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„In einer anderen Liga“

„In einer anderen Liga“

Sollte Netanyahu als Sieger aus den heutigen Wahlen in Israel hervorgehen, rückt der nächste Krieg in greifbare Nähe.

Ein überdimensionales Wahlplakat mit dem Slogan „Netanyahu in einer anderen Liga“ zeigt Netanyahu im Händedruck mit US-Präsident Donald Trump. Ein Kurztrip nach London, um mit dem britischen Premierminister Boris Johnson und Verteidigungsminister Mark Esper Hände zu schütteln. Ein dreistündiges Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi.

In der Kommentarspalte der Jerusalem Post wird Netanyahu ob seines dichten Terminkalenders gelobt: „Die arabische Welt implodiert, während die Muslime sich gegenseitig abschlachten. Israel ist die Speerspitze im Kampf um Demokratie gegen islamistischen Fanatismus“, schreibt „CyanRocket“. Tatsächlich sei „Israel ein sehr armseliges Beispiel für eine Demokratie“, entgegnet „Olive Ring“. „Das Apartheidsystem, das in Israel über Jahre hin entwickelt wurde, ist eine beschämende Farce.“

Netanyahu fechten innenpolitische Kritik und Missstände nicht an. Selbst das gegen ihn eröffnete Strafverfahren wegen Amtsmissbrauchs und Korruption verdrängt er, weil er Wichtigeres zu hat. Netanyahu ist nicht nur Ministerpräsident, er ist auch Außen- und Verteidigungsminister in einer Person. Seit Wochen weist er die israelischen Streitkräfte (IDF) an, Ziele in den Nachbarstaaten Libanon, Syrien, Irak und im Gazastreifen anzugreifen, um Israel zu retten und die Wahlen zu gewinnen. Das geht so weit, dass israelische Kommentatoren wie Ben Caspit berichten, manch einer in Israel frage sich inzwischen, ob es zu den Wahlen überhaupt kommen wird oder ob der Krieg vorher ausbrechen wird: „Wird es eine neue Regierung geben oder Krieg?“

Benjamin „Bibi“ Netanyahu schürt die Kriegsangst unter den Wählern und beschwört die Gefahr, in der Israel schwebt. Umgeben von Feinden müsse das Land militärisch stark sein und zuschlagen, bevor es selber getroffen werde. Nur er, Netanyahu habe die Größe und Stärke, Israel zu schützen, lautet seine Wahlkampf-Botschaft.

„Wenn jemand kommt, um Dich zu töten, erhebe Dich und töte zuerst“, zitierte Netanyahu kürzlich einen Satz aus dem Talmud, der zum Motto gezielter Morde israelischer Geheimdienste geworden ist. Das war, als Journalisten ihn fragten, ob Israel hinter einer ganzen Reihe von Angriffen im Irak stecke. Die Nachrichtenagentur AP zitierte Netanyahu mit den Worten, es gäbe „keine Immunität für den Iran, nirgends“. Israel werde handeln „und wir handeln jetzt gegen sie, wo immer es notwendig ist.“

Für Netanyahu scheint so ziemlich jeder, der es wagt, sich ihm und den israelisch-westlichen Interessen zu widersetzen, aus dem Iran zu kommen und damit ein potentielles militärisches Ziel zu sein. Ob die Hamas im Gazastreifen, die libanesische Hisbollah, Syrien oder der Irak — alle drohen angeblich Israel mit der Vernichtung, weil sie mit dem Iran verbündet sind. Die Palästinenser im besetzten Westjordanland werden von Netanyahu bedroht und drangsaliert, weil sie auf ihrem international verbrieften Recht bestehen.

Dass die souveränen Staaten der Region, auch die Palästinenser, denen ihr Staat von Israel vorenthalten wird, ihre eigenen Verbündeten für Krieg und Frieden wählen können und das Recht haben, eigene nationale und regionale politische Visionen und Bündnisse zu entwickeln, kommt in Netanyahus eindimensionalem Weltbild nicht vor.

Hunderte völkerrechtswidrige Angriffe der israelischen Luftwaffe und Armee in den letzten Jahren sollen angebliche Militärbasen und Raketenfabriken des Iran in Syrien zerstört haben, brüstet sich der israelische Ministerpräsident. Viele dieser Angriffe wurden aus dem Luftraum des Nachbarlandes Libanon verübt, ohne die Zustimmung des Zedernstaates ein weiterer Völkerrechtsbruch.

Seit Mitte Juli weitete Israel seinen Schattenkrieg gegen den Iran aus. Bewaffnete Drohnen attackierten im Irak Militärbasen und Konvois der Volksmobilisierungseinheiten, „Hasht al-Sha’abi“ in verschiedenen Landesteilen. Die Miliz, die gegründet wurde, um gegen den Islamischen Staat im Irak zu kämpfen und dabei vom Iran unterstützt wurde, ist mittlerweile mit einem politischen Flügel im irakischen Parlament vertreten.

Die bewaffneten Einheiten wurden der irakischen Armee unterstellt. Der irakische Geheimdienst untersuchte die Angriffe, zu denen sich zwar niemand bekannte, die jedoch allgemein Israel zugeordnet wurden. Man fand heraus, dass die bewaffneten Drohnen von US-Militärbasen im Nordosten Syriens gestartet und offenbar von dort operierenden Israelis gesteuert worden waren. Darauf angesprochen machte Netanyahu seine bereits zuvor zitierte Aussage, es gäbe „keine Immunität für den Iran, nirgends (…) und wir handeln jetzt gegen sie, wo immer es notwendig ist.“

Den „Volksmobilisierungseinheiten“ (Popular Mobilization Units, PMU) gehören überwiegend schiitische Muslime, aber auch Sunniten, Christen und Angehörige anderer Minderheiten an. Die Allianz besteht aus rund 40 verschiedenen Milizen und war im Juli 2014 von der irakischen Regierung ins Leben gerufen worden. Vorausgegangen war eine Fatwa von Ayatollah Ali Al Sistani (Najaf). Nach dem Einmarsch des ISIS in Mossul rief Al Sistani die irakische Bevölkerung auf, Irak, die irakischen Städte und Bagdad zu verteidigen.

Am letzten Augustwochenende (24./25. August 2019) griffen israelische Kampfjets — aus dem libanesischen Luftraum — Einrichtungen der Hisbollah bei Damaskus an und töteten zwei Hisbollahkämpfer. Kurz darauf flogen zwei bewaffnete Drohnen in Südbeirut das Medienzentrum der Hisbollah an. Ein Büro im oberen Stockwerk wurde zerstört, die zweite Drohne stürzte ab.
Die Reaktionen im Libanon waren scharf.

Der illegale Überflug israelischer Drohnen sei eine „Kriegserklärung“, sagte Präsident Michel Aoun, Ministerpräsident Saad Hariri beschwerte sich bei der UNO. Die Hisbollah kündigte an, in Zukunft israelische Drohnen im libanesischen Luftraum abzuschießen. Dann folgte ein gezielter Angriff der Hisbollah auf einen israelischen Militärposten südlich der „Blauen Linie“, wie die UN-gesicherte Grenze zwischen Libanon und dem von Israel besetzten Palästina genannt wird. Israel schoss zurück, doch rasch war es wieder ruhig an der Grenze. Netanyahu hatte zwar schwere Vergeltung angekündigt, de facto aber will keine Seite einen Krieg.

Netanyahu spielt weiter mit dem Feuer. Fast täglich wird der Gazastreifen bombardiert und um Stimmen bei den ultrarechten Siedlern zu bekommen, kündigte Netanyahu an, das Westjordanland annektieren zu wollen, sollte er wiedergewählt werden.

Innenpolitische Konflikte wie Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, rassistische Angriffe auf Migranten, Ausgrenzung und Entrechtung der Palästinenser, Abwanderung der intellektuellen Eliten und eine eskalierende innergesellschaftliche Gewalt stehen nicht auf der Wahlkampfagenda Netanyahus. Der Abbau des öffentlichen Sozial- und Gesundheitswesens, Kürzungen im Bildungsbereich, die Spaltung der Gesellschaft durch wachsende Konfrontation zwischen Arm und Reich, Juden und Arabern, Stadt und Land kommt in diesem Wahlkampf kaum vor.

Stattdessen entdeckt Netanyahu nahezu täglich eine neue Gefahr, gegen die er sich als starker Mann behaupten muss. Vor einer Woche warnte er auf einer Pressekonferenz, der Iran entwickele bei Abadeh Nuklearraketen. Abadeh ist ein Ort in der Provinz Fars und liegt auf knapp 2.000 Metern Höhe. Netanyahu zeigte Satellitenaufnahmen, die allerdings nichts von dem, was er behauptete, belegen. Tatsächlich wurde die militärische Anlage vom Iran im Juli 2019 geschlossen und von der Internationalen Atomenergiebehörde nie als möglicher Standort eines Nuklearprogramms erwähnt.

Dialog, Friedensgespräche oder die Umsetzung des Osloer Abkommens, das kürzlich seinen 26. Jahrestag sah, ohne in die Realität umgesetzt worden zu sein — nichts dergleichen kommt bei Benjamin Netanyahu vor. Er hilft den Rechtsradikalen in die Knesset einzuziehen und wird kaum vor einem Bündnis mit ihnen zurückschrecken, um an der Macht zu bleiben.

Sollte Netanyahu als Sieger aus den Wahlen hervorgehen, wird Israel für den Mittleren Osten und die Palästinenser noch gefährlicher. Dann rückt der nächste Krieg näher.


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