschien der von der Kommunistischen Partei ernannte Präsident Miguel Díaz-Canel im nationalen Fernsehen und sagte: „Der Befehl zum Kampf ist erteilt, Revolutionäre auf die Straße!“

Polizisten tauchten aus dem Nichts auf, gekleidet wie Power Rangers, bewaffnet. Andere waren in Zivil. Wieder andere hatten Stöcke und Steine dabei. Es gab Verletzte. Es gab mindestens einen Toten. Es gibt immer noch Tausende von politischen Gefangenen.

Auch nach 2021 wurde weiter protestiert. Mütter und Studenten haben demonstriert. In den kleineren Dörfern, wo die Lebensbedingungen schlechter sind, fordern die Menschen von Zeit zu Zeit ein Leben in Würde. Alle enden gleich: mit Verhaftungen, gegen die ungerechtfertigte Anklagen erhoben werden, mit Drohungen und mit Überwachung.

Alle Proteste haben einen gemeinsamen Nenner: Die Regierung behauptet, dass diejenigen, die anderer Meinung sind, von den Vereinigten Staaten und der Central Intelligence Agency (CIA) „finanziert“ werden.

Aber in Kuba bedeutet allein zu existieren schon, Dissident zu sein. Zu überleben bedeutet, Dissident zu sein. Zu denken, zu sprechen, zu singen, zu versuchen, glücklich zu sein oder sich über sie zu ärgern — all das sind Akte des Widerstands gegen ein Monster, das dich überwacht und kontrolliert.

„Wenn Albträume jeden Tag kommen, hören die Menschen auf, zu reagieren. Es ist der Triumph der Apathie und Gleichgültigkeit“, schreibt Nadya Tolokonnikova in „Pussy Riot! Ein Punk-Gebet für Freiheit“ (1). Und ja: In Kuba haben wir den Horror normalisiert, bis zu dem Punkt, dass wir ihn als alltäglich akzeptieren. Wir haben auch akzeptiert, dass Protestieren nur Probleme mit sich bringt.

Von Kindheit an werden wir darauf trainiert, denen entgegenzutreten, die anders denken, die nicht mit den „revolutionären Werten“ übereinstimmen. Wenn wir erwachsen werden, entdecken wir, dass die einzigen Konterrevolutionäre diejenigen sind, die uns regieren, die uns Gewalt antun und uns gegeneinander aufbringen.

Die Heimat ist unendlich, und sie ist dort, wo ein Kubaner ist. Sie können uns das Licht, die Nahrung, die Träume, die Musik nehmen. Sie können uns schlagen und in eine Zelle sperren. Aber sie werden uns Kuba nicht nehmen. Liebe lässt sich nicht ins Exil schicken oder in ein Gefängnis sperren.

Sie möchten, dass wir alle gehen und ihnen die Insel überlassen, dass wir schweigen und für die Krümel dankbar sind. Deshalb ist es der größte Akt des Widerstands, in Kuba zu leben. Sie zu überleben, ist der größte Akt des Widerstands.

Während ich dies schreibe, stirbt zwei Kilometer von mir entfernt Yosvany Rosell García, 37 Jahre alt, Vater von drei Kindern, herzkrank und politischer Gefangener, weil er am 11. Juli 2021 für Freiheit demonstriert hat. Er befand sich seit 40 Tagen im Hungerstreik, weil er mit seiner Verurteilung nicht einverstanden ist: 15 Jahre wegen Aufruhrs.

Er ist nicht der erste politische Gefangene, der in den Hungerstreik tritt. Leider wird er auch nicht der letzte sein.

Deshalb müssen wir lesen und uns erinnern. Die Erinnerung ist unerlässlich, nicht um aus Groll zu leben, sondern um zu wissen, dass wir nicht die Ersten sind, dass wir uns für diejenigen befreien müssen, die vor uns da waren, dass Angst berechtigt ist, uns aber nicht besiegen darf. Sie dürfen nicht siegen.

Denn das ist ihre größte Angst: dass wir weiterhin hier sind, dass wir erwachen ...


Redaktionelle Anmerkung: Diesen Text schrieb die kubanische Autorin exklusiv für Manova. Er wurde von Elisa Gratias übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Anmerkung der Übersetzerin: Ich habe das deutsche Buch „Pussy Riot! Ein Punk-Gebet für Freiheit“ nicht zur Hand und kann das Zitat nicht entsprechend dem tatsächlichen Wortlaut der deutschen Version im Buch wiedergeben. Sollte ein Leser das Buch zur Hand haben und das Zitat finden, schicken Sie es gern an redaktion@manova.news und wir tragen es nach.

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