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Wir nehmen uns die Freiheit

Wir nehmen uns die Freiheit

Das erste Pax Terra Musica Festival ist zu Ende gegangen. Und es gibt jede Menge Gründe, es zu wiederholen. Ein Erlebnisbericht.

Hinter mir liegen die drei Tage des Pax Terra Musica Festivals. Was hat mich daran eigentlich so glücklich gemacht?

Pax Terra ist ein Markt für die unterschiedlichsten Initiativen für Frieden, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Vor drei Jahren noch fast undenkbar, sind wir nun endlich so weit, dass die Vielfalt des Einsatzes für eine bessere Welt einen gemeinsamen Platz gefunden hat. Deutsche Friedensgesellschaft, Attac, Mahnwachen für den Frieden und Human Connection sind mit ihren Info-Ständen ebenso auf dem Gelände vertreten wie alternative Nachrichtenformate, etwa Free21 und NuoViso. Es gibt regionale und sogar persönliche Initiativen, die sich mit Infos oder in Vorträgen vorstellen. Was alle eint, ist die Grundüberzeugung, dass der aktuelle Kurs unserer Gesellschaft eine Gefahr für uns alle und für unseren Planeten ist.

Niemand hier verschwendet seine Zeit noch damit, die Verbrechen von Politik und Wirtschaft zu leugnen. Die Leute hier finden es auch nicht mehr witzig, sich mit faden Witzen über den Ernst der Lage lustig zu machen. Oder sich unsere Gesellschaft als freiheitlich und demokratisch und die beste aller möglichen schön zu reden, als läge die Lösung von Problemen darin, dass man sie sich aus dem Kopf redet.

Die lähmende Verdrängung himmelschreiender Wirklichkeiten: Bei Pax Terra findet sie nicht statt. Allein das macht mich persönlich ja schon glücklich.

Wieso glücklich? Muss man denn da nicht völlig in Depression und Verzweiflung verfallen? Nicht, wenn wir Wut, Trauer und Verzweiflung miteinander teilen. Das Irre ist: Nicht nur Glück wird zu Glück, wenn man es teilt. Auch pessimistische Gefühle verwandeln sich, wenn man sie teilt. Geteilte Wut wird nicht zu Ohnmacht, sondern verwandelt sich in Kraft. Geteilte Trauer übrigens auch.

„Wir reden uns stark“, bringt es Florian Ernst Kirner alias Prinz Chaos II. mit seiner Wortkunst auf den Punkt.

Viele treffen Freunde aus Internetforen hier zum ersten Mal live oder nach langer Zeit wieder. Und nicht nur Wut und Trauer, sondern auch hoffnungsvolle Erfahrungen werden geteilt. Und wenn ich mich an die Gespräche der letzten drei Tage erinnere, entdecke ich noch etwas, und so langsam verstehe ich mein Glücksgefühl immer besser. Mir fällt ein, dass ich in diesen Tagen nicht ein Fünkchen Konkurrenz gespürt habe. Niemand von uns macht etwas, um damit das große Geld zu verdienen oder berühmt zu werden. Im Gegenteil, einige haben sogar bewusst auf Lohn und bisherige Popularität verzichtet. Unser „Lohn“ ist das Erlebnis der Sinnhaftigkeit. Und bei dieser „Bezahlung“ gibt es kein „besser“ und „schlechter“, kein „mehr“ oder „weniger“. Sinn erlebt ohnehin jeder anders, es gibt dafür keinen äquivalenten Tauschwert.

Bei den Menschen, die hier sind, habe ich das Gefühl, dass sie bereits völlig auf Wettbewerb verzichten. Die, die uns fernblieben, taten das ja vielleicht aus dem Gefühl, sie seien etwas „Besseres“. In welchem Sinne auch immer.

Dabei ist miteinander teilen so viel schöner als „besser sein“. Wie habe ich mich gefreut über die Worte von Florian Kirner: „Ich habe es so satt, mich ständig distanzieren zu müssen. Wer bin ich denn überhaupt? Von wem denn? Die anderen sind doch auch Menschen.“ Eine klare Absage an die Arroganz der selbst ernannten Gesinnungswächter.

Ich bin glücklich, weil andere ihre Glücksgeschichten mit mir geteilt haben.

Etwa der Gründer eines freien Nachrichtenmagazins, der sich von den letzten gesellschaftlichen Normen befreit hat und komplett in seinem Wohnwagen lebt und arbeitet, da, wo es ihn hinzieht.
„Jeder von uns ist auf der ganzen Welt zu Hause. Wir müssen nur den Schlüssel finden“, sagt er und gibt mir sein Glücksgefühl mit auf den Weg.

Oder die Geschichte der Selbstversorgerin, die sich schrittweise von Konsum und Geldzwang befreit hat und ihre Erfahrungen weiter gibt.

Besonders glücklich machen mich Geschichten von starken Gemeinschaften. Etwa die Bürger eines kleinen Ortes ganz im Osten des Landes, die den Vortrag des Friedensforschers Daniele Ganser besuchten. Als der im Lokalblatt wie gehabt diffamiert wurde, haben sie eine Flut von Leserbriefen geschrieben und mit Abo-Kündigungen gedroht, wenn ihre Briefe nicht veröffentlicht werden. So sah sich das Blatt gezwungen, seitenweise positive Darstellungen von Daniele Ganser abzudrucken.

Oder die Geschichte von einer rebellischen Gemeinde im Norden, die ihr ganzes öffentliches Leben inklusive Schule so gestaltet, wie sie es für richtig hält und zahlreiche gesellschaftliche Vorgaben oder Normen einfach ignoriert.

Glücklich macht mich auch, dass ich einer Freundin die tragische Lebensgeschichte eines ehemaligen Buchenwald-Häftlings erzähle und sie an der traurigsten Stelle dieser Geschichte tatsächlich anfängt zu weinen. So viel Mitgefühl erlebe ich extrem selten. Hier haben wir Zeit und Raum dafür.

Dass dieses Festival trotz aller Anfeindungen und unglaublicher Hindernisse überhaupt stattfindet, ist auch eine Glücksgeschichte. Dass plötzlich ein Lagerfeuer brennt und wir gemeinsam singen, bis es wieder hell wird auch.

Pax Terra ist das Territorium, in dem wir uns Zeit und Raum nehmen, um den Blick zu erweitern, um die Freiräume zu erkennen, die wir noch nutzen können.

Wir nehmen uns die Freiheit, die uns noch bleibt. Nur so können wir sie verteidigen, bevor sie ganz verschwindet.

Und nur so können wir in einer Welt voller Krieg und Konkurrenz Wege finden, die zum Frieden führen.

Und natürlich braucht Frieden Musik. Pax Terra Musica überrascht auch hier mit Vielfalt, die glücklich macht. Musik ist ja ohnehin schon die Botschaft aus einer besseren Welt. Weil sie uns im tiefsten Inneren verbindet und die Trennung aufhebt, die uns mit Konkurrenz und Wettbewerb eingeredet wird.

Nach den reihenweisen Absagen hatte das Line-up von Pax Terra jede Menge junge und neue Bands im Programm. Ich habe sie alle als Musiker mit großen Herzen, ehrlichen Gefühlen und zum Teil radikal realistischen Texten erlebt.

Und ganz ehrlich, die „großen Namen“, die da abgesagt haben, hier hat sie niemand vermisst. Eine „bessere“ Musik als die, die ich teilen durfte, kann ich mir nicht vorstellen.

Dass Abgrenzung auch politisch Unsinn ist, bewies übrigens eine weitere Glücksgeschichte von einer einstigen AfD-Wählerin, die ohne die Mahnwache ihrer Stadt wohl nicht das Lager gewechselt hätte, sich jetzt aber längst vom einstigen politischen Favoriten abgewendet hat.

Warum ich noch immer glücklich in den Regen starre, ist die Erkenntnis, dass ich drei Tage mit Menschen erlebt habe, die auf Diffamierungsartikel pfeifen, die ohne Schubladen und Vorurteile auskommen, die erst mal mit jedem Menschen reden. Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, dass Freundlichkeit keine zufällige Charaktereigenschaft ist, sondern eine bewusste Entscheidung. Menschen, die aus Überzeugung respektvoll und offen mit anderen umgehen, weil genau hier der Frieden beginnt.

Ich höre den Sänger der Band, der noch immer nicht genau weiß, wer ihm eigentlich zuhört. Er singt ein Lied für seinen kleinen Sohn, das so voll ist von seiner großen Liebe und ich merke, dass es in diesem Moment völlig egal ist, ob drei, dreihundert oder dreißigtausend Menschen dieses Lied hören. Wichtig ist für den Moment, dass dieses Lied hier auf Pax Terra zu Hause ist.

Hier ist es niemandem peinlich, das ganz persönliche Gefühl zu zeigen. Hier muss niemand Angst haben, dass jemand um die Ecke kommt, um sich mit einem coolen Spruch über tiefe Gefühle lustig zu machen. Es stimmt, was Kilez More uns zurief: Wir sind ein total uncooler Haufen. Der junge Hip Hop-Star verkündete auch, dass er stolz drauf ist, vor ganz uncoolen Leuten zu singen.

Nein, wir sind nicht cool. Im Gegenteil. Wir haben die Herzen so voll vom Unglück der menschlichen Gesellschaft, wir haben unsere Herzen einander ausgeschüttet und drei Tage lang die Welt, von der wir träumen, gelebt.

Ich glaube, dass jeder von uns mit neuer Stärke zurück in die Welt geht. Eine Welt, in der man sich vor Zweiflern schützt, indem man sie als Verschwörungstheoretiker beschimpft. Eine Welt, in der ein Bundeswehrplakat behauptet, ein Soldat mache das, was wirklich zählt.

Ich habe gerade erlebt, was wirklich zählt. Und das kann keine Armee dieser Welt erobern. Das kann weltweit nur erreicht werden, wenn die Waffen eines Tages schweigen.

Ich wünsche mir, dass es Pax Terra Musica ab jetzt jedes Jahr geben wird. Mindestens einmal. Und dass sich immer mehr Menschen in diesem Festival des Friedens zu Hause fühlen werden.

Danke!

Ein riesiger Dank geht an das Orga-Team um Malte Klingauf, das enorm viel Arbeit und Stress auf sich genommen haben, um dieses Friedensfest wahr werden zu lassen.

Und eine Bitte: Wegen der nicht ganz so riesigen Teilnahme ist ein Defizit entstanden, auf dem das Orga-Team nach all dem Stress hoffentlich nicht auch noch sitzen bleibt. Daher werden dringend noch Spenden für den Bilanz-Ausgleich gebraucht. Damit Pax Terra auch nächstes Jahr wieder stattfinden kann. Homepage: http://www.pax-terra-musica.de/.


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