Der Anfang vom Ende
Im Eröffnungsvortrag des TV-Philosophen Gert Scobel (2) kam keine bessere Stimmung auf. Die Lindauer Zeitung (1) bemerkt hierzu:
„Wer an dieser Stelle geglaubt hatte, dass es düsterer nicht mehr geht, wurde von Gert Scobel schließlich belehrt. Denn der bekannte Philosoph hangelte sich am Begriff der Vernunft entlang, deren zur Disposition stehendes Ende die erste Tagungswoche prägt. Er ging von einem Untergangsszenario zum anderen.“
Das Resümee der Lindauer Zeitung:
„Damit ging der Eröffnungsabend der Psychotherapiewochen in einer pessimistischen Weltsicht zu Ende, die der Tagung und Profession ihrer Besucher an sich widerspricht: mit den Mitteln der Psychologie Hoffnung zu machen.“
Untergangsprophetie und Apokalypse
Der Vortrag von Gert Scobel, bekannt aus der viel beachteten Wissenschaftssendung auf 3SAT, bewegte sich in einer Philosophie der Orientierungslosigkeit („Zunehmende Komplexität der Welt“), in krampfhaften Bemühungen, das aktuelle Dilemma und das gesamtgesellschaftliche Desaster zu verstehen, und in Versuchen, sich in unterschiedlichen philosophischen Sichtweisen durchzuarbeiten. Es gebe einen Unterschied zwischen Verstand und Vernunft. Erkenntnis sei nur nach Regeln und apriorischen Voraussetzungen möglich. Die Vernunft stehe jedoch vor allen Erfahrungen. Der Verstand sei anwendungsorientiert nachgeordnet. Das Denken sei nie zu Ende, das „Dazwischen“ sei in einem Diskurs immer vorhanden. Psychologen seien zum Beispiel „Spezialisten des Unfertigen“. Mit dem Fall der Mauer 1989 sei das Ende der Geschichte eingeläutet worden, der „Weltgeist“ würde sich „widersprüchlich entwickeln“, es gebe „keine fundamentale Dialektik mehr“. Auch das Ende der Kunst, so Gert Scobel, sei gekommen. Doch Gert Scobel will dann doch nicht ganz zu Ende denken, denn die Geschichte habe kein Ende, obwohl die Demokratie im Niedergang sei.
Zurück zur Vernunft. Diese trete, so Gert Scobel, als instrumentelle Vernunft im Sinne von Habermas und Adorno (3) auf, sei aber eine getarnte Unvernunft, die von autoritären Herrschern aus ihrer Sicht auf „eine menschenverachtende Art“ als vernünftig deklariert würde. Auschwitz sei eine „Abbruchkante der Vernunft“ gewesen.
Gert Scobel sieht in einer „neuen Aufklärung“ einen Hoffnungsschimmer. Die Komplexität aller derzeitigen Krisen und Problemen müsse anerkannt werden. Wir wollten ja glauben, dass alles am Ende einfach sei. Dabei sei jeder Prozess eine komplexe Selbstorganisation. Deshalb müssten wir uns von linearen Ursache-Wirkungs-Schemata verabschieden und zu einer Analyse von komplexen Systemen übergehen, die durchaus robust, anpassungsfähig, vernetzt seien und sich in einer nonlinearen Rückkopplungsschleife befänden. In den Schulen und anderen Bildungsorganisationen müsste in Zukunft die Simulation von komplexen Systemen trainiert werden. Bisherige klassische Modelle und Prognosen seien reduktionistisch.
Gert Scobel, so ganz im Elfenbeinturm gefangen, findet jedoch kein Wort zu Wissenschaftszensur in unserem Land. Es scheint nach seiner Auffassung eine vernünftige Einheitswissenschaft zu geben, die konträr zu einem unvernünftigen Populismus steht. Gesellschafts- und Wissenschaftskritik existiert nicht oder wird nur als Verschwörungstheorie stigmatisiert. Kein Wort zu fehlgeleiteten Gentherapien ohne Schutzwirkung und Sicherheit, schädlichen Masken und untauglichen Tests. Kein Wort zur Mediengleichschaltung.
Mit den Worten des Physikers Günter Dedie (4): „Es gibt nur eine politisch korrekte Version von Fakten und Meinungen und vor allem auch von ursächlichen Zusammenhängen, und nur diese ist erlaubt, wird überhaupt nur kommuniziert und bekommt eine Reichweite, alles andere wird unterdrückt.“ Elena Louisa Lange (5) interpretiert Karl Marx: „Marx nannte ein solches Vorgehen ‚Verdinglichung‘: Etwas gesellschaftlich zu Verhandelndes, wie etwa die Frage nach dem Umgang mit einem potenziell tödlichen Virus, wird kurzerhand zu etwas ‚Naturgegebenem‘ umgedeutet, das angeblich nur eine autoritäre Politik der ‚Sachzwänge‘ zulässt.“
The Day After
Wer glaubte, dass es nach Gert Scobel nicht noch schlimmer kommen könnte, wurde am nächsten Morgen, dem ersten regulären Fortbildungstag, durch den Vortrag von Universitätsprofessor Dr. med. Stephan Doering (6) eines Besseren belehrt.
Professor Dr. med. Peter Henningsen darf als Moderator Professor Stephan Doering vorstellen. Nach einer Aufzählung all seiner Titel und Verdienste für die psychologische Forschung wendet sich Herr Henningsen mit etwas wackeliger Stimme direkt an Prof. Stephan Doering:
„Stephan ... du hast dich jetzt auf ein Thema begeben ... in ein Thema begeben, ... äh ... dafür sind wir dir sehr dankbar, dass du bereit warst, ...ähm … dieses Thema hier jetzt für uns, dieses Thema zu übernehmen, und ich … ähm … ich freue mich nicht nur, sondern bin sicher, dass du … ähm … hier zum Thema Überlegungen zur Impfskepsis uns … ähm … im Rahmen dessen, worum es hier geht, … äh … Auseinandersetzungen um Vernünftigkeit, um die ganzen Schwierigkeiten des Umgangs mit Unvernunft auch sehr wichtige Dinge sagen wirst; … wir freuen uns sehr auf deinen Vortrag!“
Jeder bekommt hier sofort den Eindruck eines heißen, heiklen Themas, und Herr Professor Henningsen scheint heilfroh zu sein, dass sich ein Kollege gefunden hat, der den „Unvernünftigen“, sprich Ungeimpften, mal ordentlich die richtige Meinung geigt. Im zahlreich erschienenen Publikum meiner KollegInnen ist es gespenstisch still, kein Mucks ist zu hören!
Professor Doering kommt mit federndem Schritt auf die Bühne und legt auch gleich selbstbewusst los. Das Thema habe ihm Schwierigkeiten bereitet, und er werde gleich über etwas sprechen, zu dem er eigentlich nicht richtig befugt sei, „weil es nicht in meinen Schwerpunktbereich fällt und ich nicht alles verstehe, was ich Ihnen erzählen werde“.
Andererseits fühle er sich auch entlastet, weil Gert Scobel schon gestern einen Übergang zu heute geschaffen hat — „Es ist halt alles komplex“. In einem Schaubild — „Declosure“ — outet sich Professor Doering als Impfbefürworter, der fünf Mal geimpft und einmal genesen sei. Er sei kein Virologe oder Epidemiologe noch Simulationsforscher noch Soziologe. Er könne die COVID-19-Studien vermutlich auch nicht ausreichend objektiv bewerten. Er verstehe gelegentlich die Welt nicht mehr:
„Verwandte, Freunde, Kollegen entpuppten sich plötzlich als vollkommen andere Menschen, die ich nicht wiedererkannte, weil sie mit so heftiger Aggressivität und Destruktivität gegen mich, gegen meine Position, gegen Coronamaßnahmen, gegen Impfungen gewettert haben (…), das will ich besser verstehen. Was tun wir eigentlich mit denjenigen? Diese Antwort ist gestern Gert Scobel schuldig geblieben. Ich hätte ihn gerne gefragt, was tun wir denn mit denjenigen, die nicht bereit sind, unseren Diskursen zu folgen, nicht bereit sind, unseren neuen Wegen zur Aufklärung über die Komplexität mit uns mit zu gehen (...).“
So weit Professor Doering. Schnell wird klar, dass der Weg einer neuen Aufklärung alternativlos sein muss und jede Kritik daran als aggressiv und destruktiv zu bewerten sei. Hier bekommt man schon den Eindruck, dass die Lindauer Psychotherapiewochen (PW) ein von oben verordnetes, propagandistisches Thema aufgesetzt bekommen haben. Doch die Veranstalter sind etwas entlastet, da sich ein geeigneter viel geimpfter und geboosteter Scharfmacher aus Wien im Vorstand der PW finden ließ.
Er wird jedoch nicht der Einzige in dieser Woche bleiben, der eine Lizenz zur Hetze gegen die Gruppe von 20 Millionen Ungeimpften — und damit Unvernünftigen — erhalten hat. Immer pünktlich um 10 Uhr morgens gibt es bei der zweiten Vorlesung am Morgen in der Inselhalle mehr oder weniger Schreckliches zu den „Unvernünftigen“ zu hören. Sie seien ein Opfer eines libertären Freiheitsbegriffs, der sie auch wirklich gar nichts begreifen lässt.
Sie müssten halt mit Butterbrot, gegebenenfalls auch mit Peitsche zum richtigen Glauben erzogen werden. Professor Doering möchte jedoch erst mal mit Verständnis auf diese anderen Menschen zugehen: „Was am Ende hilft, selbst wenn nichts hilft, ist ein Mensch, der sagt, okay, ich verstehe dich, wir machen das schon (…), mal schauen, ob wir dorthin gelangen.“
Als Nächstes projiziert er über die Beamer in der Inselhalle einige Diagramme des Echtzeit-Statistikunternehmens Worldometer: „Ein paar Fakten oder woran die Vernünftigen glauben.“
Horrorstatistik zum Untergang der Ungeimpften
Professor Doerings Corona-Zahlen: 6,8 Millionen Tote weltweit, das entspräche eine Letalitätsrate von 1,03 Prozent. In Deutschland 169.000 Tote und cirka 38 Millionen Infizierte. Die Letalitätsrate in der BRD sei mit 0,44 Prozent relativ niedrig. Aber es kommt noch schlimmer: Für Ungeimpfte gebe es ein Erkrankungsrisiko, das 11,6-mal so hoch sei wie für Geimpfte (7).
Ungeimpfte würden zudem 60-mal häufiger, je nach Altersgruppe, auf der Intensivstation landen im Vergleich zu 2-fach Geimpften (8). Für Ungeimpfte sei im Vergleich das Sterberisiko zeitweise mehr als 50-mal so hoch wie für Geimpfte (9). Zudem würden Geimpfte das Virus nur ein Drittel so häufig weitergeben wie Ungeimpfte. In dieser Leier geht es weiter, das will ich jedoch dem geneigten Leser ersparen.
Folgt man Professor Doering, muss man wohl zum selben Schluss kommen wie schon zu früheren Zeiten Gesundheitsminister Lauterbach, der in einer düsteren Zukunftsprophezeiung von Geimpften und Genesenen als einzigen Überlebenden sprach. Erstaunlich ist nur, dass cirka 2.000 Psychotherapeuten immer noch eine derartig plumpe Propaganda aufgetischt wird. Jedem nur etwas aufgeklärten Kollegen müsste klar sein, dass Geimpfte häufiger krank werden, viele an schweren Nebenwirkungen leiden und seit Beginn der Impfungen eine steigende Übersterblichkeit zu beobachten ist, die zudem mit der Impfhäufigkeit in der Bevölkerung signifikant korreliert (10). Ganz zu schweigen von den langfristig angelegten schweren psychischen und somatischen Schäden durch Lockdowns und andere Sanktionsmaßnahmen, die übrigens auch in Ärztezeitschriften beklagt werden (11).
Ich mach mir die Welt, so wie sie mir gefällt
Herr Professor Doering „glaubt“ als „Vernünftiger“ an die Fakten eines Statistik-Unternehmens, das schon in Veröffentlichungen im April 2020 (12) als „unzuverlässig“ dargestellt wurde: „Die Fakten zu den Fallzahlen der Coronakrise haben einen höchst abenteuerlichen Ursprung und dramatisieren die Wahrnehmung.“ Das Echtzeit-Statistik-Unternehmen Worldometer, gegründet 2004 in den USA, das von Professor Doering und den meisten Massenmedien zitiert wird, enthält nicht einmal ein Impressum. Keiner weiß, wer verantwortlich ist. Auf Anfragen gibt es keine Erwiderung (12).
Worldometer gehört „Dadax LLC“, einer kleinen amerikanischen Softwarefirma, registriert in der US-Steueroase Delaware, bei der ebenfalls kein Impressum aufzufinden ist. Worldometer gibt als Referenz-Institutionen die Johns-Hopkins-Universität (JHU) und einige bekanntere Journale an. Dadax LLC gehört einem Multimilliardär namens Andrey Alimetov, die JHU wird ebenfalls von privaten Multimilliardären finanziert. Insgesamt gesehen kommt der fortlaufende Daten-Tsunami von Worldometer aus einem undurchsichtigen Prozess der Daten-Verifizierung (12). Es handelt sich dabei vielfach um Schätzungen von Schätzungen. Die von der JHU zusammengestellten Zahlen liegen bei den Neuinfizierten in der Regel höher und bei den Genesenen tiefer, als sie in Wirklichkeit sind. Hierzu muss zudem bedacht werden, dass der PCR-Test zur Identifizierung der Infizierten für diagnostische Zwecke ungeeignet ist und hohe Fehlerquoten produziert (13). Sehr deutlich wird auch die fehlende Standardisierung von Infiziertenzahlen, da sie nur absolut beziffert werden und nicht auf die Anzahl der gleichzeitig angewandten Tests bezogen werden.
Als Alternative für statistische Daten kann die Firma „pandata.org“ (14) vorgeschlagen werden. Sie wird von einer Gruppe von internationalen Wissenschaftlern, vor allem aus Südafrika, Großbritannischen und den USA, betrieben. Weitere seriöse Quellen: „Swiss Re“ und „Evidenzbasierte Medizin“, „MFDG“, „Ärzte für Aufklärung“ und die „Barrington-Erklärung“. Viele andere kritische Stimmen können hier aus Platzgründen nicht aufgelistet werden.
Am Ende seines Vortrages zeigt sich Professor Doering doch etwas nachdenklich und spricht von einer vorhandenen „Lücke“. Wir sollten Brücken bauen. Er fragt sich: „Warum gab es eigentlich keine wissenschaftliche und politisch motivierte Kritik — untermauerte, tragfähige Kritik — an den Maßnahmen? Warum haben alle gesagt, die Gegner sind das Problem?“
Doering neigt jedoch dazu, die von ihm erkannte „Lücke“ mit Unwahrheiten zu füllen: Erstens gab es auch vom linken und liberalen Ufer warnende Stimmen, zum Zweiten verleugnet er die unzähligen Studien und Statements aus der unabhängigeren Wissenschaft, die eine rationale und gut belegte Kritik an den Coronamaßnahmen zum Thema hatten. Bedauerlich nur, dass es von den „vernünftigen“ Wissenschaftlern kaum Kritik gab. Vielleicht eine vernünftige Erklärung von Bertold Brecht: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!“
Betroffenheitspropaganda und Pathologisierung der Unvernünftigen
Nach dem Motto „Schlimmer geht immer“ kommt es in weiteren sogenannten Fortbildungsbeiträgen zu einer noch ausgeprägteren Hetze gegen Kritik und Andersdenkende.
Da gibt es eine Frau Katharina Nocun (15), ehemalige Vorsitzende und Geschäftsführerin der Piratenpartei, die in ihrem morgendlichen Vortrag alle möglichen Schandtaten der Verschwörungstheoretiker aufführt. Ihr Vortragsthema: „Von Fake Facts zu True Facts. Das Ende der Vernunft?“ Der ganze Vortrag von Frau Nocun bietet eigentlich nichts Neues, da diese Leier von morgens bis abends im Mainstream heruntergebetet wird, allerdings mit einigen Ausnahmen. Auch hier wieder dasselbe Schema wie bei Professor Doering: Alle fundierten Kritiker werden erst mal in einen Pool von Verschwörungsgläubigen geworfen, dem nur Impfskeptiker, Reichsbürger, Esoteriker, gewaltbereite Rechtsextremisten und Antisemiten angehören. Ihre Methode: Der Charakter von Extremgruppen und ihre vermeintlichen Taten werden auf alle Andersdenkenden übertragen. So spricht sie von Querdenkern, die nach Paraguay auswandern, da habe doch ein Mann „ seine komplette Familie ermordet, samt Frau und Kindern, weil das mit seinem Verschwörungsglauben zu tun hatte, das ist auch kein Einzelfall, es gibt solche Fälle immer wieder!“
Also: Sandkastenwissenschaft vom Gröbsten nach dem Motto: Pars pro Toto. Und weiter geht es im selben Takt: Es gebe da eine Sekte namens „QAnon“, die Verschwörungen vertreten würde und die sogar eigene Kinder getötet hätte. Frau Nocun geht dann gleich zu Kindern von Querdenkern über, die indoktriniert und instrumentalisiert würden, und hat auch ein Beispiel parat: Eine Mutter verbietet ihren Kindern, draußen zu spielen, weil „da wurde wieder Gift versprüht“. Auch würden Kinder von ihren Eltern vor Impfungen in den Schulen gewarnt: „Die haben dann Angst vor Ärzten und werden Angst vor jeder ganz normalen Impfung haben!“
Wie bei allen Beispielen und Behauptungen führt Frau Nocun keine Belege an. Dazwischen immer wieder ihre gespielte Betroffenheit: „Wenn man so was hört (…), warum glauben Menschen an so was? Wie können zum Teil hochintelligente Menschen ...“
Mehrmals verweist sie auf den sogenannten Reichstagssturm, sozusagen als Quintessenz der rechtsextremen Propaganda. Auch hier habe sich gezeigt, dass „eine Überschneidung von esoterischer und rechtsradikaler Szene eine toxische Wirkung entfaltet“.
Zum Sturm auf den Reichstag habe eine Heilpraktikerin namens Tamara Kirschbaum bei der Demonstration in kurzer Entfernung zum Reichstag aufgerufen. Sie sei eine „esoterisch geprägte Heilpraktikerin, vernetzt mit der lokalen rechtsextremen Szene“. Schon einen Tag davor habe sie bei einer Demonstration vor der russischen Botschaft mitgewirkt.
Interessant erscheint dabei, dass diese Versammlung, an der Tamara Kirschbaum mitwirkte, von der Polizeiführung genehmigt wurde, obwohl schon am Vortag zum Sturm auf den Reichstag im Internet aufgerufen wurde. Die Szenerie vor dem Reichstag bot sich wie eine Einladung zu einem Sturm an, da ja auch nur drei Polizisten am Eingang herumstanden. Bei der Rede von Frau Kirschbaum am Reichstag erhält man schnell den Eindruck, dass es sich um eine Person handelt, die äußerst aufgeputscht wirkt, desorientiert und fast schon manisch agiert, zum Beispiel: Präsident Trump sei in Berlin gelandet und würde das Ganze unterstützen. Schaut man sich Videos (16) an, erkennt man Leute mit allen möglichen Fahnen, neben Regenbogenflaggen und Reichskriegsflaggen auch eine große türkische Fahne.
Alle Menschen sind leicht gekleidet, sommerlich, mit kleinen Rucksäcken. Keine Helme, Sturmhauben, Holz- oder Eisenstangen, keine Steine, keine Molotowcocktails und andere Waffen zu erkennen. Drei Polizisten stoppten die Demonstranten auf den oberen Stufen. Viel Gebrüll, aber kein Versuch, in den Reichstag einzudringen. „Es fand also weder ein Reichstagssturm statt, noch spielten Rechtsextremisten eine signifikante Rolle. Mit der Organisation der Demonstration — große Querdenkerdemo in Berlin am selben Tag — hatte die kurzzeitige Treppenbesetzung nach bisherigen Erkenntnissen nichts zu tun. Personen und Sachschäden gab es nicht — im Gegensatz zu den linksextremistischen Ausschreitungen in Leipzig, kurz nach dem angeblichen Reichstagssturm“ (17).
Diese Vorgänge lassen natürlich an eine Inszenierung denken, um das Narrativ der durch Rechtsextreme bedrohten Demokratie zu bekräftigen. Zum einen ging es darum, einige Hunderttausend friedliche Demonstranten in einen Topf mit Chaoten und Rechtsextremisten zu werfen, zum anderen Einschränkungen für Demonstrationen zu verordnen.
Gegen Ende ihres Vortrages versucht Frau Nocun, etwas Realitätsorientierung herzustellen: Psychische Erkrankungen seien unter den Verschwörungsgläubigen nicht weitverbreiteter als in der gesamten Bevölkerung. Auch gebe es diese in allen Berufsgruppen. Die betroffenen Menschen seien jedoch teilweise in verschiedener Hinsicht marginalisiert. Deshalb könne sich eine Art „toxischer Spirale“ auftun über Diskriminierungsängste und psychischer Erkrankung. „Es gibt da empirische Untersuchungen.“ Es bleibt aber wie schon zuvor offen, welche es denn genau sind. Die „Szene“ würde im Übrigen die Medien und Psychotherapie als Teil der Verschwörung wahrnehmen. Verschwörungen, so Frau Nocun, „spielen eine Rolle bei rechtsextremen Attentätern“.
Die Esoterik sei eine „Einstiegsdroge für die verschwörungsideologische Szene“, sie sei eine „Verpackung für rechte Verschwörungsideologen“. Letztere versuchten diese
Zur Begrüßung in der Inselhalle gab es schöne Bilder aus der Vogelperspektive von Lindau und parallel wurde stolz verkündet: „Wir sind jetzt hybrid.“ Wegen der Psychologen, die aus altbekannten Motiven — Ansteckungsparanoia — lieber aus ihrem Homeoffice heraus den Veranstaltungen folgten, mussten aus organisatorischen Gründen die morgendlichen Vorlesungen eine halbe Stunde vorverlegt werden, was nicht von allen „Psychos“ positiv aufgenommen wurde. Wie schon ein Jahr zuvor, ließ sich die Oberbürgermeisterin von der Stadträtin Ulrike Lorenz-Meyer vertreten. Letztere beklagte in ihrem Statement, dass sich hier auf der Insel zwar jede Menge Psychotherapeuten fortbilden würden, es aber in ihrem Landkreis keinen einzigen Psychiater mehr gebe: „Es waren mal fünf.“ Dies sei eine deprimierende Bilanz, „(…) und ich habe nicht den Eindruck, dass sich irgendjemand für dieses Problem interessiert“ (1).
Ideen an „ein weibliches Milieu unverfänglich nahezubringen“. Interessant! Gibt es da auch Untersuchungen? Frau Nocun fährt gleich fort und zählt einige Ursachen für Verschwörungserzählungen auf: „Es gibt da verschiedene Untersuchungen.“ Kontrollverlust führe zu dem Glaube an eine Verschwörungstheorie, die ein „psychologisches Hilfskonstrukt“ darstelle. Der Betroffene „hat Angst vor der Zukunft, aber er hat einen Plan, an dem kann ich mich festhalten, und man kann Schuldige benennen“.
So werde der Verschwörungsglaube zu einem positiven Bestandteil des Selbstbildes und würde das Bedürfnis nach Einzigartigkeit erfüllen. Kurzum, die Verschwörungsgruppe gebe einen Halt im Leben.
So langsam wird klar, dass sich Frau Nocun selbst in einer Verschwörungserzählung befindet. Sie erlebt eine Verschwörung hinter den vielen „Verschwörungsnarrativen“. Letztere sollen fälschlicherweise alles, woran sie fest glaubt, zum Beispiel Menschheitsbedrohungen durch den Klimawandel, unkontrollierte Viruseinfälle und permanente Angriffe von Rechtsextremisten auf die Gesellschaft, infrage stellen.
Ihr Glaube wird durch die Szene der Querdenker und zahlreichen Kritiker in den Social Media bedroht, es bleibt ihr nichts anderes übrig, als diese zu bekämpfen. Die von oben administrativ installierten Faktenchecks als „Wahrheitsmedium“ geben ihr Halt und reduzieren ihre Unsicherheit. Sie seien das Mittel, um den „Nährboden“ der Verschwörungsideologie „abzugraben“.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Lindauer Zeitung: „TV-Philosoph spricht über die Apokalypse. Gert Scobel warnt bei Psychotherapiewochen vor düsterer Zukunft und Gegenwart“, 11. April 2023, Seite 13.
(2) Der Eröffnungsvortrag am Sonntag von Gert Scobel in der Inselhalle: „Vernunft am Ende? Komplexität und neue Aufklärung im Zeitalter der Transformationen“.
(3) Theodor W. Adorno und Max Horkheimer: „Dialektik der Aufklärung“, Frankfurt 1971.
(4) Günter Dedie interviewt von Milena Preradovic: „Es gibt keine Klimakatastrophe“. https://odysee.com/@Punkt.PRERADOVIC:f/230420_Dedie:b.
(5) Elena Louisa Lange: „Marx wäre heute konservativ“. In: Die Weltwoche“ 20. April 2023, Seite 46.
(6) Professor Stephan Doering: „Das Ende der Vernunft? Überlegungen zur Impfskepsis“. Vorlesung am 10. April 2023 in der Inselhalle Lindau.
(7) https://info.gesundheitsministerium.at/
(8) www.icharc.org/our-Audit/Audits/Cusp/Reports
(9) https://ourworldindata.org/covid-death-by-vaccination
(10) https://www.wochenblick.at/corona/statistik-covid-todeszahlen-steigen-dort-wo-am-meisten-geimpft-wurde/
(11) https://swprs.org/the-lockdown-lunacy-in-retrospect/
Deutsches Ärzteblatt (Ausgabe für Psychotherapeuten): 2021 sei es zu einer massiven Zunahme von Arbeitsausfällen wegen psychischer Erkrankungen gekommen (Heft 1/Januar 2023). Die Maßnahmen zum Infektionsschutz hätten bei Kindern und Jugendlichen zum starken Anstieg von Ängsten, Depressionen, Essstörungen und psychosomatischen Beschwerden geführt, ebenso zu Übergewicht und Medienkonsum. Zudem sei es zu steigenden Fallzahlen in ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen gekommen (Heft 1/ Januar 2023). Die Schulschließungen hätten zu deutlich mehr Depressionen bei Kindern und Jugendlichen geführt (Heft 3/März 2023).
(12) https://transition-news.org/die-fakten-zu-den-Fallzahlen-haben-einen-höchst-abenteuerlichen-Ursprung-und-dramatisieren-die-Wahrnehmung
(13) https://swprs.org/the-trouble-with-pcr-tests/
(14) https://transition-news.org/pandata-die-bessere-alternative-zu-worldometer
(15) Katharina Nocun, Publizistin, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin, Vorlesung 12. April 2023, Inselhalle.
(16) https://politikstube.com/ein-video-zum-sturm-auf-den-reichstag/
(17) https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/reichstags-sturm-von-der-legende-bleibt-nichts-uebrig/amp
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