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Krankmacher am Ohr

Krankmacher am Ohr

Mobilfunkrisiken lassen sich nicht länger verharmlosen. Wenn Sie davon bisher noch nicht viel gehört haben, mag das an der erfolgreichen Lobbyarbeit der Konzerne liegen.

Mobilfunk bildet einen immer selbstverständlicheren Teil der gesamtgesellschaftlichen Infrastruktur. Das versteht sich im Kontext der fortschreitenden digitalen Transformation gewissermaßen von selbst. Kritischen Stimmen ist angesichts der geradezu technokratisch anmutenden Entwicklung offenbar weithin die Luft oder die Kraft ausgegangen. Wer nach wie vor Skepsis gegenüber Mobil- und Kommunikationsfunk äußert, wird in der Regel argwöhnisch betrachtet und womöglich unter den Generalverdacht gestellt, er sei ein Esoteriker oder gar Verschwörungstheoretiker. Denn offiziell hört man immer wieder, seriöse Mobilfunk-Studien hätten bislang keine gesundheitlichen Schädigungen durch Mobilfunkstrahlung nachgewiesen — so zuletzt Quarks Daily Spezial. Das stimmt so aber nicht. Und in neuester Zeit hat sich die Sachlage noch weiter geändert:

Die Argumente für eine mögliche Gesundheitsschädigung sind stärker geworden, und die Infragestellung kritischer Forschungsergebnisse als „unseriös“ mutet eher selber unseriös an.

Das zeigen exemplarisch die Ergebnisse des Forschungsprojekts ATHEM-3 der Kompetenzinitiative e.V. in Zusammenarbeit mit Forscherteams aus Deutschland, Österreich und der Slowakei. Und darauf deutet auch der Umstand hin, dass jetzt in Deutschland die Rechtmäßigkeit der geltenden Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung juristisch infrage gestellt wird. Das Koblenzer Oberverwaltungsgericht hat nämlich eine Sachverhaltsaufklärung zu den Grenzwerten angeordnet, um konkret die Rechtmäßigkeit der Standortbescheinigung eines bestimmten Mobilfunkmastens vor Ort zu überprüfen. Nun muss also inhaltlich geklärt werden, ob die für Mobilfunkstrahlung in Deutschland geltenden Grenzwerte tatsächlich die körperliche Unversehrtheit der Menschen gewährleisten, wie dies ja durch den Grundgesetz-Artikel 2 gefordert wird.

Immerhin fand seit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002, wonach der Bundesregierung ein sehr weit gefasster Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Richtigkeit der Grenzwerte zustehe, bei den Gerichten keine echte inhaltliche Auseinandersetzung mehr zur möglichen Gesundheitsschädlichkeit der künstlich gepulsten Funkstrahlung statt. Daran hatte auch die von dem Berliner Arzt und Medizinprofessor Karl Hecht 2009 herausgegebene Broschüre „Warum Grenzwerte schädigen, nicht schützen — aber aufrechterhalten werden. Beweise eines wissenschaftlichen und politischen Skandals“ nichts ändern können.

Doch der Wind scheint sich derzeit zumindest ein wenig zu drehen. Bereits im Februar 2023 hatte der Bundestagsausschuss für Technikfolgenabschätzung einen Bericht veröffentlicht, aus dem sich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geltenden, in Deutschland besonders hohen Mobilfunk-Grenzwerte ergaben. Und schon 2021 hatte ein mit Wissenschaft und Technikfolgenabschätzung befasster Ausschuss des Europaparlaments eine brisante Studie unter dem Titel „Gesundheitliche Auswirkungen von 5G“ veröffentlicht: Die Autoren der Studie kritisierten ausdrücklich den nicht-regierungsamtlichen Verein namens Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP), dessen Grenzwerte-Richtlinien von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) förmlich anerkannt und vor einem halben Jahrzehnt auch von der EU übernommen worden waren.

Wegen dieser Anerkennung hatte lange Jahre beim Thema „Mobilfunk“ in Politik und Wissenschaft das ICNIRP-Dogma vorgeherrscht, die umstrittene Strahlung habe im Wesentlichen bloß thermische Effekte, also keine biologischen. Sie schade gesundheitlich nicht, sofern nur gewisse, wegen der Reduzierung auf den Wärmeaspekt recht großzügig definierte Grenzwerte für Sendestationen eingehalten würden.

Kritischer Report erschienen

Doch schon vor über zwei Jahrzehnten hatte der einstige Europa-Parlamentarier Jean Hus öffentlich unterstrichen, dass ICNIRP „sehr enge Verbindungen zu den Branchen hat, deren technische Neuentwicklungen von möglichst hoch angesetzten, zulässigen Grenzwerten in allen Frequenzbereichen elektromagnetischer Felder profitieren“. Und vor fünf Jahren ist die verdächtige Industrienähe von ICNIRP im Berliner Tagesspiegel dank sehr gründlicher journalistischer Recherchen ausdrücklich bestätigt worden. 2020 veröffentlichten die beiden EU-Abgeordneten Michèle Rivasi und Professor Klaus Buchner den kritischen Report „Die Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung: Interessenkonflikte, ‚Corporate Capture‘ und der Vorstoß zum Ausbau des 5G-Netzes“ — erschienen in englischer, französischer und deutscher Sprache in Brüssel. Nicht von ungefähr hat daraufhin auch ein Gericht in den Niederlanden 2021 bekräftigt, dass die von ICNIRP vorgeschlagenen und in vielen europäischen Ländern gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte den Schutz der Gesundheit keineswegs sicherstellen.

Und jetzt hat das Kölner Verwaltungsgericht die Versteigerung von 5G-Frequenzen 2019, die dem Bund einen Milliardenbetrag einbrachte, offen kritisiert: Die Vergaberegeln seien rechtswidrig gewesen; das Verkehrsministerium unter Andreas Scheuer habe damals unerlaubten Einfluss darauf ausgeübt. Sollte man nicht öfter und genauer hinsehen, wie die Mobilfunkpolitik angesichts welcher Interessenlagen funktioniert?

Sofern sich Behörden bis heute immer noch auf die umstrittenen Grenzwertbestimmungen der ICNIRP berufen, ist das jedenfalls merkwürdig einseitig — eben auch aus wissenschaftlicher Sicht, insofern bei näherer Betrachtung keine wirkliche Eindeutigkeit vorliegt. Inzwischen betont das „Büro für Technikfolgenabschätzung“ im Deutschen Bundestag zur Mobilfunk-Thematik selbst, die jahrelange Erforschung der Strahlen-Effekte auf lebende Organismen sei bis heute zu teils nicht eindeutigen, nicht übereinstimmenden Befunden gekommen, woraus unterschiedliche und „konträre Interpretationen resultieren“. Damit wird bestätigt, dass in wissenschaftlicher Hinsicht tatsächlich keine eindeutigen Resultate zugunsten einer einseitigen Positionierung vorliegen. Angesichts solcher Uneindeutigkeit aber müsste aus ethischer Sicht allemal das Vorsorgeprinzip gelten!

Indessen liegt der Verdacht nahe, dass infolge von Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb „externe Geldquellen eine zunehmende Rolle im alltäglichen Projektbetrieb“ spielen, wie in der Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 2019 nachzulesen war.

Vor allem Thilo Bode hat in seinem Buch „Die Diktatur der Konzerne“ aus dem Jahr 2018 aufgezeigt, wie Konzerne über Einflüsse und die Macht verfügen, „Lehrstühle, Forschung und eigene Universitäten zu finanzieren und damit wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt an Konzerninteressen auszurichten“.

Solcher Lobby-Arbeit auch gerade im Interesse der Mobilfunk-Industrie sollte im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung endlich ein Riegel vorgeschoben werden! Die jetzt gerichtlich verordnete Sachverhaltsaufklärung zu den Mobilfunk-Grenzwerten stellt eine echte, längst fällige Chance in dieser Richtung dar.

Genschäden nachgewiesen

Falls nun aber endlich entsprechende Korrekturen juristisch erfolgen sollten, wären die Auswirkungen auf die Mobilfunk-Infrastruktur durchaus bemerkenswert. Spürbar wäre der Effekt insbesondere für diejenigen Geschwächten in unserer Gesellschaft, die die Funkstrahlung tatsächlich körperlich spüren. Solch „elektrohypersensible“ Mitmenschen haben bislang hilflos nicht nur unter den Strahleneffekten, sondern in der Regel auch unter dem Zynismus der ihre Beschwerden arrogant Bestreitenden zu leiden; sie würden endlich mehr respektiert werden — und zwar auch in juristischer Hinsicht, wie ein neues Urteil in Frankreich zeigt. Studien zu ihren Gunsten könnten nicht länger beiseite geschoben werden.

Der Arzt Horst Eger (Naila) hat kürzlich in einem Interview für die Verbraucherorganisation Diagnose:Funk auf dem Hintergrund eigener Forschungsarbeit unterstrichen: „Es gibt eine Vielzahl von Studien, die nachweisen konnten, dass unter dem Einfluss hochfrequenter Senderstrahlung Genschäden an Zellen, Pflanzen, Tieren und Menschen auftreten können.“ Würden die betreffenden Erkenntnisse künftig nicht länger verdrängt, sondern zugelassen, so müsste das Mobilfunknetz mitnichten zusammenbrechen. Aus Expertenmund war immer wieder zu hören, auch deutlich niedrigere Grenzwerte könnten ein reibungsloses Funktionieren der Mobilfunktechnologie gewährleisten. Und dann bekäme diese umstrittene Technologie endlich ein menschlicheres Gesicht. Auf die Empfindungen Elektrosensibler müsste mehr Rücksicht genommen werden — wie überhaupt auf die Argumente sogenannter „Bedenkenträger“, die im Zeichen industrienaher Politik bislang allzu gern und allzu rasch vom Tisch gewischt wurden.

Das wäre dann auch eine Chance für die vielen Haushalte in Miets- und Mehrparteienhäusern, die nach geltendem Recht Funkzähler an ungefähr all ihren Wasserhähnen dulden müssen — unabhängig davon, ob sie die Strahlung biologisch-gesundheitlich vertragen.

Entsprechendes gilt für Gesetze, die in manchen Bundesländern funkende Rauchmelder vorschreiben, und nicht zuletzt im Blick auf die immer strenger werdenden, geradezu kafkaesk anmutenden Vorschriften für die Akzeptanz funkender Stromzähler. Technisch sehr wohl mögliche Alternativen sollten unbedingt zugelassen werden — namentlich unter Einsatz der Glasfaserkabel-Technologie. Und im Zweifel sollten Menschenrechte und Menschenwürde endlich wieder mehr gelten als bloße technische Machbarkeit und digitaler Kontrollgeist.


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Quellen und Anmerkungen:

Literatur in Auswahl:

  • Wilfried Kühling: Bewertungsdilemma Mobilfunk. Wie wir das Unvermögen staatlicher Risikobewertung endlich überwinden, Marburg 2023
  • Renate Haidlauf: Die unerlaubte Krankheit. Wenn Funk das Leben beeinträchtigt, Stuttgart 2022
  • Joseph Mercola: EMF — Elektromagnetische Felder, Rottenburg 2020
  • Werner Thiede: Die digitale Fortschrittsfalle. Warum der Gigabit-Gesellschaft mit 5G-Mobilfunk freiheitliche und gesundheitliche Rückschritte drohen, Bergkamen 20192
  • Christine Aschermann / Cornelia Waldmann-Selsam: Elektrosensibel. Strahlenflüchtlinge in der funkvernetzten Gesellschaft, Aachen 2018
  • Werner Thiede: Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft, München 2012
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