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Verflixt und umgedreht

Verflixt und umgedreht

Menschen, die die Welt verändern wollen, sollten sie so akzeptieren, wie sie ist.

Absolute Freiheit ohne Angst, so Byron Katie, Begründerin der Methode „The Work“, ist unser Geburtsrecht (1). Freiheit ohne Angst. Wie wäre es, wenn wir uns unabhängig von äußeren Umständen so durch unser Leben bewegen könnten, wie wir es uns wünschen, unbelastet, optimistisch, freudig? Wie wäre es, wenn wir keine Probleme mehr hätten, keine Sorgen, wenn sich keine Dramen mehr in unserem Leben abspielten? Wenn die Welt für uns in Ordnung wäre, so, wie sie ist? Eine Utopie? Ein nicht realisierbares Hirngespinst? Ein unerfüllbarer Traum?

Byron Katie litt an Depressionen, Medikamentenabhängigkeit, Alkohol-, Ess- und Nikotinsucht. Am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen, entdeckte sie, dass das, woran sie litt, ihre Gedanken waren.

Die Ursache für ihre Depression war nicht die Welt um sie herum. Es waren ihre Überzeugungen über die Welt. Sie erkannte, dass sie sich in ihrer Suche nach Glück in die falsche Richtung begeben hatte. Anstatt den hoffnungslosen Versuch zu starten, die Welt so verändern zu wollen, wie sie ihren Gedanken gemäß sein sollte, begann sie, diese Gedanken zu hinterfragen.

Sie erkannte, dass wir leiden, wenn wir uns der Wirklichkeit widersetzen und ablehnen, was uns das Leben präsentiert. Wir bekommen Probleme, wenn es einen Widerstreit gibt zwischen dem, was wir wollen, und dem, was ist. Also dreht Byron Katie die Sache um. Sie identifizierte die Gedanken als das eigentliche Problem. Die Methode, die sie entwickelte, wird verglichen mit dem sokratischen Dialog, mit buddhistischen Belehrungen oder dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker.

„The Work“ ist kein Therapieverfahren, sondern eine achtsame Form der Selbstbefragung, die von zahlreichen Bildungsträgern, darunter viele Volkshochschulen und die Universität Bern, angeboten wird (2). Ein wissenschaftlicher Überblicksartikel im Journal of Clinical Psychology fasst die Ergebnisse aller bislang vorliegenden empirischen Studien zusammen, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung sowie die Zeitschrift Psychologie Heute ordneten „The Work“ als geeignete Methode ein, belastende Überzeugungen zu hinterfragen (3).

Beim Alten

Die Wirklichkeit verändern zu wollen, ist in etwa so, als wollten wir einer Katze das Bellen beibringen. Es ist aussichtslos, sie anders haben zu wollen, als sie ist. Eine steile Aussage in einem Magazin, dessen Aufgabe darin besteht, Missstände aufzuzeigen und Probleme zu enthüllen. Sollen wir also akzeptieren, dass Menschen getötet und Kriege geführt werden und die Welt dabei ist, in ein gigantisches Freiluftgefängnis verwandelt zu werden? Bedeutet es, dass wir die Hände in den Schoss legen sollen und das Unrecht geschehen lassen?

Ganz bestimmt nicht. „The Work“ bedeutet Arbeit. Doch diese Art von Arbeit besteht nicht darin, Katastrophenmeldungen wiederzukäuen und sich in empörtem Schauder zurückzulehnen, sondern selbst Hand anzulegen, dort, wo wir etwas ausrichten können. Sie bedeutet, in Aktion zu treten und etwas zu tun, was wirklich etwas in unserem Leben verändern kann.

Das wollen die meisten nicht. Der Arzt soll uns das Medikament oder die Behandlung verschreiben, die wirken. Aber selbst etwas ändern?

Viele finden Gefallen daran, sich über die Ereignisse und über andere Menschen aufzuregen. Es gibt ein gutes Gefühl, sich selbst für aufgeklärt zu halten und andere für dumm. Manchem gefällt es, sich als Opfer zu fühlen. Denn dann kann er nicht zur Verantwortung gezogen werden. Verantwortlich für die Misere, das sollen andere sein.

Ein Risiko will kaum jemand eingehen. Also konsumieren viele weiter ihre Schauernachrichten und halten an den Gedanken fest, die uns unsere Energie abziehen und das Leben verderben. Es sind weniger die Ereignisse als unsere Gedanken dazu, die unsere Realität bestimmen. Von unseren Gedanken hängt unser Leben ab. Heißt es nicht, dass der ist, der denkt? Wir identifizieren uns mit unseren Gedanken und glauben daran, dass sie wahr sind. Worauf sollte sich der aufgeklärte Mensch sonst verlassen?

Glauben Sie nicht alles, was Sie denken

Ein Gedanke, so Byron Katie, ist so lange harmlos, bis wir ihn glauben. Wenn wir anfangen, ihm Glauben zu schenken, halten wir ihn sozusagen fest und haften ihm an. Die Gedanken sind dann nicht mehr frei, sondern werden von uns in Besitz genommen. Gleichzeitig nehmen sie von uns Besitz. Denn die allerwenigsten sind fähig, ihr Denken zu steuern.

Es ist ein Irrtum zu glauben, wir hätten die Kontrolle über unsere Gedanken. Wir sind nicht einmal dazu in der Lage, jetzt nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Kein Gedanke kann etwas daran ändern, dass in der Welt das geschieht, was geschieht. Auch einen Gedanken loszulassen, fällt ungeheuer schwer. Oft tragen wir anderen jahrzehntelang Dinge hinterher. Nachts können wir nicht schlafen, weil uns unsere Gedanken verfolgen.

Um das zu ändern, müssen wir nicht weiter versuchen, unsere Gedanken loszulassen. Wir können ihnen mit Verständnis begegnen, wie auch immer sie sind. Was auch immer wir denken: Es ist in Ordnung. Wenn wir das zulassen und unseren Gedanken erlauben, zu sein, lassen sie schließlich uns los.

„The Work“ bedeutet, etwas mit der Realität zu tun und nicht gegen sie. Wir lernen, dass das, wovon wir denken, dass es nicht hätte geschehen sollen, geschehen sollte. Es sollte geschehen, weil es geschehen ist. Das bedeutet nicht, dass wir es dulden oder befürworten. Es heißt lediglich, die Dinge ohne Widerstand und ohne die Verwirrung eines inneren Kampfes zu sehen. Dann, wenn wir aufhören, uns der Realität zu widersetzen, ist unser Handeln nicht mehr von Angst und Wut geprägt, sondern kann furchtlos, besonnen und freundlich werden.

Bei den eigenen Angelegenheiten bleiben

Jedes Mal, wenn sie sich um die Angelegenheiten anderer kümmerte, erfuhr Byron Katie Leid. Schuld daran waren ihre Gedanken. Also begann sie, sie zu hinterfragen. Ist das wirklich so? Sie entwickelte ein strukturiertes Fragemuster, mit dem belastende Gedanken, Überzeugungen und Glaubenssätze überprüft und aufgelöst werden.

Jeder Gedanke wird durch vier Fragen überprüft: Ist das wahr? Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist? Wie reagiere ich, was passiert in mir, wenn ich diesen Gedanken glaube? Wer wäre ich ohne den Gedanken?

Jeder Gedanke wird umgekehrt: Aus „Er hat mich verletzt“ wird „Ich habe mich verletzt“, „Ich habe ihn verletzt“, „Er hat mich nicht verletzt“ oder „Er hat mir geholfen“. Für jede Umkehrung werden mindestens drei konkrete Beispiele gesucht, die in der untersuchten Situation ebenso wahr oder zutreffender sind wie der ursprüngliche Gedanke.

Wenn man bei einem Gedanken noch Widerstand spürt, ist die Arbeit nicht getan. Erst wer sich ehrlich auch auf Erfahrungen freuen kann, die unbequem sind, hat im Leben nichts mehr zu fürchten. Er sieht alles als ein Geschenk, das ihm Selbsterkenntnis bringen kann.

Konkret bedeutet das, zu lieben, was ist. Wir geben uns nicht mehr mit Glaubenssätzen ab wie: „Die Leute sollten mich mehr respektieren“, „Sie sollten nicht lügen“, „Das Leben ist nicht fair“, „Es ist nicht genug Zeit“, „Ich bin wertlos“, „Ich brauche einen Partner, um glücklich zu sein“, „Ich bin nicht gut genug“, „Es sollte keinen Krieg in der Welt geben“, „Die Menschen zerstören die Umwelt“, „Geld wird mich glücklich machen“, „Ich gehöre nicht dazu“, „Ich habe recht“.

Aus „Ich wünschte, ich hätte meinen Job nicht verloren“ wird „Ich habe meinen Job verloren — welche intelligenten Lösungen kann ich jetzt finden?“ Aus „Ich bin arm dran“ wird „Welche Möglichkeiten habe ich jetzt?“

Die Erfahrung lehrt, dass uns immer genau das zur Verfügung steht, was wir brauchen. Es ist da, wenn wir uns dafür öffnen. Das Problem zieht die Lösung an. So ist das in einer Welt der Gegensätze. Die Paare finden einander, wenn wir sie lassen und ihnen keinen Widerstand entgegensetzen. Wenn wir damit anfangen, das, was ist, nicht mehr wegzustoßen, sondern es zu wollen, kommt etwas in Bewegung, mit dem wir nicht gerechnet haben.

Zwischen Kosmos und Chaos

„Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind. Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind“, „Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst“, „In der Gefahr aber wächst das Rettende auch“. Vielleicht haben wir diese Sprüche selber zitiert. Wollen wir sie weiter im Poesiealbum lassen oder endlich zur Anwendung bringen?

Aus „Die Eliten sollten sich die Welt nicht unterwerfen“ wird „Die Eliten unterwerfen sich die Welt“. Kann ich etwas dagegen tun? Kann ich nicht. Wenn ich das akzeptiere, verschwindet das Ungleichgewicht zwischen dem, was ist, und dem, was ich will. Die Spannung legt sich und mit ihr der Stress. Ich fühle mich leicht, wenn ich „in Ordnung“ finde, was ist.

„In Ordnung“ heißt nicht gut. Es bedeutet, dass ich anerkenne, in einem Kosmos zu leben, in einer Ordnung, die nach bestimmten Regeln und Gesetzen funktioniert. Auch wenn ich diese Gesetze nicht kenne und durchschaut habe, wäre es dumm und energiezehrend, mich ihnen zu widersetzen.

Denn dann entsteht Chaos in mir, und es geht mir nicht gut. Ich fühle mich gefangen, als Opfer der Geschehnisse, und bin in meinem Handeln blockiert.

Die Machtfrage

Wenn ich frei werden will, muss ich die Regeln des Kosmos, in dem ich lebe, akzeptieren. Ich vertraue darauf, dass die Ereignisse, die mir begegnen, nach bestimmten Gesetzen entstanden sind. Daran kann ich absolut nichts ändern. Was ist, ist. Die Entspannung, die dadurch in mir entsteht, holt mich aus der Opferrolle heraus und macht mich bereit, zu handeln. Nicht aus Wut oder Angst heraus, sondern aus Freude.

Ich laufe nicht mehr wie ein brüllender Löwe oder ein aufgescheuchtes Huhn durch die Welt, sondern bestimme aus meiner inneren Gelassenheit heraus, was jetzt zu tun ist. So komme ich in meine Macht. Ich bin nicht mehr der Esel, der der Karotte hinterherläuft, nicht mehr das Kaninchen, das sich von der Schlange hypnotisieren lässt, nicht mehr der Elefant, der sich an einen winzigen Pflock binden lässt. Ich bin ein Mensch in seiner Kraft.

Es gibt nichts Aufregenderes, als zu lieben, was ist, sagt Byron Katie. Damit fängt alles an. Wer nicht mehr gegen die Probleme ankämpft oder vor ihnen wegläuft, sondern sie gewissermaßen mit offenen Armen empfängt, der kommt nicht nur in seine Wirkmacht. Er findet sein Glück. Ist das nicht ein wenig Arbeit wert?


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://thework.com/sites/de/
(2) https://ilias.unibe.ch/ilias.php?baseClass=ilrepositorygui&ref_id=1868548
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Byron_Katie

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