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Hinter der Wasserwand

Hinter der Wasserwand

Wasserfälle können helfen, quälenden Gedanken und dieser schnöden Welt zu entfliehen.

Im höchsten Sommer flüchte ich gerne vor der Welt. Allerdings steige ich nicht in kerosinschluckende und manchmal auch -spuckende Blechkisten, um mich in Gegenden verfrachten zu lassen, die ich nicht kenne und von denen ich daher auch nicht weiß, was ich dort sollte. Ich setze mich auch nicht in kleinere Blechkisten, um auf stinkenden, absolut lebensfeindlichen Autobahnen herumzustocken und zu -stauen, auf denen vom motorisierten Wahnsinn eine derartige Hitze herrscht, dass man klimawandlerische Temperaturstichproben am liebsten in ihrer unmittelbaren Umgebung durchführt, wenn man sich nicht gleich auf die Piste klebt, um noch mehr Stock und Stau hervorzurufen und damit das Wetter zu retten.

Nein, aus irgendeinem Grund — wahrscheinlich einer angeborenen Verstocktheit — sehe ich einfach nicht ein, was daran erstrebenswert sein soll, und ich habe auf meinen früher doch recht zahlreichen Reisen auch nie einen Ort gefunden, wo es mir besser gefällt als hier. Klar: Sonst wäre ich dortgeblieben. Also bleibe ich hier und flüchte. Dazu schlüpfe ich unter einen Wasserfall — ich verrate nicht, welchen, sonst wird’s zu voll; es gibt ja genug —, lasse mich da hinten drin beregnen, benebeln, beschäumen, bespritzen und berauschen, tippe neugierigen Fischen zärtlich an die Flosse, was sie mit einem fast hörbaren „brrrr!“ quittieren, und warte, bis die Welt verschwindet.

Das geht recht schnell, und das liegt an der schieren Wucht und konkreten Unmittelbarkeit dessen, was da um mich herum geschieht: Es regnet, nebelt, schäumt, spritzt und rauscht mit einer derart dröhnenden, ekstatischen, freudigen Wucht und einer stoischen, gleichgültigen Unaufhaltsamkeit, dass man sich dem einfach nicht entziehen kann. Es gibt auch keinen Knopf zum Ausschalten, keinen Regler zum Runterdimmen, keine App zum Ablenken. Es — das Wasser, das da herabdonnert — ist da, und das ist eine der schönsten Tatsachen, die man in diesem Leben erleben und begreifen kann.

Es liegt aber auch an der Billigkeit und Lächerlichkeit der sogenannten Welt, die einem dort draußen, vor der Wasserwand, als solche verkauft oder sagen wir: angedreht werden soll. Die schafft es da nicht hindurch und hinein. Es wäscht sie weg.

Und so gelingt es mir, für Minuten, die zu Ewigkeiten werden, nichts mehr davon zu wissen. Kein Gedanke mehr an sogenannte Bundeskanzler, die sich auf Lastwagenladeflächen stellen, um friedliche Kriegsverweigerer, die sie möglicherweise gewählt haben und die sie aber jedenfalls zu ihrem Besten regieren sollten, in einem derangierten, pseudoreligiösen Hassvokabular zu beschimpfen, als versuchten sie sich in die legendären Zerrbilder iranischer Prediger aus der Bildzeitung der Achtzigerjahre zu verwandeln oder diese Zerrbilder gar noch parodierend zu übertrumpfen. Kein Gedanke an geistesverwandte Fanatiker, deren Gebrüll von „Blinddärmen der Gesellschaft“ (Bosetti), „asozialen Trittbrettfahrern“ (Hirschhausen), „Pestratten“ (Böhmermann), „ungeimpften Diktatoren“ (Montgomery) et cetera. Nicht mal ein Gedanke an Franz Josef Strauß, der einst die Falschen — nämlich nicht sich selber und die Seinenseinen — bezichtigte, als er donnernd tönte: „Wer die Menschen verwirrt, wer sie ohne Grund in Unsicherheit, Aufregung und Furcht versetzt, betreibt das Werk des Teufels!“

Kein Gedanke an deutsche Außenenten, die angesichts einer von ihnen mitbetriebenen Blut- und Knochenmühle in der Ostprovinz des Reichs, die Hunderttausende Ukrainer und Russen verschlingt, mit stählernem Polit-Blablubb die schlimmsten Kriegsverbrechen gutheißen und dafür eigentlich — laut eigens geändertem Volksverhetzungsparagrafen 130 Strafgesetzbuch (StGB) — für Jahre hinter Gittern verschwinden müssten.

Kein Gedanke an einen weltanschaulich getrimmten, durch und durch korrupten und verblödeten Justizapparat, der genau das verhindert und stattdessen lieber gutherzige, kinder- und menschenfreundliche Ärzte, Familienrichter und andere arme Schlucker einsperren lässt, weil sie gegen Führerbefehle aufgemuckt und ihr moralisches Gewissen nicht in der Karrierepfeife zu Asche zerraucht haben.

Kein Gedanke an den höchsten Repräsentanten der deutschen Bevölkerung, der mit eisern geblecktem Haifischmaul — wahrscheinlich eine Parodie der viel beschworenen „Mündigkeit“ — seinen Untertanen einbleut, wenn sie bei den sogenannten Wahlen die falschen Parteilisten ankreuzen, sei das ein Verbrechen, der Schuldspruch unwiderruflich gefällt und eine Berufung — nein, ein „Herausreden“ — auf mildernde Umstände absolut ausgeschlossen, das Strafmaß folglich das höchste Denkbare (Ausschluß aus dem Volkskörper der „Demokraten“, Acht und Bann, Sturz in die Hölle der gefallenen Engel und ewige Verdammnis) und das Grundgesetz, das solche hasspredigerischen Hetztiraden eines sogenannten Bundespräsidenten untersagt, sowieso bloß ein blöder Haufen Papier, den man jederzeit unter Berufung auf eine Erkältungskrankheit auf den Müllhaufen der Geschichte werfen könne.

Kein Gedanke an selbst ernannte europäische Führerinnen, deren Gehirnvolumen trotz frisürlicher Aufschäumung nur die im Normalfall unwesentlichen Bereiche Korruption, Gier und kriminellen Eifer umfasst und denen man, um ihnen ein geglücktes Leben in sozialen Strukturen zu ermöglichen, erst einmal beibringen müsste, was das Wort „Mensch“ über die Kategorie „Material“ hinaus bedeutet und dass Ehrlichkeit und Anstand keine Dörfer im niedersächsischen Hinterland sind.

Kein Gedanke an das Ausmaß der verbrecherischen Umtriebe, die nötig sind, um derartige humanoide Massenvernichtungswaffen wie diese und die vorgenannten in den Ämtern, die sie besetzen, zu installieren und gegen den Widerstand — oder sagen wir: leider die Gleichgültigkeit — ihrer Millionen Opfer dort zu halten.

Kein Gedanke an eine un- bis antimenschliche Weltuntergangssektenreligion, die sich mittels massenpsychologischer und -hypnotischer Umtriebe das Etikett der ursprünglich aufklärerisch gemeinten und aus dem Elend der selbst verschuldeten Sklaverei unter einer ebensolchen pervertierten Religion herausführenden Wissenschaft gekrallt und ans Revers geheftet hat und nun ein neues Mittelalter herbeizuzwingen versucht, das wiederum ein grauenhaftes Zerrbild der ursprünglich unter diesem Namen firmierenden Verhältnisse zu werden verspricht.

Kein Gedanke an die Priester, Prediger, Mönche und Inquisitoren dieses Regimes, auf dessen Schilden der „Schutz“ als neue „Ehre“ und „Treue“ prangt.

Nein, kein Gedanke an diesen ganzen — ich bitte den Kraftausdruck zu verzeihen, er verblasst sowieso im Vergleich mit dem scholzschen Geblök —, an diesen ganzen Scheißdreck, zu dem auch noch paranoide Bayernführer zählen, außerdem enthirnte Gesundheitsfanatiker, durchgeknallte Windelkinder im Oligarchen- bis Weltkönigsformat, die den Planeten Erde für ihren Legobaukasten halten, servile, gewissenlose Medienhampelmänner und so weiter und so fort sowie selbstverständlich die Hunderte Millionen unbelehrbarer Jünger und Apostel, die all den erwähnten Gestalten huldigen und „glauben“, weil sie, ähem, glauben, Information sei so was wie ein schluckfertig püriertes Müsli, das man sich nur dreimal täglich aus dem Medienmulmkasten ins Gehirn pumpen lassen müsse, um gefeit zu sein gegen querdenkerische Irrlehren und Desinformationen und fröhlich weitertraben zu können in die laut Scholz von Haus aus „helle“ Zukunft.

Kein Gedanke an eine durchformatierte, postcoronistisch gedrillte und atemraubend läppische „Kultur“, die uns ihr blödsinniges „Hä! Hä! Hä!“-Gehampel in ein paar Jahren verschämt als „innere Emigration“ verkaufen und um Nachsicht winseln wird.

Kein Gedanke an zu Ersatzkriegshelden aufgebürstete „Sport“-Maschinen, die dem deutschen Volk als leuchtendes Vorbild in Sachen Leder, Windhund, Kruppstahl leuchten sollen.

Kein Gedanke an all das leere Geplapper und Gelaber, das bewusstlose Rabulieren und Fantasieren, das kreuzöde Gehobel an uralten Brettern vor Millionen Köpfen, an den Leierkasten der Durchhalte- und Moralparolen, das sinnlose Aufwärmen hohler Mythen, die saudummen Ideologiekotzbröckchen, die berufslose, aber vor lauter Berufung nur so schwellende HeilspredigerInnen in Parlamentsmikrofone röhren, ohne zu merken, dass niemand zuhört, weil alle anderen den Brei gleichzeitig und wortgleich in tausend andere Mikrofone plärren, die niemand abschaltet, weil sonst das große Unheil der Erkenntnis drohte.

All das ist weg, wenn der Wasserfall rauscht und schäumt, tobt und stäubt, regnet und nebelt, und es bleibt auch weg, wenn man danach in der brütenden Sonne auf den gleichmütigen Kieseln trocknet, vorbeispazierenden Enten ein freundliches „Quak!“ entbietet und langsam begreift und einsieht, mal wieder: Das alles gibt es ja gar nicht. Es gibt nur die Welt, in der all das nicht vorkommt. Und die ist dann plötzlich da und bleibt: die Welt, die echte.


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