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Umkämpftes Israel

Umkämpftes Israel

Die neuerliche Eskalation um den jüdischen Staat hat geopolitische und national-religiöse Aspekte mit tiefen historischen Wurzeln. Teil 2 von 3.

In Teil 1 ging es um den Hamas-Angriff auf Israel und die israelischen Gegenschläge. Herausgearbeitet wurde die aktuelle Geopolitik rund um Israel sowie die Geschichte der Juden und Araber in Palästina. Außerdem wurden der UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 und der darauf folgende richtungsweisende Krieg von 1948 besprochen.

Bevölkerungsaustausch

Der Krieg 1948/49 wurde von der arabischen Seite begonnen, etwa 700.000 palästinensische Araber bezahlten dafür mit der sogenannten „Nakba“ (= Katastrophe), das heißt dem Verlust ihrer bisherigen Heimat. Zurückgeführt werden Flucht und Vertreibung in der öffentlichen Darstellung meist ausschließlich auf Gewalttaten der Zionisten. Die gab es auch tatsächlich, durchgeführt meist von extremistischen Organisationen wie Lechi und Irgun. Am bekanntesten ist das Gemetzel von Deir Yasin, wo 107 Araber getötet wurden.

Allerdings sind auch einige andere Aspekte anzuführen. Betreffend Deir Yasin handelte es sich um einen strategisch wichtigen Ort auf einem Hügel bei Jerusalem, in dem arabische Milizionäre zuvor die jüdischen Häuser gesprengt und sich in Häusern anderer Zivilisten verschanzt hatten. Die von den jüdischen Angreifern offen gelassenen Fluchtkorridore nutzten nur 200 der 600 Einwohner. Lechi evakuierte sogar fünf Stunden nach Beginn der Kämpfe noch 40 alte arabische Männer, Frauen und Kinder aus dem Ort. Dann warfen die jüdischen Angreifer Handgranaten in die Häuser, aus denen arabische Kämpfer feuerten. Dabei kamen auch zahlreiche Zivilisten ums Leben.

Außerdem waren jüdische Terrorakte gegen arabische Zivilisten eine Reaktion auf die zahllosen Anschläge von Arabern gegen Juden. Letztere hatten oftmals keinerlei militärische Aspekte, sondern nur das Ziel, Juden zu töten. Als Beispiel kann das Massaker von Cheikh Jarrah genannt werden, in dessen Verlauf 70 jüdische Ärzte und Krankenschwestern eines Ambulanzkonvois erschossen wurden. Die israelische Führung war sicherlich wenig zimperlich, betrieb aber keine Politik der gezielten Ermordung arabischer Zivilisten. Die Flucht von Arabern in Folge der Kämpfe und zivilen Opfer wurde allerdings wohl gerne in Kauf genommen.

Dass die arabische Fluchtbewegung nicht nur auf Übergriffe von Zionisten zurückzuführen ist, zeigt auch der zeitliche Ablauf. Bereits Monate vor Deir Yasin und kleineren ähnlichen Fällen haben sich in einer ersten Phase von Dezember 1947 bis März 1948 etwa 30.000 Angehörige der palästinensischen Oberschicht, also Landbesitzer, Geschäftsleute und Selbstständige, ins arabische Ausland in Sicherheit gebracht und damit zudem die Moral der arabischen Bevölkerung untergraben.

Die zweite und wichtigste Phase, von April bis Juni 1948, wurde ausgelöst durch arabische Panik nach den israelischen militärischen Erfolgen. Manche Orte wurden von arabischen Einheiten evakuiert. Teilweise floh die arabische Bevölkerung auf eigene Faust. Zur Verblüffung der israelischen Kommandanten verließ der Großteil der führungslosen arabischen Einwohner die eingenommenen Städte Tiberias, Safed, Jaffa und Haifa.

Dabei hatte in Haifa der jüdische Bürgermeister, Chabtai Levy, seine arabischen Mitbürger inständig gebeten, in der Stadt zu bleiben. Auch die israelische Unabhängigkeitserklärung wendete sich an „die in Israel lebenden Araber mit dem Aufrufe, den Frieden zu wahren und sich aufgrund voller bürgerlicher Gleichberechtigung und entsprechender Vertretung in allen provisorischen und permanenten Organen des Staates an seinem Aufbau zu beteiligen“.

Vermutlich haben große Teile der arabischen Bevölkerung dieses Angebot durch den Filter der Propaganda der eigenen Führung nicht gekannt oder nicht geglaubt – oder auch befürchtet, dass ihnen ein Schicksal droht, wie es umgekehrt Azzam Pascha den Juden angekündigt hatte. Und es hatte ja tatsächlich auch etliche Anschläge von zionistischen Extremisten gegeben.

Ein wesentlicher Grund für die Flucht – und ein Aspekt, der noch zu diskutieren sein wird – dürfte auch die Weigerung gewesen sein, unter einer nicht-muslimischen und besonders einer jüdischen Herrschaft zu leben.

Ein Hinweis darauf ist, dass die christlichen Araber zu großen Teilen nicht geflohen sind, etwa in Galiläa. In einer letzten Phase ab Ende 1948 hat die israelische Armee aus militärischen Motiven die Bewohner einiger Grenzdörfer ins Landesinnere transferiert.

Insgesamt wurden etwa 55 Prozent der damals 1,2 Millionen arabischen Einwohner durch die Auseinandersetzungen 1947/49 entwurzelt. Viele davon lebten weiter in den Gebieten des ehemaligen britischen Mandatsgebietes, die nun zu Ägypten oder Jordanien gehörten, also in Palästina. Viele andere landeten in den Nachbarländern und wurden dort in grenznahen Lagern untergebracht.

Für diese Menschen war die Niederlage im von der eigenen arabischen Seite begonnenen Krieg tatsächlich eine Katastrophe. Sie wird in den allermeisten Medien – im Mainstream ebenso wie im alternativen Bereich – als die Ursache des bis heute andauernden israelisch-arabischen Konflikts gesehen. Das ist wohl ein Teil der Wahrheit, aber auch eine einseitige und enge Sicht auf die Vorgänge.

Ausgeblendet wird dabei, was zeitgleich im arabischen Raum geschah. Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg, also kurz nach dem Holocaust, aber noch Jahre vor der israelischen Staatsgründung, hatte sich im arabischen Raum eine neue Welle antisemitischer Gewalt entwickelt, die im November 1945 in antijüdischen Pogromen in Syrien, Ägypten und Libyen gegipfelt war.

Während des israelisch-arabischen Krieges 1948/49 und danach kam es in der islamischen Welt zu einer Welle von Übergriffen gegenüber den dort lebenden jüdischen Minderheiten. Gewalttätige Ausschreitungen gab es unter anderem in Aden, Aleppo, Peschawar, Isfahan, Bahrain, Kairo, Beirut, Tripolis und Oujda. Dem folgte eine Welle staatlicher Repressionen in Ägypten und dem Irak. Die Bürgerrechte der jüdischen Einwohner wurden Schritt für Schritt beschnitten, es kam zu Massenverhaftungen tausender Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit.

Infolgedessen flohen während des Krieges und danach rund 900.000 Juden aus muslimischen Ländern, von denen etwa 550.000 in Israel landeten. Vertrieben wurden circa 260.000 Juden aus Marokko, 140.000 aus Algerien, 90.000 aus Tunesien, 80.000 aus Ägypten, 140.000 aus dem Irak und 60.000 aus dem Jemen. Heute leben in arabischen Ländern noch maximal 4.500 Juden, und das unter sehr prekären Verhältnissen. Diese rigorosen ethnischen Säuberungen waren viel weitgehender als in Israel, wo 156.000 palästinensische Araber im Land bleiben konnten und die Vorfahren von heute 1,2 Millionen arabischen Israelis sind.

De facto fand hier ein Bevölkerungsaustausch statt. Die orientalischen Christen haben die Möglichkeit verpasst, sich ein Gebiet vor der muslimischen Expansion zu sichern und dort alle Christen aus der arabischen Welt zusammenzufassen; stattdessen werden sie von Ägypten bis in den Irak fast überall verfolgt und immer mehr marginalisiert. Bei arabischen Gebietsansprüchen gegenüber Israel müssten dann Juden ihrerseits Gebiete in Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, dem Irak und im Jemen für sich reklamieren können.

Israelische Stabilisierung

Der Zustrom der Juden aus den arabischen Ländern verdoppelte fast die jüdische Einwohnerzahl Israels. Dazu kam weiter eine Einwanderung von Juden aus Europa. So kamen von 1947 bis 1950 etwa 250.000 Holocaust-Überlebende ins Land. Gemeinsam mit dem militärischen Sieg 1948/49 führte das zu einer demografischen und politischen Stabilisierung des Landes. Sowohl Hebräisch als auch Arabisch wurden zu Landessprachen erklärt.

Die umliegenden arabischen Staaten standen Israel trotz des geschlossenen Waffenstillstands weiterhin feindselig gegenüber. Es folgte ein bis in die 1990er Jahre andauernder Boykott Israels durch die Arabische Liga. Das sorgte für eine anhaltende ökonomisch prekäre Position Israels, sodass sich Israel wirtschaftlich auf Westeuropa und die USA ausrichtete. Gleichzeitig verfolgte das Land eine sehr interventionistische und zu Beginn staatssozialistisch geprägte Wirtschaftspolitik. Noch bis 1959 mussten Konsumgüter wie Lebensmittel, Treibstoffe, Möbel, Bekleidung rationiert werden. Israel finanzierte sich vor allem durch Wirtschaftshilfe und Spenden, etwa aus den USA. Gegen innenpolitischen Widerstand wurde 1952 ein Vertrag mit Westdeutschland geschlossen, welches Israel eine beträchtliche wirtschaftliche Unterstützung durch die Bundesrepublik als eine Wiedergutmachung von Verbrechen des Nationalsozialismus zusagte.

Da sich Ägypten unter Präsident Gamal Abdel Nasser in der Suez-Krise 1956 gegenüber Großbritannien, Frankreich und Israel erfolgreich behauptete, stieg das arabische Selbstbewusstsein wieder an. Im Mai 1967 sperrte Ägypten die Straße von Tiran für die israelische Schifffahrt und ließ etwa 100.000 Soldaten an der israelischen Grenze aufmarschieren.

Kombiniert wurde das Ende Mai mit einer offenen Kriegsrhetorik der arabischen Staaten. Syriens Präsident Nureddin al-Atassi sprach vom einem „totalen Krieg“, „der die zionistische Basis zerstören wird“. Der syrische Verteidigungsminister Hafiz al-Assad verkündete, seine Streitkräfte seien bereit, „die zionistische Anwesenheit im arabischen Heimatland in die Luft zu jagen“ und einen „Vernichtungskrieg zu führen“.

Radio Kairo meldete: „Unsere Geduld ist zu Ende. Wir werden uns nicht mehr bei den Vereinten Nationen über Israel beklagen. Ab jetzt herrscht der totale Krieg gegen Israel, und er wird zur Auslöschung des Zionismus führen.“ Und Nasser fügte kurz vor Kriegsausbruch hinzu: „Unser grundlegendes Ziel ist die Vernichtung Israels. Das arabische Volk will kämpfen.“ „Die Heere von Ägypten, Jordanien, Syrien und Libanon sind an den Grenzen Israels aufmarschiert. Sie werden die Herausforderung annehmen. (…) Die Stunde der Entscheidung ist da. Die Zeit der Erklärungen ist vorbei, die des Handelns gekommen.“

Am 4. Juni 1967 trat der Irak dem Militärbündnis von Ägypten, Jordanien und Syrien bei, und der irakische Präsident Abd ar-Rahman Arif erklärte: „Die Existenz Israels ist ein Fehler, der korrigiert werden muss. Dies ist die Gelegenheit, die Schmach auszulöschen, die man uns seit 1948 angetan hat. Unser Ziel ist klar: Israel von der Landkarte wegzufegen.“

Diese Vernichtungsfantasien gegenüber dem jüdischen Staat erwiesen sich allerdings rasch als großspurige Ankündigungen. Am 5. Juni 1967 kam Israel dem sich abzeichnenden gemeinsamen Angriff Ägyptens, Syriens und Jordaniens durch einen Präventivschlag zuvor. Mit einem Überraschungsangriff der israelischen Luftwaffe wurden die meisten der 385 modernen ägyptischen Flugzeuge noch am Boden zerstört. Die ebenfalls modernen, aber weniger zahlreichen syrischen und jordanischen Luftstreitkräfte wurden in ähnlichem Umfang dezimiert. Dadurch erreichte Israel die vollständige Luftüberlegenheit.

Am 6. und 7. Juni konnten die israelischen Truppen durch den kombinierten Einsatz von Fallschirmjägern, Luftangriffen, Artillerie und Panzern den zahlenmäßig weit überlegenen ägyptischen Truppen eine vernichtende Niederlage zufügen. Gleichzeitig wurde die jordanische Armee, die Westjerusalem und Tel Aviv beschossen hatte, aus dem Westjordanland getrieben und am 9. und 10. Juni die syrischen Truppen in den strategisch wichtigen Golanhöhen in die Flucht geschlagen. Nach nur sechs Tagen kontrollierten die Israelis den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, Ostjerusalem und die Golanhöhen und waren kurz davor, in Kairo, Amman und Damaskus einzumarschieren. Am 11. Juni wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet.

Etwa 200.000 Palästinenser flohen aus den nun israelisch besetzten Gebieten. In arabischen Staaten entlud sich die Wut über die Niederlage an den wenigen verblieben Juden. In Ägypten, Jemen, Libanon, Tunesien und Marokko wurden jüdische Zivilisten gelyncht, verhaftet und ihre Synagogen angezündet.

Bereits am 19. Juni 1967, neun Tage nach dem Sieg im Sechstagekrieg, beschloss das israelische Kabinett die Vorlage eines Friedensangebots an Syrien und Ägypten. Über amerikanische diplomatische Kanäle bot Israel die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien und die Rückgabe des Sinais an Ägypten an unter der Bedingung, dass beide Länder Israels Existenzrecht anerkennen und weitere Angriffe unterlassen würden.

Darauf reagierte im August 1967 eine Gipfelkonferenz aller arabischen Staaten, die ihre weitere Politik auf drei klare „Nein“ festlegten: „Kein Frieden mit Israel, keine Verhandlungen mit Israel, keine Anerkennung Israels.“

Israel setzte in den kommenden Jahren auf den intensiven Bau staatlich geförderter Wehrdörfer und Siedlungen. Dabei ging es um „strategische Tiefe“ und bessere Verteidigungsfähigkeit des sehr schmalen Landes. Obwohl nur Ostjerusalem offiziell und die Golanhöhen de facto annektiert wurden, deutete dies auf den Willen hin, diese Gebiete längerfristig zu kontrollieren.

Nach dieser neuerlichen schmachvollen Niederlage der arabischen Armeen bekam unter den Palästinensern die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) immer mehr Zulauf. Sie setzte verstärkt auf terroristische Aktionen, darunter Angriffe auf Flughäfen und Flugzeuge.

Am spektakulärsten war der – in der Vorbereitung mithilfe deutscher Neonazis durchgeführte – Angriff auf die israelische Olympiamannschaft in München im September 1972, bei dem elf israelische Sportler und ein Polizist ermordet wurden.

1973 riskierten arabische Staaten dann nochmals eine militärische Konfrontation mit Israel. Am 6. Oktober starteten Ägypten und Syrien zu Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, einen Überraschungsangriff auf dem Sinai und den Golanhöhen. Während der ersten zwei Tage rückten die arabischen Streitkräfte vor, danach aber kam die israelische Armee auf Touren, die zunächst ihre Truppen hatte mobilisieren müssen. Nach der zweiten Kriegswoche waren die Syrer vollständig aus den Golanhöhen abgedrängt worden. Im Sinai waren die Israelis unterdessen zwischen zwei ägyptischen Armeen durchgebrochen, hatten den Sueskanal überschritten und eine ganze ägyptische Armee abgeschnitten, bevor der UN-Waffenstillstand am 24. Oktober 1973 in Kraft trat. Die israelischen Siege von 1967 und 1973 gegen numerisch weit überlegene Armeen können nicht nur auf von den USA gelieferte Waffen zurückgeführt werden, sondern auch auf die hohe Motivation und Professionalität der jüdischen Soldaten.

Der neue ägyptische Präsident Anwar as-Sadat kam aus der militärischen Niederlage letztlich politisch gestärkt hervor. Gemäß einem Entflechtungsabkommen von 1974 zogen sich die Israelis etwa 10 Kilometer hinter den Sueskanal zurück, während die Ägypter im Gegenzug ihre schweren Waffen aus der Kanalzone links und rechts der Wasserstraße abziehen mussten. Das Abkommen ermöglichte damit die Reaktivierung der seit 1967 blockierten Wasserstraße unter ägyptischer Souveränität. 1977 reiste Sadat völlig überraschend nach Israel und schloss mit Menachem Begin 1978 das Camp-David-Abkommen, dem 1979 der israelisch-ägyptische Friedensvertrag folgte. Zum ersten Mal erkannte ein arabischer Staat Israel an. Israel stimmte gemäß dem Prinzip „Land gegen Frieden“ der Räumung des Sinai bis 1982 zu.

An der territorialen Situation hat sich seitdem nicht viel geändert. Ein großer Teil der Palästinenser lebt noch immer in grenznahen Flüchtlingslagern. Die arabische Welt verweigert ihnen seit Jahrzehnten die Integration in diverse arabische Gesellschaften, um durch Lager an den Grenzen die Drohkulisse gegen Israel aufrecht zu erhalten. In den Lagern kam es seitdem zu einer Bevölkerungsexplosion.

Im Westjordanland, besonders im Umland von Jerusalem, trieb Israel die Gründung jüdischer Siedlungen immer weiter voran, sodass heute in diesem Gebiet 430.000 Juden etwa 2,5 Millionen Arabern gegenüberstehen. Ab 2003 baute Israel dann auch noch eine groß angelegte Sperranlage, die sich bei den größeren israelischen Siedlungsblöcken tief ins Westjordanland einschneidet.

Israel begründet das mit dem Schutz vor Terroristen aus dem Westjordanland, die immer wieder Anschläge in Israel durchgeführt hatten. De facto wurde damit aber auch der Landraub befestigt. Durch die Siedlungen und ihre exklusiven Zufahrtsstraßen wurde das Land der Palästinenser immer mehr zerschnitten. Überall gibt es für die Araber israelische Kontrollen, die sie verständlicherweise als tagtägliche Schikanen und Demütigungen erleben.

1988 hatte die PLO einen palästinensischen Staat ausgerufen, der das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gaza-Streifen umfassen sollte. Da es mit Israel keine Einigung über den Grenzverlauf bei Jerusalem und im Westjordanland gab, wurde der Staat zwar von den meisten Ländern der Welt anerkannt, nicht aber von Israel, den USA und anderen westlichen Staaten. Vor allem aber hatte die PLO keine Kontrolle über die von ihr beanspruchten Gebiete.

Seit 1993 verwaltet die Palästinensische Autonomiebehörde (PNA) Teile des Westjordanlands, vor allem die Städte Jericho, Nablus, Dschenin, Tulkarem, Qalqiliya, Ramallah, Bethlehem und 80 Prozent von Hebron. Das sind allerdings so verstreute Enklaven, dass sie dem israelischen Zugriff völlig ausgesetzt sind.

Da die arabischen Regime und die PLO die Lage der Menschen im Westjordanland und im Gaza-Streifen nicht verbesserten, bekamen in den letzten Jahrzehnten islamische Extremisten immer mehr Zulauf und schließlich die Kontrolle über den Gaza-Streifen.

Dabei gibt es einige Hinweise darauf, dass Israel die Hamas anfänglich gefördert hat, um die palästinensischen Kräfte zu spalten. 2005 setzte der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Scharon den israelischen Abzug aus dem Gazastreifen durch – verbunden mit dem Abbau der 21 israelischen Siedlungen. Bei den darauf folgenden Kämpfen zwischen arabischen Klans beziehungsweise zwischen Hamas und PLO kamen hunderte Menschen ums Leben und die Hamas ging 2007 als Siegerin hervor.

Ab Ende der 2010er Jahre begannen israelische Siedler damit, palästinensische Bauern gewaltsam von Landflächen im Westjordanland zu vertreiben; die Armee schritt dabei kaum ein. Innerhalb weniger Jahre dehnte sich so die von israelischen Siedlern beanspruchte Landfläche im Westjordanland auf das Doppelte der Siedlungsfläche aus. Manche Siedler treten dabei auch mit einer kolonialistischen Arroganz auf.

Die perspektivlose Situation für die Bewohner des Westjordanlandes stärkte immer mehr extremistische Kräfte. Der Gaza-Streifen erhielt zwar Milliardenhilfe der EU, von den USA, von Katar und anderen. Sie läuft über die United Nations Relief and Works Agency (UNRWA), die 30.000 Menschen beschäftigt, von Hamas-Parteigängern beherrscht ist und deren Funktionäre auch schon mal Hitler feiern oder zur Ermordung von Juden aufrufen. Die Hamas nutzte die Kontrolle über den Gaza-Streifen mit seinen zwei Millionen Einwohnern und die internationale Finanzhilfe aber offenbar mehr für Tunnelsysteme und Bewaffnung als für die Entwicklung von Infrastruktur und Wirtschaft. Sie konnte aber erhebliche Teile der Bevölkerung ideologisieren und ihnen mit dem Kampf gegen Israel eine politische Perspektive geben.

In Kombination mit verschiedenen Machtblöcken innerhalb der islamischen Welt und diversen geopolitischen Interessen können die demografische Entwicklung der palästinensischen Araber und der traditionelle muslimische Judenhass eine explosive Mischung abgeben.

Islam und Judentum

Wer schreibt oder denkt, dass islamische Judenfeindschaft mit dem Zionismus und insbesondere mit der Nakba 1948 beginnt oder dass dieser muslimische Judenhass lediglich ein Transfer des europäischen Antisemitismus‘ ist, der hat weder eine Ahnung vom Koran und den Hadithen noch von der jüdischen Lebenssituation in den 1.300 Jahren unter islamischer Herrschaft. Ohne Kenntnis davon ist aber die aktuelle Konfrontation in Palästina nicht zu verstehen.

Eine Auseinandersetzung damit ist auch deshalb notwendig, weil der massivste Antisemitismus global gesehen in den letzten Jahrzehnten von Muslimen ausgeht und diese Tatsache wiederum religiöse und historische Ursachen hat. Und anders als die Tradition des europäischen Antisemitismus wird die muslimische Judenfeindschaft im europäischen Mainstream — von Schulbüchern über Fernsehdokumentationen bis zum aktuellen politisch-medialen Diskurs — aus Gründen der „antirassistischen“ politischen Korrektheit weitgehend verschwiegen.

Grundlegend werden im Islam, von Mohammed und dem Koran ausgehend, Menschen in zwei Kategorien eingeteilt, in Gläubige und Ungläubige. Bereits 1854 schrieb Karl Marx: „Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist ‚harby‘, das heißt der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen“ (5).

Gläubige Muslime sind verpflichtet, den Islam, der im Wortsinn ja „Unterwerfung“ unter Gott bedeutet, auf alle Menschen auszubreiten. Gut ist in dieser Logik alles, was diesen Prozess fördert, explizit auch Raub, Gewalt und Betrug gegenüber Ungläubigen, die sich durch ihren Starrsinn diese Dinge selbst zuzuschreiben haben. Die Gläubigen wiederum werden für ihre Bemühungen durch ein sehr weltlich beschriebenes Paradies und durch ein Anrecht auf Beute im Diesseits belohnt – schließlich gehört nach islamischer Sicht die ganze Welt Allah und die Ungläubigen haben ihren Besitz Allah gestohlen.

Während der Islam für Polytheisten oder Atheisten rundweg Tod oder Versklavung vorsah, durften Anhänger der „Buchreligionen“, also Juden und Christen, unter islamischer Herrschaft weiterleben. Sie mussten dafür aber die Dhimma akzeptieren, einen untergeordneten Rechtsstatus, der nicht nur die Bezahlung einer Sondersteuer, der Dschizya, beinhaltete, sondern auch die Chancenlosigkeit in gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Muslimen, das Verbot von Gegenwehr gegen muslimische Gewalttäter und zahllose systematische Demütigungen im Alltag. Der so erzeugte Leidensdruck sollte die Bekehrung zum Islam fördern und tat es auch.

Dazu kam, dass der Islam seit Mohammed und der anfänglich isolierten Position seiner Anhänger ein starkes Element der demografischen Expansion beinhaltete. Beispielsweise erlaubt der Islam, dass Muslime ungläubige Frauen heiraten, da durch die Vorherrschaft des Mannes die Kinder Muslime werden. Umgekehrt ist es muslimischen Frauen strikt verboten, ungläubige Männer zu ehelichen, da die Kinder dann für die islamische Umma (= Gemeinschaft) verloren wären. Hinzu kam in Ländern, die im Zuge der jahrhundertelangen islamischen Expansion erobert wurden, das weit verbreitete Phänomen des Frauenraubes, das die bisherigen christlichen Mehrheiten in Nordafrika und im Nahen Osten systematisch schwächte, die Muslime demografisch stärkte und die Gebiete zunehmend islamisierte (6).

Schon die Teile des Korans, die in Mekka verfasst wurden, prophezeien den Ungläubigen grausame Strafen, sehr oft ist dabei von Verbrennen bei lebendigem Leib die Rede. Die späteren, in Medina verfassten Abschnitte, wenden sich dann auch konkreter gegen Christen und Juden. Dabei richten sich von den 24 Suren acht gegen Christen, elf gegen Juden — und dabei sind die judenfeindlichen deutlich ausführlicher (7).

Diese Gewichtung könnte überraschen, stehen sich doch Islam und Judentum in ihrem kompromisslosen Monotheismus und als strenge Gesetzesreligionen mit teilweise gleichen Geboten im Alltagsleben näher als dem Christentum. Dass Mohammed besonders die Juden ins Visier nimmt, kann mit der historischen Situation auf der arabischen Halbinsel im frühen 7. Jahrhundert erklärt werden. Während Christen auf der Halbinsel verstreut lebten, siedelten Juden dort als ganze Stämme und waren somit ein relevanterer Gegner für den entstehenden Islam. Jüdische Rabbiner hatten sich außerdem über Bildungslücken Mohammeds lustig gemacht, was bei einem Mann mit seinem Sendungsbewusstsein wohl nicht gut angekommen sein dürfte. (8)

In der Folge wurden im Jahr 624 die jüdischen Stämme der Nadir und Qaynuqa ihres Eigentums beraubt und vertrieben. 627 ließ Mohammed den jüdischen Stamm der Qurayza vernichten. In einem zweitägigen Massaker wurden 600 bis 700 Männer exekutiert und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft, wobei Mohammed die 18-jährige Rayhana Bint Zayd für sich selbst beanspruchte.

Für moderne Europäer mögen das alte Geschichten sein. Für traditionelle Islamgläubige ist das anders. Sie werden in Moscheen und Vereinen intensiv mit dem Koran und der Lebensgeschichte Mohammeds vertraut gemacht. Dementsprechend haben auf Palästina-Demos im Oktober 2023, etwa in Wien, ganze Gruppen auf Arabisch skandiert: „Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden, die Armee Mohammeds wird wiederkommen!“ Chaibar war eine jüdische bewohnte Oase auf der arabischen Halbinsel, die von den Muslimen 628 angegriffen und nach schweren Kämpfen erobert wurde.

Legitimiert wurde das Vorgehen gegen die jüdischen Stämme von den Muslimen damit, dass sie sich „Allah und seinem Gesandten widersetzten“. Außerdem wirft der Koran den Juden vor, sie hätten den Bund mit Gott gebrochen, sie seien von Gott abgefallen.

Die jüdische Heilsgeschichte, die selbstkritisch die Treue des Volkes Israel gegenüber Gott thematisiert, wird von Mohammed zu einer Anklage gegen die Juden umgedreht und ihnen sogar noch Überheblichkeit vorgeworfen. Und während er den Christen nur unterstellte, die heilige Schrift falsch zu verstehen, lastete er den Juden, die im Koran auch schon mal als „Affen“ und „Schweine“ bezeichnet werden, die „Fälschung“ derselben an (9).

In einem der Hadithe, also den offiziell anerkannten überlieferten Aussprüchen aus dem Leben Mohammeds, die neben dem Koran als Quelle des Islam gelten, heißt es: „Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken. Doch die Bäume und Steine werden sprechen: ‚Oh Muslim, oh Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!‘“ Dieser Hadith findet sich auch in Artikel 7 der Charta der Hamas, der palästinensisch-islamischen Organisation.

Das Problem bei der Sache liegt nun auch darin, dass der Islam keine historisch-kritische Lesart des Korans und der Hadithe kennt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Allah seinem Propheten Mohammed die Suren wortwörtlich so diktiert hat, wie sie geschrieben stehen.

Außerdem gilt der Koran als vollkommen und Inbegriff des relevanten Wissens und darüber hinaus das Leben Mohammeds und seine Aussprüche als vorbildlich für alle Muslime. Dementsprechend wurden den Islamgläubigen die beschriebene Einschätzung der Juden und der Umgang mit ihnen über Jahrhunderte als Leitlinien vorgegeben.

Und dementsprechend gestaltete sich die Lage der Juden unter islamischer Herrschaft seit dem 7. Jahrhundert. Die von islamophilen Europäern oftmals behauptete harmonische Koexistenz von Juden und Muslimen in der arabischen Welt war immer schon ein orientalistisches Märchen. Juden waren wie Christen der Dhimma unterworfen, durften ihre Religion nur diskret ausüben, mussten sich gegenüber „Rechtsgläubigen“ stets ehrerbietig zeigen und besondere Kleidung tragen, die sie für die Herrschenden sofort identifizierbar machte; im islamisch beherrschten Sizilien war das ein gelber Fleck auf der Kleidung. Juden durften keine edlen Reittiere benutzen, keine Waffen besitzen und keine höheren Häuser bauen als Muslime. Ihre Aussagen waren vor Gericht nicht zugelassen und sie mussten in muslimischen Vierteln barfuß gehen, um damit ihre Nichtswürdigkeit zu bezeugen.

Trotz dieser systematischen Unterdrückung waren Juden — aufgrund ihrer Erfahrung im Handel und ihrer vergleichsweise guten Bildung — im islamischen Raum oftmals ökonomisch erfolgreich. Islamische Herrscher benutzten sie häufig als ökonomische Fachleute, als kooperierende Unternehmer und als Beamte, die aufgrund ihrer Kenntnisse manchmal weit aufstiegen. Im Fall von Revolten der muslimischen Bevölkerung wurde der Unmut dann — ähnlich wie im europäischen Mittelalter — oft gegen die „einflussreichen“ Juden gelenkt und es kam in regelmäßigen Abständen zu Plünderungen und blutigen Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung.

Land für Land nachgezeichnet werden diese Zustände in der Dhimma in Nathan Weinstocks ausgesprochen informativen Buch „Der zerrissene Faden – Wie die arabische Welt ihre Juden verlor“, ohne dessen Kenntnis eigentlich niemand Texte über die historischen Ursprünge des Nahostkonflikts publizieren sollte. (10)

Die Marginalisierung der orthodoxen Christen durch die aggressive muslimische Expansion beschreibt die jüdische Autorin Bat Ye’Or in ihrem Buch „Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam“. (11) Diese Marginalisierung hielt auch in den letzten Jahrzehnten an.

In Teil 3 wird es um den Niedergang des islamischen Raums ab dem 19. Jahrhundert und die später folgende Wende zur islamischen Tradition gehen. Es wird die aktuelle Feindschaft von Muslimen gegen Juden beschrieben. Und es werden Perspektiven und Lösungen für Israel und Palästina diskutiert – auch unter Berücksichtigung geopolitischer Interessen.


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Quellen und Anmerkungen:

(5) Karl Marx: Zur Geschichte der orientalischen Frage, MEW 10, Seite 170; siehe auch: http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_168.htm
(6) Diese Entwicklungen und Mechanismen konnten hier nur angerissen werden. Genauer beschrieben und analysiert werden sie unter anderem in diesen informativen und lesenswerten Arbeiten von drei politisch sehr unterschiedlichen Autoren in sehr unterschiedlichen Stilen: a) dem linken Islamkritiker Hartmut Krauss: Der Islam als grund- und menschenrechtswidrige Weltanschauung, Osnabrück 2013, b) dem ehemals marxistischen und nunmehr neurechten Autor Manfred Kleine-Hartlage: Das Dschihadsystem. Wie der Islam funktioniert, Gräfelfing 2010, c) dem aus einer ägyptischen Imam-Familie stammenden Islamkritiker Hamed Abdel-Samad: Der islamische Faschismus, München 2014.
(7) Gegen Christen richten sich die Suren 2, 3, 4, 5, 9, 57, 61 und 98, gegen Juden die Suren 2, 3, 4, 5, 9, 57, 58, 59, 61, 62 und 98.
(8) Dieser Abschnitt stützt sich stark auf meinen Text „Antisemitismus neu gesehen“ Teil 2/4, https://www.manova.news/artikel/antisemitismus-neu-gesehen-5
(9) Siehe zu diesen Thematiken unter anderem Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden – Die islamische Renaissance des Antisemitismus, Berlin 2007 sowie Hartmut Krauss: Die Juden im Kontext der islamischen Ungläubigenfeindlichkeit, in: Eric Angerer / Ronald Bilik / Hartmut Krauss: Judenfeindlichkeit – Ideologische Wurzeln und gegenwärtige Erscheinungsformen, Osnabrück 2022
(10) Nathan Weinstock: Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor, Freiburg/Wien 2019
(11) Bat Ye’Or: Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam, Gräfeling 2005

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