Nach heutiger Definition der Bundesärztekammer gilt ein Mensch als tot, bei dem ein irreversibler Hirnfunktionsausfall festgestellt wird und die Funktion des gesamten Gehirns unumkehrbar erloschen ist (1). Der Hirntod oder auch klinischer Tod gilt als Voraussetzung dafür, eine Organentnahme vornehmen zu können. Doch Hirntod bedeutet nicht tot. Herzschlag und Atmung funktionieren noch. Täten sie das nicht, würden die Organe nicht mehr durchblutet und durch die eintretenden Zerfallsprozesse vergiftet. Das entnommene Organ muss „lebensfrisch“ sein, um einem anderen Menschen eingepflanzt werden zu können.
Menschen, denen Organe entnommen werden, haben nicht nur Herzschlag und Atmung, sondern auch Reflexe und eine normale Körpertemperatur. Sie können sich bewegen, aufrichten, eine Pflegeperson umfassen oder gurgelnde Laute von sich geben. Sie frieren, schwitzen, verdauen und reagieren auf die Organentnahme mit einem Steigen des Blutdrucks und der Herzfrequenz (2).
Kritik an Organspende ist nicht neu. Dennoch findet die Transplantationsmedizin nach wie vor reichlich Unterstützung von Prominenz wie zum Beispiel dem Ex-US-Präsidenten Barack Obama, Schauspielern wie Daniel Brühl, Til Schweiger und Jürgen Vogel, dem Musiker Peter Maffay und der Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey. Außerdem gibt es die Forderung, die Grenze des Todes neu zu definieren und etwa auch irreversible Komapatienten als klinisch tot zu bezeichnen. Der Grund: Es gibt nicht genug Spenderorgane (3).
Ressource bis zum Schluss
Der Hirntod als Todesindiz gilt in Deutschland seit den 1980er Jahren und ist die Voraussetzung für das 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz. Davor galt ein Mensch dann als tot, wenn sein Herz zum Stillstand kam, die Atmung aussetzte und der Körper starr wurde. Diese Anzeichen konnte man sehen. Einen Hirntod hingegen können nur Experten feststellen. Dieselben, die über die Organentnahme entscheiden.
Organspende wird grundsätzlich als etwas Positives dargestellt. Das Wort „Spende“ impliziert, dass es sich hierbei um einen Akt der Menschlichkeit handelt. Wer ihn verweigert, riskiert, als knauserig und egoistisch eingestuft zu werden.
Die Idee klingt gut: Ein Mensch, der aus dem Leben geht, rettet einem anderen Menschen das Leben. So bekommt der Tod einen Sinn und ist nicht umsonst. Wenn schon das Leben für viele Menschen keinen Sinn hat, so hat ihn doch wenigstens der Tod.
Damit möglichst viele Menschen vom Tod anderer profitieren, gibt es in Deutschland seit dem 18. März 2024 ein Organspende-Register: ein zentrales elektronisches Verzeichnis, in dem die Entscheidung für oder gegen eine Organ- oder Gewebespende festgehalten werden kann (4). Voraussetzung dieser Maßnahme ist es, dass der Mensch auf das Körperliche reduziert ist. Denn gäbe es ein Bewusstsein für die Seele, für etwas, das nach dem Tod weiter existiert, würde man nicht so einfach in den Sterbeprozess eines Menschen eingreifen können.
Ersatzteillager
Die Transplantationsmedizin braucht die Reduktion des Menschen auf seine materiell verwertbaren Teile. Der Körper wird als eine Art Ersatzteillager angesehen und ist nur ein Ding, das mehr oder weniger bedenkenlos zerlegt werden kann. Wenn ein Teil nicht mehr richtig funktioniert, wird es durch ein anderes ersetzt. Transplantiert werden können Niere, Herz, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse und Darm, ebenso Bänder und Sehnen, Horn- und Lederhaut der Augen, Herzklappen, Haut, Blutgefäße, Knochen-, Knorpel- und Weichteilgewebe sowie Gewebe, das aus Bauchspeicheldrüse oder Leber gewonnen wird (5).
Was es bedeutet, mit dem Herzen eines anderen Menschen zu leben oder durch die Augen eines anderen zu blicken, ist nebensächlich. Wohl die wenigsten beschäftigen sich mit der Frage, welche Prägungen die Organe und Körperteile eines anderen haben oder welche Informationen in seinen Zellen vorhanden sind.
Auch die aktuelle Forschung interessiert sich so gut wie ausschließlich für die materiellen Aspekte des Seins und tut das Immaterielle weitestgehend als inexistent ab.
Die „Philosophie des Geistes“, ein Teilgebiet der Philosophie, beschäftigt sich vor allem mit Denkprozessen und den emotionalen und psychischen Funktionen des menschlichen Geistes. Das Wort Seele taucht so gut wie nicht auf. Auch aus dieser Richtung gibt es keine Bedenken angesichts des Ausweidens von als hirntot erklärten Menschen. Es gibt nur den Körper, nur das, was materiell nachweisbar ist. Jeden Tag benutzen wir Geräte, die mit unsichtbaren Energien funktionieren, doch wenn es um Lebensenergien geht, halten viele sie für Hokuspokus.
Büchse der Pandora
Das war nicht immer so. Bei Platon und Aristoteles war der Geist keine bloße Gehirnfunktion, sondern stellte ein Prinzip des Lebens dar, das allen Lebewesen zu eigen ist. Mit der frühen Neuzeit wurde dieses Konzept weitestgehend abgelehnt, da es zur Erklärung der Affekte und Körpervorgänge nicht benötigt wurde. René Descartes (1596 bis 1650) schrieb dem Menschen wohl noch eine Seele zu, deren Funktion er jedoch auf das Denken beschränkte: „Ich denke, also bin ich.“ In Folge ist derjenige nicht mehr, der seine Kapazitäten zum Denken verloren hat.
Auf dieser Vorstellung fußend konnte, wie alles andere, der Mensch zu einer Ressource werden. Hiermit öffnete sich auch die Tür für die Eugenik: die Lehre davon, wie man positiv bewertete Erbanalagen im Menschen vergrößern und negativ bewertete Erbanlagen verringern kann.
Ihren wissenschaftlichen Unterbau erhielt die Eugenik-Bewegung durch Darwins Evolutionstheorie und wurde von Schriftstellern wie D.H. Lawrence, George Bernard Shaw und Julian und Aldous Huxley in Schulen, Universitäten und Bibliotheken gebracht.
Weitere Wegbereiter waren Menschen wie der britische Gelehrte Francis Galton, ein Cousin und Anhänger Darwins, Alexander Graham Bell, der erste kommerzielle Betreiber der Telefonie, der britische Ökonom John Maynard Keynes, Winston Churchill oder Adolf Hitler. Überall in der Welt wurde daran geforscht, den Menschen zu „verbessern“. England, die USA, Kanada, die Schweiz, Skandinavien, die Sowjetunion, Japan und Deutschland taten sich besonders hervor.
Mit den Fortschritten in Genetik und Reproduktionsmedizin wird Eugenik heute nicht nur durch staatliche oder institutionelle Vorgaben erzwungen, sondern immer mehr auch zu einer persönlichen Entscheidung (6). Leute wie Bill Gates und Elon Musk wollen die Erschaffung einer Art Übermensch vorantreiben. Sie sind tonangebend bei der Entwicklung einer Biopolitik, die den Menschen immer mehr in die Verdinglichung und in die kalten Arme einer Maschinerie treibt, in der allein die Produktivität zählt. Wer durch die zunehmende Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt zu nichts mehr nutze ist, der ist immer noch für die Organspende zu gebrauchen.
Erde zu Erde
Diesem Menschen- und Weltbild gegenüber haben sich Traditionen bewahrt, wonach das Leben nicht allein auf das Materielle beschränkt ist und Seele nicht mit Psyche gleichgesetzt wird. In vielen indigenen Kulturen, in der indischen Philosophie, in China und Japan, in der Gnosis, in Judentum, Christentum und Islam, in Theosophie und Anthroposophie, Spiritismus und Parapsychologie gibt es die Auffassung einer unsterblichen Seele, die den physischen Tod überdauert.
Mancher Rationalist meint, derartige Weltbilder seien von Menschen erdacht worden, die sich nicht trauen, dem Tod in die Augen zu blicken. Diese Menschen möchte ich fragen, ob sie es denn für mutiger halten, das eigene Leben künstlich zu verlängern. Zeugen denn die Labore der Transhumanisten davon, dass wir uns mit unserem Verschwinden abgefunden haben? Ist es mutig, den Inhalt seines Gehirns auf einen Chip zu laden oder sich nach seinem Ableben einfrieren zu lassen, um sich dann wieder aufwecken zu lassen, wenn die Technologie das Rezept für das ewige Leben gefunden hat?
Finden wir es mutig, den Tod zu einem Tabu-Thema gemacht zu haben und die Seele geradezu lächerlich?
In meiner Erfahrung sind die rationalistisch-materialistisch orientierten Menschen, die Reinkarnation oder Seelenwanderung für Humbug halten und behaupten, keine Angst vor dem Tod zu haben, oft diejenigen, die sich am schwersten tun, wenn sie etwa mit einer potenziell tödlichen Krankheit konfrontiert werden. Die meisten von ihnen dürften aus Unbehagen gar nicht bis hierhin gelesen haben oder lassen das Thema von vornherein nicht zu, obwohl es sie, wie alle Menschen, tief betrifft.
Es braucht Mut, sich damit auseinanderzusetzen, dass wir eines Tages vielleicht nicht wie vom Schlag getroffen einfach umfallen oder bis zur Bewusstlosigkeit sediert in einen unendlichen Schlaf sinken. Es braucht Mut, sich vorzustellen, welche Etappen ein Mensch beim Sterben durchläuft, wie Hunger- und Durstgefühl nachlassen, wie der Stoffwechsel herunterfährt, wie der Körper austrocknet und die Atmung flacher und unregelmäßiger wird. Und es braucht Mut, sich vorzustellen, dass uns vielleicht jemand fragt, was wir mit dem Leben, das uns geschenkt worden ist, gemacht haben.
Ob wir an ein „Leben nach dem Tod“ glauben oder nicht: Niemand kann mit Gewissheit behaupten, er wüsste, was mit ihm geschieht.
Der Tod bleibt ein Mysterium. Wie bei der Geburt, so scheint es, gehen wir durch einen dunklen Tunnel, durch den wir alleine hindurchmüssen. An seinem Ende erwartet uns ein Licht, von dem wir nicht wissen, was es uns bringt. Wir können uns nur wünschen, dass dieser Prozess möglichst ungestört und glatt verläuft und nicht durch medizinische Eingriffe behindert wird.
Eine andere Sicht
Die Seele ist dem Immateriellen zugeordnet und hat daher einen energetischen Charakter. Energie kann weder hergestellt noch zerstört werden. Sie kann sich nur wandeln. „Nichts geht verloren, nichts wird erschaffen, alles verwandelt sich.“ So formulierte es Antoine de Lavoisier (1743 bis 1794), der sogenannte Vater der ersten chemischen Revolution. Was einmal erschaffen worden ist, verschwindet nie wieder. Es nimmt nur immer wieder andere Formen an.
Bei dem Verwesungsprozess nach dem Tod zersetzt sich der Körper durch körpereigene Enzyme und Mikroorganismen und wird zur Nahrung für andere Lebewesen. Verschwunden ist er dadurch nicht. Er hat sich nur in seine Einzelteile aufgelöst, die in anderen Lebewesen weiter existieren. In einem unaufhörlichen Prozess setzen sich die Bausteine des Lebens immer wieder neu zusammen.
Das, was wir in die Welt bringen, können wir energetisch nicht wieder verschwinden lassen. Keine Tat kann wieder rückgängig gemacht werden, kein Wort, kein Gedanke.
Was einmal gesagt, einmal gedacht, einmal getan wurde, existiert: Es ist. Wir können versuchen, es zu vertuschen, zu verleugnen, zu fliehen, zu bekämpfen: Es geht nicht wieder weg. Was für Illusionen wir uns auch machen: Letztlich bleibt uns nur, anzuerkennen, was ist, und uns den Lebensprozessen hinzugeben, die gleichermaßen Geburt und Tod beinhalten.
Wo stehen wir?
Die Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross unterscheidet fünf Phasen, bis etwas Altes zu Ende geht und etwas Neues beginnt. In der ersten Phase hofft der Betroffene auf einen Irrtum. Das kann nicht sein! In der zweiten Phase kommt die Wut. Warum ich!? Dann kommen das Verhandeln und das Hoffen auf einen Retter. Wenn ich nur dies und jenes tue, dann wird alles wieder gut. In der vierten Phase kommt die Trauer um die vergebenen Chancen. Nach der Depression schließlich erfolgt das Annehmen des Gegebenen. Der Mensch ist bereit für den Wandel.
In welcher dieser Phasen befinden wir uns gerade? Wo stehen wir, wenn wir Menschen Organe entnehmen lassen, deren Herz noch schlägt, deren Atmung noch funktioniert und deren Körper noch lebt? Wo stehen wir mit einer Medizin, die nur die Einzelteile sieht, und einer Wissenschaft ohne Geist und ohne Bezug zum Ganzen? Was für eine Welt wollen wir aus diesen Bausteinen errichten?
Wir haben es vor Augen, wie eine seelenlose Welt aussieht. Wir sehen es in den Schulen und Universitäten, in den Büros und Fabriken, in den Krankenhäusern und Altenheimen. Wollen wir das so?
Wollen wir bis zu unserem Tod damit warten, bis sich offenbart, dass da vielleicht doch etwas ist, was wir nicht vermutet haben? Oder können wir uns schon vorher für den Gedanken öffnen, dass es nicht nur einen Körper gibt, sondern auch einen Geist, der in ihm Platz genommen hat, bevor seine Reise weitergeht?

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Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/baek-veroeffentlicht-fuenfte-fortschreibung-der-richtlinie-zur-feststellung-des-irreversiblen-hirnfunktionsausfalls-1
(2) https://transition-news.org/organspende-und-die-frage-wann-ist-der-mensch-tot
(3) https://transition-news.org/new-york-times-will-todesdefinition-auf-komapatienten-erweitern-damit-wir-mehr
(4) ps://www.organspende-info.de
(5) https://www.transplant-wissen.de/arten-von-transplantationen/
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Eugenik