Wie bei Gambinos unterm Sofa
Und genau darum geht es ihnen ja: Um die Cosa Nostra, um „unsere Sache“, um es übersetzt zu sagen — wobei das Possessivpronomen freilich aus deren Sicht gemeint ist. Weil es um ihre Sache geht, die Sache ihrer Auftraggeber, laufen sie rhetorisch Amok. Was genau deren Sache ist, dazu kommen wir gleich noch. Vorweg einige Takte zum rhetorischen Abstieg in die Unterwelt. Den spüren aufmerksame Zuhörer mittlerweile fast überall — nehmen wir nur diese Aussage, die exemplarisch für den Ton bei X ist:
„Beim Tod des Diktators Ceauşescu haben wir damals eine Flasche Champagner getrunken. Die nächste sollte eigentlich bei Putins Ableben fällig sein. Sollte es den Todesfürsten Khamenei vorher treffen, wird die nächste Flasche zur Feier dieses Ereignisses geköpft.“
Sie stammt von einem gewissen Christian Eymery, Sprecher der Geschäftsführung der Deutschen Factoring Bank, die der Deutschen Leasing Gruppe untergeordnet ist. Eine Nachfrage bei der Deutschen Leasing blieb bis dato übrigens unbeantwortet.
Es sind also nicht nur die Paten dieser globalen Politik, die sich mehr und mehr anhören wie jene Ehrenmänner, die im Schatten der Unterwelt ihre Geschäfte tätigen. Die Hemmungen fallen überall, der Duktus der Caporegimes und Underbosses färbt ab.
Wer dem deutschen Regierungschef und dem US-Präsidenten lauscht, meint unwillkürlich, er sitze am Tisch mit einem der Köpfe der New Yorker Familien. Fünf gibt es bekanntlich an der Zahl — seit Ergreifung des Mafia-Bosses John Gotti im Jahr 1992 geben die sich allerdings ziemlich bedeckt und zeigen sich nicht mehr sonderlich gerne in der Öffentlichkeit. Die Mafia hat dort keinen Chic mehr — in der Politik scheint mafiöses Auftreten aber immer stärker in Mode zu kommen. Man kann sich zudem rege vorstellen, dass manches Geschäftsgespräch in der Unterwelt genau so läuft, wie es jenes Geschwafel von Merz und Trump nahelegt.
Bei Tisch wird entschieden, wer noch leben darf, noch nicht sterben muss — oder mit wem es besser zu Ende gehen sollte. Dann wird jemand gebraucht, der die Drecksarbeit übernimmt. Ein Exekutor, einer, der den Knopf drückt. Und der begeht einen Mord, ohne dass er genau weiß, warum und wer ihn beauftragt hat. Die Button Men, die sich die westlichen Staaten leisten — meist Militärangehörige —, sind ihren Kollegen aus der Unterwelt nicht so unähnlich. Auch sie wissen nicht so ganz sicher, weswegen sie diesen oder jenen Feind eliminieren sollen. Dazu befragt, würden sie vermutlich vom Befehlsnotstand sprechen — oder darüber, dass sie für die Freiheit kämpfen. Jeder braccio armato, jeder „bewaffnete Arm“, wie Auftragskiller im Land der Väter der fünf Familien genannt werden, könnte ähnlich argumentieren: Er habe diesen Mann schließlich nur ermorden müssen, weil er dem eigenen Geschäft der Familie im Wege stehe und deren Freiheit bedrohe.
Was sind Staaten anderes als Räuberbanden?
Warum es nun sinnvoll sein sollte, dem Iran eine neue Führung zu geben, darüber debattiert man im Wertewesten längst. Schließlich sei der Iran eine autoritäre Gesellschaft, Frauen würden unterdrückt, Liberalisierungen verhindert. Das mag alles zutreffen, ist aber kein Grund, ein Land anzugreifen — es sind Ausflüchte, die die wahren Gründe verschleiern sollen: Den Völkerrechtsbruch — und das auf Basis von Mutmaßungen. Kein Land, kein Bündnis dieser Erde führt Krieg, um die inneren Verhältnisse des Gegners in eine bessere Zukunft zu führen. Der amerikanische Bürgerkrieg wurde nicht zur Befreiung der Sklaven ausgetragen, Abraham Lincoln schrieb anfangs sogar, er würde die Sklaverei in Kauf nehmen, wenn die Union nur bestehen bleibe. Die US-Army zog nicht in Europa in den Zweiten Weltkrieg, um dort den Faschismus zu beenden – das war bestenfalls ein Nebenprodukt. Dass der Afghanistan-Krieg ein Befreiungskampf für die dortigen Frauen gewesen sein soll: Darf man da laut lachen?
Die Russen schieben heute indes den Kampf gegen ukrainische Nazis auch bloß vor: So ein moralisches Motiv lässt sich nun mal gut verkaufen, ist aber kein Kriegsziel und schon gar keine Begründung, sich an einem Krieg zu beteiligen.
Solche Motive stellen die eigene Gerechtigkeit her, die notwendig wird, um den Gang zur Hölle, der jeder Krieg letztlich ist, vor den eigenen Bürgern und außenstehenden Dritten zu rechtfertigen. Sie sind Gerechtigkeitsbooster, die die eigene Motivation in ein wohlwollendes Licht rücken sollen. Notwendig sind solche Kniffe, weil es genau an dieser Gerechtigkeit mangelt, wenn man zu den Waffen greift — das hehre Motiv ist also eigentlich das Surrogat für ein ungerechtes Vorgehen. Der „gerechte Krieg“ wird konstruiert, ersonnen und narrativ ausgestaltet — in der Realität gibt es ihn nicht, nur in Form einer Erzählung hat er seinen Platz in der Welt.
Was sind Staaten anderes als Räuberbanden? Dieser Satz wird dem heiligen Augustinus zugeschrieben, jenem Kirchenvater des ausgehenden 4. und eintretenden 5. Jahrhunderts, der von Nordafrika aus die Theologie seiner noch recht jungen Kirche prägte. Genau lautet dieser berühmte Satz folgendermaßen:
„Wenn die Gerechtigkeit fehlt, was sind dann Reiche anderes als große Räuberbanden?“
Er stammt aus seinem Werk „De civitate Dei“. Nun könnte man dieses Zitat auch auf den heutigen Iran münzen — gar kein Zweifel. Es trifft aber auch auf den Westen zu, wie er sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Welt präsentiert hat. Mit Wegfall des Kommunismus als Konkurrenz hat er sich immer deutlicher als Cosa Nostra etabliert — als Interessensgemeinschaft, die ihrer Sache nachgeht, koste es, was es wolle. Dass das früher oder später Paten an die Spitze spült, die die Sprache dieser räuberischen Hegemonie nicht mehr verbergen, sondern auch noch selbstbewusst parlieren, darf nicht verwundern. Wer dauerhaft Gangstermethoden anwendet, spricht früher oder später wie einer.
Der Untergang des Imperiums
Die Rhetorik des Halbseidenen, die die Menschenverachtung nicht verbirgt, sondern zum Gegenstand des Welthandels und des Geschäfts erhebt, als seien Menschenleben nicht mehr als eine Transaktion oder ein Passus in einem Vertragsgebilde, kommt freilich nicht aus dem Nichts. Sie ist Produkt des Niederganges eines Imperiums. Die westliche Welt verliert den Anschluss im globalen Wettbewerb, ihre Deutungshoheit geht zunehmend verloren. Moralisch hat sie dem Planeten nichts mehr zu empfehlen, zu oft waren die „gerechten Kriege“, die die westliche Welt unter dem amerikanischen Weltpolizisten und Demokratie-Mullah führte, nichts weiter als Bereicherungsorgien für deren Eliten.
Wirtschaftlich laufen andere Weltregionen den Technologiestandorten USA und Europa den Rang ab — dazu hat sich Europa auch noch ohne Not von der Möglichkeit einer eurasischen Zusammenarbeit abschneiden lassen.
Das antike Rom wurde stets von Familien geführt, die ein — sagen wir mal — sehr laxes Verhältnis zur Gerechtigkeit hatten. Es waren in der Mehrzahl räuberische Dynastien, die die Geschicke und Missgeschicke des Imperiums leiteten. In der Endzeit allerdings, als das Reich kurz vor der Spaltung stand und im Westen fast ganz verschwinden sollte, rissen nur noch räuberische Banden die Herrschaft an sich und verstanden Politik lediglich noch als eine Form, möglichst gute Geschäfte für sich selbst herauszuschlagen. Die alten Gangster wussten noch, dass der Plebs befriedigt sein musste, sonst flöge ihnen erst die Urbs — also die Stadt Rom — und dann das ganze Imperium um die Ohren. In der Endzeit spielte all das keine Rolle mehr, Rom war zur Beute geworden, zum Selbstbedienungsladen für Gangsterregenten.
Der Wertewesten formiert mehr und mehr regelrechte Gangsterregierungen, die ohne Schamgefühl klarmachen, worum es geht: Um den Kampf über die globale Macht — um die Sicherstellung der unipolaren Weltordnung. Dass das der Beginn einer Serie von letzten Kriegen sein könnte, spricht in diesem Westen kaum einer aus. Denn Schwarzmalerei ist unbeliebt in diesen Tagen. Und der Iran vermittelt jetzt ein gar prickelndes Gefühl, das wir fast schon vergessen haben in den letzten Wochen und Monaten: Wir sind die Guten! Und die Guten gewinnen immer — und wenn sie die Bösen heute noch leben lassen und morgen erst töten, dann ahnt man vielleicht unbewusst, dass Lucky Luciano und Carlo Gambino eigentlich ganz gute Seelen gewesen sein könnten.

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