Zum Inhalt:
Mann, oh Mann!

Mann, oh Mann!

Zwischen Männerbande und Männergruppe: Welche Männer braucht das Land?

„Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“: So lautet der Titel eines in den 1990er Jahren erschienenen Bestsellers (1). Etwa zur gleichen Zeit gab es im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln eine Ausstellung zum Thema Männerbünde (2). Die Diskussionen um die Queer-Theorie, angestoßen von der amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Judith Butler und ihrer ersten Buchveröffentlichung „Das Unbehagen der Geschlechter“, hatte noch keine breite Öffentlichkeit erreicht. Es wurde noch nicht gegendert und das gesellschaftliche Geschehen drehte sich noch nicht um Transpersonen, sondern um die Frage, was eine Frau und was einen Mann ausmacht.

Männerbünde sind Schwurgemeinschaften von Männern, die ein bestimmtes gemeinsames Ziel verfolgen. Sie waren und sind vor allem darauf ausgerichtet, die Herrschaft der Männer zu sichern und ihre Dominanz weiter auszubauen. Um einem Männerbund beizutreten, gab es keine geöffneten Arme und eine Einladung zum Tee, sondern erniedrigende, oft blutige Initiationsriten. Mann musste die Zähne zusammenbeißen, wenn einem die Vorhaut abgeschnitten wurde oder man an bestimmten Körperteilen verletzt wurde, um seinen Mumm unter Beweis zu stellen und in Reih und Glied aufmarschieren zu dürfen.

Männerbünde zeichnen sich durch feste Rituale, Regeln und Hierarchien aus. Die Mitglieder zeigen ihre Zugehörigkeit durch äußere Erkennungsmerkmale wie bestimmte Kleidung, Symbole, Haartrachten oder Tätowierungen. Frauen sind aus Männerbünden generell ausgeschlossen. Die Männer müssen das Aufeinander-Angewiesensein verleugnen und sich als unabhängig von den Frauen darstellen.

A Man’s World

Über Beschneidung und Geburtsrituale eigneten sich Männer weibliche Funktionen an und inszenierten damit eine Scheinwirklichkeit, die sie als tatsächliche Realität ausgaben. Als sinnvoll wird nicht die Herstellung lebensnotwendiger Güter gesehen, sondern das Zelebrieren von Ritualen und Krieg mit der Erbeutung feindlicher Trophäen. Die Kriegsführung als sinngebende Instanz zu deklarieren, ermöglicht den Männern, die täglichen wirtschaftlichen Leistungen der Frauen herabzusetzen und ihre eigenen Tätigkeiten aufzuwerten.

In der Geschichte gab es viele Männerbünde. Sehr viele. Band eins und zwei der Reihe „Männerbande, Männerbünde“ sind so schwer, dass man jemanden damit erschlagen könnte. Männerbünde traten und treten in jedem Kontinent auf. Ob Christentum, Judentum oder Islam, ob in Naturvölkern oder in der modernen Industriegesellschaft: Männer schlossen und schließen sich in Ritterorden, Priesterschaften, Jagdvereinen, Krieger- und Militärbünden, Corps und Clubs, Studentenverbindungen, Schützenvereinen, Gesangsvereinen, Sportbünden, Skatrunden, Stammtischen, Händlergemeinschaften und Lobbys zusammen, um die eigene Position zu stärken.

Bei dieser Art von Gemeinschaften geht es nicht um Zusammenleben, sondern um Macht. Sie sichern Privilegien, verteilen Karrierechancen und kontrollieren Veränderungen im gesellschaftlichen Bereich.

Typische Männerbünde sind der Vatikan, die Mafia, die SS, der Johanniterorden, die Freimaurer oder der Rotary- und Lions-Club. Auch wenn Frauen ihre Stellung verbessert haben und es Quotenregelungen und Alibifrauen gibt: Sie müssen in der Regel draußen bleiben.

Herrschen um jeden Preis

Daran ist prinzipiell nicht unbedingt etwas auszusetzen. Wir brauchen geschützte Bereiche, in denen wir uns frei ausdrücken und bewegen können. Treffen mit Gleichgesinnten können helfen, Unsicherheiten zu überwinden, Fragen zu beantworten und Selbstbewusstsein zu stärken. Oder einfach nur Spaß zu haben. Darauf jedoch waren und sind Männerbünde nicht ausgerichtet. Es geht nicht darum, kooperative, konfliktfähige und friedensorientierte Gemeinschaften zu ermöglichen, sondern darum, andere besser beherrschen und ausbeuten zu können.

Das Wort Mann ist phonetisch mit Macht verwandt. Daher kommt der Begriff eigentlich von Frau; denn im ursprünglichen Altnordischen bedeutet „man“ Frau. Das Wort für Mann war „wer“, aus der Sanskritwurzel „vir“. Bei den skandinavischen und anderen Stämmen Europas wurde mit Man der Mond, die Schöpferin aller Wesen, bezeichnet. Selbst im Rom der Kaiserzeit war Mana die Mutter aller Ahnengeister. Die Sanskritwurzel „man“ bedeutete Mond und Weisheit — die beiden wichtigsten Attribute der Großen Göttin (3).

Frauen pflegen andere Arten des Zusammenseins. Frauenbünde gab und gibt es nicht.

Auch Frauen können ausschließend sein, dominant, hart. Es sind die Mütter, die ihre Töchter beschneiden lassen und der Gewalt der Männer überlassen. Doch Frauen fallen weniger der Herrschsucht zum Opfer als Männer.

Was ist es, das so viele Männer dazu trieb und immer noch treibt, über andere dominieren zu wollen? Woher kommt dieses Streben nach Macht, das mit dem Greifen nach der Weltherrschaft seinen Höhepunkt erreicht?

Auf den Schlips getreten

Die duale Welt existiert in Gegensatzpaaren. Der Macht steht die Ohnmacht gegenüber. Das eine kann es ohne das andere nicht geben. Über andere herrschen zu wollen, ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Hier sind Gefühle wie Eifersucht, Neid und Missgunst am Werk. Andere zu kontrollieren, zeugt nicht von Überlegenheit, sondern von Angst: Angst vor dem Anderen, Angst vor dem Unvorhersehbaren, Angst vor Unsicherheit und Angst vor dem Tod. Alles wird getan, um letztlich auch ihn zu beherrschen.

Wenn in männlichen Initiationsriten wie Beschneidung oder Kastration die Menstruation nachgespielt wird, wenn Männer auf die Idee kommen, die Hauptrolle beim Kinderkriegen zu spielen oder sogar selber Kinder zu bekommen, dann haben sie vor allem eines: Angst. Denn anders als Frauen sind sie nicht mit dem Zyklischen verbunden. Sie spüren nicht im eigenen Körper die unaufhörliche Wiederkehr, in der auf jedes Ende ein neuer Anfang folgt.

Hinter den Riten, Hierarchien und engen Regeln der Männerbünde, hinter den Treueschwüren, Versprechungen und bei Verfehlungen harten Strafen bis zum Tod stehen keine selbstbewussten, sondern furchtsame Männer, die nur denen gegenüber stark wirken, die sie unterdrücken.

Ein selbstbewusster Mensch braucht es nicht, andere klein zu machen, um selbst größer zu wirken. Er versteckt sich nicht in irgendwelchen geschlossenen Clubs, in denen er nach oben buckelt und nach unten tritt, sondern steht für sich allein. Er muss sich nicht ständig an anderen messen, sondern kennt seinen Wert.

Er braucht nicht die trügerische Sicherheit einer Peer-Group, sondern wagt sich auch allein in die Welt hinaus. Er erhebt sich nicht über seine Frau, sondern traut sich, ihr wirklich zu begegnen. Er baut nicht an einer Welt, in der die totale Kontrolle das letzte Ziel ist, sondern besinnt sich darauf, was Leben bedeutet, und schaut der Angst ins Auge, die ihn süchtig nach Herrschaft gemacht hat.

Neue Männergruppen

Parallel zu der Frauenbewegung in den 1960er Jahren entstand ab den 1970er Jahren auch eine Männerbewegung. Es gab Selbsterfahrungsgruppen, Wochenendworkshops, Arbeitskreise und Initiativen, in denen sich Männer gegen Gewalt engagierten und Platz für die Erörterung von Beziehungsproblemen, alltäglichen Sorgen und sonstigen persönlichen Anliegen fanden. In den 1980er Jahren entstanden in Göttingen, Düsseldorf, Köln und Bremen Männerbüros, in Frankfurt und München Informationszentren für Männer, in Ludwigshafen die Gruppe „Männer helfen Männern“, in Berlin die „Mannege“ und in Hamburg „Männer gegen Männergewalt“.

In der heutigen Gesellschaft sind die meisten Männer Einzelkämpfer. Echte Männerfreundschaften sind eher eine Seltenheit. Umso stärker wächst die Sehnsucht nach Verbindung, Gemeinschaft, Verständnis, Rückhalt, Solidarität und emotionaler Nähe. Männer vernetzen sich in Deutschland (4), in der Schweiz (5) und in Österreich (6). Sie bilden Männergruppen wie das internationale ManKindProject (7), das Männerportal (8), Männer-Therapie- und Selbsthilfegruppen (9) und Männerkreise (10).

Auch wenn bei der neuen Männerkultur die Gefahr besteht, dass alte Herrschaftsverhältnisse in neuem Gewand erstrahlen: Sie hat wenig gemein mit bestimmten Stammtischen, an denen Männer biertrinkend und schenkelklopfend über sexistische Witze lachen und sich gegenseitig in ihrer Macho-Haltung bestätigen, stehpinkelnd, schweißriechend und herumfurzend. Ein neuer Männertypus entsteht, der ein echtes Bedürfnis nach einer Verbundenheit hat, die auch Frauen und Kinder mit einbezieht.

Neue Männerbewegung

Viele Männer erkennen die Wichtigkeit, miteinander zu reden, anstatt sich gegenseitig zu übertrumpfen. Sie vertrauen sich einander an, anstatt sich aneinander zu messen. Sie machen sich die Aggressionen bewusst, die entstehen, wenn Emotionen unterdrückt werden, und stellen sich ihrer Scham, als schwach zu gelten, wenn sie anderen zeigen, wie sie sich gerade fühlen.

Es gibt Männer, die sich auf ehrliche und kreative Weise mit ihrem Mannsein auseinandersetzen und die Auseinandersetzung darüber nicht scheuen. Männer, die ihrer Angst ins Auge blicken, die sie gewalttätig gemacht hat, ihrer Ohnmacht, die sie derart nach Macht hat streben lassen.

Es gibt Männer, die verstanden haben, dass es ihre höchste Aufgabe ist, die Frau zu schützen, die das Kind nährt, und die sich aus ihrer Höhle herauswagen, ihrem Büro, ihrem Club, ihrem Hobbykeller, ihrem Fernsehsessel, um mit ihren Frauen und Kindern in Kontakt zu treten.

Es gibt sie. Doch es gibt zu wenige von ihnen. Männergruppen haftet immer noch etwas Peinliches an, als müsste ein Mann stets allein in seinem Leben zurechtkommen. Es sind die Loser, die sich da treffen, Weicheier, die es ihren Frauen nicht richtig zeigen oder erst gar keine abbekommen, Muttersöhnchen, die sich ausweinen wollen, esoterische Spinner, die es zu nichts gebracht haben. Immer noch wird Männern, die sich entwickeln wollen, auch von Frauen Unverständnis entgegengebracht. Und viele fragen sich nicht einmal mehr, was das eigentlich ist: ein Mann, eine Frau.

Bundesweites Männertreffen

Ein paar hundert Männer kommen alle zwei Jahre am Himmelfahrtswochenende zusammen, um ein paar Tage miteinander zu reden, zu erfahren, zu genießen und zu entspannen. Die Initiative wurde 1983 gegründet und findet an verschiedenen Orten statt. Sie werden von wechselnden Organisationsteams in Form eines Barcamps vorbereitet: Inhalte und Ablauf werden zu Beginn des Treffens von allen Teilnehmern entwickelt. Die Einladungen sind bewusst offen formuliert und sollen dazu anregen, dass jeder sich einbringen kann (11).

Das 43. Bundesweite Männertreffen wurde vom 28. Mai bis 1. Juni 2025 in Naumburg ausgerichtet (12). Vier Tage lang begegneten sich Männer unterschiedlicher sozialer Herkunft, sexueller Orientierung und politischen Hintergrundes, über alle Generationen hinweg. Kinder, Jungs und Mädchen, können bis zum zwölften Lebensjahr mit dabei sein. Für sie ist gesorgt, während ihre Väter sich in Gesprächsgruppen und Aktivitäten austauschen und erfahren — oder einfach nur chillen und ein Bier trinken.

Es ist eine basisdemokratische Veranstaltung, in der ein respektvoller Umgang, Toleranz und Achtung vorausgesetzt sind, eine Plattform, um Fragen nach dem Leben und den Gegebenheiten der modernen Gesellschaft zu erörtern und Männer zu treffen, die bereit sind, sich fernab aller Klischees den heutigen Herausforderungen zu stellen. Väter kommen mit ihren Söhnen, Singles mit Freunden, Verheiratete allein. Es geht vor allem darum, eine gute Zeit miteinander zu verbringen, ins Vertrauen zu kommen und sich gegenseitig zu inspirieren.

Die Verbindung leben

Kaum jemand weiß, dass es diese Männertreffen gibt. In den größeren Medien wurde bisher vorwiegend abfällig über Softies berichtet, die nur mit sich selbst beschäftigt sind. Vor allem von der männlichen Seite wurde abfällig gesprochen. Beim Treffen in Bad Kissingen im Jahre 2010 war ein Fernsehteam dabei, das im Auftrag von Sat.1 Material für eine Dokumentation sammelte, die 2011 mehrfach ausgestrahlt wurde. Der Film „Zwischen Macho und Weichei“ führte zu Polemiken (13). Der Fernsehsender war an einem Männerbild, wie es beim Männertreffen gelebt wird, nicht interessiert und vermittelt ein stark verkürztes und negatives Bild.

Sind Sie es, lieber Leser, liebe Leserin? Sind Sie daran interessiert, sich mit Ihrem eigenen Männerbild auseinanderzusetzen? Sich Gedanken darüber zu machen, welches Ihre Wünsche sind, Ihre Bedürfnisse, wie wir, ob Mann oder Frau, dahin kommen können, intensiver in Kontakt zueinander zu treten, Vertrauen zu fassen und die Verbindung zu leben?

Verbindung ist der Schlüssel, gemeinsam die Herrschaft zu überwinden, die uns heute so massiv von oben aufgezwungen wird.

Die Männerbanden, die uns mit Gewalt eine neue Weltordnung aufzudrücken versuchen, die Horden gieriger, entwurzelter, gestörter Männer sind nicht aufzuhalten. Sie können nur dort keinen Schaden anrichten, wo Menschen sich untereinander verbinden.

Nicht, um gegen sie anzutreten. Sie gehen auf die Straße, schauen sich in der Nachbarschaft um und fragen diejenigen, die sie treffen, worauf jeder gerne eine Antwort gibt: Wie geht es dir?


Finden Sie Artikel wie diesen wichtig?
Dann unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.

Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem kleinen Dauerauftrag oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder unterstützen Sie uns durch den Kauf eines Artikels aus unserer Manova-Kollektion .


Quellen und Anmerkungen:

(1) Cris Evatt: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Tausendundein kleiner Unterschied zwischen den Geschlechtern, Piper Taschenbuch 2005
(2) Gisela Völger und Karin von Welck (Hg): Männerbande, Männerbünde. Zur Rolle des Mannes im Kulturvergleich, Rautenstrauch-Joest-Museum Köln 1990
(3) Barbara G. Walter: Das geheime Wissen der Frauen, DTV 1995
(4) https://maennergruppen.org/
(5) https://reseau-hommes-suisse.ch/maennergruppen/
(6) https://www.maennergruppen.at/
(7) https://www.mkp-deutschland.de/
(8) https://www.maennerportal.net/
(9) https://man-o-mann.de/maennergruppen/
(10) https://maennerkreise.com/
(11) https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesweites_M%C3%A4nnertreffen
(12) https://www.maennertreffen.org/
(13) https://www.maennerzeitung.de/archiv/maennertreffen/2011_196_Herbst2011-23-25.pdf

VG-Wort Zählpixel

Weiterlesen

Popcorn und Propaganda
Thematisch verwandter Artikel

Popcorn und Propaganda

Filmproduktionen aus Hollywood sind mehr als gute oder schlechte Unterhaltung — sie festigen jene Narrative und Feindbilder, auf denen amerikanische Geopolitik fußt. Exklusivauszug aus „Das Buch vom Weltfrieden“. Teil 2 von 3.

Die Politik der aufgehaltenen Hand
Aktueller Artikel

Die Politik der aufgehaltenen Hand

Der Steuerstaat eignet sich — ähnlich einem Suchtkranken — immer größere Teile unseres Einkommens an. Ob libertäre Radikalkuren allerdings eine Lösung wären, bleibt fraglich.

Menschen mit Mut
Aus dem Archiv

Menschen mit Mut

Wer aufrecht für die Wiederherstellung unserer demokratischen Rechte und Freiheiten eintritt, zeigt, dass es eine Alternative zum Mitläufertum gibt. Teil 1.