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Lockdown in Ösiland

Lockdown in Ösiland

Das aktuelle Geschehen in Österreich erinnert an ein Paarungsritual von autoritärer Politik mit kopfloser Bürokratie.

Zwei Tage, nachdem die türkis-grüne Koalitionsregierung am 17. November 2020 den zweiten kompletten Lockdown über Österreich verhängt hat, rief mich nachmittags ein Freund aus Lissabon an. Er sitze bei gut 20 Grad und Sonnenschein in einem Strandcafé nahe dem Torre de Belém und die Leute diskutieren darüber, ob die neue Verordnung der portugiesischen Regierung, wonach alle Restaurationsbetriebe um 23 Uhr schließen müssen, sinnvoll sei.

Ich freute mich für ihn darüber und konnte auch spontan eine gewisse Genugtuung über den Zustand der Europäischen Union nicht verhehlen; die EU-Kommission erfährt offensichtlich vom Chaos der einzelstaatlichen Maßnahmen nur aus den Medien. Das Virus scheint für Brüssel jedenfalls tödlicher als für Menschen zu sein. Meine Schadenfreude währte allerdings nur kurz. Wenn der Nationalstaat die Grundrechte mit Füßen tritt und die Brüsseler Union in ihrem Todeskampf zustimmend dazu nickt, ist das kein Grund zur Freude.

Es war wieder einmal ein Sonntag, diesmal der 15. November 2020, als die Parlamentarier der kleinen Alpen- und Donaurepublik zur Notstandssitzung zusammengerufen wurden, um einen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit zwei, drei sogenannten Fachleuten zusammengeschusterten Verordnungstext für den zweiten Lockdown nach dem Frühjahr 2020 abzusegnen. Diesmal verweigerten alle drei Oppositionsparteien — die Sozialdemokraten, die liberalen Neos und die rechte FPÖ — ihre Zustimmung. Also hoben die Mandatare der autoritären Corona-Allianz aus türkis-konservativer ÖVP und Grünen ihre Hände, um das Land vom bevorstehenden Dienstag an bis — vorerst — 7. Dezember lahmzulegen.

Was sich dann am Montag zwischen der parlamentarischen Beschlussfassung und dem ab Dienstag geltenden Ausgangsverbot abgespielt hat, spottet jeder Beschreibung. Hunderttausende suchten ihre letzte Chance auf Herdenimmunisierung, stürmten die Einkaufszentren und drängten sich an deren Kassen, um all das zu kaufen, was sie die folgenden drei Wochen nicht mehr durften.

Ausgangssperre

Seit dem 17. November herrscht also Ausgangssperre, 24 Stunden lang, rund um die Uhr. Die Ausnahmen kennt man schon vom Frühjahr: Einkaufen von Lebensmitteln und pharmazeutischen Produkten, Hilfe leisten für einen Erkrankten, zur Arbeit gehen, wenn diese nicht vom Homeoffice aus gemacht werden kann, und spazieren oder laufen — freilich nur alleine oder mit Angehörigen desselben Haushalts. Eine Sonderbestimmung erlaubt den Besuch einer einzelnen Bezugsperson, wenn diese auch bisher mindestens einmal die Woche aufgesucht worden ist. Das ganze Maßnahmenpaket sieht nach einem von Mathematikern erstellten Algorithmus aus, einer Modellrechnung, die auf Mobilitätsdaten von Handy-Betreibern aufbaut. Menschliches Leben muss da hineingezwängt werden.

Das Erfreuliche: Es funktioniert nicht. Anders als im Frühjahr nehmen viele Menschen den Lockdown nicht ernst. Tagsüber sind die Straßen voller Spaziergänger, im Zentrum der Städte betreiben Hunderte angesichts geschlossener Geschäfte Window-Shopping. Und die Regel, wonach man sich nur mit einem Menschen außerhalb des eigenen Haushalts treffen darf, wird sichtbar großzügig interpretiert.

An vielen Orten stehen Gruppen vor allem junger Menschen zusammen und selbst die Wiener U-Bahn ist vergleichsweise voll. Nächtens hingegen herrscht Leere; außerhalb der eigenen vier Wände hält sich kaum jemand auf. Allerdings mehren sich in den Bekanntenkreisen die Treffen mit der „einen“ Person, die zu sehen erlaubt ist.

Hochzeit der Bürokratie

„Nicht erlaubt ist, dass mehrere Einzelne gleichzeitig zu (…) anderen Haushalten Kontakt haben.“ Derlei Sätze im neuen Corona-Verordnungssprech sorgen für große Verwirrung. Das Ziel dahinter ist klar: Beziehungen sollen zerschlagen werden, ausgerechnet im Namen der Volksgesundheit. Immer weniger verstehen allerdings die sich ständig ändernden Regeln und immer weniger befolgen sie. „Ich besuche meine Schwester seit Jahren zusammen mit meiner anderen Schwester“, äußert sich eine Interviewte in der Gratiszeitung Österreich, und weiter: „Ich weiß, das ist nicht richtig, aber wir machen das immer so.“

Auch die aus mehreren Frauen bestehende Yogagruppe im Stockwerk über mir trifft sich weiterhin jeden Dienstagnachmittag, wie man an der leichten Bewegung der Deckenlampe erkennen kann, die immer dann ein klein wenig hin- und herschwingt, wenn eine bestimmte Figur geübt wird. Leise, aber bestimmt schleicht sich passiver Widerstand ein.

In der viele Seiten starken Covid-19-Notmaßnahmenverordnung wird wieder einmal klar, was in der „neuen Normalität“ wichtig ist: der Profisport, vor allem Fußball und Eishockey, die ohne Zuseher vor Werbebannern spielen. Unwichtig ist den Gesundheitsmanagern der ganze Kulturbereich, da wurde alles geschlossen. Selbstredend bleiben ebenfalls Restaurants, Kaffeehäuser und alle Orte, an denen man sich treffen könnte, zu. Auch Buchhandlungen strahlen für den autoritären Staat eine Gefahr aus, weswegen dort nicht einmal bestellte Bücher abgeholt werden dürfen.

Ansonsten wimmelt es im Verordnungstext nur so von Skurrilem. Waffengeschäfte dürfen beispielsweise offen halten, weil einem Jäger die Munition ausgehen könnte. Warum Reisebüros geöffnet bleiben, erschließt sich einem erst auf den zweiten Blick. Mit der Systemrelevanz kann es in Zeiten, in denen alle Grenzen rund um das Land und alle Hotels im Land geschlossen sind, nichts zu tun haben. Niemand bucht derzeit eine Reise.

Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen liegt im Staatshaushalt begründet. Nachdem die Koalitionsregierung nämlich nach deutschem Vorbild beschlossen hat, der Gastronomie und der Hotellerie ihre Totalausfälle im November durch eine Zahlung von 80 Prozent des Umsatzes vom Vergleichsmonat des Vorjahres zu kompensieren, war von vornherein klar, dass dafür die Mittel nicht reichen. Mit der „großzügigen“ Haltung gegenüber der Reisebranche, ihre Geschäfte offen halten zu dürfen, erspart man sich ein paar Millionen an Budgetausgaben.

Für den Dezember bereitet die Corona-Koalition Massentestungen nach dem Vorbild der Slowakei vor. Dort waren in zwei Durchgängen alle Menschen zwischen zehn und 65 Jahren getestet worden. Die neue Freiwilligkeit bestand daran, dass jene, die sich dem Test verweigerten, eine 14-tägige Quarantäne antreten mussten. Nachdem Österreichs Kanzler mit seinem slowakischen Amtskollegen, Ministerpräsidenten Igor Matovič, telefoniert hatte, ließ er sogleich sieben Millionen Tests kaufen und verordnete deren Einsatz für die erste Dezemberwoche. Damit, so sein Argument, wären die Weihnachtsfeiern im Familienkreise sicher.

Dass gerade Enkelkinder und Großeltern nicht den freiwilligen Zwangstestungen unterzogen werden, also jene, deren Zusammenkunft für Weihnachten vorgesehen ist, übersah der erste Mann im Staate, was seinem Argument keinen Abbruch tat. Mitte Dezember soll dann die Testreihe wiederholt werden. Und wenn zu diesem Zeitpunkt weniger Positivtestungen anfallen, wird er das als großen Erfolg feiern lassen. Wenn nicht, gibt es Schelte für die Bevölkerung, ein Muster, nach dem bereits neun Monate verfahren wird.

Die gerade vor sich gehende Paarung von kopfloser Bürokratie und autoritärem Staat droht ein Monster zu gebären, das die Corona-Zeit überleben könnte. Umso wichtiger ist es, den Widerstand gegen beide zu verstärken. Anzeichen dafür gibt es. So gründete sich dieser Tage der „Außerparlamentische Corona-Untersuchungsausschuss“ Österreich, ein Zusammenschluss von Juristen der Gruppe „Rechtanwälte für Grundrechte“ und der „Plattform Respekt“, in der sich vor allem Mediziner und Kulturschaffende gefunden haben. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Verantwortlichen der Corona-Politik zur Rechenschaft zu ziehen und gleichzeitig juristischen Beistand gegen Corona-politisch Verfolgte zu gewähren.


Quellen und Anmerkungen:

Hannes Hofbauer hat gemeinsam mit Stefan Kraft das Buch „Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern“ im Wiener Promedia Verlag herausgebracht.
Siehe „Der Virus-Missbrauch“.


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