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In die Traufe

In die Traufe

Während sich kritische Menschen über den Niedergang der Ampelparteien freuen, bereitet das „konservative“ Lager einen repressiven Klassenstaat vor. Teil 1 von 2.

Ein hoch aufragender schwarzer Balken neben einen ähnlich eindrucksvollen blauen. Daneben, chancenlos abgeschlagen und eigentlich nicht einmal in derselben Liga spielend, diejenigen, die man fast als Kleinparteien bezeichnen müsste: Rote, Tiefrote und Grüne. So war das Bild am Abend der Sachsen- und Thüringen-Wahl am 1. September 2024. Nicht wenige beobachten die Entwicklung mit Befriedigung, hatten es die Wähler der Koalition des Niedergangs doch endlich gezeigt. Wie unfassbar schlecht muss eine Regierung sein, dass selbst Wähler, deren politische Grundüberzeugungen sonst gar nicht zu Union und AfD tendieren, diesen „Denkzettel“ bejubeln! So unbedingt wollen Millionen Menschen von der Ampel weg, dass kaum Zeit bleibt, sich überlegen, wo es überhaupt hingehen soll.

Der Unterschied zwischen den beiden „rechten“ Blöcken ist in Teilbereichen groß — in anderen vernachlässigbar. So plädiert die AfD für eine gründliche Aufarbeitung des Corona-Unrechts; mit der Union, die dessen wichtigste Trägerpartei war, wäre das nicht zu machen. Die AfD wäre für mehr direkte Demokratie und für eine Abschaffung des Rundfunk-Zwangsbeitrags, die Union strikt dagegen. Die AfD ist zwar insgesamt militärfreundlich und NATO-treu, wäre für schnelle Verhandlungen mit Russland aber zu haben und betont deutsche Interessen, die nicht in einem De-facto-Opfergang für die Ukraine bestehen können; die Union dagegen dürfte an der Regierung selbst noch das übliche Ampel-Kriegsgeschrei übertönen und kurzentschlossen schwere Waffen liefern, wo ein Olaf Scholz noch zauderte.

Der Marsch in die BlackRock-Republik

Ein Herz und eine Seele wären Schwarze und Blaue dagegen bei mindestens zwei Themen: in der Migrationsfrage, bei der die AfD den Ton angibt, währende CDU und CSU zunehmend beherzt einstimmen, und in der sozialen Frage, in die das Migrationsthema natürlich mit hineinspielt. Hier dürften die Weichen hin zu einem entfesselten Kapitalismus gestellt sein — und zwar bei beiden Parteien. Verhältnisse wie in Thüringen und Sachsen könnten auch andernorts oder in einem Jahr bei den Bundestagswahlen mit jeweils regionaltypischen Abstufungen entstehen.

Man stelle es sich vor: eine Regierung unter dem Ex-BlackRock-Lobbyisten Friedrich Merz, „kontrolliert“ hauptsächlich von der stärksten Oppositionspartei, der AfD. Abgeschlagen und weitgehend machtlos: der „linke“ Flügel des Parteienspektrums, also — nachdem die FDP eine „sonstige Partei“ geworden ist — vor allem SPD und Grüne, jene Parteien, die einst Hartz IV aus der Taufe gehoben haben. Die Linke wäre ebenfalls „sonstig“ geworden. Allenfalls das BSW würde dann, sofern es nicht „umfällt“, mit vielleicht 8 Prozent der Parlamentssitze die Partei der Geringverdiener und der prekär Lebenden ergreifen.

Arme Arme! Was ihnen in einer schwarz-blauen Republik blühen könnte — dagegen könnten Merkels für den Mittelstand tödlichen Corona-Lockdowns und die Hochinflationsphase der Ampel-Ära im Nachhinein nur wie ein blasser Vorgeschmack erscheinen.

Und wie sich die Szene „alternativer“ Friedensfreunde, Corona-Skeptiker und Wokeness-Gegner — von ihren Gegnern kurz als „Schwurbler“ bezeichnet — in Fragen von Arm und Reich positionieren wird, ist keineswegs ausgemacht. Es gibt innerhalb dieses schwer zu definierenden und einzugrenzenden Milieus eine beachtliche Fraktion von Libertären, während sich andere eher als enttäuschte Linke definieren würden. Sollte das Thema „Soziales“ — vergleichbar mit Corona in den Jahren 2020 bis 2023 — die Debatte einmal dominieren, könnte es zu Spaltungstendenzen innerhalb der „Szene“ kommen.

Auf den Schlips getreten

Ein Beispiel für eindeutig wirtschaftsliberal orientierte Ampelkritik ist der Kanal „Aktien mit Kopf“, der von Kolja Barghoorn betrieben wird. Barghoorn, der in meinen Augen meist recht sympathisch rüberkommt und mit seiner Grünen-Kritik oft ins Schwarze trifft, hat sich mit seinen Markenzeichen — erhobener Zeigefinger, Mund und Augen weit aufgerissen, immer im Tonfall erregter Intensität sprechend — in die Herzen vieler Unzufriedener im Land hineingenörgelt. In einer neueren Folge seines Video-Blogs arbeitete sich Kolja Barghoorn nun an einem durchaus bewährten Objekt ab: Ricarda Lang. Diese setzte sich bei einer Rede auf einem Kongress der „Stiftung Verantwortungseigentum“ für eine Demokratisierung der Wirtschaft ein. Speziell ging es um die Rechtsform „GmbH mit gebundenem Vermögen“.

Barghoorn ist außer sich. Selbst vor dem Hintergrund seiner stets temperamentvollen Auftritte fällt dieses Video aus dem Rahmen. Dabei erweckt der Stein des Anstoßes bei mir nicht so recht den Eindruck, dass dämonische Kräfte am Werk sind.

„Wenn man sich das ganze Gerede anhört über Verantwortungseigentum und Nachhaltigkeit und so, dann weiß man immer sofort: Es ist ein neuer Sozialismus gemeint“, giftet der Video-Influencer. Dass Lang über „neue Formen der Demokratie“ nachdenken will, deutet er als „eine Entmachtung des Parlaments“. Den Begriff „Verantwortungseigentum“ will der Redner partout nicht gelten lassen, obwohl „Eigentum verpflichtet“ sogar in Paragraf 14 des Grundgesetzes steht. Er befürchtet, „dass ein Unternehmen quasi nicht mehr denjenigen gehört, die es mal gegründet haben — also den Eigentümern und Gesellschaftern, sondern im Endeffekt der gesamten Welt“. Dabei macht Barghoorn eine weit ausholende Bewegung mit seinem Arm, um die pompöse Lächerlichkeit eines solchen Unterfangens zu verdeutlichen.

Investoren am Rande des Nervenzusammenbruchs

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen fügt er hinzu:

„Dieses gebundene Vermögen darf dann nicht mehr ausgeschüttet werden an die Eigentümer. (…) Im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters erhält dieser eine Abfindung nur in Höhe des Nominalwerts, nicht des Zeitwerts des Anteils. Wenn die Einlage eines Teilhabers das 50-fache des ursprünglichen Werts beträgt und er ausscheiden will, kriegt er trotzdem nur das zurück, was er damals eingezahlt hat.“

Die Frage, die sich für Nicht-Investoren nun stellt, ist: Wieso glaubt jemand, ein Recht darauf zu haben, das 50-fache der Summe ausgeschüttet zu bekommen, den er ursprünglich in eine Firma oder einen Fond hineingegeben hatte? Und woher kommt das Geld, das ihm einen derartigen Segen bescheren soll?

Ricarda Lang berichtet in der Rede von ihrem Großvater, der Unternehmer war. Nicht er allein habe sein großes Vermögen geschaffen, vielmehr hätten „unfassbar viele Menschen“ es gemeinsam mit ihrer Arbeit und ihren Ideen kreiert. Kolja Barghoorn fühlt sich durch solche Reden sichtlich provoziert. Er weist auf das Verlustrisiko von Unternehmern hin, welches ihre hohen Profite im Erfolgsfall rechtfertige. Was ihm gar nicht gefällt, ist, dass Gewinne „gerecht verteilt werden“. In einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen gebe es keine Verantwortung des Unternehmers mehr. Dieser gehe mit seiner Firma schließlich „durch dick und dünn“, während sich Investoren, die kaum Rendite zu erwarten hätten, bei der ersten Krise aus dem Staub machten.

„Trojanisches Pferd des Sozialismus“

Barghoorns Angst ist es jetzt auch, dass die Grünen diese neue Rechtsform durch staatlich garantierte Privilegien fördern könnten. Über deren Absichten spekuliert er wie folgt: „Wir wollen, dass die GmbHs mit gebundenem Vermögen einen niedrigeren Steuersatz zahlen als die ganzen Profitgeier. Da die ja nur für ihren eigenen Profit arbeiten und keine Verantwortung übernehmen und nicht für die Gesellschaft stehen, sollen die eben höhere Steuern zahlen.“ Oder: „Öffentliche Aufträge gehen nur noch an GmbHs mit gebundenem Vermögen.“ Und — schlimmste aller Schreckensvisionen: Alle Firmen, die „Güter des täglichen Bedarfs“ herstellen, müssten sich auf Befehl der Grünen in GmbHs mit gebundenem Vermögen umwandeln. Das alles, so resümiert Barghoorn, sei „nichts anderes als das nächste Trojanische Pferd des Sozialismus“. Und er schließt:

„Ich wette mein gesamtes Vermögen darauf, dass sich das niemals durchsetzen würde in der Praxis.“

Womit er zugibt, dass er aus der Perspektive eines Vermögensbesitzers argumentiert. Dies könnte ein Grund für die lange, erregte Rede sein, die dem Motto zu folgen scheint: „Eigentum verpflichtet nicht.“ Wie kam Kolja Barghoorn also zu seinem Vermögen? Seine Seite „Aktien mit Kopf“ vermittelt eine Ahnung davon. Er hat offenbar erfolgreich in Aktien investiert und gibt diesbezügliche Tipps auch an Interessierte weiter. Der Alptraum eines Aktienkäufers oder Investors ist es wohl, nur das Geld herauszubekommen, das man investiert hat.

Das genannte Video bringt diese Sorge deutlich zum Ausdruck. Für intelligente Menschen empfiehl es sich somit, „mehr aus seinen Investments zu machen als 0,5 Prozent Tagesgeld“. Dies aber ist das Schicksal der meisten Menschen.

Geld wird von Natur aus nicht wertvoller in der Zeit. Wer mehr Geld will als er derzeit hat, von dem könnte man also normalerweise erwarten, mehr zu arbeiten oder sich einen besser bezahlten Job zu suchen. Die smartere Lösung besteht jedoch darin, Geld „anzulegen“.

Anlegen bedeutet meist: Andere arbeiten dafür, denen ein Teil ihres Lohns vorenthalten wurde.

Was der Investor bekommt, fehlt dem Arbeiter

Das bedeutet nicht, dass erfolgreiche „Spekulation“ keine Leistung wäre. Es braucht Wissen und Marktkenntnis, um hier zu reüssieren. Und Risikobereitschaft. Diese Eigenschaften sind anerkennenswert. Dennoch ist es fragwürdig, wenn Einkommen nicht mehr danach berechnet wird, was jemand leistet — also an Zeit und Energie einsetzt —, sondern danach, ob jemand geschickt genug ist, Geld gleichsam in den richtigen Topf zu werfen, wo es nach den Kriterien „des Marktes“ dann auf rätselhaften Wegen Junge bekommt.

Jeder Euro, der in einem Unternehmen steckt, kann nur einmal ausgegeben werden, wie es die Sachbuchautorin Naomi Klein am Beispiel der in Firmen oft überbordenden Werbebudgets dargelegt hat. Ein Euro kann für die Arbeitenden ausgegeben werden, die die Produkte geschaffen haben, oder für diejenigen, die öffentlich sagen, wie großartig sie seien. Oder eben für Renditen, die an die Geldgeber gehen. Beides ist im Wirtschaftsleben nötig: PR wie auch Kapital. Die Frage ist nur, ob sich die beiden genannten Gruppen nicht immer zu viel vom Kuchen nehmen. Was Investoren bekommen, fehlt Arbeitern, und umgekehrt.

Die Einstellung von Investoren gegenüber Arbeitern ist somit eine zwiespältige. Man braucht sie, damit überhaupt Werte entstehen, die zu Geld gemacht werden können, welches dann an Investoren ausgeschüttet wird. Aber sie sind auch lästig, denn ihre Löhne schmälern das zur Ausschüttung bereitstehende Budget.

Ricarda Lang, die sonst nur selten in den Genuss eines Lobes von meiner Seite kommt, hatte also meines Erachtens im Grundsatz Recht. Eigentum sollte gemeinschaftsverträglich „eingehegt“ werden. Investoren-Gewinne müssen auf ein Minimum beschränkt werden, damit mehr Geld für die an der Wertschöpfung Beteiligten übrig ist. Natürlich besteht die Gefahr, dass das Modell „GmbH mit gebundenem Vermögen“ nicht praxistauglich ist. Mir ist auch bewusst, dass in Unternehmen, die kein hohes Renditeversprechen geben, kaum noch jemand investieren wird. Aber hier sind die oft als realitätsfremd abgekanzelten Grünen eben experimentierfreudiger und bereiter, über die Mauern des derzeit faktisch Gegebenen hinauszublicken.

Erfolgreich ist, wer allen dient

Ein vergleichbares Konzept hatte der österreichische Aktivist Christian Felber schon 2010 entworfen: die „Gemeinwohl-Ökonomie“. Ihr Grundsatz ist: „Erfolgreich ist, wer allen dient.“ Unsere Ökonomie, so Felber, basiere auf Konkurrenz und Profit. So sei es kein Wunder, dass Ängste und Burnouts zunehmen, während das Vertrauen in die Zwischenmenschlichkeit abnehme. An der menschlichen Natur liege es nicht, behauptet der mehrfache Buchautor. Diese enthalte Potenziale in beide Richtungen: Konkurrenz wie Kooperation. Es müsse also ein Anreizsystem geschaffen werden, das eher die humanen Verhaltensweisen belohne. Das könne erreicht werden durch die Umstellung unseres Wirtschaftssystems auf Gemeinwohl-Ökonomie.

Firmen sollten eine Gemeinwohlbilanz erstellen und Punkte sammeln: Wie gehen sie mit ihren Mitarbeitern um? Wie mit Frauen, mit Lieferanten, mit der Umwelt? Je nach Bilanz werden die Unternehmen dann finanziell besser oder schlechter gestellt. Der Beitritt zu einem solchen System wäre freiwillig und demnach nicht das Ergebnis übermäßiger planwirtschaftlicher Einflussnahme. Ob dergleichen im großen Stil funktionieren würde, müsste sich erst zeigen. Sicher ist aber, dass mehr ethische Ausrichtung und Gerechtigkeitsgefühl in Unternehmen unserer Gesellschaft guttun würden.

Die Aktie als Gottheit — und höllische Arbeitsbedingungen

Vermögende Menschen lassen ja kaum eine Erklärung für ihren Reichtum gelten, als dass sie ihn „verdient“ oder „erarbeitet“ hätten. Was Arbeit wirklich bedeuten kann, erfuhr ich bei einem Besuch im Bergwerksmuseum meiner Heimatstadt Peißenberg, zu dem ein Besucherstollen gehört. Bergwerksarbeiter mussten dort seit 1837 teilweise bei 40 Grad Temperatur, auf dem Rücken liegend, die Kohle mit einem Schlaghammer aus dem Berg hauen — in Stollen, in die sich ihre Körper nur mit Mühe hineinzwängen konnten. In bis zu 1.050 Metern Tiefe kam kein natürliches Licht herein, die Menschen sahen während des gesamten Arbeitstags weder eine Pflanze noch den Himmel. Ihre Gesichter waren stets von Kohlestaub und Schweiß verschmiert. Hinzu kam die Angst vor Unfällen — immer wieder fanden Arbeiter den Tod im Bergwerk. Dies war dann über Stunden, Tage, Jahre, ja bei manchen Menschen über 40 Lebensjahre ihre Aufgabe. Ich habe interessehalber dann auch recherchiert, welche Rechtsform das Bergwerk Peißenberg, das 1971 eingestellt wurde, hatte. Es war eine AG — Aktiengesellschaft.

In seinem Roman „Germinal“ (1885) beschrieb der französische Romanautor Emile Zola drastisch die Lebenssituation hungernder Bergwerksarbeiter, die Opfer einer Ideologie des „Shareholder Value“ geworden waren. Die reiche Familie Grégoire, seit Generationen im Besitz einer Aktie, muss für ihren großzügigen Lebensstil keinen Finger rühren. So sinniert Vater Grégoire zufrieden:

„Die Aktien werden wieder steigen, das sei sicher wie der Himmel. In diese fromme Zuversicht mengte sich übrigens auch eine tiefe Dankbarkeit für eine Anlage, die seit einem Jahrhundert die Familie schön ernährte, dass sie die Hände in den Schoß legen konnte. Diese Aktie war gleichsam ihre Gottheit, die ihr Egoismus mit einem Kultus umgab (…). Sie hielten ihren Schatz für besser in der Erde gehütet, von wo ein Heer von Arbeitern, Generationen von Hungrigen ihn für sie heraufholten.“

Die Mentalität von Vater Grégoire ist bis heute weit verbreitet.

Es ist dies die Vorstellung, für die „Energie“, die in Form von Renditen aus Aktien zu einem kommt, keine Gegenleistung erbringen zu müssen. Die eigentlich kindliche Auffassung, dass einem das Leben irgendwie von einer gütigen höheren Macht geschenkt wird.

Schwarze Felsen und weiße Westen

Der Video-Blogger Kolja Barghoorn hat offensichtlich Schwierigkeiten, seine Interessen als Vermögensbesitzer und Aktien-Käufer nicht mit seiner politischen Ansicht zu vermischen. Was soll man unter diesen Umständen von einem Bundeskanzler Friedrich Merz erwarten, dessen Vermögen auf 12 Millionen Euro geschätzt wird und dessen Vergangenheit beim weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock allgemein bekannt ist?

Es gibt im „alternativen“ Spektrum eine Reihe weitere Video-Influencer, die politische Kritik mit Werbung für das eigene „Geschäft“ vermischen. Dies geschieht nicht unbedingt direkt; kleine Hinweise genügen, um eine Spur zu Werbeseiten zu legen, die dann mit Edelmetallen oder Bitcoins handeln oder auf denen man erfährt, wie der Leser „sein Vermögen“ in turbulenten Zeiten retten kann. Menschen ohne Vermögen gehören somit nicht zur Zielgruppe. Damit will ich niemandem unterstellen, dass er seine politischen Reden nicht ehrlich meint — etwa die Kritik an den Grünen, an den Auswüchsen der „Trans-Bewegung“ oder an den Angriffen Nancy Faesers auf die Meinungsfreiheit. Dennoch kann man vermuten, dass einige, die mit ihren Videos eher eine Wahlentscheidung für Union oder AfD nahelegen, vielleicht von diesen Parteien ein für ihre Investitionen günstiges politisches „Klima“ erwarten.

Entwicklungshilfe für die Reichen

Allerdings darf man — bevor „Ampel-Nostalgie“ schon vor dem Ableben dieser unglücklichen Koalition aufkommt — nicht vergessen, dass wachsende Vermögensungleichheit schon jetzt ein virulentes Problem darstellt. In seinem Artikel „Die Umverteilungsagenda“ für Manova schrieb Christian Kreiß, Professor für Volkswirtschaft:

„Rechnet man also mit Zinsen von durchschnittlich etwa 3,5 Prozent, fließen in den kommenden Jahren gut 9 Prozent vom BIP an die Inhaber der Schuldpapiere, das heißt im Wesentlichen an die oberen 1 bis 10 Prozent der Haushalte. Für das Jahr 2024 wären das in etwa 2.600 Milliarden US-Dollar.“

Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Das umstrittene „Sondervermögen“ — also der Schuldenturbo des Bundes für Militärausgaben, den die Ampelkoalition im Juni 2022 auf den Weg brachte — betrug „nur“ 100 Milliarden Euro. Auch Staatsschulden, so Kreiß, würden über Steuern finanziert.

„Selbst die ärmsten Bevölkerungsschichten zahlen Steuern, zum Beispiel über die Mehrwert- oder Benzinsteuer. Die Unternehmensschulden werden über Produktpreise auf die Kunden umgelegt. Bei jedem Einkauf zahlt jede Konsumentin und jeder Konsument die Unternehmensschulden. Letztlich werden also sämtliche Zinsen, egal ob der Staat, die Unternehmen oder die privaten Haushalte die Schulden haben, von den privaten Haushalten gezahlt.“

Der Arbeitende ist der Dumme

In seinem Artikel „Der übertölpelte Arbeitnehmer “ führt Christian Kreiß aus, warum der Abfluss gewaltiger Geldmengen in Form von Renditen und Dividenden den Arbeitenden nicht egal sein sollte. „Hätte man die Dividende statt an die Aktionäre an die Werktätigen ausgezahlt, die die Wertschöpfung erbracht haben, hätte jeder bei Mercedes beschäftigte Mensch 2021 eine Lohnerhöhung von 23,4 Prozent bekommen können. 2022 und 2023 hätte man die Löhne und Gehälter jedes Beschäftigten um etwa 34 Prozent erhöhen können.“ Auch die Behauptung, dass allein Unternehmer und Investoren ein Risiko trügen — ein häufig von Pro-Kapitalisten ins Feld geführt Argument —, ist, wenn man genauer hinsieht, ein Mythos.

„Die Beschäftigten tragen auch ein Risiko, sie können bei Wirtschaftsabschwüngen entlassen werden und haben dann Probleme aller Art, wie vergangene Wirtschaftskrisen zeigen, teilweise gar Existenzprobleme, wie etwa in den Jahren 1929 bis 1932 oder 1907/1908.“

Ein Video von Nachdenkseiten-Redakteur Jens Berger enthält eine brisante Berechnung: „Wir könnten alle über ein Vermögen von mehr als 222.000 Euro verfügen — wenn das Geld gleich verteilt werden würde. So ist es aber nicht und dieses durchschnittliche Vermögen ist weit entfernt von der Realität.“ Vollkommene Vermögensgleichheit — unabhängig von Leistungserwägungen — werden die meisten nicht für gerecht halten. Die Zahl macht aber deutlich, in welcher Größenordnung legale Umverteilung heute stattfindet.

Der durchgewunkene Skandal

Die internationale Hilfsorganisation Oxfam rechnete in ihrem Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024 vor:

  • „Alle Milliardär*innen zusammen sind heute um 3,3 Billionen US-Dollar (34 Prozent) reicher als 2020. Ihr Vermögen wuchs damit dreimal so schnell wie die Inflationsrate.
  • *Fast fünf (4,77) Milliarden Menschen, die ärmsten 60 Prozent der Menschheit, haben seit 2020 zusammen 20 Milliarden US-Dollar Vermögen verloren.
  • Das Gesamtvermögen der fünf reichsten Deutschen ist seit 2020 inflationsbereinigt um rund drei Viertel (73,85 Prozent) gewachsen, von etwa 89 auf etwa 155 Milliarden US-Dollar.*
  • 148 der weltweit größten Konzerne haben in den zwölf Monaten bis Juni 2023 insgesamt 1,8 Billionen US-Dollar an Gewinnen eingefahren. Das entspricht einem Anstieg von 52,5 Prozent gegenüber den durchschnittlichen Nettogewinnen im Zeitraum 2018-2021. Ihre Übergewinne, definiert als Gewinne, die den Durchschnitt von 2018-21 um mehr als 20 Prozent übersteigen, stiegen auf fast 700 Milliarden US-Dollar an.
  • Der Aktienbesitz kommt in erster Linie den reichsten Menschen der Welt zugute. Das weltweit reichste Prozent besitzt 43 Prozent des gesamten Finanzvermögens. In Deutschland besitzt das reichste Prozent 41,1 Prozent des gesamten Finanzvermögens.“

Schlimm daran ist, dass diese Entwicklung in der Tendenz schon seit Jahrzehnten bekannt ist und oft beklagt wurde. Seit Beginn des „Corona-Jahrs“ 2020 hat sich der Trend aber nicht nur nicht umgekehrt; er blieb nicht nur gleich, was die Geschwindigkeit und das Volumen der Umverteilung betrifft — die Dynamik verschärfte und beschleunigte sich nochmals erheblich.

Es ist ähnlich wie beim Thema Wohnungsnot: Es ist schlimm. Es erheben sich Klagen darüber, dass es schlimm ist. Und es geschieht — nichts. Im nächsten Jahr dasselbe, nur ist dann die Ungerechtigkeit nochmals gewachsen.

Es wirkt fast so, als arbeitete die Politik Tag und Nacht mit großem Engagement an der Verschlechterung der Gesamtsituation. Ich will aber hier nichts unterstellen. Die Dynamik des Kapitalismus tut das Ihre, um die Katastrophe voranzutreiben — vor allem mit Hilfe der Faktoren Zins und Erbschaft.

Deutschlands Reichste

[Dorothee Spannagel](https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/global-wealth-report-2024-100.html, Expertin für Verteilungspolitik beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung, verfiel angesichts der Situation sogar in eine biblische Sprache: „Wer eh schon hat, dem wird gegeben.“ Die Vermögen am „oberen Rand“ wachsen andauernd. Gerade in jüngerer Zeit gab es eine große Erbschaftwelle. „Die Leute, die erben, die den Großteil dieser Erbschaften bekommen, das sind die, die sowieso schon zu den Reichen und Superreichen gehören.“ An diesem Punkt müsse man zentral eingreifen, so Spannagel. Ihre Lösungsvorschläge bleiben jedoch im Ungefähren.

Die Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte eine anschauliche Grafik, die man so versprachlichen kann: „Insgesamt besitzen die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte zusammen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens, netto, also abzüglich Schulden. Die unteren 20 Prozent besitzen gar kein Vermögen. Etwa neun Prozent aller Haushalte haben negative Vermögen, sie sind verschuldet.“ Grafiken, die die Bevölkerung nach Einkommen oder Vermögen in Gruppen von je zehn Prozent einteilen, verzerren allerdings die Realität. Denn wenn man das wohlhabendste 1 Prozent, die wohlhabendsten 0,1 oder gar 0,01 Prozent betrachtet, so kommt man auf Kurven, die recht spitz in grafisch gar nicht mehr darstellbare Höhen emporschießen.

Die reichsten Deutschen verfügen stets über zweistellige Milliardenbeträge. Die Nummer 1 ist laut Statista Klaus-Michael Kühne, Mehrheitseigentümer des Transportunternehmens Kühne + Nagel, vielseitiger Investor und Immobilienbesitzer. Sein Vermögen wird auf 42,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Es folgen Dieter Schwarz (Kaufland, Lidl) mit 37,4 Milliarden und Reinhold Würth (Befestigungs- und Montagetechnik) mit 37,3 Milliarden. Dass die ALDI-Brüder hier einmal die Liste anführten, ist Vergangenheit. Sie geben sich, bescheiden wie sie sind, mit 16,5 beziehungsweise 14,6 Milliarden Dollar zufrieden. Die Top 3 in Deutschland besitzen allein mehr, als das berühmte „Sondervermögen“ für Rüstung ausmacht.

Die Geißel unserer Zeit — Bürgergeld-Empfänger

International sind Kühne, Schwarz & Co. aber eher kleine Fische. Elon Musks Vermögen wird auf 243,7 Milliarden US-Dollar geschätzt, das von Jeff Bezos auf 197 Milliarden. Ich erinnere mich noch, wie schockiert ich vor Jahren war, als ich erfuhr, dass der damals reichste Mann der Welt, Warren Buffet, 42 Milliarden Dollar sein Eigen nannte. Inzwischen hat er auf 149,9 Milliarden aufgestockt und ist nur noch die Nr. 6 der globalen Krösusse.

Man sieht also: Wir haben ein Problem mit der Vermögensverteilung. Es besteht nicht in erster Linie darin, dass bestimmte Personen so ungeheuer viel Geld haben, sondern darin, dass das Geld anderswo, wo es dringend gebraucht würde, schmerzlich fehlt.

Es wäre nun aber eine böswillige Unterstellung, dass unsere Politiker nicht über ein angemessenes Problembewusstsein verfügen würden. Sie erkennen durchaus und geißeln auch wortreich, dass sich einige Leute auf Kosten der Arbeitenden ein viel zu großes Stück vom Kuchen nehmen. Allerdings meinen Friedrich Merz, die FDP, die AfD und andere „liberale“ Kräfte damit nicht denselben Personenkreis, an den ich gedacht hatte. Sie haben eine andere Gruppe aufs Korn genommen, in der sie die Wurzel allen Übels vermuten: die Bürgergeld-Empfänger.

Ihnen widme ich mich im zweiten Teil dieses Artikels.


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