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Menschsein im Wandel

Menschsein im Wandel

Die anstehenden Veränderungen gehen auch an denjenigen nicht vorbei, die sie nicht wahrhaben wollen — besser ist, sie als Chancen zu begreifen.

„Der Wandel ist nicht mehr aufzuhalten“, sagt ein Freund, der Philosoph Bertrand Stern im Interview, das ich mit ihm per 22. Januar für die „Transition News“ vermittelt habe. Wer dieses Interview ganz lesen möchte, findet es mit folgendem Link

Der Wandel findet statt. Wir stecken mittendrin. Er betrifft alle: ganz junge, junge, etwas ältere, alte und ganz alte Menschen — auch diejenigen, die es nicht wahrhaben können oder wollen. Der Wandel kann bei vielen Gefühle und Gedanken von Angst und von Ohnmacht bewirken. Menschen spüren, dass es mit unserer Welt nicht mehr so weitergehen kann und wird wie bisher.

Perspektivlos oder gar schlimm kann es mit dem Wandel werden, wenn insbesondere mächtige Verantwortliche nicht richtig hinschauen wollen und ihren Kopf in den Sand von Hoffnungen stecken, die eigentlich längst gestorben sind: Hope als Dope.

So kann es nicht gelingen, die anspruchsvollen Herausforderungen souverän zu meistern und die wertvollen Chancen günstig zu nutzen, die mit dem unabdingbaren Wandel verbunden sind. So weiterfahren wie bisher, das geht nicht mehr, beispielsweise nicht bei der Arbeit, nicht beim Bauen, nicht bei der Bildung, nicht bei der Energie, nicht bei den Finanzen, nicht bei der Gesundheit, nicht bei der Landwirtschaft, nicht bei der Pflege, nicht beim Vergnügen, nicht beim Verkehr ... und nicht, wo auch immer nicht.

Herrschaft kann mit Macht und Gewalt, mit Engagement und Charisma sowie mit Wissen und Kommunikation begründet werden. Wer bestimmen kann, was gewusst und wie kommuniziert wird, kann andere beherrschen und sie kontrollieren. 

Wer sagen kann, was für alle gilt, hat die Macht. In einer Diktatur ist dies eine Minderheit oder gar nur ein Mensch allein. In einer parlamentarischen Parteiendemokratie ist es die Mehrheit. In einer echten Demokratie sind es alle, zu 100 Prozent.     

Seit 200.000 Jahren Menschheitsgeschichte bewirkt die (un)heimliche Herrschaft immer und immer wieder Leid und Tod. Wird es auch diesmal darauf hinauslaufen? Der Physiker Stephen Hawking (1942 bis 2018) hat dazu gemeint: „Wir laufen Gefahr, uns aus Gier und Dummheit selbst zu zerstören.“ Mit einer Politik, die grundsätzlich im bestehenden Rahmen und mit dem gewohnt machtgeilen, kriegerisch anmutenden Gewinner-Verlierer-Muster weiterfahren will, dürfte der Turnaround nicht zu schaffen sein. 

Ob beispielsweise und konkret Medien, Justiz, Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft betreffend: In immer mehr Ländern der Welt herrscht eine Vertrauenskrise! Und dies sowohl in Bezug auf jedes dieser Handlungsfelder als auch was ihr Zusammenwirken als Ganzes. Einerseits haben diejenigen Menschen den Vertrauensverlust bewirkt, die ihre Macht missbrauchen und/oder die ihrer Verantwortung nicht gewachsen sind. Und anderseits sind es ungeeignete Systeme und/oder deren zweckentfremdete Nutzung, die dazu führen, dass Institutionen, die der Gemeinschaft dienen sollten, dies weder im Kleinen noch im Großen leisten.

Zudem könnten sich immer mehr Menschen auch durch die Komplexität und das Tempo in der jetzigen Welt überfordert fühlen. Und last not least anspruchsvoll wird es zusätzlich noch mit der Dynamik, die durch den Wandel bedingt ist, der sämtliche Lebensbereiche mehr oder weniger tiefgreifend und/oder umfassend erfasst und nicht aufgehalten werden kann.

Der Wandel findet statt. Schwierig kann es werden, weil es weltweit sowohl im Großen als auch im Kleinen für das Handeln im Wandel keine lebensfreundlich vernünftigen und verlässlichen Vereinbarungen zu geben scheint. Und weil bestehende Gewohnheiten kaum vermögen, dafür die notwendigen Grenzen zu setzen. Wenn in einem solchen Sinne eine kollektiv organisierte Verantwortungslosigkeit herrscht, dann kann jeder, der es aus welchem Grund auch immer tun will, Lebensgrundlagen zerstören oder gar Welten zum Zusammenbrechen bringen. Und dies lokal, national und global sozusagen legitim. Viele tun es. 

Mit beispielsweise immer noch mehr Konsum und immer noch mehr Mobilität. Oder mit immer noch mehr Verschleiß von Energie und Ressourcen. Alles nach wie vor gemäß der Ideologie des goldenen Kalbs Wachstum: Das wird offensichtlich von Massenmedien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie von einer Mehrheit angebetet und verherrlicht bis zum Geht-nicht-mehr.

Von Utopien und Visionen träumen: Das ist aus meiner Sicht der neue Realismus. Lösungen für die Krisen innerhalb der bestehenden Systeme zu finden, die diese Krisen verursacht haben, halte ich für unrealistischer als jegliche Vision oder Utopie.

Warum und in welcher Art ich dafür mit anderen zusammen als Botschafter für eine Neue Politik unterwegs bin, habe ich mit meinem Weggefährten Denis Bitterli in einem Interview ausgeführt, das „Transition News“ anfang 2023 mit uns gemacht hat.

Vom Wandel betroffen ist auch die autoritär-industriell-militärisch-technokratisch begründete Zivilisation. Ein Teil davon ist die Erziehung. Aus sogenannten Kindern will sie sogenannte Erwachsene machen. Unter anderem auch in Schulen, die dank struktureller Gewalt von allen besucht werden müssen: damit sie in Fächern, die das Leben spalten, unterrichtet werden. Oder gar um in Konkurrenz-Kompetenz ab- und zugerichtet zu werden — für einen Wettbewerb, der in extremis sogar Krieg, Tod und Zerstörung bedeuten kann. 

Der Motor dafür ist „Agogik“ (von altgriechisch ἄγειν ágein; zu deutsch: führen, transportieren, treiben, ziehen). Laut Wikipedia ist Agogik „ein Sammelbegriff der Sozialwissenschaften für die Lehre über das professionelle Leiten und Begleiten von Menschen jeden Alters. Agogik hat das Ziel, Menschen in ihren Sozial-, Selbst- und Fachkompetenzen zu fördern und diese zu erhöhen. Der Begriff kommt vor allem in zusammengesetzten Wörtern wie Pädagogik (für Kinder und Jugendliche), Andragogik (Erwachsenen- und Weiterbildung), Arbeitsagogik (Leiten und Begleiten in Bezug auf die Arbeit) oder Gerontagogik (Weiterbildung älterer Menschen) vor.“ Kurz gefasst alles frei nach dem Motto: „Von der Wiege bis zu Bahre ist Agogik das einzig Wahre“?

Dazu noch einmal der eingangs erwähnte Philosoph Bertrand Stern. Er sagt: „Natürlich geht‘s ohne Erziehung!“, und weiter: „Erziehen ist nicht einfach das — gute, erforderliche — Begleiten eines Menschen; vielmehr erzeugt dieser höchst komplexe Vorgang eine subtile Oben-Unten-Herrschaft und -Führung, also ‚Erziehende’ und ‚Zöglinge’. Die vielen Auswirkungen solcher Gewalt entziehen sich zumeist unserem Bewusstsein. Was wäre jedoch, wir würden die mitmenschlichen, insbesondere zwischengenerationellen Beziehungen ganz anders gestalten?“

Im Zuge des Wandels, der unabdingbar stattfindet, gilt es, bei der Befreiung aus dem Erziehungswahn viele alt abgestandenen Missverständnisse zu klären und die Chancen eines würdigenden Umgangs von Subjekten zu nutzen, anstatt sie zu Objekten irgendwelcher Interessen zu trimmen. Dies auch und insbesondere was das Zusammenleben mit und unter jungen Menschen betrifft.

Allerdings: Wenn ich auf all den „zuvielisatorisch“ aufgedonnerten Optimismus und Positivismus der Pädagogik hinweise, erlebe ich mich in der Regel wie ein Geisterfahrer. Dies aktuell beispielsweise im Zusammenhang mit der Diskussion um die Abschaffung der sogenannten Integrativen Schule, die ja — nebenbei bemerkt — in Tat und Wahrheit noch nie wirklich und wahrhaftig zu 100 Prozent eine solche war!

Ein Münchner Freund, der Architekt Niklaus von Kaisenberg, hat mich zu meinen Bildung&Raum-Notizen kürzlich durch seine folgende Rückmeldung erfreut:

„Die Annäherung von Lernen und Leben lässt sich nicht durch noch mehr Unterricht und noch mehr Bauten bewerkstelligen — das ist gut von dir gesagt, lieber Ueli. Wenn wir sie mehr lassen, die Kinder, auf das Risiko hin, dass sie sich ganz woanders hin entwickeln, als wir denken — dass sie ihre Anlagen entfalten, so wie sie von Anfang an in sie hineingelegt sind? Was geschieht dann? Und was passiert, wenn sie sich zum Beispiel weniger für digitale Durchdringung und Wandlung dieser Welt entscheiden als für die eigene Wandlung in das, was sie sind?“
 
Bei meiner Recherche zum Februar-Thema „Was für eine Welt brauchen unsere Kinder?“ für Das Blatt bin ich beispielsweise auf einen Text von Sara Konrath, Sozialpsychologin an der Indiana University, vom 2. September 2022 gestoßen. Sie stellt unter anderem fest, dass „bei jungen Menschen Zynismus und geringes Vertrauen in andere sowie das Gefühl, wenig zu leisten oder nicht selbstwirksam zu sein, immer mehr präsent sind“.

Weiter steht da, dass die heutige Welt „zu viele Erwartungen und Anforderungen sowie zu wenig Ressourcen und Unterstützung beinhaltet. Steigende Anforderungen bestehen sowohl intern — zum Beispiel unrealistische Bildungsziele und Perfektionismus — als auch extern: mehr Wettbewerb, steigende Kosten, sinkende Löhne. Diese Anforderungen verleiten junge Menschen zu einer ökonomischen Gewinnorientierung und einer Monetarisierung des Verhaltens. Und sie können nie richtig ausspannen“.

Carl Gustav Jung (1875 bis 1961) sagte: „Was uns nicht berührt, verwandelt uns nicht.“ Und meinerseits meine ich dazu, dass Menschen aller Altersgruppen vor allem kulturaffin aufgesetzt handeln, und nicht weil sie im Grunde so sind, wie sie es tun. Daraus folgt: 

Wenn Du gut in Verbindung mit Dir selbst bist, kannst Du Dich auch mit anderen Menschen und den Fragen der Welt verbinden. Und wenn Du Dich in Deinem Herzen berührbar machst, findest Du heraus, was von Dir gefragt ist — und Du kannst mit Herz, Kopf, Hand und Fuß für das Leben von anderen und Dein eigenes Leben antworten.

… und dann speziell in Sachen Politik noch dies:

„Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand. Denn jedermann ist überzeugt, dass er genug davon habe“ (René Descartes, 1596 bis 1650).

„Politik und Medien haben in der Corona-Pandemie viele Fehler gemacht. Den Bürgern hat man mehr Freiheiten genommen als zwingend erforderlich, zudem sind Ungeimpfte stigmatisiert worden“, schrieb der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer in „Der andere Blick“. Und weiter: „Heute aber weigern sich Politik und Medien, die Irrtümer aufzuarbeiten.“

Ich erlebe diese Situation persönlich und politisch als Ohnmacht: Sie macht mich zornig und wütend. John Lennon (1940 bis 1980), der Beatles-Gründer, dessen Tod wahrscheinlich die US-Regierung auf dem Gewissen hat, weil sie ihn mit juristischen Mitteln nicht aus dem Land schaffen konnte und zusehends Angst vor seiner Fähigkeit bekam, Menschen gegen das autoritär-industriell-militärisch herrschende System aufzubringen, hat gemeint:

„Wenn es dazu kommt, dass man Gewalt anwenden muss, dann spielt man das Spiel des Systems. Das Establishment wird dich reizen, (...) um dich zum Kämpfen zu bringen. Denn wenn sie dich erst einmal gewalttätig gemacht haben, dann wissen sie, wie sie mit dir umgehen müssen.

Das Einzige, womit sie nicht umgehen können, sind Gewaltlosigkeit und Humor.“

In einem solchen Sinne bin ich mit und trotz meiner Wut weiterhin bestmöglich friedlich, aber dezidiert bestimmt präsent, sowie mit Liebe, Humor und Kreativität unterwegs.

Die Schweiz ist neuerdings Mitglied des UNO-Sicherheitsrats. Global orientiert sagte kürzlich der Schweizer Botschafter Thomas Gürber:

„Wir müssen uns auf Situationen einstellen, mit denen wir noch nie konfrontiert waren. Die Weltsicherheit war seit dem Zweiten Weltkrieg selten so gefährdet wie heute.“ Möge es der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat gelingen, mehr für die Welt im Wandel zu tun, als nur zu helfen, das Elend zu verwalten.

Für Frieden braucht es eine grundsätzlich und fundamental neue Politik. Mit dem bestehenden Herrschaftsdenken lässt sich der allgemeine Frieden nicht dauerhaft verwirklichen.

Für „meine“ kleine Schweiz gilt politisch ganz konkret: Die parlamentarische Parteiendemokratie ist mit ihrem Kampfmodus „Gewinnen oder Verlieren“ in einer Welt ohne Frieden gefangen. Und alle Parteien von links über die Grünen und die Mitte bis nach rechts sind folglich ein Teil des Problems. Welches (tote) Pferd welche Partei reitet, ist für die Politik in Tat und Wahrheit etwa so wichtig wie eine Waschmittelmarke für die Wäsche.

Die Blase der Mainstream-Medien habe ich für mich schon lange platzen lassen. Weil sie aus meiner Sicht engmaschig und perspektivenlos für eine gut- und obrigkeitsgläubige Gesellschaft agieren. Diese sogenannten Leitmedien sind konsumistisch unterhaltsam und opportunistisch verharmlosend von Großmächtigen und Schwerreichen alimentiert, die ganz und gar kein Interesse haben, in Frage gestellt zu werden. Und wie bei den Medien, so sehe ich auch beispielsweise bei „meinen“ Wissenschaftlern solche, die sich großartig nichtssagend verkaufen, und solche, die sowohl unbequeme als auch wahrhaft substanzielle Kenntnisse mitteilen. Letztere scheinen mir unverzichtbar, wenn der Wandel für 100 Prozent allen friedvoll Lebensfreundliches bringen soll: für ganz junge, junge, etwas ältere, alte und ganz alte Menschen.



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