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Außen und *innen

Außen und *innen

Die Debatte über die Transgender-Bewegung sollte uns anregen, tiefergehend über Identitäten und Geschlechterrollen nachzudenken.

Auf einem unwirtlichen Planeten stranden zwei Personen: der Erdenmensch Willis Davidge und Jeriba, Angehöriger einer außerirdischen Spezies namens „Dracs“. Beide Spezies sind in einen anhaltenden Krieg gegeneinander verwickelt — so die Prämisse von Wolfgang Petersens Science-Fiction-Film „Enemy mine — geliebter Feind“ (1985). Willis hasst Jeriba, Jeriba hasst Willis. Beide bilden jedoch, um zu überleben, eine Zweckgemeinschaft und freunden sich im Verlauf gemeinsam bestandener Abenteuer an. So weit, so gut. Eines Tages wird Jeriba schwanger. Willis — und mit ihm die Zuschauer — hatten die außerirdische Lebensform zuvor eher für männlich gehalten. Ein „Vater“ für das Kind ist aber weit und breit nicht zu ermitteln.

„Du warst halb, jetzt bist du ganz“

Des Rätsels Lösung: Alle Dracs sind androgyne Wesen — Mann und Frau zugleich. Wenn die Zeit reif ist, entwickelt sich im Bauch ein Fötus „von allein“. Die Existenzform zweigeschlechtlicher Wesen hat Nachteile und Vorteile zugleich. Jeriba analysiert: „Ihr seid allein mit euch. Deshalb haben sich Menschen in zwei separate Hälften aufgespalten — für das Vergnügen dieser kurzen Vereinigung.“ Kein Sex: Ist das nicht ein bedauerliches Los? Nicht unbedingt, denn wie Jeriba erklärt, herrscht in der Seele der Dracs tiefer Frieden. Sie müssen ihrem Wesen durch den Kontakt mit einem anderen nichts hinzufügen, was sie nicht schon in sich trügen. Sie ruhen in sich. Eigentlich ist dies ein beneidenswerter Zustand, denn wir alle kennen die Schattenseiten des „Getriebenseins“ auf der Suche nach der gegengeschlechtlichen „besseren Hälfte“.

Wesen wie die Dracs im Science-Fiction-Film könnte man wie gesagt als androgyn bezeichnen. Als „Hermaphroditen“ —angelehnt an den griechischen Gott Hermes und die Göttin Aphrodite — bezeichnet man Menschen mit Merkmalen beiderlei Geschlechts. Dabei verweist ein Mythos, der auf Platons Text „Das Gastmal“ zurückgeht, auf eine ursprüngliche Zweigeschlechtlichkeit des Menschen. In der Geschichte ist davon die Rede, dass Menschen ursprünglich kugelförmige Rümpfe gehabt hätten, je vier Hände und Füße sowie zwei Gesichter auf einem Kopf. Da die Menschen übermütig wurden und die Macht des Göttervaters Zeus herausforderten, bestrafte dieser sie, indem er jedes dieser Einzelwesen in zwei Hälften aufspaltete. Dies gilt im Mythos als die Ursache dafür, dass sich Frauen wie Männer bis heute oft „unrund“ fühlen: unvollständig und geradezu verzweifelt nach einer Ergänzung verlangend. Der Impulsgeber hin zu dieser Vervollständigung ist das erotische Begehren. Gelingt die Vereinigung — wenn auch meist nur in unvollständiger Weise —, fühlen sich Menschen, wie es Barbra Streisand in ihrem Lied „People“ ausdrückt: „Ein Gefühl tief in deiner Seele sagt dir, du warst halb, jetzt bist du ganz.“

Lilys Traum

Liebe und Begehren sind jedoch Phänomene, die dem Bereich des „Normalen“ zugeordnet werden. Das Bedürfnis, das einem bei Geburt „zugewiesene“ Geschlecht zu wechseln, ist damit nicht erklärt. Eine beeindruckende Darstellung des Themenkreises bot der Film „The Danish Girl“ von Tom Hopper aus dem Jahr 2015. Er erzählt die wahre Geschichte des dänischen Malers Einar Wegener, der als „Lili Elbe“ zu den ersten Personen gehörte, die sich in den frühen 1930er-Jahren zu einer operativen Geschlechtsumwandlung entschlossen haben. Im Film wird Einar von seiner Frau Gerda gebeten, für sie für ein Gemälde in Frauenkleidern zu posieren. Daraufhin entdeckt der glücklich verheiratete Mann seine eigene bisher unterdrückte Weiblichkeit, tritt zunehmend als Frau in der Öffentlichkeit auf und nennt sich „Lily“.

„Für einen Moment war ich nicht mehr ich. Für einen Moment war ich nur noch Lily“, räsoniert der/die von Eddy Redmayne glänzend verkörperte Transsexuelle. „Ich denke Lilys Gedanken. Ich träume ihre Träume. Sie war schon immer da.“ Einar/Lily muss seiner noch immer geliebten Frau (Alicia Vikander) eröffnen, dass er fortan nicht mehr ihr Mann sein kann. „Es ist so: Ich glaube, dass ich eine Frau bin.“ Er entscheidet: „Das ist nicht mein Körper. Ich muss ihn loslassen.“ Ein deutscher Arzt bietet Lily eine gewagte Operation an, die seine Hoffnungen beflügelt: „Vielleicht irgendwann ein Kind, wie eine richtige Frau.“

Doch die letzte der durchgeführten Operationen tötet diesen unglücklichen Menschen, der sich im Sterben jedoch als Pionier/in eines kommenden transsexuellen Erwachens empfindet. Lilys Tod und schmerzlicher Abschied von Gerda wirft die Frage auf: War „sie“ im falschen Körper, oder hatte „er“ nur die falsche Einstellung zu seiner Physis, wie sie nun einmal war?

Ist es nicht allemal vorzuziehen, sich mit den körperlichen Voraussetzungen abzufinden, in die man hineingeboren ist, also eher die Seele dem Körper anzugleichen als umgekehrt?

Sicher ist, dass die operativen Techniken heute fortgeschritten sind und man den Tod als Folge einer Geschlechtsumwandlung kaum mehr befürchten muss. Sicher ist auch, dass Nichtbetroffene vorsichtig mit Urteilen darüber sein sollten, ob die Gefühle besonderer Personen „falsch“ sind. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass Menschen eine schon vollzogene Geschlechtsumwandlung hinterher bereuen. Es kommt zu Fällen von „Detransion“, wie unter anderem diese interessante Dokumentation zeigt. Nele, die vorübergehend eine männliche Identität angenommen hatte, behielt ihre tiefe „männliche“ Stimme. Nicht alles kann rückgängig gemacht werden. Dies gilt natürlich auch für Brustamputationen.

Detransition: Wenn die Geschlechtsangleichung ein Fehler war | stern TV

Das gegengeschlechtliche Urbild

Wenn Einar sagt, Lily sei schon immer in ihm gewesen, erinnert das auch an den tiefenpsychologischen Archetypen „Animus/Anima“, den C. G. Jung gefunden hat. In einem Eintrag bei Wikipedia zu diesem Thema heißt es, unter Einbeziehung eines Zitats von Jung:

„Dieser gewisse Ausgleich des Männlichen durch das Weibliche — und andersherum — in der Seele bedeutetet auch, dass ‚der Mensch seit undenklichen Zeiten in seinen Mythen immer die Idee der Koexistenz eines Männlichen und Weiblichen in demselben Körper ausgedrückt hat‘, sodass, wie im Bild vom hermaphroditischen Gott, im Menschen immer auch das andere Geschlecht gegenwärtig sei.“

Laut Jung trägt der Mann in seiner Seele stets das Urbild des Weiblichen als Teil seiner selbst. Die Anima kann ihm in Träumen und Fantasien in verschiedener Gestalt erscheinen, sei es als Göttin, als Mutter, Tochter, Schwester oder Geliebte.

„Sie tritt, wo sie erscheint, in Träumen, Visionen und Fantasien, personifiziert auf“, schreibt Jung. Tamino und Pamina in Mozarts „Zauberflöte“ sind ein Paar, in dem sich Animus und Anima gefunden zu haben scheint. Auf einer abstrakteren mythologischen Ebene wird der Mann auf seiner Heldenreise auch erst vollständig, wenn er den weiblichen Archetypen in Gestalt seiner Prinzessin gefunden und integriert hat. Im Tarot wird die Vereinigung der Pole auch in der Trumpfkarte „Die Liebenden“ visuell dargestellt.

Hochinteressant ist in Richard Wagners Musikdrama „Die Walküre“ die Geschichte des Göttersohns Siegmund, der unversehens seiner von ihm nach der Geburt getrennten Zwillingsschwester Sieglinde begegnet. Sieglinde singt: „Im Bach erblickt‘ ich mein eigen Bild — und jetzt gewahr ich es wieder: wie einst dem Teich es enttaucht, bietest mein Bild mir nun du.“ Darauf Siegmund: „Du bist das Bild, das ich in mir barg.“

Sieglinde spielt also auf das Wiedererkennen aufgrund äußerlicher Ähnlichkeit an, Siegmund eher auf ein intuitives Seelenbild, das schon immer in ihm präsent gewesen ist. Wagner entwarf die Geschichte lange bevor C. G. Jung seinen Archetypus „Animus/Anima“ entdeckt hatte. Die Gestalten von Zwillingsgeschwistern könnten hier auch eher symbolisch auf eine Seelenverwandtschaft oder auf den Traum von idealer Ergänzung verweisen — durch ein Wesen, das man als verwandt und gleichzeitig als Gegenbild empfindet.

Die Angst vor dem Unbewussten

Jung sah es jedoch in der Psychotherapie als problematisch an, wenn die Anima von einem Mann auf eine real existierende Geliebte oder Ehefrau projiziert wird. Denn niemals kann eine wirkliche Frau natürlich diesem Idealbild eines Mannes entsprechen. Selbstverständlich gilt alles, was ich hier über Männer und ihre „Anima“ gesagt habe, auch über den „Animus“ der Frauen. Jung hat auch festgestellt, dass der Anziehung durch das gegengeschlechtliche Urbild auch Angst und Abwehr gegenüberstehen.

„Es gibt sehr viel mehr Menschen, die Angst vor dem Unbewussten haben, als man erwarten würde. Sie haben schon Angst vor dem eigenen Schatten. Kommt man gar zu Anima und Animus, so steigert sie sich zur Panik.“

Vielleicht sind auch „Transfeindlichkeit“ und „Homophobie“ Abwehrreaktionen auf die verdrängte eigenen Zweigeschlechtlichkeit. In Sam Mendes‘ Film „American Beauty“ trägt der konservative amerikanische Haudegen Colonel Frank Fitts eine geradezu brutale Schwulenfeindlichkeit zur Schau — bis er nach einem zärtlichen Übergriff auf einen jungen Mann über seine eigene sexuelle Identität ins Nachdenken kommt. Häufig erhob sich gegenüber abweichenden sexuellen Bedürfnissen und Identitäten seitens der „Normalen“ ein moralischer Furor, der vernünftig nicht mehr zu erklären ist. Tabus deuten häufig auf einen uneingestandenen Wunsch hin.

Interessanterweise zeigten sich androgyne Figuren häufig in Künstlerkreisen, in denen gesteigerte Sensibilität und mehr Mut, „man selbst zu sein“, manches Tabu fallen ließen. Man denke etwa an Alexej von Jawlenskys berühmtes Porträt des Tänzers Aleksandr Sakharov, eine in roten Plüsch gekleidete Gestalt mit dem Gesicht einer geschminkten, verführerisch lächelnden Frau.

Goethe hat seiner Figur „Mignon“ in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ eine androgyne Gestalt verliehen. Auch in Komödien ist ein Tausch der Geschlechterrollen ein gängiges Stilmittel. Typisch etwa in der „Hosenrolle“ des Cherubino in Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“, welcher immer von einer Frau dargestellt und gesungen wird. Weiter auch in Conrad Ferdinand Meyers Novelle „Gustav Adolfs Page“, in der es um eine Frau geht, die sich, als Mann verkleidet, unter die Soldaten mischt. Eigentlich also eine Pagin, in der Verfilmung von Rolf Hansen (1960) dargestellt von Lieselotte Pulver.

Transvestiten und eine Päpstin

Auch in der Populärkultur spielte man gern mit Trans- und Intersexualität. Im Kultfilm „Rocky Horror Picture Show“ (1975) sang Tim Curry einen berühmten Travestie-Song: „Sweet transvestite from transsexual Transylvania“. Barbra Streisand schlüpfte in dem von ihr auch inszenierten Filmmusical „Yentl“ in Männerkleider, um an einer jüdischen Universität zum Thora-Studium zugelassen zu werden. Ihren Kommilitonen stürzt dies in große Verwirrung, da er sich unversehens in einen „Mann“ verliebt findet — bis die Enthüllung von Yentls weiblicher Identität ihn diesbezüglich beruhigt, doch „normal“ zu sein.

Schließlich lässt Donna Woolfolk Cross in ihrem Erfolgsroman „Die Päpstin“ den Heiligen „Vater“ unversehens auf offener Straße ein Kind zur Welt bringen. Eine drastische Zuspitzung des Themas Geschlechtertausch; und auch hier geht es im Kern um die Gleichstellung der Frau, die diese nur durch eine groteske Simulation von Männlichkeit erreichen zu können glaubt. In allen diesen Geschichten wird mit der Austauschbarkeit von Geschlechterrollen eine Zeit lang spielerisch experimentiert, bevor eine Enthüllung dann die Grenzen von „Transsexualität“ in Form einer nicht infrage zu stellenden weiblichen oder männlichen Kernidentität enthüllt.

Aber gibt es diese Kernidentität überhaupt? Oder sind Männlichkeit und Weiblichkeit nichts anderes als Kostüme, die sich die Seele überstreift für die Zeit einer Verkörperung?

Gerade Reinkarnationsgläubige legen ja den Gedanken nahe, der Körper sei ein austauschbares Kleid, wie es etwa Matthias Wendel und Ute York in ihrem Buch „Maskenball der Seele“ suggerieren. In meiner Jugend war es auch in Mode, im Fasching einen „Ball verkehrt“ zu veranstalten, bei dem sich Männer als Frauen und Frauen als Männer verkleideten. Das Motto suggerierte allerdings, dass es „verkehrt“ sei, anders auszusehen, als es die Geschlechterklischees verlangten. Für Transsexuelle wie den in „The Danish Girl“ porträtierten Einar Wegener ist die Geschlechtsumwandlung jedoch die Richtigstellung einer verkehrten Ausgangssituation; sie ist bitterernst, nicht nur Spiel und Parodie. Manche haben ihr Leben gegeben für den Traum, endlich im „richtigen“ Körper zu stecken.

Wann ist eine Frau eine Frau?

Gegner des neuen Transsexuellengesetzes, das Abgeordnete wie Tessa Ganserer im Bundestag vehement befürworten, argumentieren ja, man könne sich doch nicht im schnellen Wechsel beim Einwohnermeldeamt mal zur Frau, mal zum Mann erklären lassen.

Dies könnten Menschen aber durchaus tun, wenn sie Frau- beziehungsweise Mannsein nicht als unumstößliche biologische Tatsache ansehen, sondern eher als durch kulturelle Prägung suggerierte Rolle, die im zweiten Schritt zur Identifikation führt.

Man kann sich jedoch auch bewusst ent-identifizieren. Hippie-Männer begannen durch das Tragen langer Haare schon in den 1960ern gegen männliche Rollenklischees wie Härte und Dominanz zu protestieren; umgekehrt experimentierten Frauen mit Kurzhaarschnitten. Die Idee dahinter war: weg von Männchen- und Weibchen-Klischees. Nun scheinen „Transfrauen“ mit Lippenstift und langen Haaren eben diese Klischees wieder aufleben zu lassen, was nicht jeder Feministin alten Schlags behagt.

Berühmt ist das Zitat der Feministin Simone de Beauvoir:

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Kein biologisches, psychisches, wirtschaftliches Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt.“

Gemeint ist ungefähr Folgendes: Es gibt zwar äußere Geschlechtsmerkmale, aber das ganze Drumherum — Kleidung, Schminke, lange oder kurze Haare, Buben- oder Mädchenspielzeug wie auch die Erwartungshaltung, die die Gesellschaft mit der Männer- oder Frauenrolle verbindet — ist kulturelle Suggestion, sie gehört nicht zum „Eigentlichen“ der individuellen Seele eines Menschen.

Verstand und Gefühl

Das schwierige Thema „Transsexualität“ benötigt eine differenzierte Herangehensweise, aber auch Klarheit. Der Wiener Psychiater Dr. Raphael Bonelli macht sich in einem Videovortrag die Mühe, die verschiedenen Varianten des Themas „Geschlecht“ und „Gender“ auseinanderzuklamüsern. Anknüpfend an die wahre Geschichte eines „Transmanns“ in der Frauensauna, räumt er mit manchen Irrtümern und Übertreibungen rund um die „Transition“ auf. Das genetische Geschlecht kenne tatsächlich nur „männlich“ oder „weiblich“, das soziale und psychologische Geschlecht jedoch könne davon abweichen. Meist spricht Bonelli von einem „biologischen Mann, der sich als Frau fühlt“.

Frauen werden Männer - und umgekehrt? (Raphael Bonelli)

Bonelli fordert Toleranz und Achtsamkeit, befürwortet jedoch auch Schutzräume, wo biologische Frauen unter sich bleiben und sich sicher fühlen können. Sich als Frau zu fühlen, ist ja die eine Sache, und auch sich nackt mit einem eindeutig als männlich erkennbaren Körper in eine Frauensauna zu stellen, ist noch kein Weltuntergang; allerdings scheint sich die „Transfrau“ in besagtem Beispiel sehr unduldsam verhalten und keinerlei Verständnisse für die Bedürfnisse und Gefühle der „Cis-Frauen“ alten Typs gezeigt zu haben. Die Pointe an der Geschichte ist, dass es sich bei der bärtigen „Transfrau“ Bijan Tavassoli, die Bonelli zitiert, sehr wahrscheinlich um einen Satiriker handelt, also um einen Mann, der einen Transmenschen nur imitiert, um die Leichtgläubigkeit der Rezipierenden zu entlarven. Selbst wenn dem so ist, kann man an der Ernsthaftigkeit des Anliegens von Transgender-Personen in den meisten Fällen nicht zweifeln.

"Ich bin eine Frau" - Ein Interview mit BIJAN TAVASSOLI

Transmode versus Transphobie

Die transfreundliche „Mode“, die sich heute auf der linken Seite des deutschen Parteienspektrums zeigt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Welt noch immer voller diskriminierender Gesetze, voll Unverständnis, Hass und Gewalt gegen Transsexuelle ist. Erst unlängst haben zehn republikanisch regierte US-Staaten die Absicht bekundet, Transmenschen von Sportwettkämpfen auszuschließen. Präsident Joe Biden sprach sich gegen solche Regelungen aus.

Vielfach erhebt sich gegen die sich offensiver zeigenden geschlechtlich „Diversen“ jetzt auch ein reaktionärer Furor. Konservative argumentieren, die Mehrheitsgesellschaft dürfe sich nicht von einer kleinen Minderheit vor sich hertreiben lassen, es müsse doch erlaubt bleiben, dass ein Mann einfach ein Mann, eine Frau eine Frau sei.

Ja, muss es. Aber auch die „komplizierten“ Genderidentitäten einer Minderheit müssen ihren Platz haben dürfen. Die Grenze wäre allenfalls dort überschritten, wo Gesellschaften „transnormativ“ werden, wo zum Beispiel für die nicht unproblematischen „Geschlechtsangleichungen“ schon bei Kindern aggressiv geworben wird.

Gegen eine alt-neue Sehnsucht nach Vereinfachung ist einzuwenden, dass diese das grundsätzlich zumindest latent zweigeschlechtliche Wesen der menschlichen Seele leugnet. So mancher Transskeptiker besitzt vielleicht nur nicht genügend Weisheit und Selbstdistanz, um sich über seine zum Schicksal gewordene Rollen zu erheben und etwas tiefer zu blicken. Mann und Frau sind zwar durch ihren Chromosomensatz und einige Organe voneinander verschieden, aber der Mensch ist nicht identisch mit seiner Hülle, wie uns spätestens der Tod klarmachen dürfte. Schon gar nicht ist er die Summe der auf ihn gerichteten Suggestionen und Erwartungen.

Allerding verhält es sich mit „Transmenschen“ und ihren Identitätsgefühlen ja ähnlich wie mit Gläubigen bestimmter Religionen. Gefühle und Glaube sind zu respektieren und sollten nicht Gegenstand von Spott und Ausgrenzung sein; jedoch ist es mitunter übergriffig, auch von anderen zu fordern, diesen Glauben zu teilen. Nach meiner Auffassung empfiehlt es sich in der jetzigen Situation, wenn verschiedene Wahrnehmungen derselben Wirklichkeit miteinander koexistieren dürfen, ohne dass eine der beiden Seiten die andere beleidigt oder nach Bestrafung durch den Staat ruft.

Dominant auftretende Realitätsverleugnung

Im beschriebenen Beispiel von Raphael Bonelli war die betreffende Person in zweierlei Hinsicht männlich: erstens genetisch — das heißt, das Ypsilon-Chromosom war in jeder Zelle vorhanden — und zweitens was primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale betrifft, also den Körperbau. Wie sich dieser Mensch fühlt, ist etwas, das ihm oder ihr niemand absprechen kann. Aber besteht eine Pflicht für nicht betroffene Menschen, dem Identitätsgefühl einer Transperson zu folgen und etwa einen biologischen Mann entgegen der eigenen begründeten Wahrnehmung als „Frau“ anzusprechen?

Es wäre höflich und einfühlsam, dies zu tun; eine vom Staat und den Gerichten eingetriebene Strafe für „Misgendern“ ginge jedoch für meine Gefühl einen Schritt zu weit. Es ist wichtig, dass der berechtigte Respekt vor der inneren Realität eines Menschen nicht umkippt in einen Kotau vor Realitätsverleugnung.

In diesem Zusammenhang will ich erwähnen — und ich schreibe das nicht, um Transmenschen zu verspotten —, dass es eine Minderheit von Personen gibt, die sich als Tiere definieren. Die Community nennt sich selbst „Otherkin“; und auch hierzu gibt es interessante Dokumentationen. In einer davon wird Alice porträtiert, die sich als Wolf fühlt.

Sie sieht sich nicht als Mensch – Alice ist Teil der Otherkin Community | reporter

Die Frage, die durch ein solches Fallbeispiel aufgeworfen wird, betrifft den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Innen oder Außen: Welche der beiden Perspektiven ist entscheidender, um Realität zu konstituieren? Eine klare Parteinahme für eine der beiden Seiten ist an und für sich unsinnig, denn damit würde man eine Halbwahrheit verabsolutieren.

Angesichts des herrschenden Materialismus, der sich unter anderem in der Corona-Frage zeigte, wäre es anzunehmen gewesen, dass gerade der Mitte-Links-Mainstream verstärkt mit Chromosomen und äußeren Geschlechtsmerkmalen argumentiert und auf unumstößliche biologische Fakten verwiesen hätte. Tatsächlich fordert aber gerade dieser Personenkreis bedingungslose Anerkennung der inneren Befindlichkeit von „Transpersonen“.

Das scheint widersprüchlich, könnte aber auf eine politische Großagenda hindeuten, die Menschen bewusst zu verwirren und zu desorientieren versucht. Wo der Mensch verlernt, seinen eigenen Augen und seinem Verstand zu trauen, können diese schrittweise durch staatliche und mediale Autorität ersetzt werden.

George Orwell schrieb in „1984“ den Satz: „Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles Weitere.“


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