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Die Selbstschlachtanlage

Die Selbstschlachtanlage

Immer mehr professionelle Tätigkeiten werden auf den Kunden abgewälzt, warum also nicht auch das Gemetzel fürs Schnitzel?

„Lamm, Euro 275“, stand auf dem Schild in großen Lettern. Und gleich darunter, in kleinerer Schrift: „Nur bezahlte Lämmer bringen Freu(n)de“. Unter dem Spalt, durch den Geldscheine und Münzen in einen Metalltresor von der Größe eines Vogelhäuschens geworfen werden mussten, war noch eine Warnung zu lesen: „Diebstahl zwecklos. Die Selbstschlachtanlage ist videoüberwacht. Der Geldtresor wird täglich geleert.“ Neben der Kasse lagen vier große Schlachtermesser — allesamt billige Modelle, weil unehrliche Kunden wohl immer wieder eines mitgehen ließen.

„275 Euro ist nicht wenig, wenn man bedenkt, dass der Kunde die ganze Arbeit selbst machen muss“, bemerkte ich irritiert. „Wie viel kostet das erst bei Schweinen und Rindern?“

„Größere Tiere haben wir noch nicht im Programm“, sagte Dr. Hunding, mein Unterweiser. „Die Kunden sind damit überfordert. Gäbe eine zu große Sauerei. Und Verletzungen. Wir bieten aktuell nur Ferkel, Lämmer, Ziegen und natürlich Gänse und Enten an. So ein Lämmchen kann man locker unter den Arm klemmen, und ‚Krchhhh!‘ …“ Dr. Hunding deutet mit einer Geste an, wie man das Messer am Hals eines Tieres entlang ziehen muss. Dabei biss er seine Zähne lustvoll aufeinander. „Aber eine Kuh — versuchen Sie das mal!“

Während er redete, überflog ich die Tafel mit den Schlachtanweisungen. Sie hing über einer langen Reihe von Stallboxen, ungefähr in der Größe von Toiletten. Ein beißender Geruch nach frischem Mist stieg mir in die Nase. Die Luft im Stall war stickig, Tierlaute hörte ich jedoch nur gedämpft. Die Lämmer mussten sich wohl noch hinter der großen Wand in einem anderen Raum aufhalten.

„Wir sind um diese Zeit noch fast allein hier“, fuhr Dr. Hunding fort. „Gut, um Ihnen Ihre Arbeit in Ruhe zu erklären. Ab dem späten Vormittag ist hier die Hölle los. Hat man Ihnen auf dem Amt erklärt, worum es geht?“

„Nein“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Nur dass es eine zumutbare Arbeit im Sinne von Paragraf 187/f ist und dass mir im Fall der Nichtakzeptanz sämtliche Transferleistungen gestrichen werden können.“

„Das geht uns doch allen so“, lächelte der Unterweiser. „Also, eine Selbstschlachtanlage ist, wie der Name schon sagt, eine Anlage, in der Kunden ihre Fleischlieferanten selbst schlachten dürfen. Lange galt es als undenkbar, die Bezahlung der Waren von der Ehrlichkeit der Kunden abhängig zu machen. Dann kamen die Blumenfelder zum Selbstpflücken. Kürbisse lagen am Straßenrand ohne Bewachung zum Abholen bereit. Nie hat einer der Anbieter draufgezahlt. Die Diebstahlquote wurde einfach auf den Preis aufgeschlagen. Seitdem wir hier die Überwachungskameras haben, geht sie gegen Null. Ehrlich gesagt, schaut niemand hier die Überwachungsvideos an, solange sich die Quote in Grenzen hält.“

„Aber was ich nicht verstehe“, fragte ich nach: „Wenn es eine Selbstschlachtanlage ist, wozu braucht es dann uns als Angestellte?“

„Selbst das einfachste Blumenfeld kommt nicht ohne Angestellte aus“, sagte der Unterweiser, der sich offenbar in der Rolle des Belehrenden wohl fühlte. „Die Blumen müssen gesät werden, bei Trockenheit gegossen, die Kasse muss gelehrt werden, die Messerchen bei Bedarf erneuert … Sie können sich vorstellen, dass es in der Tierhaltung noch ein bisschen mehr zu tun gibt. Ich prüfe wöchentlich den Bestand an Tieren, muss notfalls nachbestellen, die Kasse prüfen …“

„Und die Ernährung der Tiere?“

„Ist zum Glück unkompliziert. Wir haben eine große Weidefläche und einen umgeleiteten Bach als Tränke. Die sorgen für das Nötigste. Und mit den Exkrementen ist es halb so wild“, fügte er lachend hinzu, als hätte er meine nächste Frage geahnt. „Das verteilt sich gut. Wir müssen nur im Notfall säubern. Bei Regen gehen die Tiere in den Verschlag, im Winter haben wir geschlossen. Am unangenehmsten ist eigentlich — naja, ich sag‘s Ihnen besser gleich — die Arbeit, die Sie künftig zu machen haben.“

„Und was ist das für eine Arbeit?“, fragte ich beklommen.

„Schlachtfehler und ihre Folgen. Sehen Sie, die Leute kommen hier her und geben sich redlich Mühe. Aber sie sind halt keine Profis. Wenn auf einem Blumenfeld mal eine Gladiole abknickt, sagt keiner was. Aber ein Messer an der falschen Stelle angesetzt, ein Schnitt nur halbherzig ausgeführt — das Lamm schreit, versucht auszureißen. Ein Schwall von Blut spritzt dem Kunden ins Gesicht. Da kriegen manche Panik und rufen nach einem Aufseher. Das Lamm, mit Schnittwunde am Hals, bleibt liegen, blutet langsam aus. Wer muss den Schlachtvorgang also beenden und die Sauerei wegwischen? Wir!“

Ich unterdrückte einen Würgreflex. Aber Dr. Hunding redete unbeeindruckt weiter.

„Oder, nehmen wir an, ein Lamm wurde ordentlich geschlachtet. Aber der Typ hat nicht die geringste Ahnung, welche Organe brauchbar sind, wie man einen ordentlichen Schnitt in die Bauchdecke ausführt. Manche richten ein Gemetzel an und hinterlassen einen unappetitlichen Haufen aus Fell, Blut und Knochen. Dann gibt’s welche, die lassen das beste Fleisch dran und entnehmen stattdessen die Galle. Wer muss das gute Fleisch retten und den Schlonz wegräumen? Wir!“

„Ja, aber warum lässt man das überhaupt von Laien durchführen?“, warf ich nervös ein. „Es ist doch klar, dass da manche durchdrehen. Ihre Kunden sind doch keine Metzger.“

„Sind Sie etwa ein Möbelschreiner?“, fragte der Unterweiser trocken.

„Nein.“

„Und steht in Ihrer Wohnung ein einziges Möbelstück, das Sie nicht selbst zusammengeschraubt haben?“

„Nein, das kann ich mir nicht leisten.“

„Sehen Sie. Und wenn Sie ein Regal falsch montieren, wem geben Sie dann die Schuld, sich oder dem Möbellieferanten?“

„Mir natürlich. Ich fühle mich jedes Mal unsicher und werfe mir mein mangelndes handwerkliches Geschick vor.“

„Sehen Sie, so geht es vielen auch mit der Selbstschlachtanlage. Fehler werden gemacht, im Endergebnis lernt der Fleischkunde aber, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. In ein paar Jahren wird sich keiner mehr vorstellen können, dass es Fleisch früher in Plastik eingeschweißt im Kühlregal gab. Ich sehe darin auch einen pädagogischen Effekt. Die Menschen hatten ja jede Verbindung zu den Quellen ihrer Nahrung verloren.“

Ich war nachdenklich geworden. „Fürchtet Ihr Chef nicht, dass der Fleischkonsum zurückgeht? Vegetarier sagen doch immer, wenn jeder Fleischkonsument selbst schlachten müsste, würde kein Fleisch mehr gegessen.“

„Das haben wir befürchtet, ja. Die Angst erwies sich aber als unbegründet. Bei dem Preisgefälle, das heute zu fremdgeschlachteter Ware besteht, rennen uns die Leute die Bude ein. Es gibt eine Schwellenangst, ja, aber auf Dauer interessiert den Bürger nur sein Schnitzel auf dem Teller. Wissen Sie, Mitgefühl ist eine variable Größe. Es passt sich flexibel an veränderte Bedingungen an.“ Dann wechselte Dr. Hunding scheinbar das Thema: „13 Semester Kommunikationswissenschaft — mir wurde auch nicht in die Wiege gelegt, dass ich heute 20 Tieren täglich den finalen Todesschnitt versetze und tonnenweise blutige Eingeweide in den Container werfe. Aber glauben Sie mir: Wenn Sie das ein paar Wochen gemacht haben, ist Töten so leicht wie Atmen.“

Ich schüttelte mich unwillkürlich, versuchte aber, mir nichts anmerken zu lassen. Dr. Hunding öffnete nun die Metalltür, die in eine der Boxen führte. Sie war kaum größer als zwei mal zwei Meter. Der Boden war auf allen Seiten zur Mitte hin leicht abschüssig, wohl um das Blut in das Abflussloch zu leiten. An der linken Seitenwand befand sich ein Wasserschlauch. Aus einem Spender gegenüber entnahm der Unterweiser große Plastiksäcke. Wasserdicht und verschließbar, wie er anmerkte. Blutdicht.

„Jetzt wollen wir mal das zukünftige Lammkotelett hereinlassen“, sagte mein Begleiter, wobei sein Mund schmatzende Laute von sich gab. Er drückte auf einen roten Knopf an der hinteren Wand, ein Gatter öffnete sich automatisch. Dr. Hunding entnahm aus dem Heuspender oberhalb des Gatters ein Büschel duftendes Gras und legte es vor die Öffnung. Wir mussten nicht lange warten, bis ein weißes Lämmchen hereinspazierte. Ein weiterer Knopfdruck, und das Gatter schloss sich hinter ihm. Mit noch etwas tapsigen Bewegungen begann es sofort, etwas von dem Heu zu verspeisen. Dann blickte es fragend zu uns auf. Das Lämmchen war von einem dünnen, schneeweißen Flaum bedeckt, der an Beinen und Bauch etwas mit Schlamm beschmutzt war. Seine beiden Ohren standen an den Seiten ab und bildeten mit der Stirn die Form eines Bumerangs. Neugierig und sanft fixierten uns nun seine großen Augen.

Unwillkürlich ging ich in die Hocke und strich dem Lamm über das Fell. Es schloss die Augen und wühlte sein Köpfchen hingebungsvoll in meine Hand. Als ich die Feuchtigkeit seiner Schnauze fühle, zog ich die Hand reflexartig zurück und stand auf. Das Lamm stupste mich mit der Nase mehrmals an den Beinen an. Es wollte unser Spiel offenbar noch nicht beenden. Wie vertrauensvoll es ist, dachte ich. Es hat mich noch nie gesehen und nähert sich mir mit einem grenzenlosen Zutrauen.

Als hätte er meine Gedanken lesen können, meinte Dr. Hunding hämisch: „Vor dem Tag der Schlachtung hält das Schlachttier seinen Herren für einen guten Mann. Er gibt ihm Futter und ein Dach über dem Kopf. Wie sollte es ihn nicht lieben?“

Ich versuchte, nicht daran zu denken, zu welchem Zweck das Lamm und ich in dieser engen Box zusammen gekommen waren. Nicht jetzt. Vielleicht konnte ich es noch etwas hinauszögern. Während das Tier unverdrossen an mir herumschnupperte, versuchte ich, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. „Kommt der Chef denn manchmal hier vorbei?“

Jetzt lachte der Unterweiser hemmungslos. Ich verstand nicht, was an meiner Frage komisch war. „Samuel Mauler — hier vorbeikommen! Sehr originell, wirklich! Also gut, ich erkläre es Ihnen. Samuel Mauler, der Besitzer der global operierenden Selbstschlachtanlagen-Kette „FunnySlaugther“ ist die Nummer sieben auf der Liste der reichsten US-Amerikaner. Er residiert in der Konzernzentrale in Chicago. Hier in Böbing hat ihn noch keiner zu Gesicht bekommen.“

„Entschuldigen Sie, jetzt verstehe ich. Und wie kam Herr Mauler zu einem solchen Vermögen?“

„Naja“, meinte der Unterweiser, noch sichtlich vergnügt, „das Prinzip des Selbstschlachtens ist nicht sehr personalkostenintensiv, wie Sie sich vorstellen können. Drei von vier Schlachthaus-Mitarbeitern werden auf diese Weise eingespart. Und die, die trotzdem noch hier arbeiten — Sie sehen es ja an sich selbst: Sie kosten Mr. Mauler zwei Euro in der Stunde. Warum sollte er auch mehr für Sie ausgeben? Wiedereingliederungsmaßnahmen von Langzeiterwerbslosen trägt bekanntlich der Steuerzahler.“

„Aber man hört doch immer von den finanziellen Engpässen in der Fleischindustrie“, warf ich ein.

Dr. Hunding lächelte überlegen. „Samuel Mauler hat in den letzten Jahren solche Gewinne eingefahren, dass er problemlos wieder mehr Fachkräfte einstellen könnte. Aber, wie der alte Herr zu sagen pflegt:

‚Ich kann meinen Investoren nicht zumuten, ihre Rendite für Mitarbeiter zu opfern, die für ihre Arbeit tatsächlich eine Bezahlung erwarten.’

Überhaupt ist der Payed Worker, der PW, ein Auslaufmodell, das sich längerfristig als nicht konkurrenzfähig erweisen wird. Zukunft hat allein der FW, der Free Worker — Leute wie Sie und ich.“ Der Unterweiser wandte mir den Rücken zu, als wolle er nicht zeigen, dass er lachte. Ich merkte aber durchaus, wie sehr ihn diese Gedankengänge amüsierten.

„Aber niemand, nicht einmal Sie, ist so billig wie unser bester Mitarbeiter“, sagte er, als er sich wieder zu mir umgedreht hatte.

„Wen meinen Sie damit?“

„Na, den Kunden, wen sonst. Der arbeitet hier Tag für Tag — umsonst!“

„Sie meinen, in Selbstschlachtanlagen wird der Kunde behandelt wie ein Sklave?“, fragte ich und merkte, dass meine Stimme wütend klang.

„Natürlich nicht“, parierte Dr. Hunding. Ich war beruhigt. Gleich würde mir der Unterweiser erklären, warum mein Vorwurf der Sklavenhaltung übertrieben war. Doch er fuhr fort:

„Sklaven in der Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg bekamen für ihre Arbeit Unterkunft und Verpflegung. Unsere Kunden bekommen nicht einmal das.“

„Aber auf selbst geschlachtetes Fleisch wird ein erheblicher Preisnachlass gewährt!“

Der Unterweiser konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten und brach in ein glucksendes Lachen aus. „Da sieht man mal, wie gut unsere PR-Abteilung gearbeitet hat. Die Leute glauben, FunnySlaughter wäre ein soziales Unternehmen, das Normalverdienern Fleisch zu erschwinglichen Preisen anbietet. Gleichzeitig wächst Mr. Maulers Vermögen ins Unermessliche. Unsere Kunden arbeiten hier zwei Stunden, machen sich die Hände blutig und gehen noch zufrieden mit ihrem Fleisch nach Hause. Alles nur wegen eines erbärmlichen Preisnachlasses, den die Teuerung in eine paar Jahren wieder auffrisst. Von solchen Mitarbeitern konnten die Sklavenhalter im 18. Jahrhundert wirklich nur träumen.“

„Ich weiß nicht, ob ich das witzig finden soll“, brummte ich verärgert. Dann fiel mir ein, dass meine Bemerkung ziemlich gewagt war, wenn man bedenkt, dass ein Anruf meines Unterweisers bei der Arbeitsagentur genügt hätte, um meine Stütze auf Null zu reduzieren.

Der tat aber so, als hätte er meinen Fauxpas nicht bemerkt und sprach wie ferngesteuert weiter. „Unsere Investoren, müssen Sie nämlich wissen, sind äußerst empfindsam. Sie glauben vielleicht, das wären harte Kerle, aber es sind scheue, eher dünnhäutige Menschen. Ein einziger ärgerlicher Vorfall, der Ihnen vielleicht geringfügig erscheint — zum Beispiel eine Absenkung der Rendite auf 24 Prozent —, und sie sind verschwunden. Und ihr Kapital mit ihnen. Herrn Mauler sind da die Hände gebunden. Seine Sparmaßnahmen sind, wie er immer wieder betont, alternativlos.“

Da ich betreten schwieg, nahm mein Gegenüber den Faden wieder auf. „Sehen Sie, Leute wie Sie und ich, die noch Kinder der alten Zeit sind — Leute, die auf Kosten des Staates das Gymnasium besucht haben, dann das selbstverständlich kostenfreie Studium. Die dann mit 26 begonnen haben, sich für Praktika zu bewerben und — da Praktika natürlich unbezahlt sind — schon mit Beginn ihrer beruflichen Laufbahn dem Sozialsystem zur Last fielen. Die dann nach einer Kette von Praktika, Umschulungen, Bewerbungslehrgängen und Transferleistungsempfang zu alt geworden sind, um noch in den Arbeitsmarkt integriert zu werden — da frage ich Sie: Worin liegt denn der Sinn unserer Existenz, wenn nicht darin, Investoren Kosten zu ersparen?“

Ich schwieg wie benommen, bis mich das Lamm mit seiner Schnauze an einer empfindlichen Stelle anstupste. Ich merkte, dass ich es bereits lieb gewonnen hatte, trotz des beißenden Mistgeruchs, den es verströmte.

„Nun, gehen wir’s an“, sagte Dr. Hunding.

„Was?“, fragte ich, als hätte ich nicht genau gewusst, was jetzt auf mich zukam.

Dr. Hunding zog ein Schlachtermesser aus seiner Gürteltasche. Es glänzte matt im milchigen Kunstlicht der Deckenstrahler. „Packen Sie das Lamm von hinten am Hals und ziehen Sie das Messer von links nach rechts durch. Nicht zu zaghaft. Wenn Sie zögern, leidet es nur länger. Wenn Sie es richtig machen, spritzt das Blut nur an die Wand dahinter. Seine Beine knicken um, und es sackt zusammen. Wie man es zerlegt, zeige ich Ihnen dann nach der Kaffeepause.“

„Aber ich bin doch kein Kunde. Warum muss ich das Lamm jetzt selbst schlachten?“
Eigentlich kannte ich die Antwort schon: „Jetzt stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind. Sie sollen Kunden anleiten, die beim Schlachten noch unsicher sind. Manchmal werden Sie zu Ende bringen müssen, was die nicht geschafft haben. Also …“

Ich wiegte das schwere Messer in meiner Hand hin und her, sah auf das Lamm herunter, das mich mit unerschütterlicher Freundlichkeit anstarrte. Es wusste ganz offensichtlich nicht, was ihm bevorstand. Hinter der Wand, wo die Tiere aufwuchsen, hatten sie nie einen ihrer Artgenossen sterben sehen. Ich fasste es von hinten um den Hals, sodass meine Wange seinen Kopf berührte. Ich fühlte seinen warmen Puls, hörte das Schnaufen seines Atems. Dann öffnete sich meine Hand unwillkürlich, und das Messer fiel zu Boden. Als ich das Wort aussprach, war es, als käme es aus dem Mund eines anderen: „Nein.“

„Was, nein?“, fragte Dr. Hunding ungeduldig. Das Lamm tat ein paar hektische Schritte zur Seite.

„Nein, ich schlachte es nicht.“

„Wir alle haben da unsere Schwierigkeiten am Anfang“, sagte er mit erstaunlich sanfter Stimme. Offenbar wollte er es mir leicht machen. „Aber wir alle müssen da durch. Wenn Sie es nicht töten, tötet es noch heute jemand anderes.“

„Ich kann nur für mich selbst sprechen. Ich will es nicht töten. Wenn es ein anderer tut, ist das seine Sachen.“

In Dr. Hunding kochte jetzt eine Wut hoch, wie es oft bei Menschen geschieht, die durch das Verhalten eines anderen plötzlich an ihre eigene Erbärmlichkeit erinnert werden.

Er spielte jene Trumpfkarte aus, von der er wusste, dass sie unweigerlich ihren Zweck erfüllen würde, das Argument, das in einem Augenblick Gold in Blei verwandelte und jeden Willen brach: „Wenn Sie dieses Lamm nicht töten, bin ich gezwungen, Ihren Arbeitsvermittler anzurufen und ihm zu sagen, dass Sie sich weigern, eine zumutbare Arbeit auszuführen. Also, was ist Ihre Antwort?“

„Nein.“

Ich gebe zu, dass ich aus einer Art Trance heraus handelte, wie ferngesteuert. Ich bin sonst nicht besonders mutig. Aber in diesem Moment war es, als ob ich von einer dichten, vibrierenden Luftschicht eingehüllt wäre, die mich schützte und den Gedanken an die Konsequenz meines Handelns von mir fernhielt.

„Sie sind wahnsinnig, Mann. Sie können die nächsten Jahre im Obdachlosenasyl schlafen. Verstehen Sie nicht? Das Lamm zu schlachten, ist alternativlos.“

„Vielleicht geht es hier nicht um mich“, sagte ich ruhig und strich dem Lamm noch einmal über das krause Haar zwischen seinen Ohren. Armes Lämmchen, ich glaube, es stimmt, was er sagt: Du hast keine Stunde mehr zu leben. Trotzdem spürte ich eine Art von aufgeregtem Glück wie ein Strömen und Pulsieren unter meiner Haut. Ich hatte herausgefunden, dass eigentlich immer eine Alternative existiert — wenn wir erkannt haben, dass es nicht nur um uns geht.

„Der Gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe“ — der Spruch fiel mir plötzlich ein wie ein Echo aus Kindertagen, verbunden mit dem Holzgeruch von Kirchenbänken. Eigentlich war es ein schöner Satz, und ich wollte für einen Moment daran glauben. In Wahrheit gaben ja immer die Schafe ihr Leben für ihre Hirten. Und heutzutage brauchte man schon Mut dazu, ein Tier nicht zu quälen und zu töten. Der Arbeitsagentur zu widersprechen, war das nicht gleichbedeutend mit Tod?

Ich verließ die Selbstschlachtanlage, ohne mich von Dr. Hunding zu verabschieden, der hektisch und demonstrativ auf seinem Handy herumhackte. Draußen schlug mir ein kühler Wind entgegen, der aus der Weite eines Stoppelfelds zu mir herüber blies. Er war frisch und roch wie die Verheißung von Schnee.


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