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Moralische Beißreflexe

Moralische Beißreflexe

Gil Ofarim hat unter Mithilfe eines Journalismus, der kaum noch hinterfragt, die Öffentlichkeit angelogen. Die Causa ist Spiegelbild unserer Zeit — auf vielen Ebenen.

Olaf Sundermeyer, öffentlich-rechtlicher „Recherchegott“ stellte, ohne einen näheren Faktencheck betrieben zu haben, fest: Bisher sei er „zwei Mal zu Gast im #WestinLeipzig“ gewesen — „ein drittes Mal wird es nicht vorkommen“.

Deutschland zeigte an jenem Abend Gesicht. Und Haltung — machte sich aber letztlich lächerlich. Denn Ofarim hat gelogen.

Ist Antisemitismuserfahrung nicht in Frage zu stellen?

Das wissen wir nun gesichert, er hat vor Gericht die Lüge gestanden. Erste Zweifel kamen schnell auf, als die Bilder der Überwachungskamera des Hotels publik wurden. Darauf war Ofarim ohne Kette zu sehen. Zeugen sagten aus, dass sich der Vorfall so nie ereignet habe. Der Musiker ärgerte sich, weil er nicht bevorzugt behandelt wurde und zu lange warten musste. Vermutlich war die Lüge seine Form der Rache.

Schon als kaum mehr abwendbare Zweifel laut wurden, verkrochen sich all die Stimmen, die sich binnen Minuten mit dem Musiker solidarisiert hatten, in ihre Löcher zurück.

Ofarim hat ja nicht nur in seinem Video gelogen. Nach der vermeintlichen antisemitischen Eskapade — eine Straftat wäre die Aufforderung, eine Kette wegzupacken, dann wohl eher nicht gewesen — sprach er mit diversen Medien. Er gab sich sprachlos, mehrmals sei ihm Ähnliches widerfahren, nun aber musste es raus, denn „enough is enough“, wie er darlegte. Mit kritischen Fragen wurde er eher nicht konfrontiert, die Medien empörten sich — forderten Bekenntnisse gegen den Antisemitismus. Die Politik stimmte mit ein.

Diese Lüge hat großen Schaden verursacht. Und zwar mehr Schaden als jenen, den der Zentralrat der Juden in Deutschland nannte. Der sprach davon, dass Ofarim jenen geschadet habe, „die tatsächlich von Antisemitismus betroffen sind“. Das mag sein — aber der Schaden ist beträchtlich größer.

Die Causa beweist, dass das allgemeine Rechtsempfinden schwer in Schieflage geraten ist.

Der Zentralrat gibt davon in seiner Erklärung eine Kostprobe — er schreibt: Es sei auch weiterhin richtig, „bei einem Antisemitismusvorwurf auf der Seite des Betroffenen zu stehen, ihm beizustehen und die Antisemitismuserfahrung zunächst nicht in Frage zu stellen“.

Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Die Aufgabe von Ermittlern und Journalisten ist es nicht, sich mit einem Vertrauensvorschuss der Sache anzunähern. Es sollte die Skepsis sein, mit der sie Fakten prüfen und sammeln. Diese Skepsis wird heute oftmals als Gleichgültigkeit ausgelegt, man zeige dem Opfer keinen Respekt, heißt es dann häufig ein bisschen selbstgerecht — auf Spurensuche zu gehen, gleich ob als Polizist oder Reporter, ist jedoch keine Angelegenheit der Respektsbekundung. Das ist gar nicht die Kompetenz des Rechercheurs. Er tritt gezielt einen Schritt zurück, hält Distanz, um die Dinge einordnen zu können — zu viel Nähe zum vermeintlichen Opfer hemmt die Recherche.

Ein Richter mit Verständnis und Bekenntnis

Den Ansatz, den der Zentralrat verfolgt, kennen wir aus einer anderen Debatte: Immer dann, wenn eine Frau von sexueller Übergriffigkeit seitens eines Mannes berichtet, kommt er zur Geltung. Dann heißt es, man müsse dem Opfer Vertrauen schenken — tut man es nicht, brächte das Frauen dazu, nicht mehr zur Polizei gehen zu wollen.

Diese Rechtsvorstellung mündet zwangsläufig in eine Beweislastumkehr. Ehe man sich versieht, muss der potenzielle Täter seine Unschuld beweisen.

Die Absichten dahinter können zwar gut gemeint sein, doch sie zündeln mit einer Rechtsauffassung, die in eine Katastrophe führen kann — denn gilt ein Beschuldigter als schuldig, bis er das Gegenteil beweisen kann, eröffnet das dem Rechtsmissbrauch Tür und Tor.

Man muss auch am Rechtsempfinden des zuständigen Richters im Prozess gegen Gil Ofarim zweifeln. Andreas Stadler, so sein Name, bezeichnete die Entschuldigung als „wertvoll“ und gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Musiker nun einen „befreiten Neustart“ angehen könne. Er verurteilte Ofarim zu 10.000 Euro Strafe, die er an jüdische Einrichtungen transferieren soll. Folgender Satz des Richters macht Sorgen:

„Eines bleibt, wie es war: Antisemitismus ist eine Tatsache, der Kampf dagegen ist eine Aufgabe.“

Diese Aussage flankierte die Urteilsbegründung — und klingt wie ein Fremdkörper in einem Gerichtsprozess. Der zuständige Richter schien ein Bekenntnis abzulegen. Er saß diesem Fall jedoch nicht vor, um einen gesellschaftlichen Aufruf gegen Antisemitismus zu formulieren. Seine Kompetenz ist viel banaler: Er hatte einen Einzelfall zu beurteilen — und den konnte er nur so einordnen: Antisemitismus fand in jenem Fall nicht statt. Wieso er ein nachsichtiges Urteil mit einem solchen verfahrensfremden Satz ergänzt, erscheint mit dem nötigen Abstand betrachtet doch mehr als fragwürdig.

Ofarim hat immerhin eine Straftat erfunden. Vorgetäuscht — wie man das juristisch ausdrückt. Nach Paragraph 145d StGB ist das strafbar. Das „wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in Paragraph 164, Paragraph 258 oder Paragraph 258a mit Strafe bedroht ist“. Nun wäre der Mitarbeiter des Hotels — der wahre Geschädigte dieser Angelegenheit — wohl nicht juristisch belangt worden, denn jemandes Kette abzulehnen, ist nicht strafbewehrt. Daher war nur eine Geldstrafe für Ofarims Täuschung möglich. Warum aber dieses verständnisvolle Einordnen seitens des Richters? Denn die Vortäuschung einer Straftat hat ja einen Hintergrund, den man nicht einfach ausblenden sollte: Sie ist — um es drastisch zu bezeichnen — grob asozial.

Er hat uns allen den Stinkefinger gezeigt

Mit der Vortäuschung einer Straftat bindet man Polizei und Staatsanwaltschaft, lässt sie ins Leere arbeiten. Man missbraucht also Ressourcen, die von der Allgemeinheit finanziert werden. Man könnte sich in einem übertriebenen Szenario folgendes ausmalen: Während die Polizei mit dem Fall des Gil Ofarim beschäftigt ist — und das sogar im großen Stil, weil die Presse Druck macht — bleibt ein tatsächliches Verbrechen am anderen Ende der Stadt unentdeckt oder wird nicht adäquat behandelt.

Einfach gesagt: Die Vortäuschung einer Straftat schädigt alle, ist ein Angriff auf das Gemeinwesen.

Das hätte der Richter des Verfahrens durchaus beleuchten müssen. Wenn ein Richter Bekenntnis ablegen will, sollte er es in der Sache tun, in der er einem Verfahren vorsitzt. Einige Worte, warum die Täuschung hier so heimtückisch ist, wären angebracht gewesen. Die, die damals Partei für Ofarim ergriffen, fühlen sich heute missbraucht. Aber der wirkliche Missbrauch war, dass dieser Mann nicht davor zurückschreckte, diejenigen exekutiven Ressourcen ohne Not in Anspruch zu nehmen, die von der Allgemeinheit finanziert werden. Er hat damit dem Gemeinwesen den Stinkefinger gezeigt — und ja, damit uns allen, die wir in diesem Lande leben.

Über diesen Umstand geht ja nicht nur der Richter hinweg. Die gesamte Öffentlichkeit hat diesen eigentlichen Schaden, der da entstanden ist, nicht zum Thema erhoben. Als sei es ein Kavaliersdelikt. Natürlich muss man betonen, dass dieser Schaden sich pekuniär ziemlich in Grenzen hielt — ob darunter andere Ermittlungsarbeit litt, wissen wir nicht. Aber darum geht es nicht, das Heimtückische der Täuschung mag sicherlich theoretischer Natur sein. Aber es geht dabei ums Prinzip.

Nun ist Gil Ofarim nicht der erste, der Behörden für seine Zwecke missbraucht — und der mit ihrer Hilfe Aufmerksamkeit generiert hat. In seinem Fall hat er die Polizei gewissermaßen zu seiner Marketingabteilung „befördert“. Aber dass Richter und Öffentlichkeit nicht weiter darüber sinnieren, was das eigentlich bedeutet, wenn jemand gezielt eine Straftat vortäuscht, welcher vielfältige Schaden am beschuldigten Hotel-Angestellten, an den Ostdeutschen und Leipzigern und am Gemeinwesen entstanden ist, spricht Bände.

Ofarim hat einen republikanischen Schaden in Kauf genommen, dem Wortsinne nach: res publica, die öffentliche Sache — er hat sie mit Füßen getreten. Wo ist der republikanische Empörungsmob vor dem Gerichtgebäude geblieben? In einer Republik ohne Republikaner darf man darauf wohl nicht hoffen.


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