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Reißt die Mauern ein!

Reißt die Mauern ein!

Plädoyer für ein empathisches Schulsystem.

Kinder bauen in den Schulen innerliche Mauern, die sie später nur schwerlich einreißen können. Die Lehrer sagen ihnen jeden Tag aufs Neue, worin sie nicht gut sind und was sie nicht können. Dann bauen die Kinder Mauern an diese Stellen, die sie einschränken und ihre Freiheit und ihr eigenes Potenzial vergessen lassen. Sie hemmen sich selbst und trennen sich von einem wichtigen Teil ihrer selbst ab: Von ihrer Intension, ihrer Kreativität, ihrer Spontanität, ihren eigentlichen Wünschen und Visionen, kurz: von ihrem Herzen. So werden sie formbar, wie der Staat sie haben will.

Später in ihrem Leben funktionieren sie dann perfekt als Konsumenten und Produzenten. Aber nicht als Menschen mit Gefühlen und Bedürfnissen. Sie übernehmen die vorherrschenden Bilder der Gesellschaft, übernehmen fremde Bedürfnissen aus der Werbung und leben ein angepasstes Leben im selbstgebauten goldenen Käfig. Dabei vergessen sie ihr eigenes Potential immer mehr, bis es verkümmert. Der heutige Ist-Zustand: Die Kultur kommt zum Erliegen und die Gesellschaft stagniert.

Dabei lebt in jedem Kind ein Drache, der jeden fremdbestimmten Tag in der Schule gegeißelt und geschlagen wird. Dieser Drache möchte frei sein, möchte etwas Besonderes sein, möchte sich nichtlinear entwickeln und er sehnt sich nach einer Welt voller Liebe und Empathie. Doch nach der Schulzeit findet er kaum mehr Gehör. Da die Welt den Kindern nur beibringt, Mauern zu bauen statt Brücken, schließen sie ihren Drachen in sich ein. Oftmals bis ins hohe Alter.

Sie haben erfahren, dass nur Leistung zählt. Sie haben Liebe und Zuneigung in der Schule gesucht und stattdessen Bewertung und Wettbewerb bekommen. Weil, laut den Erwachsenen, die selbst hinter ihren Mauern leben, so leider „eben das Leben läuft“. Aber diese Botschaft ist falsch! Wenn man nur Wettbewerb und Konkurrenz sehen möchte, dann wird man auch nur beides sehen. Doch außerhalb der Mauer findet das volle Leben statt. Geht man in dem Fluss des Lebens baden, kann man sich und das Leben wieder fühlen.

Also muss sich jeder entscheiden: Entweder, er reißt die Mauern selbst ein, oder er versteckt sich ewig dahinter. Dann staut sich das Drachenfeuer zu großer Unzufriedenheit auf. Das Potential zum Weltverändern kehrt sich ins Negative und richtet sich gegen einen selbst. Dann werden Menschen depressiv, erleben einen Burnout oder werden zur Maschine, die funktioniert – bis sie zu alt sind und ausgetauscht werden. Wer sich nicht selbst befreit, wird kaum ein glückliches und erfülltes Leben haben, weil er nicht ansatzweise das umgesetzt hat, was ihm die eigenen Träume und das Herz erzählt haben. Er verkümmert zu einem empathielosen Wesen hinter der Mauer, welches das wirkliche Leben schon aufgegeben hat. Weil es keine tiefere Verbindung mehr zu anderen Lebewesen aufbauen kann, nur von Stein zu Stein, von Mauer zu Mauer.

Das Schlimme daran ist der Teufelskreis, der so entsteht. Weil wir es nicht anders kennen und uns die Fantasie fehlt, uns vorzustellen, dass wir anders sein könnten, schicken wir unsere Kinder immer wieder in die Lernfabriken, wo sie lernen, sich selbst zu geißeln statt sich zu entfalten. Wir bekommen dabei kein schlechtes Gewissen, weil wir selbst die Welt nur noch aus unserer Warte hinter der Mauer erleben. Wir erinnern uns nicht, dass wir einmal anders waren. Dass da irgendwo in uns ein Drache schlummert.

Aber wir fühlen es. Wir tragen Panzer aus Angst, sogenannte Angstzüge, und zwingen auch unsere Kinder, sie zu tragen. Sie sollen nicht widersprechen und sich immer an das vorgegebene System anpassen. Standard sein, kein Unikat. Würde sich etwas ändern, wenn wir uns erinnern, dass wir uns selbst versklavt haben und eigentlich auch frei sein wollen? Ich höre schon die Ausreden: „Man kann ja eh nichts machen.“ „Die Welt ist, wie sie ist.“ „Das System ist zu mächtig.“ „Pass dich einfach an.“ „Bau weiter Mauern statt Brücken.“

Wir sind alle an EDS erkrankt, dem Empathiedefizitsyndrom, und stecken unsere Kinder damit an. Vor allem in der Schule wird das Verhalten gelehrt, dass Menschen ihre Gefühle nicht zeigen sollen. Die Kinder sollen Mauern bauen, um sich selbst zu schützen, da ein empathisches Wesen in unserer verantwortungslosen Kultur nur sehr schwer oder gar nicht überleben könne.
Wir leben immer noch nach der Prämisse „Arbeit macht frei“, obwohl wir alles verabscheuen, was damit zusammenhängt.

Und gleichzeitig glauben wir: „Schule macht unsere Kinder frei.“ Das ist Orwell‘sches Neusprech. Die Schule macht nicht frei, sie begeht Mord an den Seelen unserer Kinder. Das Klassenzimmer ist der Ort, den Kinder wie ein Gefängnis erleben. Sie identifizieren sich mit dem Üben und ihrer Leistung, statt spielend zu lernen. Ihre Arbeit ist das fremdbestimmte Üben. Arbeiten schreiben sie für ihre Lehrer, die demnach ihre Arbeitgeber sind. Später wird Üben durch tatsächliche Arbeit ersetzt.

Also werden Kinder zu Arbeitern erzogen? Ist das in einer digitalisierten Gesellschaft sinnvoll? Was ist Arbeit? Unsere Vorfahren dachten dabei an alles, was anstrengend ist und keinen Spaß macht. Alles andere, was Spaß macht, ist Berufung. Dennoch glauben wir, dass Arbeit frei macht. Was für ein lebensvernichtender Irrtum: Arbeit macht alles andere als frei, sie verhindert die Entfaltung unseres Potentials.

Wir geißeln unsere Kinder mit der Formel: Üben = Arbeit. Und uns selbst mit einer anderen: Arbeit = Freiheit. Beide sind grundlegend falsch, weshalb daraus kaum eine gesunde Kultur entstehen kann. Weder üben noch arbeiten sind unsere natürlichen Bedürfnisse. Sie sind künstliche Konzepte, die uns daran hindern, zu leben. „Ich muss erst üben, um etwas zu können“ = „Ich muss erst arbeiten, um frei zu sein.“ Das sind Mauern, keine Brücken. Ein Kind läuft einfach los, weil es laufen will. Ein selbstbestimmter Erwachsener arbeitet nicht, er macht das, was er liebt und bekommt im Idealfall dafür Geld. Wer nicht macht, was er liebt, verkümmert hinter seinen eigenen Mauern.

Warum verändern wir also die Schule nicht? Ich vermute, weil diese Veränderung auch unser Verständnis von Arbeit ändern würde. Und das würde alles ändern. Auch uns. Wenn wir alle wirklich nur machen würden, was wir gerne tun, was würde passieren? Was wäre, wenn wir in einer empathischen Gesellschaft lebten? Wenn wir die Verantwortung für unsere eigenen Mauern und das eigene Potential übernehmen würden? Wer könnte so viele entfesselte Drachen noch kontrollieren?

Wir sagen: Viva la Krevolution. Sie beginnt mit der Bildung und geht von der Jugend aus, hin zu Menschen voller Empathie. Deswegen: Reißt die Mauern ein, zieht den Angstzug aus und kommt spielen.


Simon Marian Hoffmann ist Filmemacher, Autor, Aktivist und Musiker. 1996 geboren, hat er schon mehr als 30 Produktionen und einige preisgekrönte Filme zu verantworten. Er ist Gründer der JugeNGO „Demokratische Stimme der Jugend e.V.“ und dort für Strategie und Public Relations verantwortlich. Er ist außerdem Frontmann der Band „Actio Grenzgänger“ und tritt unter dem Namen „Courtier“ als Solokünstler auf.


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