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Politische Überwältigung

Politische Überwältigung

Der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge wird einseitig politisiert — dadurch wird die unpolitische Sphäre zurückgedrängt, die für eine Demokratie elementar notwendig ist.

„Schuster, bleib bei deinen Leisten.“ Dieses alte Sprichwort kommt immer dann zum Tragen, wenn Menschen und Institutionen Themenfelder betreten, die mit ihrer Profession oder ihrer Tätigkeit nichts gemein haben und von denen sich sich auch fernhalten sollten. Die wenigsten dürften heute noch einen Schuster aufsuchen, dieser Berufsstand gilt als nahezu ausgestorben.

Zu der Zeit, als sich dieser Berufszweig noch eines florierenden Geschäfts erfreuen konnte, wäre es vollkommen undenkbar gewesen, dass der Kunde durch den Schuster mit politischen Statements behelligt werden würde. Vielmehr wäre der Schuster schief angesehen worden, hätte er seinen Kunden freudig berichtigt, wie klimaneutral das Material sei, welches er für die Schuhreparatur verwendet. Mit einem eher verstörten Blick würde man einen anderen Schuster aufsuchen, hätte er an seine Werkstatt-Schaufensterscheibe einen ein politisches Statement zum Ausdruck bringenden Halbsatz gepinselt und diesen linksseitig mit dem Rautezeichen verziert.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Schuster — stellvertretend für sämtliche öffentliche wie private Branchen — sind seit Kurzem nicht mehr bei ihren Leisten. Teils treten die Leisten — obwohl Teil des Kerngeschäfts — in den Hintergrund, während sich der Vordergrund mit politischen Kampagnen und Agenden füllt, die mit den Produkten und Dienstleistungen selbst rein gar nichts mehr zu tun haben. Gendersprache, Regenbogenfarben, Bekundungen zur Klimafreundlichkeit, Ukraine-Flaggen — in immer kürzeren Abständen wird die nächste politische Sau durchs Dorf und in die Geschäfte und Dienstleistungsgewerbe getrieben.

„Wie kommt das, dass man jetzt immer, überall, laut, schrill und ohne gefragt zu werden, mit Bekenntnissen und ‚Haltung‘ bedrängt wird?“, fragt Roberto J. De Lapuente in einem Beitrag bei den Neulandrebellen. Sehr haarfein analysierend führt er weiter aus:

„Dass nun mit dem Krieg in der Ukraine der nächste Komplex (nach Klima und Corona, Anmerkung Nicolas Riedl) bereitsteht, der sich als Werbe- oder Imagestrategie anbietet, verwundert daher nicht wirklich. Man muss die Ereignisse und die moralisch aufgeladenen Themen halt nehmen und deuten, wie sie fallen. Marketing ist ja letztlich nie etwas anderes gewesen, man muss den Verbrauchern etwas bieten, was über die Ware oder Dienstleistung hinausgeht. (…) Was soll denn schon dagegen einzuwenden sein, wenn man jetzt mit wichtigen, auch vernünftigen Themen wirbt? (…) Wenn der Homo consumens dort mit politischen oder gesellschaftlichen Themen abgeholt wird, profitiert am Ende doch jeder.

Unternehmen, die sich im Fahrwasser von zeitgeschichtlichen Geschehnissen moralisch blitzeblank waschen, sind nicht plötzlich gut und anständig. Sie fischen nach Komplimenten, wollen Anerkennung. Ihre Haltung ist eine pure Imagekampagne. (…) Das Haltungsmarketing ist keine Randerscheinung mehr. Jedes Unternehmen zieht da mit: von Supermärkten, Dienstleistern, Mobilunternehmen, Transportdiensten, Lieferservices, Metallbetrieben bis hin zu Onlineplattformen habe alle diese recht günstige Art des Werbens für sich entdeckt. Die Mitmache ist total — und ja, sie wirkt totalitär.“

Lapuente schrieb diese Zeilen anlässlich einer skurrilen Entdeckung in seinem Alltag: An einem Fahrkartenautomaten vorbeigehend, erblickte er aus dem Augenwinkel die Anzeige im Display, wonach das betreibende Verkehrsunternehmen mit der Ukraine „standen“ würde. Ein wunderbarer Aufhänger. Denn der kritische Zeitgenosse fragt sich doch, seit wann es die Aufgabe von öffentlichen Verkehrsbetrieben ist, mit irgendeiner politischen Agenda zu „standen“.

Sollten U-Bahn, Bus und Tram vielmehr nicht zu irgendetwas „stehen“, sondern durch ihre Fortbewegung einfach nur dafür Sorge tragen, dass die Menschen pünktlich und sicher von A nach B kommen? Und was ist eigentlich mit den Fahrgästen, die zu dem Ukrainekonflikt eine andere Meinung haben? Die sich nicht mit #standwithUkraine zieren würden, etwa weil sie um die kulturelle, historische und sprachliche Fragmentierung der Ukraine wissen, die eine Vereinheitlichung unmöglich macht. Vielleicht auch, weil sie die berechtigte Befürchtung hegen, dass dieser Beistand zur Ukraine auch den Beistand zu den dortigen Neonazi-Strukturen beinhalten könnte.

Der Ukrainekrieg ist nur eines von vielen politischen Themenfeldern, zu denen sich unterschiedlichste Geschäfte, Branchen, Institutionen und auch Betriebe der öffentlichen Daseinsvorsorge so verhalten, dass sie zu diesen Themen eine — meist synchrone — Haltung einnehmen und diese den Kunden ungefragt aufschwatzen.

Während es bei einem Bioladen noch irgendwo naheliegend ist, wenn dieser sich für eine sogenannte „Klimapolitik“ einsetzt, treibt das Phänomen in anderen Bereichen bizarre Blüten, etwa als die Supermarkt-Kette ALDI Nord auf ihrem YouTube-Kanal ein veganes, wokes, kinderfeindliches Propagandawerk veröffentlichte — mittlerweile wurde es wieder gelöscht —, welches sogar im ungarischen Ausland für Aufsehen sorgte. Was genau hatte ALDI doch gleich mit Kinderpolitik zu tun?

Als besonders problematisch stellt sich die Sache dar, wenn Betreiber der öffentlichen Daseinsvorsorge in den woken Haltungskult einstimmen. Exemplarisch lässt sich dies an den Social-Media-Auftritten öffentlicher Verkehrsmittel ablesen. Auch hier mag man vielleicht noch verstehen, dass man sich als öffentlicher Verkehrsbetrieb mit der Klimafreundlichkeit seiner Dienstleistung brüstet. Das ideologisch aufgeladene Themenfeld „Klima“ ist selbstverständlich noch mal ein Thema für sich. Doch es bleibt nicht allein beim Thema Klimafreundlichkeit.

Gendersprech, Bekenntnis zu LGBTQ, Werben für Veganismus und natürlich das #standwithUkraine. Alles Themenfelder, die mit der Fahrgastbeförderung rein gar nichts zu tun haben. Den Vogel schossen — wer auch sonst? — die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ab, als sie 2020 bei den US-Wahlen für Biden Partei ergriffen. „Wir wünschen B(e)iden viel Glück“, scherzelte das Socia-Media-Team. Was um alles in der Welt die BVG mit dem US-Wahlkampf zu tun hat, bleibt schleierhaft. Aber Hauptsache, der Russe hat sich nicht in die Wahlen eingemischt.

Politisierung des öffentlichen Raums

Wenn der öffentliche Raum und die Betriebe der öffentlichen Daseinsvorsorge zu einem Spielfeld politischer Agenden werden, dann ist die offene, pluralistische Gesellschaft in einem Höchstmaß gefährdet. Eine einzige Perspektive usurpiert den freien Markt der unterschiedlichen Weltanschauungen und verdrängt Kraft der ökonomisch-medialen Potenz ihrer Apologeten alle anderen Anbieter, indem diese für illegitim erklärt oder schlicht unsichtbar werden. Über die „Zwei-Sphären-Demokratie“ schrieb Gerhard Szczesny in „Das sogenannte Gute“ sehr treffend:

„Eine freiheitlich-demokratische Politik hat immer zwei Aufgaben: Sie muss für die ungehinderte Entfaltung der verschiedenen Weltbilder und Existenzweisen zugleich für die Festigung der solidarischen Werte sorgen. (…) Die pluralistische Gesellschaft kann als Staat und Gemeinwesen nur dann exisitieren, wenn es eine Sphäre gibt, in der ihre Angehörigen nicht als Vertreter verschiedener fremder und feindlicher Glaubensstandpunkte zusammentreffen, sondern als Menschen, die der gleichen Kultur entstammen und den gleichen sozialen und individuellen Problemen gegenüberstehen. (…)

Die Zivilisierung der Menschheit besteht in ebender Hervorbringung allgemeinverbindlicher rechtlicher, sozialer und sittlicher Prinzipien. Die Offenheit und Differenzierung der Demokratie in allen Fragen des Glaubens, des Geschmacks und der individuellen Lebensgestaltung darf nicht bis in den Bereich der gemeinsamen Werte und Einrichtungen vorangetrieben werden, weil die Gesellschaft dann auseinanderbricht. (…)

(I)hr wesentlichstes Kennzeichen (der freiheitlichen Demokratie) ist (…) die Beschränkung auch des Mehrheitswillens auf die Entscheidung über jene elementaren Probleme, die nur einheitlich geregelt werden können. Darüber hinaus verweigert diese Staatsform gerade denen, die sie eben an die Macht gebracht hat, das Recht, Minderheiten auf Mehrheitskurs zu bringen, und macht es ihnen zur Pflicht, jeden Einzelnen vor dem Zugriff von organisierten oder nichtorganisierten Mehrheiten zu schützen.

Die Toleranz, die Achtung des fremden Standpunktes — gleichgültig ob es der Standpunkt einer Mehrheit, einer Minderheit oder eines Einzelnen ist — ist nicht nur ein moralisches, sondern ein staatsrechtliches Grundprinzip. Die Erkenntnis und Anerkenntnis zweier übereinandergelagerter Sphären, in denen verschiedene, ja gegensätzliche Gesetzmäßigkeiten und Wertigkeiten herrschen, ist die Grundbedingung für das Funktionieren einer Gesellschaft, in der einerseits allgemeinverbindliche Regeln den Vorstellungen und Wünschen der Mehrheit entsprechen sollen, andererseits sich jede Gruppe und jeder Einzelne unbefangen nach seinen ganz individuellen Möglichkeiten entfalten kann. Wer nicht gewillt ist, diese beiden Sphären strikt auseinanderzuhalten (…), plädiert damit für den autoritären oder totalitären Staat“ (1).

Diese Zeilen sind nun knapp 50 Jahre alt. Die oben skizzierten Beispiele liefern ein erschreckendes Zeugnis dessen ab, wohin die Haltungsgesellschaft mittlerweile abgedriftet ist. Szczesny beschrieb bereits in den 1970er-Jahren, dass eine solche politische Vereinnahmung der öffentlichen Sphäre weit über eine bloße visuelle Belästigung — wie etwa bei einer Werbetafel — hinausgeht.

Noch einmal: Was bedeutet es dann, wenn man als Bürger dieses Staates nicht d‘accord geht mit dem, was im öffentlichen Raum als das „Richtige“ verkündet wird? Ein vormals neutraler Raum wird dann zum Spießrutenlauf durch einen Dschungel, in welchem einem die Political Correctness allgegenwärtig entgegenspringt.

Es geht über Belästigung und Überwältigung hinaus. Schnell kann einem diese Politisierung der Daseinsvorsorge an die existenzielle Grundlage gehen. Auf schmerzhafte Weise musste dies OVAL-Media-Gründer Robert Cibis erfahren, als ihm seine langjährige Bank das Konto kündigte. Politisch motiviert, versteht sich. Hierzu verfasste „Richard Richter“ — ein unter diesem Pseudonym publizierender Geisteswissenschaftler — auf apolut einen sehr bemerkenswerten Beitrag mit dem Titel „Wenn Banker zu Richtern werden“. Hier werden die Gedanken Szczesnys noch einmal präzisiert:

„Es gehört zum Wesen einer republikanischen Ordnung, dass die politische Auseinandersetzung in ihr auf bestimmte Sphären eingegrenzt wird. Diese sind im Wesentlichen das Parlament, die Presse, die Gerichte, Verbände und Vereine und nicht zuletzt auch ‚die Straße‘, nämlich in Form von Demonstrationen, Öffentlichkeitsarbeit et cetera. (…) (D)amit in einer Republik die politische Auseinandersetzung in geordneten Bahnen verlaufen kann, bedarf es nicht nur der Parlamente, der Wahlen, der Presse und der Gerichte; es bedarf auch einer Sphäre, die ausdrücklich von der politischen Auseinandersetzung ausgenommen ist.

Diese unpolitische Sphäre wird von den zur Erhaltung der Gesellschaft notwendigen Institutionen bestimmt, also den Schulen, den Krankenhäusern, den Geschäften, der Strom- und Wasserversorgung und den Banken. Die Supermärkte zum Beispiel sind für alle Menschen geöffnet, auch für die Wähler extrem rechter oder extrem linker Parteien. Das Gleiche gilt für die Strom- und Wasserversorgung, den Zugang zu Schulen und Krankenhäusern und so weiter.

Die Herausnahme bestimmter gesellschaftlicher Institutionen aus der politischen Auseinandersetzung stiftet überhaupt erst die Gemeinschaft, die dann zur Grundlage der politischen Auseinandersetzung werden kann. Indem darauf verzichtet wird, die alltäglichen Dienstleistungen des gesellschaftlichen Lebens zu politisieren, wird erst die Freiheit ermöglicht, deren genaue Bestimmung dann selbst zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung werden kann.

Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, sieht man allerdings immer wieder an Gesellschaften, deren republikanische Ordnung zerfällt und schließlich in einen Bürgerkrieg übergeht. Hier wird die Herrschaft einer bestimmten politischen Position zur Totalität, die alles in ihrem Einfluss- und Machtbereich ergreift und durchdringt.“

Man könnte die unpolitische Sphäre mit Spielfeldern unterschiedlichster Sportarten vergleichen. Zwei Sportler, beziehungsweise zwei Sportmannschaften, können nur fair gegeneinander antreten, wenn die Spielfelder neutral gehalten sind. Bei einem Fußballfeld muss der Rasen beidseitig von gleicher Beschaffenheit sein, bei einem Tischtennisturnier beide Tischplatten gleich lang und bei einem Volleyballspiel darf eine Spielfeldhälfte nicht aus Treibsand bestehen und so weiter. Wenn an der gemeinsamen Basis, die die Chancengleichheit beider Rivalen ermöglicht, etwas zum Vorteil des jeweils anderen gerüttelt wird, ist das Fair Play gestört. Und ebenso verhält es sich bei demokratischen Prozessen, die einer politisch neutralen Instanz bedürfen.

Stellen wir uns vor: woker Konservatismus

Friedensforscher Daniele Ganser ermuntert immer wieder dazu, bei Konfliktsituationen im Geiste die gegnerischen Vorzeichen umzudrehen. Anstatt dass Land A Land B angreift, stellt man es sich einmal genau umgekehrt vor. Versuchen wir das auch einmal bei der Problematik, die wir hier behandeln.

Augenscheinlich entstammt die Flut der Politisierung aus den Kreisen der woken, „links-grünen“ Parallelgesellschaft, die mit der Lebensrealität der einfachen Menschen seltenst Berührungspunkte hat, wobei jedoch erstere nie müde wird, letztere moralisierend zurechtzuweisen. Ob Corona, Klima, LGBTQ oder Ukrainekrieg — es handelt sich hierbei um Themenfelder, die in den allermeisten Fällen von Menschen beackert werden, die aus ebendiesem Milieu stammen.

In „Die Propaganda-Matrix“ beschreibt der Kommunikationsforscher Michael Meyen, dass das „journalistische Feld“ — als eine der vier Arenen der Propaganda-Matrix — überwiegend jenen vorbehalten ist, die über die notwendigen finanziellen Ressourcen und zugleich über den nötigen Bildungsgrad verfügen (2). Dieses journalistische Feld umfasst seit Kurzem auch den Bereich der Social-Media-Auftritten von Firmen, Behörden und öffentlichen Dienstleistern.

Aus dieser Struktur lässt sich ableiten, dass die Posten für die vor Wokeness triefende Öffentlichkeitsarbeit zum überwiegenden Teil von ebenjenen woken Zeitgenossen besetzt sind und eben nicht „vom kleinen Mann“. Gestützt wird diese These durch die Umfrage dreier ARD-Volontäre, die sich ein Bild davon machen wollten, wie politisch divers die Belegschaft in dem Rundfunkbetrieb ist. Das Ergebnis ist mehr als eindeutig:

„Fast sechzig Prozent der Volontärinnen und Volontäre kommen aus Städten mit mehr als Hunderttausend Einwohnern, die meisten aus Berlin und München, nur elf Prozent kommen vom Land. Ebenfalls nur elf Prozent sind in den neuen Bundesländern aufgewachsen. Der Akademisierungsgrad indes ist hoch, er liegt bei 95 Prozent. (…) Monochrom sieht es bei den politischen Ansichten der Nachwuchsjournalisten der ARD aus. Würden nur sie wählen, käme Rot-Rot-Grün auf einen Stimmenanteil von 92 Prozent. 57,1 Prozent votieren für die Grünen, 23,4 Prozent für die Linkspartei, 11,7 Prozent für die SPD, die Union landet bei drei, die FDP bei 1,3 Prozent.“

Angesichts dieser Zahlen wird überdeutlich, woher der Wind durch die vormals unpolitische Sphäre weht. Er kommt aus Richtung der gutsituierten Bildungsbürger, aber nicht aus der Richtung der einfachen Bürger oder jener, die sich eher konservativen Parteien und Weltanschauungen zugeneigt fühlen. Doch drehen wir nun in einem Gedankenspiel die Windrichtung um. Dabei überlegen wir, wie die als unpolitisch angedachte Sphäre sich uns darbieten würde, wäre sie mit politischen Bekundungen und Statements aus dem konservativen, generell nichtwoken Spektrum bestückt.

Denken wir uns hierzu eine fiktive deutsche Stadt mit rund 100.000 Einwohner aus, die im Stadtrat überwiegend mit Politikern (erz)konservativer Parteien besetzt ist, die zugleich die Bevölkerung im Verhältnis ziemlich gut repräsentieren. Alles in allem eine sehr konservative Stadt mit wenigen woken Hipsters, veganen Cafés und ohne Gendersprech in den Behörden.

Nehmen wir uns als erstes Beispiel den Instagram-Account und die Plakatwerbung der fiktiven Verkehrsbehörde vor. Stellen wir uns ein Sharepic / ein Plakat vor, auf welchem wir durch die Scheiben eines S-Bahnfahrgastraums auf malerische Landschaften blicken. Darüber steht geschrieben — am besten noch in altdeutscher Schrift — „Heimatliebe pur, mit der ‚S-Bahn Musterstadt‘“ und darunter der Hashtag „#PatriotischeEisenbahnromantik“.

Dann denken wir uns eine Supermarktkette aus. Weiter oben im Text wurde bereits der Videoblog von ALDI Nord erwähnt, der mit woker Ästhetik, einer kinderfeindlichen Botschaft und einem aufdringlichen Veganismus aufwartete. Stellen wir uns nun eine geschmacklose, sexistische Antipode vor, die Werbung einer Supermarktkette für ein günstiges Schnitzelangebot, beworben mit den Worten: „Sei kein Soyboy! Wir wünschen allen Männern einen fröhlichen 14. März!“

Und zu guter Letzt stellen wir uns noch vor, dass in dieser Stadt zu bestimmten Anlässen die Polizeiwägen, die öffentlichen Busse und Tram statt mit Regenbogen- mit Deutschlandfahnen auf der Motorhaube umherfahren.

Wenn Sie sich nun diese drei eben genannten Beispiele lebhaft vorstellen, kommen sie Ihnen sicherlich befremdlich, gar abstoßend vor. Dabei handelt es sich um den gleichen Mechanismus, der in diesem Fall allerdings lediglich von einer anderen Richtung aus betätigt wird. Bei dem Mechanismus handelt es sich um das ungefragte und obendrein übergriffige Aufoktroyieren einer partikularen Weltsicht auf die Allgemeinheit.

In einer offenen Gesellschaft hat aber keine einzelne Gruppe das Recht, dem Rest eine Weltsicht aufzuzwingen. Weder haben woke Social-Justice-Warrior das Recht, der Mehrheit ihren Veganismus, „Feminismus“ und ihre „politische Korrektheit“ aufzuzwingen, noch steht es Konservativen zu, denen, die sich als progressiv verstehen, traditionelle Werte oder Ähnliches aufzunötigen. Genauso wenig steht es Liberalen frei, im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge Andersdenkende zum Glauben an die Selbstheilungskräfte des freien Marktes zu bekehren. Und genauso wenig hätten etwa Mitglieder der spirituellen Partei Die Violetten das Recht, die unpolitische Sphäre mit New-Age-Mantren zu fluten.

Nein, in offenen, pluralistischen Gesellschaften bedarf es eines Raumes, der politisch neutral ist, in welchem Menschen jedweder Weltanschauung im Rahmen eines demokratisch-konsensual entstandenen Regelwerks — etwa die jeweilige Verfassung des Landes — koexistent agieren, kommunizieren und leben können. In unserem Grundgesetz findet sich nirgends die Pflicht, sich einer politischen Agenda zu unterwerfen, noch das Recht, eine solche seinen Mitbürgern aufzuzwingen.

Politik gegen die Politisierung?

Zum Schluss wollen wir uns noch eine etwas schwierige Frage stellen: Wie würde sich das Ganze nun darstellen, wenn sich Akteure der als unpolitisch angedachten Sphäre gegen ebenjene Politisierung mit politischen Gegenmaßnahmen zur Wehr setzen? Das wäre beispielsweise der Fall, wenn eine Behörde sich weigern würde, ihre Schriftsätze entgegen der Order von oben zu gendern. Oder dann, wenn ein — systemrelevantes — Lebensmittelgeschäft aus Protest gesetzliche Hygienemaßnahmen — Plexiglasscheiben, Sicherheitsabstandbodenmarkierungstreifen, Kartenzahlungsgebot, Maskenpflicht et cetera — nicht umsetzt. Oder auch, wenn sich Schaffner eines Verkehrsbetriebes weigern, die Einhaltung der Maskenpflicht oder der 3G-Regel zu kontrollieren.

Handelt es sich hierbei nicht auch um einen politischen Akt? Also genau das, was es in der unpolitischen Sphäre zu vermeiden gilt? Bleiben wir etwa bei dem Beispiel mit dem coronakritischen Schaffner. Sowohl dieser als auch sein gegenteilig handelnder Kollege, der die Coronaregeln im Zug mit der Regeltreue eines preußischen Beamten kontrolliert — beide würden von sich selbst behaupten, sie würden rechtlich-moralisch richtig handeln und damit Courage zeigen.

Der eine Schaffner möchte sich nicht an den Corona-Restriktionen beteiligen, sich nicht mitschuldig machen bei der Ausgrenzung und Maßregelung unbescholtener Bürger. Der andere Schaffner hingegen tut das, was er tut, aus der festen Überzeugung heraus, er würde damit ein Infektionsgeschehen eindämmen und damit der staatlichen Aufgabe nachkommen, die Bürger zu schützen. Beide haben gemein, dass sie aus einem politischen Motiv heraus handeln. Dabei haben beide im Grunde genommen einzig und allein die ganz und gar unpolitische Aufgabe, Fahrscheine zu kontrollieren.

Nun könnte man argumentieren, dass es eine konsequente Weiterführung der oben genannten Argumente sei, wenn sich die Akteure in der unpolitischen Sphäre auch zum Thema Corona oder Gendersprache neutral verhalten. Welche Meinung Schaffner, Verkäufer und öffentliche Dienstleister zu den genannten Themenfeldern haben, dürfte ebenso wenig eine Rolle spielen. Gegen Coronamaßnahmen, gegen Gendersprech et cetera zu sein, wäre ja schließlich auch nur eine von vielen politischen Meinungen, die in dieser Sphäre nichts verloren hätte.

Doch so einfach darf man es sich hierbei nicht machen. Denn mit ebenjener Okkupation der Gendersprache oder den Coronamaßnahmen in der oben aufgeführten Form, ist die unpolitische Sphäre ja nicht mehr länger unpolitisch, sondern regelrecht mit politischen Elementen kontaminiert. Die Amtssprache in Deutschland ist nach wie vor „Deutsch“ und nicht „Gender-Deutsch“. Der Zwang zu dieser Sprachumerziehung (3) stellt einen politischen Akt dar, der in dieser Sphäre nichts verloren hat. Und die Coronamaßnahmen im öffentlichen Bereich stellen ebenfalls politische Maßnahmen dar und nicht sicherheitstechnische Vorkehrungen, die aus rein rationalen, wissenschaftlichen Sachzwängen erwachsen sind. Das sagen nicht nur Maßnahmenkritiker.

Am 21. Januar 2021 gab die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Bundespressekonferenz unumwunden zu:

„Es gibt in dem Ganzen auch politische Grundentscheidungen, die haben mit Wissenschaft nichts zu tun.“

Nun haben wir hier schwarz auf weiß das Eingeständnis, dass die Coronamaßnahmen politisch motiviert sind und in weiterer Konsequenz eine aufgezwungene Politisierung des öffentlichen Raums darstellen. Es ist im Sinne der offenen Gesellschaft somit absolut legitim, mit politischen Mitteln auf eine Zurückdrängung dieser politischen Maßnahmen hinzuarbeiten, sofern es das Ziel ist, die genannte Sphäre in ihren angestammten Zustand des Apolitischen zurückzuführen und den vormaligen Normen- und Rechtsstaat wiederherzustellen, der im Gegensatz zum illegitimen Maßnahmenstaat die — unternehmerische — Freiheit (4) innerhalb des gesetzlichen Rahmens gewährte.

Man könnte das mit der homöopathischen Form der Immunisierung vergleichen, also dass das Schädliche beziehungsweise das zu Verhindernde in verträglichen Dosen verabreicht wird, um selbiges zu verhindern (5). Man betreibt in der unpolitischen Sphäre Politik um der Entpolitisierung willen, sodass sich Menschen jedweder politischer Anschauung — oder auch jene ohne irgendeine Anschauung — ungezwungen darin bewegen können.

Apropos Zwang: Von Hayek stammt die bekannte Feststellung, „Zwang kann jedoch nicht völlig vermieden werden, weil die einzige Methode, ihn zu verhindern, die Androhung von Zwang ist“ (6). Daraus ließe sich ableiten, dass Akteure innerhalb der unpolitischen Sphäre sich ein Maß politischen Handelns vorbehalten können, wenn es dazu dient, der Politisierung in dieser Sphäre Einhalt zu gebieten. Das politische Handeln zielt dann nicht darauf ab, eine Agenda durchzudrücken, sondern eine sich anbahnende in ihre Schranken zu weisen. So schrieb auch der weiter oben schon erwähnte Gerhard Szczesny:

„Wenn Ideologen von Haus aus die Tendenz haben, das Leben in toto nach ihrem Modell auszurichten, dann benötigt die pluralistische Gesellschaft antiideologische Programme, solche, die ihre Grenzen kennen und weder in den Bereich der allgemeinverbindlichen solidarischen und pragmatischen noch in den Bereich fremder ‚Ideologien‘ einzudringen versuchen (...)“ (7).

Es liegt im Interesse aller, die eine offene, freie und pluralistische Gesellschaft anstreben, dass die unpolitische Sphäre der öffentlichen Daseinsvorsorge entpolitisiert wird und die für politische Auseinandersetzungen vorgesehenen Sphären — Parlamente, Stadträte, Vereine, Kunst, Kultur, Medien — wieder integrativer werden. Das bedeutet, dass eine Partizipation für alle Menschen unabhängig von ihrem sozio-ökonomischen und auch— das muss man heute leider hinzufügen — körperlichen Status möglich sein muss (8).

Auf eine einfache Formel gebracht: Schluss mit der Cancel-Culture in der politischen Sphäre und Schluss mit der Overwhelming-Culture in der unpolitischen Sphäre!


Quellen und Anmerkungen:

(1) Siehe Szczesny, Gerhard: Das sogenannte Gute: Vom Unvermögen der Ideologen, Reinbeck bei Hamburg, 1974, Seite 96 fortfolgende.
(2) Vergleiche Meyen, Michael: Die Propaganda-Matrix: Der Kampf für freie Medien entscheidet über unsere Zukunft, München, 2021, Seite 184 fortfolgende.
(3) Hier ist von „Sprachumerziehung“ die Rede, da das Gendern keinem natürlichen, organischen Wandel der Sprache entspringt, sondern durch eine kleine, akademische Minderheit einer Mehrheit aufgezwungen wird. Vergleiche hierzu auch die Umfrage des Vereins Deutsche Sprache (VDS), wonach in Deutschland eine Mehrheit das Gendern ablehnt: https://vds-ev.de/pressemitteilungen/bundesbuerger-haben-nase-voll-von-gendersprache-und-debatte/.
(4) Die unternehmerische Freiheit — auch von systemrelevanten Betrieben wie Friseuren — wurde während der Lockdowns unrechtmäßig eingeschränkt. Vergleiche hierzu die damalige Rechtslage anhand des „Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgerichts wegen Angriffs auf den Bestand der Bundesrepublik Deutschland durch die Corona-Verordnungen aller 16 Bundesländer“ von Rechtsanwältin Beater Bahner am 8. April 2020 auf Seite 31.
Vergleiche hierzu auch das Nordkurier-Interview mit Rechtsanwalt Rolf Karpenstein, in welchem dieser darlegt, inwiefern die erzwungenen Ladenschließungen gegen geltendes EU-Recht verstießen, dessen Normen über dem deutschen Recht stehen.
(5) Vergleiche Esposito, Roberto; Schulz, Sabine: Immunitas: Schutz und Negation des Lebens, Berlin, 2004, Seite 46 fortfolgende.
(6) Siehe Hayek, Friedrich August: Die Verfassung der Freiheit, Tübingen, 1971/1991, Seite 163.
(7) Siehe Szczesny, Gerhard: Das sogenannte Gute: Vom Unvermögen der Ideologen, Reinbeck bei Hamburg, 1974, Seite 96 fortfolgende.
(8) Sehr lesenswert hierzu: Guérot, Ulrike: Wer schweigt, stimmt zu: Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen, Frankfurt am Main, 2022, Seite 110 fortfolgende.


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