Ultraschall, Pränataldiagnostik, Mutter-Kind-Pass, Wehentropf, Periduralkatheter, Kaiserschnitt — von Anfang an ist unser Leben unter Kontrolle. Schwangere gelten als Patienten, als potenziell Kranke. So wie es als normal erscheint, dass eine Frau mindestens einmal pro Jahr zum Frauenarzt geht, ist es für viele selbstverständlich, dass Schwangerschaft und Geburt unter medizinischer Überwachung ablaufen. Das gilt als Fortschritt. Fortschritt vermittelt Sicherheit. Sind nicht früher Mutter und Kind häufig bei der Geburt oder im Kindbett gestorben? Ohne genau zu wissen, wann dieses Früher war und unter welchen Umständen die Menschen starben, geben wir uns damit zufrieden, dass es wohl an mangelnder medizinischer Versorgung gelegen haben muss.
Die haben wir heute. Mit kalten metallischen Geräten und spitzen Gegenständen lassen wir dort in uns eindringen, wo wir am empfindlichsten sind. Auf den Gedanken, dass es sich hierbei um eine Form der Gewalt handelt, kommen nur wenige Menschen. Die Geburts- und Sterbebegleiterin Friederike de Bruin ist eine von ihnen. In vielen der als selbstverständlich geltenden Eingriffe in den menschlichen Körper erkennt sie Gewaltakte.
Gewalt beginnt für sie dort, wo jemand ungefragt in den Raum eines anderen dringt und wo physiologische Prozesse gestört werden. Das Gebären wird von vielen während dieses Ereignisses besonders feinfühligen Frauen als Vergewaltigung ihres Schoßraumes empfunden.
Wehentropf, fremde Umgebung, mangelnde Intimität und Privatsphäre, Störung, Bevormundung, ständiges Angesprochenwerden und Verbreitung von Angst lassen den Organismus spüren: Hier stimmt etwas nicht.
So wird die Geburt für viele zu einem traumatisierenden Stresserlebnis. Stress, das ist bekannt, setzt uns unter Anspannung. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Blutgefäße verengen sich. Das feine Zusammenspiel der Hormone und Neurotransmitter wird gestört, das Nervensystem wird starr und setzt auf Kampf und Flucht. Der Körper verkrampft sich. Schmerzen treten auf. Die Wehen werden zurückgefahren. Das psychische Wohlbefinden leidet, und es kommt zu Angstzuständen. Angst lähmt unsere Kreativität, unsere Schaffenskraft. Sie ist das Letzte, was Mutter und Kind bei der Geburt brauchen, dem höchsten kreativen Akt, zu dem Menschen fähig sind.
Das Geschäft mit dem Leben
Geburt braucht Entspannung. Fühlen wir uns geborgen und sicher, läuft sie praktisch von ganz allein. Sind wir weich, ist sie wie ein Liebesspiel, ein Eintauchen in unsere tiefste Intimität. So wie ein Orgasmus kommt auch das Kind nicht unter Zwang. Allein über die Hingabe sorgt der Körper natürlicherweise dafür, dass die Geburt zügig vorangeht. Er schüttet Hormone aus, die das Schmerzempfinden reduzieren. Diese natürlichen Prozesse nicht zu behindern oder sogar zu unterbrechen ist die Voraussetzung für eine reibungslos ablaufende Geburt.
In unserer Kultur jedoch sind wir daran gewöhnt, dass Geburt schmerzhaft ist. Wehen müssen wehtun. Hilfe kommt von außen, von einem Experten, einem Medikament, einer Spezialbehandlung. In unserer Allmachtsfantasie, das Lebendige verwalten und kontrollieren zu wollen, so Friederike de Bruin, wurden körpereigene Prozesse regelrecht industrialisiert. Die systematische Produktion von Todesangst macht uns in allen Lebensbereichen zu gefügigen Konsumenten.
In seinem Buch „Patient ohne Verfügung“ (1) kritisiert der Arzt und Palliativmediziner Matthias Thöns das Verwalten der Symptome im letzten Lebensjahr und das Geschäft mit dem Lebensende. Obwohl kein Therapieerfolg mehr zu erwarten ist, werden Sterbenskranke mit allen Mitteln der Apparatemedizin künstlich am Leben gehalten. Dies kann nur geschehen, weil wir das Thema Sterben und Tod weitestgehend aus unserem Leben ausgeschlossen und in fremde Hände gegeben haben.
Friederike de Bruin appelliert daran, uns unsere intimsten Lebensereignisse von der Industrie zurückzuerobern. Geburts- und Sterbeprozesse sind kein Markt, sondern die tiefsten, wesentlichsten und oft zartesten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. Holen wir den Tod ins Leben zurück und begründen wir eine neue Sterbekultur. Umarmen wir unsere Sterblichkeit, anstatt sie zu verwalten. Machen wir das Gebären und das Sterben wieder zu dem, was sie sind: natürliche und intime Lebensereignisse. So treten wir aus der Angst heraus und in das volle Leben hinein.
Friederike de Bruin im Gespräch mit Robert Cibis von OVALmedia
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.buch7.de/produkt/patient-ohne-verfuegung-matthias-thoens/1033544864?ean=9783492312196
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