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Ein ehemals neutrales Land

Ein ehemals neutrales Land

Die Schweiz plant Waffenexporte in Kriegsgebiete zu ermöglichen und nimmt damit Abschied von seinem größten außenpolitischen Leitstern.

Rüstungsindustrie der Schweiz steht vor dem Untergang?

Als Begründung von Lockerungen von Kriegsmaterialexporten wird behauptet, die Schweizer Rüstungsindustrie werde durch die heutigen Regeln in den Ruin getrieben, sie stehe vor dem Untergang. Die Online-Datenbank der Wochenzeitung WOZ über Rüstungsexporte, die alle ansässigen Firmen auflistet, die in den letzten Jahren Exportbewilligungen für Rüstungsgüter erhalten haben, registrierte 150 Unternehmen, die Waffen, weitere militärische Güter und Überwachungs-Technologien exportierten — das Geschäft mit dem Krieg floriert (2).

Rüstungsunternehmen in der Schweiz sind zu einem großen Teil in ausländischem Besitz — Rheinmetall (BRD), General Dynamics (Mowag) USA, Beretta (Italien) und viele andere. Allein 2024 holten die diversen Rheinmetall-Unternehmungen Exportbewilligungen für über 1,5 Milliarden Franken ein — von wegen Ruin und Untergang! Auch für den US-Konzern General Dynamics, dem der Thurgauer Panzerbauer Mowag gehört, bleibt die Schweiz ein lukrativer Standort (2).

Es ist Krieg, und wir sind immer auch dabei

Da überall wie irr aufgerüstet wird und Kriege im Gange sind, gedeiht das Geschäft mit Waffen auch in der Schweiz.

Die Rüstungsindustrie steht in der Schweiz nicht vor Ruin und Untergang, wie behauptet wird. Rheinmetall in Zürich-Oerlikon sucht jetzt 600 neue Mitarbeiter; in der Unterführung des Bahnhofs Zürich-Oerlikon wurde kürzlich auf den Werbebildschirmen Werbung für diese Jobs gemacht. In der Schweiz herrscht akuter Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, daher wird Rheinmetall die meisten Leute wohl im Ausland rekrutieren (3, 4).

Schweizerische Volkspartei (SVP) als Hüterin der Neutralität?

Bemerkenswert bei dieser Lockerung des Exports von Kriegsmaterial, die der Bundesrat anstrebt, ist die Unterstützung durch die Schweizerische Volkspartei (SVP). Die SVP gilt als Hüterin der Neutralität und sollte eigentlich eine Gegnerin von Lockerungen von Waffenexporten sein. Diese Partei war bis heute auch mit dem überparteilichen Komitee für die Volksinitiative für die „Wahrung der Schweizer Neutralität“ dabei. SVP-Nationalrat Thomas Hurter betonte trotz dieser Befürwortung einer Lockerung der Kriegsmaterialexporte, dass es sich bei der SVP in Sachen Neutralität nicht um eine Kehrtwende handle (5, 6).

Die Unterschriften für die eidgenössische Volksinitiative „Wahrung der schweizerischen Neutralität (Neutralitätsinitiative)“ wurden am Donnerstag, 11. April 2024, eingereicht.

Auch linksgrüne Politiker und Bürger hatten in einem Aufruf der Neutralitätsinitiative ihre volle Unterstützung zugesichert, unter anderem der emeritierte Professor für Politikwissenschaft Wolf Linder und der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch (Sozialdemokrat). Werden diese Bürger Stellung nehmen gegen die Lockerung der Kriegsmaterialexporte, werden sie sich sogar dem Referendum anschließen? Wird die Sozialdemokratische Partei der Schweiz wieder wie früher für ein Verbot der Kriegsmaterialexporte eintreten?

Der Bundesrat empfahl jedoch dem Parlament bereits, die von einem überparteilichen Komitee ins Leben gerufene Initiative „Wahrung der Schweizerischen Neutralität“ ohne Gegenvorschlag abzulehnen (7, 8, 9).

In einem Krieg würde sich die Schweiz zu Tode verteidigen

Die Neutralitätsinitiative will unter anderem im Artikel 54a der Bundesverfassung die schweizerische Neutralität konkretisieren, damit sie nicht mehr der Beliebigkeit untersteht: „Die Schweiz ist neutral. Ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet.“

An der „immerwährenden, bewaffneten Neutralität“ festhalten?

Soll die Schweiz an der immerwährenden, bewaffneten Neutralität festhalten, wie es die Neutralitätsinitiative verlangt? Meiner Meinung nach müsste die Schweiz heute eine zeitgemäße, moderne Verteidigung in Betracht ziehen: eine gewaltlose, zivile Verteidigung ohne Armee.

https://www.istockphoto.com/de/photo/military-boots-gm17199770-23762946

Ein Verteidigungskrieg in der dichtbesiedelten Schweiz mit den Atomkraftwerken (AKWs) in Beznau, Leibstadt und Gösgen, den vielen Staumauern, der hochtechnisierten Infrastruktur würde zu einem noch größeren Desaster führen als heute in der Ukraine, die 3,5-mal weniger dicht besiedelt ist als die Schweiz. Falls ein AKW nach einem Beschuss in einem Verteidigungskrieg hochgehen würde, könnte ein großer Teil der Schweiz nicht mehr bewohnt werden.

Soziale Verteidigung. Eine gewaltfreie Alternative zur militärischen Verteidigung der Schweiz, Verlag Schweizerischer Friedensrat, Dezember 1976

Im Krieg in der Ukraine hatte man bisher Glück, dass keiner der 15 Atomreaktoren kaputt gebombt wurde, auch nicht die sechs Reaktoren in Saporischschja die unter russischer Kontrolle stehen.

Weltweit hysterische Aufrüstungspolitik, auch in der Schweiz

Im Moment reiht sich die Schweiz ein in die weltweite hysterische Aufrüstungspolitik, die von den Medien unterstützt wird. Das Schweizer Armeebudget soll in 15 Jahren verdoppelt werden, vermutlich begleitet von Abbau von Sozialleistungen. Besteht heute eine Gefahr, dass die Schweiz militärisch angegriffen wird, von Russland etwa? Russland ist heute keine Großmacht mehr, obwohl es über Atomwaffen verfügt. Das Bruttosozialprodukt Russlands ist kleiner als das von Italien und das Militärbudget etwa dreimal kleiner als das der europäischen NATO-Staaten.

Atomzeitalter und Schlacht der Eidgenossen bei Morgarten, Sempach und Näfels

Im Atomzeitalter werden in der Schweiz immer noch die erfolgreichen Schlachten von unseren Eidgenossen hochgehalten: Morgarten, Sempach, Schlacht bei Näfels und so weiter. Ideen der Gewaltlosigkeit sind in der Schweiz hingegen zu wenig bekannt.

Pierre Cérésole organisierte nach dem Ersten Weltkrieg im kriegsverwüsteten Dorf Esnes, auf dem Schlachtfeld von Verdun, mit dem Service Civil International ein Workcamp auch mit Deutschen und Franzosen, um zu demonstrieren, dass ein gemeinsames Arbeiten mit Teilnehmern aus verfeindeten Nationen möglich ist.

Bis heute organisiert der Service Civil International auf der ganzen Welt Arbeitseinsätze in denen junge Menschen gemeinsam arbeiten und zeigen, dass ein friedliches Miteinander ohne Krieg keine Utopie bleiben muss (10).

Kriege sind furchtbar, das zeigt der Krieg in der Ukraine, in dem, wie geschätzt wird, schon eine halbe Million ukrainischer Soldatinnen und Soldaten entweder getötet oder verletzt worden sind. In einem Krieg würde sich die Schweiz zu Tode verteidigen.

Käthe-Kollwitz-Ausstellung im Kunsthaus Zürich 2023 (Foto Heinrich Frei)

Lockerung der Kriegsmaterialexporte für 25 Länder

Zurück zu der angestrebten Lockerung der Kriegsmaterialexporte der Schweiz. Betroffen von der Lockerung der Kriegsmaterialexporte, die angestrebt wird, wären 25 Länder, die in der sogenannten Anhang-2-Liste der Kriegsmaterialverordnung aufgeführt sind. Sie umfasst Staaten wie Deutschland, Österreich, die USA, Kanada oder Japan. Diese Staaten können als Demokratien mit ähnlichen Werten bezeichnet werden, heißt es.

Lockerung der Kriegsmaterialexporte ändert nichts

Eigentlich wird sich durch eine Lockerung der Kriegsmaterialexporte nicht viel ändern. Der Bundesrat, im Schlepptau der Rüstungs- und Finanzindustrie, hat es seit Jahrzehnten erlaubt, an kriegführende und folternde Staaten Kriegsmaterial zu liefern. Dem Schah-Regime im Iran, das Kriege führte und folterte, wurde zwischen 1972 und 1978 für 498 Millionen Franken Kriegsmaterial verkauft. Daneben ließ es Bern ständig zu, dass Banken, Versicherungen und Pensionskassen Rüstungskonzerne finanzierten, die neben konventionellem Kriegsmaterial auch Streubomben, Antipersonenminen und Atombomben herstellten (11).

Ständig Waffenexporte an Staaten, die Kriege führten

Seit 1990/91 gab es fünf große, westlich geführte Kriege: 1990 im Irak, 1999 in Jugoslawien, 2001 bis 2021 in Afghanistan, 2003 bis 2012 erneut im Irak und 2011 in Libyen. Auch am Krieg in Syrien ab 2011 waren westliche Staaten beteiligt. Millionen Menschen sind in diesen Kriegen umgekommen und sind zu Flüchtlingen geworden. Trotzdem wurden die helvetischen Waffenexporte an diese Staaten nie eingestellt, auch nicht an die Arabischen Emirate, Katar und Saudi-Arabien, die in Kriege verwickelt waren.

Trotz des ersten und zweiten Tschetschenienkriegs (erster Tschetschenienkrieg 1994 bis 1996, zweiter Tschetschenienkrieg 1999 bis 2009), den die Russische Föderation führte, wurden Russland von 1997 bis 2022 für 104,5 Millionen Franken von der Schweiz Kriegsmaterial und besondere militärische Güter geliefert.

Israel könnte ohne die Bomben, Granaten und Jets von NATO-Staaten keinen Tag Krieg führen

Die USA, Deutschland, Italien und weitere NATO-Staaten sind heute durch ihre Waffenlieferungen an Israel und auch an die Ukraine in einen „bewaffneten Konflikt“ verwickelt. Israel könnte ohne die Bomben, Granaten und Jets von NATO-Staaten keinen Tag Krieg führen, auch nicht gegen den Iran, den Libanon, den Jemen oder Syrien. Die Schweizer Waffenlieferungen an die USA, Deutschland, Italien und weitere Staaten, die Israel mit Kriegsgeräten belieferten, wurden nicht gestoppt. Schamlos wird heute in der Schweiz sogar empfohlen, Aktien von Rüstungskonzernen zu kaufen, die mit ihren Waffen an Kriegen beteiligt sind: Rheinmetall, Elbit, Leonardo, BEA-Systems, Lockheed Martin, Raytheon, Boeing, Northrop Grumman, General Dynamics, Dassault Aviation, Saab AB und so weiter.

Kein strafrechtlicher Freipass für Fabrikanten und Politiker, die Rüstungsgüter liefern lassen

Die Justiz in der Schweiz muss in Mordfällen oder bei Beihilfe zu einem Totschlag Untersuchungen einleiten, es sind Offizialdelikte. Aber sobald Tausende Menschen in Kriegen getötet werden, sind unsere Gerichte, unsere Justiz angeblich nicht zuständig. Jedoch gibt es keinen strafrechtlichen Freipass für Fabrikanten und Politiker, die Rüstungsgüter liefern lassen an Regime, die Kriege führen. Unter Artikel 25 des schweizerischen Strafgesetzbuchs fallen nämlich Delikte wie Beihilfe zum Mord, zu vorsätzlicher Tötung, zu schwerer Köperverletzung und zu schwerer Sachbeschädigung. Gehilfe bei solchen Straftaten ist derjenige, welcher „zu einem Verbrechen oder zu einem Vergehen vorsätzliche Hilfe leistet“, wer also auch „vorsätzlich in untergeordneter Stellung die Vorsatztat eines andern fördert“. Diese Verbrechen sind laut Artikel 75bis des Strafgesetzbuchs sogar unverjährbar und Offizialdelikte, die von der Justiz geahndet werden müssten.

Die Schweiz als neutrales Land sollte sich mit Initiativen zu Friedensverhandlungen stark machen, nicht Schweizer Waffen für die Kriege dieser Welt liefern und finanzieren. Die Schweiz ist Depositär-Staat der Genfer Konventionen und Sitzland des IKRK, des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Genf.


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Quellen und Anmerkungen:

Quellen und Anmerkungen:
(1) Keine Waffen an Unrechtsregime! Die Abstimmung über das Referendum könnte im September 2026 zur Abstimmung kommen.
(2) Immer schön locker bleiben. Rüstungsreport 2025, Lorenz Naegelin und Jan Jirát, WOZ Nr. 38, 18. September 2025.
(3) Der integrierte internationale Technologiekonzern | Rheinmetall
(4) Online-Flyer Nr. 572 vom 27. Juli 2016
Rheinmetall entrüsten
Produktion für das Leben, nicht mehr für den Tod
(5) Argumentarium — Neutralität JA
(6) Microsoft Word — 250205_VI-N_dt_ARGUMENTARIUM Neutralitätsinitiativ e UV.docx
(7) Neutralitätsinitiative: Argumente statt Parolen — infosperber
(8) Neutralitätsinitiative — Positionspapier der PdA Schweiz — Partei der Arbeit der Schweiz
(9) Parlament kann entscheiden — Bundesrat lehnt Neutralitätsinitiative ab. News SRF
(10) https://scich.org/
(11) 20 Jahre widerrechtliche Schweizer Kriegsmaterialexporte.
Schweizer Kriegsmaterialexporte in Kriegs- und Spannungsgebiete und nach Ländern, welche die Menschenrechte verletzten, von 1972 bis 1992.

Von 1975 bis 2024 für 23,17 Milliarden Franken Kriegsmaterial exportiert
Die Schweiz exportierte von 1975 bis 2024 für 23,117 Milliarden Franken Kriegsmaterial. Diese Rüstungsgüter wurden zum großen Teil an Staaten verkauft, die in Kriege verwickelt waren, die Menschenrechte mit Füßen traten und in denen Menschen im Elend lebten. In diesen Konflikten, die die Schweiz mit Waffen bediente, sind Millionen Menschen getötet, verletzt, ins Elend gestürzt oder zu Flüchtlingen geworden.

In die 23,117 Milliarden Franken sind die besonderen militärischen Güter nicht eingerechnet, die ebenfalls exportiert wurden, aber nicht in der offiziellen Statistik erscheinen. Auch die Finanzierung von Waffengeschäften durch Schweizer Banken erscheinen in diesen Zahlen nicht. Schweizer Geldinstitute, die Nationalbank, Banken, Versicherungen und Pensionskassen investierten in den letzten Jahren sogar in Firmen, die an der Atomwaffenproduktion, an der Herstellung von Antipersonenminen und Streubomben beteiligt waren. Das sind verbotene Waffen.

Laut Kriegsmaterialgesetz ist die „direkte und indirekte Finanzierung“ von verbotenem Kriegsmaterial schon heute klar untersagt. Verbotene Waffen sind in der Schweiz chemische und biologische Waffen, Atombomben, Streubomben und Antipersonenminen.

Aus Rücksicht gegenüber der NATO weigert sich der Bundesrat, das Atomwaffenverbot zu unterzeichnen, obwohl das Parlament dies vor einigen Jahren mehrheitlich beschlossen hat. Wie der Bundesrat verlauten ließ, will er sich unter den Atomwaffenschirm der NATO stellen, um die Schweiz zu beschützen. Deshalb ist der Bundesrat gegen ein Atomwaffenverbot.

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