Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Wasser als Waffe

Wasser als Waffe

Die Wasser der Westbank sind für Israel essenziell — daher wird es keinen Staat Palästina an seiner Seite zulassen. Ohne gerechte Wasserverteilung ist Frieden in Nahost aber unmöglich.

Seit 1967 hält Israel ungestraft die Gebiete Westbank beziehungsweise Westjordanland, den Gazastreifen, Ostjerusalem und die Golanhöhen in Syrien und zeitweise sogar den Südlibanon besetzt.

  • Als international als solche anerkannte Besatzungsmacht hat sich Israel seit der Besetzung von 1967 illegal Wasserressourcen aus den palästinensischen Gebieten wie große Teile des Bodens als „Staatseigentum“ angeeignet und ein zentralisiertes Wassersystem geschaffen, über das es die vollständige Kontrolle zulasten der besetzten Gebiete ausübt.
  • Darüber hinaus verfolgt Israel eine diskriminierende Politik der Wasserverteilung, die zu täglichen Härten für die palästinensischen städtischen und landwirtschaftlichen Gemeinden führt. Illegale israelische Siedlungen, eher Kolonien, angeschlossen an das für Israelis uneingeschränkt verfügbare israelische Wassersystem, verbrauchen große Mengen an Wasser, abgezweigt von Ressourcen, deren Verfügbarkeit im palästinensischen Gebiet, ob Gaza, Ostjerusalem oder Westbank, zumindest gerecht verteilt werden müsste. Diese illegalen Siedlungen befinden sich zudem vor allem in der Westbank im Gebiet C, das unter alleiniger Kontrolle Israels steht, an strategischen Punkten auf dem Bergrücken, mit Tiefbrunnen, während es den palästinensischen Gemeinden verboten ist, tiefe Brunnen zu bohren oder ältere Brunnen zu vertiefen. Für jedes Projekt zur besseren Nutzung der eigenen Quellen benötigen sie die Genehmigung der israelischen Behörden und bekommen sie nur selten. Dazu mehr im Folgenden, aber zunächst ein Blick zurück.

Die Geschichte ungerechter Wasserverteilung und von „Water grab“ (Wasser-Enteignung) im Raum Palästina beginnt mit dem 1. Zionisten-Kongress 1897 in Basel.

„Gebiet: Vom Bach Ägyptens bis an den Euphrat (...) Wir verlangen, was wir brauchen — je mehr Einwanderer, desto mehr Land.“

Mit diesen Sätzen von Theodor Herzl von1898, dem Begründer der Zionistischen Bewegung in Basel, beginnt die Geschichte der zionistischen, israelischen Interessen nicht nur an fremdem Land, sondern auch an fremdem Wasser — in der Region vom Nil bis zum Euphrat (2).

Von Interesse sind vor allem der Küsten-Aquifer (Aquifer = unterirdisches Wasserreservoir) entlang der Küste und im Gazastreifen, der Gebirgs-Aquifer, also der nordöstliche Aquifer zwischen Jenin und Nablus, der westliche Aquifer entlang der Westbank-Grenze zu Israel und der östliche Aquifer entlang des westlichen Jordanufers, alle drei größtenteils unter der Westbank gelegen.

Großräumlich gilt das Interesse den regionalen Wasserressourcen des Litani-Flusses im Südlibanon, dem links- und rechtsseitigen Jordantal von den Quellflüssen des Jordans, Hasbani im Libanon, Dan im nördlichen Galiläa bis zum Toten Meer, schließlich dem Yarmouk-Fluss in Jordanien und den Golanhöhen in Syrien. Dem Taberiya-See oder See Genezareth als Sammler der verschiedenen Quellflüsse des Jordan gilt ein besonderes Interesse. Mit seinen Anrainern Libanon, Syrien und Jordanien gerät Israel früher oder später immer wieder in Konflikte. Versuche zu Verhandlungen scheitern zumeist oder werden nur unzureichend bis gar nicht umgesetzt.

In den frühen Diskussionen auf den seit 1897 jährlich stattfindenden Kongressen der World Zionist Organization (WZO), die den Traum Theodor Herzls von der Errichtung einer „Jüdischen Heimstätte“ in Palästina praktisch umzusetzen begann, wurde bereits der Vorschlag erwogen, den Litani nach Süden umzuleiten. Schließlich hatte sich die englische Regierung mit der berühmten Balfour-Erklärung von 1917 als Schutzmacht des Projekts „Jüdische Heimstätte in Palästina“ ausgesprochen, und die Verwirklichung des „Traumes“ rückte näher (3).

Konkret wurde die Einflussnahme auf europäische Entscheidungen erst nach dem Ende des 1. Weltkriegs. Vor allem Chaim Weizmann, 1920 Präsident der WZO geworden, gab der Sorge Ausdruck, dass das Syke-Picot-Abkommen zwischen Frankreich und England von 1916, in dem die beiden Länder die ehemals osmanischen Gebiete unter einander aufgeteilt hatten, die zionistischen Interessen an den Wasserressourcen des Libanon und Nordgaliläas missachten könnte. Aber trotz seiner Intervention wurde das Litani-Gebiet vom Völkerbund dem Libanon zugesprochen, der verabredungsgemäß französisches Mandatsgebiet wurde, während England Palästina und Transjordanien als Mandat bekam (4).

Im Abkommen von San Remo 1920, in dem vor allem über die ehemaligen osmanischen Gebiete verhandelt wurde, blieb es bei dieser Entscheidung. Noch einmal versuchte Weizmann Einfluss zu nehmen und beklagte sich beim britischen Außenministerium über eine „schwarze Zukunft für die ‚Jüdische Heimstätte’, wenn der Litani-Fluss, die Quellgebiete des Jordanflusses und der Yarmouk-Fluss“ nicht zum zukünftigen Staatsgebiet Israels gehören würden. Die WZO konnte die Entscheidungen zwischen England und Frankreich aber nicht beeinflussen (5).

Noch einmal, 1944, zum Ende des 2. Weltkriegs, wurde von David Ben-Gurion, dem späteren ersten Premierminister Israels, erneut vorgeschlagen, zumindest den Litani in den geplanten jüdischen Staat einzubeziehen. Zugrunde gelegt wurde der sogenannte Lowdermilk-Plan von 1944. Lowdermilk schlug vor, die Flüsse Dan, Zarqa, Banias, Yarmouk in Jordanien und den Hasbani im Libanon zur Bewässerung des Jordantals zu nutzen. Außerdem sollte der Litani einen künstlichen See in Nordpalästina speisen, aus dem Wasser in die Negev-Wüste in Südpalästina gepumpt werden würde. Auch dieser Versuch misslang.

Ein künstlicher See wurde später im Hula-Gebiet, im dann israelischen Nordgaliläa, geschaffen und auf diese Weise Jordanwasser bereits am Unterlauf abgezweigt und für die neuen landwirtschaftlichen Projekte genutzt (6).

Doch auch hier konnte Israel seine Ziele nicht erreichen. So blieb der Zugang zu Wasser auch nach 1948 ein wesentlicher Gegenstand der Krise zwischen den arabischen Nachbarn und dem Staat Israel. Doch das bedeutete nicht das Ende der „Ansprüche“ auf die Nachbargewässer.

Das Wasser-Regime nach der Gründung des Staates Israel 1948

Pläne 1950 — die Wüste zum Blühen bringen

Obwohl der neue Staat Israel seine Grenze — die „Grüne Grenze“, also keine offizielle Staatsgrenze — nach der Nakbe, dem ersten „Transfer“ (7) um einiges über die von den Vereinten Nationen (UN) im Beschluss 181 von 1947 vorgeschlagenen Grenzen hinaus ausgedehnt hatte, blieben die Westbank, Ostjerusalem und der Gazastreifen mit ihren wasserreichen Grundwasserspeichern außerhalb des Staatsgebietes.

Auf der Grundlage umfassender Enteignungs- und Nationalisierungsvorhaben waren in kurzer Zeit etwa 90 Prozent des ehemals palästinensisch besessenen und verwalteten Bodens in israelisches Staatseigentum übergegangen (8).

Der „Nationalplan zur Neuverteilung der Bevölkerung und zum Aufbau neuer Städte“ von 1950 sah neben dem Bau von 30 neuen Städten und 480 neuen Dörfern — Kibbuzim oder Moshavim — die Wasserbewirtschaftung in Form eines großräumigen Umleitungsnetzes von Norden (Obergaliläa/Hula-Gebiet) bis zum Negev (Gaza-Raum/Lakish-Gebiet) im Süden vor.

Im Norden wurde die Hula-Region vollständig verändert. Sämtliche palästinensischen Strukturen, darunter 35 Dörfer, waren zerstört worden. Das ehemals fisch- und wasserreiche Gebiet wurde drainiert, neues landwirtschaftliches Gebiet erschlossen, Jordanzuflüsse wurden umgelegt, ein neuer See, der „Hula-See“, geschaffen und die „überschüssigen“ Wasser in einem weitreichenden Kanalsystem nach Süden als ein Teil des Jordan-Negev-Projekts umgeleitet, um die „Wüste zum Blühen“ zu bringen.

Im Süden wurde die Lakish-Region, ein gut bewässertes und fruchtbares Gebiet in direkter Nachbarschaft der Grenze zum Gazastreifen, zur „Vorrangregion für die Wassererschließung und Neulandgewinnung“ erklärt, nachdem etwa 50 ehemals palästinensische Dörfer zerstört und die Bevölkerung vertrieben worden waren — sie wurden die Gaza-Flüchtlinge und ihre Nachkommen von heute.

Eine große technische Anstrengung — und immer noch blieb der Zugriff zum Litani-Fluss im Fokus der politischen und militärischen Anstrengungen (9).

Zugriff auf die Wasser der Westbank und Gaza — die Besatzung 1967

Der durch anhaltenden Bevölkerungszuwachs vor allem aus Russland langsam größer werdende Mangel an neuen Wasserressourcen könnte eines der zentralen Motive für den Krieg 1967 und die Besetzung vor allem der Westbank gewesen sei, zumal auch die wasserreichen Golanhöhen besetzt wurden.

Fortgesetzte Guerilla-Angriffe aus dem Libanon auf das Grenzgebiet im Norden Israels führten zu wiederholten Militäroperationen der israelischen Armee — 1978, 1982, 2001, 2002, 2006 und aktuell — und zur zeitweise militärischen Besetzung des Südlibanon als „Sicherheitszone“ (1985 bis 2000).

„Mit der Besetzung der Golanhöhen und der Westbank durch Israel im Jahre 1967 standen alle Wasservorkommen der Region weitgehend unter israelischer Kontrolle“, schlussfolgert der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2016 und listet in einer Karte der UN die Zahl und Lage der Brunnen auf, mit deren Hilfe der Berg-Aquifer unter der Westbank und der Küsten-Aquifer unter dem Gazastreifen abgezapft werden: mehr als 150 direkt entlang der Westbank-Grenze und 150 im unmittelbaren Umfeld des Gazastreifens (10).

Wasser-Regime in den besetzten Gebieten

Zwei Elemente charakterisieren das Wasser-Regime in der Westbank, Ostjerusalem und im Gazastreifen:

  • Enteignung und Sperrung der Zugänge zu den bestehenden Wasserresourcen auf der einen Seite und
  • Diskriminierung und Beschränkung der Nutzung der übrigen verfügbaren Wasserressourcen auf der anderen Seite.

Noch einmal wurde, wie 1948, „verlassenes“ Eigentum an Boden der etwa 500.000 Geflüchteten für israelische Nutzung enteignet, dazu weitreichende Flächen als Sperrgebiete für das Militär oder als „Sicherheitszonen“ wie die gesamte westliche Jordantal-Seite. Dass diese Politik einer Besatzungsmacht illegal und eine Verletzung des Völkerrechts ist, besagen die oben genannten Haager Konventionen und viele Beschlüsse der UN zur israelischen Besetzung von 1967, vor allem die Resolutionen 233 und 234, die einen sofortigen Rückzug der israelischen Armee auf die Grenzen von 1949 forderten. Dem wurde, wie wir wissen, nicht gefolgt (11).

Weitreichend und immer noch wirksam sind die schon kurz nach der Besetzung erlassenen Militärbefehle und Anordnungen der „Zivilverwaltung“ — die eine Militärverwaltung war und ist:

  • Der Militärbefehl Nr. 2 von 1967 erklärte alle Wasserressourcen in den „Occupied Palestinian Territories“ (OPT )zum israelischen Staatseigentum;
  • der Militärbefehl Nr. 92 von 1967 übertrug der israelischen Armee die vollständige Autorität über alle wasserbezogenen Fragen in den OPT;
  • der Militärbefehl Nr. 158 von 1967 schreibt vor, dass es niemandem gestattet ist, eine Wasseranlage zu errichten oder zu besitzen oder zu betreiben, es sei denn, es liegt eine Genehmigung des Gebietskommandanten vor. Diese Anordnung gilt für alle Brunnen und Bewässerungsanlagen bis heute.

Auf diese Anordnungen folgten zahlreiche militärische Befehle, Militärbefehl Nr. 291, Nr. 457, Nr. 484, Nr. 494, Nr. 715 und Nr. 1376, die eine vollständige Kontrolle über die palästinensischen Wasserressourcen ermöglichen.

Sie sind bis heute in den OPT in Kraft und gelten nur für die Palästinenser beziehungsweise ihre „Selbstverwaltung“, die „Palestinian National Authority“ (PNA). Unter diesem Militärregime wurde der Zugang der Palästinenser bei wachsender Bevölkerung zu den Wasserressourcen des Gebietes extrem eingeschränkt (12).

Daran haben auch die Osloer Friedensverträge und die Einrichtung eines „Joint Water Committee“ (JWC, Gemeinsames Wasser-Komitee) nichts Wesentliches geändert, obwohl Israel darin das Recht auf Wasser für die palästinensische Seite anerkennen musste. Vorgesehen für einen Zeitraum von 5 Jahren bis zum endgültigen Abschluss, sind die Verhandlungen bald stecken geblieben und wurden nach der Intifada 2006 abgebrochen. Und nicht nur das, weitere Probleme kamen hinzu:

  • Die Trennung in die Gebiete A, B, C ist ein Meilenstein in der Reduzierung des von der PNA kontrollierbaren Raumes in der Westbank geworden. Gebiet C, vollständig unter israelischer Kontrolle, umfasst 62 Prozent der Westbank — ohne Ostjerusalem — und bildet ein geschlossenes System, das die Zonen unter palästinensischer (Teil-)Verwaltung umschließt und voneinander in einzelne Inseln trennt; Zone B, etwa 20 Prozent, untersteht zwar nach den Vereinbarungen der PNA, aber die Sicherheit liegt weiterhin in den Händen der israelischen Verwaltung. So bleibt nur Gebiet A unter einer nur relativen Kontrolle durch die PNA. Das sind noch etwa 18 Prozent der Westbank.
  • Das Gebiet A umfasst mehr oder weniger nur die Städte und ihr Umland. Diese räumlich-politische Trennung behindert und schränkt auch eine für A und B gemeinsame palästinensische Planung und Verbesserung der Wasserversorgung ein, wenn Leitungen durch B wegen „Sicherheit“ nicht genehmigt werden oder ein Anschluss an die Siedlungen verlangt wird und damit die Abhängigkeit von ihnen. Die israelische Seite hat zudem Vetorecht im JWC.
  • Bauen und Planen in der Westbank ist noch einmal dadurch behindert, dass Israel weiterhin die Gebietsentwicklungspläne aus der englischen Mandatszeit für gültig erklärt, nach denen der größte Teil der Westbank als „Landwirtschaftsgebiet“ festgelegt wurde und damit bis heute jegliches neue Bauen von einer Sondergenehmigung durch die nun israelischen Behörden abhängig macht.
  • Die Erklärung des Jordantals und der Westküste des Toten Meeres als Sicherheitszone isolierte allein 165 Brunnen und 53 Quellen von palästinensischer Nutzung.
  • Die Palästinenser sind seit der Besatzung vollständig von der Nutzung des Jordanwassers und weitestgehend vom Wasser des Berg-Aquifers abgeschnitten. Mehr als zwei Drittel des Wassers des Berg-Aquifers beanspruchen die israelischen Siedler des Westjordanlands für ihre luxuriöse Versorgung mit Swimmingpools und Bewässerungsanlagen.
  • Der Bau der Trennmauer ab 2006 hat die Enteignung von Land und Wasser noch einmal verschärft. 13 Prozent des Westbank-Gebiets mit 29 Brunnen wurden dadurch der palästinensischen Kontrolle entzogen.
  • Anträge auf neue oder zu erweiternde Brunnen und Leitungen scheitern zumeist am israelischen Veto in der JWC.
  • Verstöße gegen diese Verordnungen wie Brunnenbohrungen oder das Verlegen von Leitungen ohne Genehmigung werden drastisch bestraft.
  • Da die noch nutzbaren Wasserquellen nicht den Bedarf decken, müssen mehr als 53 Prozent des benötigten Wassers von der israelischen Wasserbehörde Mekerot gekauft werden.
  • Die Siedler verbrauchen im Vergleich zu den Palästinensern eine vielfache Wassermenge mehr pro Tag und Person, sie müssen jedoch nur einen Bruchteil des Preises bezahlen.
  • Die Übernutzung der vorhandenen Ressourcen auf israelischer Seite hat zu einem Sinken des gesamten Grundwasserspiegels und einem Absinken des Jordans und des Toten Meeres und zu Austrocknungsgefahr geführt.
  • Gegenüber dem durchschnittlichen Verbrauch von 247 Liter pro Tag und Person in Israel um 2020 stehen der palästinensischen Seite nur 82,4 Liter in 2020 pro Tag und Person zur Verfügung, und dies schwankt von Region zu Region, je nach dem realen Zugang zu Brunnen und Quellen; es gibt Gemeinden, die täglich nur 20 Liter pro Tag und Person zur Verfügung haben.
  • Mangel an Wasser zerstört auch die Produktion in der Landwirtschaft, Betriebe geben auf, Familien verlassen ihr Land, ihr Land wird enteignet als „verlassenes oder unbebautes Land“, ein Begriff der Bodenerfassung aus der osmanischen Zeit, der ebenfalls immer noch in Kraft ist — Bauern werden zu Städtern, wandern aus, werden Vertriebene, ein sanfter „Transfer“ beginnt.
  • In Gaza, das vollständig und allein vom Küsten-Aquifer abhängig ist, sind durch Überpumpen 97 Prozent des Wassers untrinkbar geworden und salzig; nur 10 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens hat Zugang zu sicherem Trinkwasser (13).

Gaza — Wasser als Waffe? — Die Geschichte

Im Gazastreifen vollzieht sich gerade ein Teil des geplanten vollständigen „Transfers“ der Einheimischen. Wasser spielt dabei eine große Rolle.

Die Mehrheit der Gaza-Bevölkerung, direkt betroffen oder Verwandte der 1948 Vertriebenen, stammt aus den Dörfern im Umkreis des Gazastreifens (14).

Vor dem 1947 plötzlich einsetzenden enormen Flüchtlingszustrom der etwa 200.000 Flüchtenden aus dem Umfeld Gazas vor den zionistischen Milizen war Gaza eine Idylle: Palmengärten, Datteln, Bananen, Zitrusfrüchte, mehrfache Ernten im Jahr ... Von dem Anbau und Vertrieb ihrer landwirtschaftlichen Produkte nach Europa und in die Nachbarländer lebten reiche Großgrundbesitzer-Familien gut, zum Beispiel die Familie Abu Saleem in Deir el Bahah (Dattelquelle).

Auch die benachbarten vielen Dörfer, die heute neue Namen tragen und israelische Kibbuzim geworden sind, hatten wie der Gazastreifen selbst genügend Wasser für eine reiche Landwirtschaft — sie wurden versorgt durch den Küsten-Aquifer. Auch dort blühten die Gärten, gab es Reichtum und Kultur — wie das Schicksal der Familie Abu Sitta bezeugt. Der Großvater, ein Arzt, der in Kairo studiert hatte, errichtete eine Schule für „sein“ Dorf Ma’in Abu Sitta (Quelle Abu Sitta), die ältesten Söhne wollten Medizin studieren. Der damals für die Vertreibung zuständige Haganah-Offizier war erstaunt, dass das Haus der Abu Sittas eine große Bibliothek besaß (15).

Nach 1948 nahm all dies ein abruptes Ende. Langsam versickerte das schöne Wasser im Gazastreifen, die benachbarten Kibbuzim entnahmen mehr und mehr davon — es sollte ja die „Wüste zum Blühen“ gebracht werden. Im Gazastreifen wuchs die Bevölkerung, die Lebensbedingungen wurden trotz der Versorgung durch die eigens für die palästinensischen Flüchtlinge gegründete Hilfsorganisation der UN, die UNWRA, immer schwieriger, die Flüchtlingslager immer enger und Wasser wurde immer rarer.

1967 wurde die Situation durch die Besetzung noch einmal erschwert, und die Ausbeutung des eigentlich gemeinsam zu nutzenden Wasserreservoirs geschah nun verschärft durch den Bedarf der einwandernden „Kolonisten“ — angelockt von einem unglaublichen „Traum“:

„Die sandigen, palmengesäumten Strände des Gazastreifens sind das ‚Hawaii’ von Israel. Die zehn Gemeinden, die sich vom Erez-Checkpoint im Norden bis nach Rafah im Süden erstrecken, teilen sich den unendlich weiten Blick auf das Mittelmeer. Dieses Gebiet war trotz seines tropischen Klimas und seiner Schönheit nie stark besiedelt, und das möchte der Regionalrat von Gaza in naher Zukunft ändern“, heißt es in einer Werbebroschüre der WZO von 1984 (16)!

3.000 Siedler auf fast 40 Prozent des Gazastreifens konnten nun bis 2006 die „Wüste zum Blühen“ bringen. In den drei großen Siedlerkomplexen Gush Khatib im Süden mit 19 Kibuzzim, Nezarim neben Deir el Balah in der Mitte sowie drei Kibuzzim bei Erez. Dort reiften nun die Datteln und Zitrusfrüchte. Dort gab es ausreichend Wasser.

Für die inzwischen fast 2 Millionen palästinensischen Gaza-Bewohner, die Hälfte davon immer noch in Flüchtlingslagern, wurde Wasser immer kostbarer und rarer.

Gaza verdurstete langsam. Das Grundwasser wurde salzig, es gab bis zum Abzug der Siedler 2006 nur noch stundenweise Trinkwasser für die verschiedenen Viertel und Städte.

Nach dem geplanten Abzug im Rahmen des sogenannten Friedensprozesses mit Israel unter der Schirmherrschaft der westlichen Welt schienen Hilfen in Sicht: Projekte zur Meeresentsalzung, Brauchwassernutzung sowie erneuerte Versorgungsnetze sollten Erleichterung schaffen. Aber das Absinken des Spiegels des trinkbaren Grundwassers war nicht mehr abzuwehren — Israel nutzte den Küsten-Aquifer vollständig. Das Wadi Gaza wurde zum Trockenbett.

Nachdem die Hamas 2006 an die politische Macht kam, wurden die Hilfen des „Wertewestens“ eingestellt und die Projekte mehr oder weniger gestoppt. Ab da wurde das Leben noch einmal viel komplizierter: Alle Versorgung kam nun nur noch als Nothilfen von außen — vollständig kontrolliert durch die israelische Grenzverwaltung und die militärische Kontrolle über Land, Luft und Wasser. Gaza blieb in der Abhängigkeit des israelischen Wollens oder Nichtwollens, bei Lebensmitteln, Medikamenten, Baustoffen, Gas, Öl und so weiter.

Heute ist die Wasserversorgung endgültig zusammengebrochen. Die neuen Projekte sind zerstört, die gesamte Infrastruktur der Wasserversorgung, Nutzung, Verteilung, Abwasserregulierung, und Entsalzung — nichts funktioniert mehr. Die Menschen verdursten.

Dringende Hilfen?

Der geplante Landesteg, der als Pier für Hilfsgüter verkauft und aktuell von den USA finanziert werden soll — ein Trojanisches Pferd? Skeptiker befürchten, dass er nicht der Hilfe dienen soll, sondern der endgültigen Verfrachtung der Verbliebenen weg von Gaza, weg von Palästina, nun über das Meer. Ein Stück mehr Transfer (17)? Schon wieder???

1948 flohen schon einmal Tausende von der Küste Jaffas vor den bewaffneten Angriffen der Kiryati Brigade — über den einzig verbliebenen Seeweg, in überfüllten Booten, im Chaos. Viele Menschen kamen nie an einer sicheren Küste an (18).

Oder wird der neue Steg einem weiter reichenden Zweck dienen, nämlich der Ausbeutung des Gas-Reservoirs vor der palästinensischen Küste?

Ende

Das Märchen von der „Begrünung der Wüste“ ist ein Fake; es beruht auf der Ausbeutung fremden Wassers, das zumindest gerecht geteilt werden müsste. Die israelische Gesellschaft lebt davon in Saus und Braus: Einwanderungsprogramme, ein moderner Lebensstil, extensiver Gebrauch von Frischwasserquellen, riesige Bewässerungsprojekte in den Golanhöhen, wo Sprinkleranlagen Tag und Nacht im Sommer die Apfelplantagen bewässern, Wasser „fressende“ Baumwollplantagen in einer semiariden Region — alles ein Wahnsinn, und dazu das garantierte Luxusleben in den Kolonien mit Swimmingpools und immergrünen Gärten ...

Obwohl Israel die modernsten Techniken für Wassernutzung beherrscht und weltweit führend ist bei der Entsalzung, beim Recyling, beim Dripping, entkommt es nicht einer voraussehbaren, erneuten Ver-„Wüstung“.

Israel braucht die Besatzung — am besten ohne Besetzte. Ein palästinensischer Staat passt nicht in diese Zukunft. Wasserenteignung und Kolonisierung gehören zusammen. Aber es wird keinen Frieden ohne gerechte Verteilung der Wasserressourcen in Palästina und Nahost geben!


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) http://unis.unvienna.org/unis/de/pressrels/2001/sgsm7738.html#:~:text=Aus%20diesem%20Anlaß%20hat%20Generalsekretär,ein%20Verstoß%20gegen%20die%20Menschenwürde, sowie https://www.bmvg.de/resource/blob/93612/7d6909421eacad4ddc7dcdfdf58d42ca/b-02-02-10-download-handbuch-humanitaeres-voelkerrecht-in-bewaffneten-konflikten-data.pdf
sowie https://www.drk.de/fileadmin/user_upload/PDFs/Das_DRK/Materialien/Allgemein/DRK_Genfer_Abkommen_04_Schutz_von_Zivilpersonen.pdf
(2) Herzl, Theodor: Tagebücher Bände I bis III, Berlin 1922. Hier Band II, Seiten 160 und 171, Notizen vom 9. Oktober 1898. Der „Traum“ ist in Herzls Schrift „Wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen, Altneuland der Judenstaat“ fantasievoll beschrieben; 1. Ausgabe Wien 1896, neuere Ausgabe Königstein/Taunus 1978. Dieses Buch erschien vor allem den im 19. Jahrhundert gewaltsamen Pogromen ausgesetzten osteuropäischen Juden wie eine Erlösung. Gut beschrieben bei Zweig, Stefan, 1942: Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Siehe in der 39. Auflage von 2012, Fischer Verlag Frankfurt/Main, Seiten 124 folgende.
(3) Original der Balfour-Erklärung siehe unter https://www.palestine-studies.org/en/node/1653368
(4) Details des Syke-Picot-Abkommens siehe unter https://www.britannica.com/event/Sykes-Picot-Agreement
(5) Heinz Felix Frischwasser-Raanan, 1955: The Frontiers of a Nation, London, Seiten 107 bis 108, in: https://israeled.org/wp-content/uploads/2015/06/Weizmann-vol-9.pdf, sowie Dolatyar, Mostafa; Gray, Tim S., 2000: Water Politics in the Middle East, New York, St. Martin‘s Press Inc.
In: Waltz, Viktoria, 2014: Von Basel nach Jerusalem. Ein Crashkurs, Theorie und Praxis, Hamburg, Seite 69, ISBN 978-3-939710-21-9
(6) Lowdermilk,W. C., 1944: Palestine, Land of Promise, Harper and Bros, NewYork, Seite 169, in: https://www.arij.org/wp-content/uploads/2014/01/1997-Roots-of-the-water-conflict-in-the-middle-east.pdf
(7) „Nakbe“ im Arabischen für „Katastrophe“ benennt die Vertreibung von mehr als 700.000 Menschen, etwa zwei Drittel der damaligen palästinensisch-arabischen Bevölkerung zwischen 1947 und 1950 durch zionistische Milizen und Militärs aus dem Teil des ehemaligen Mandatsgebietes Palästinas, der am 15. Mai 1948 als „Staat Israel“ ausgerufen wurde. Israel beschreibt diese Phase als „Befreiungskrieg“. Ilan Pappé, einer der „neuen Historiker“ in Israel, enthüllt anhand der nach 50 Jahren freigegebenen staatlichen Dokumente, dass es sich bei dieser Vertreibung um einen länger vorbereiteten, gezielten Plan zum „Transfer“ möglichst vieler „Araber“ aus dem erwünschten Gebiet gehandelt hat. Pappé, Ilan, 2006: The Ethnic Cleansing in Palestine, oneworldpublication, Oxford; deutsche Ausgabe 2019: Die ethnische Säuberung Palästinas, Westend Verlag ISBN 9783864892585
(8) Ausführlich zur Boden- und Enteignungspolitik siehe Waltz, Viktoria, 2014, am angegebenen Ort, Seiten 61 bis 64
(9) Zum Nationalplan : Arieh Sharon The National Plan, 1950, https://www.ariehsharon.org/NewLand/TheNationalPlan,
sowie Waltz, Viktoria, 2014: Von Basel nach Jerusalem. Seiten 66 folgende, ausführlich in Waltz, Viktoria; Zschiesche, Joachim, 1986: Die Erde habt ihr uns genommen. 100 Jahre zionistische Siedlungspolitik in Palästina, Das Arabische Buch Berlin. Seiten 174 bis 181 ISBN 3-923446-07-1 sowie zum Litani-Fluss: Waltz, 2014, Seite 69
(10) https://de.wikipedia.org/wiki/Libanonkrieg_1982 sowie Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags 2009: Wasser und Frieden. Zur Rolle der Ressource Wasser in überregionalen Konflikten — Infobrief WD 2 — 3010-055/09 https://www.bundestag.de/resource/blob/414078/14cce3a5a0f06b47790c798efbb9b517/WD-2-055-09-pdf-data.pdf, darin die Karte Quelle: UNDP-Report 2006, Seite 217
(11) UN-Beschluss, 1967, siehe https://www.un.org/depts/german/gv-68/band1/ar68084.pdf
(12) ARIJ, Applied Research Institute Jerusalem, 2007: Status of the Environment in the Occupied Territory. Bethlehem, im Detail: Isaac, Jad; Hilal, Jane, 2010: Water — Another Story of Exploitation of Palestinian and Arab Ressources, in: Waltz, Viktoria; Isaac, Jad (ed), 2010: The Fabrication of Israel. A Unique Planning Issue. Author’s Editiion, Seiten 174 bis 188, hier Seite 178, veröffentlicht in http://palaestina-portal.eu/Walz/finalonefile.pdf, Zugriff 24. Februar 2024, 12:00
(13) Die konkreten Angaben zum Wasserverbrauch divergieren je nach Quellen und sind schwer genau zu bestimmen. Die hier gemachten Angaben stützen sich auf diverse Quellen, die mir zur Verfügung standen. Diese sind: B’Tselem Report April 2023: Israel’s policy of water deprivation in the West Bank, unter 202305_parched_eng.pdf UNDP/PAPP 2020 Water Solutions in the State of Palestine: Innovations failing to make it mainstream, in https://www.undp.org/papp/blog/water-solutions-state-palestine-innovations-failing-make-it-mainstream sowie OCHA 2018 Westbank Thematic Maps Area C https://www.ochaopt.org/atlas2019/images/db/wb-thematic/wb_thematic.pdf sowie Bericht Amnesty International 2017: The Occupation of Water file:///Users/viktoria/Desktop/Wasser/The%20Occupation%20of%20Water%20-%20Amnesty%20International.html sowie Medico-Bericht 2012: Was sind die C-Gebiete, Faktensammlung https://www.medico.de/was-sind-die-c-gebiete-14319 sowie Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestagss 2009, am angegebenen Ort.
(14) Eine detaillierte Übersicht findet sich in den Materialien bei: plands Palestinian land society: Atlas of Palestine https://www.plands.org/en/home,
zu Gaza speziell siehe https://www.plands.org/en/maps-atlases/maps/gaza-beer-sheba-1948
(15) Siehe die Rede von Dr. Ghassan Abu Sittah zu seiner Wahl als Präsident der Glasgow Universität am 12. April 2024 in: https://mondoweiss.net/2024/04/dr-ghassan-abu-sittah-tomorrow-is-a-palestinian-day/ sowie die Rede Dr. Salman Abu Sittas „A Palestinian Address to Lord Balfour“ anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Einrichtung des Englischen Mandats durch den Völkerbund von 1923 bis 1948 an der University of Edinbourgh vom 8. November 2022, Text der Rede ab Seite 10, A-PALESTINIAN-ADDRESS-TO-BALFOUR_Book_English.pdf, YouTube, unter https://mondoweiss.net/2022/11/a-palestinian-address-to-balfour-in-honor-of-truth-memory-and-justice/.
Zur Zahl der Flüchtlinge: Etwa 700.000, fast zwei Drittel aller im Palästina der Mandatszeit um 1947 lebenden Palästinenser, wurden zwischen 1947 und 1950 durch die organisierte Vertreibung im Plan Dalet zu Flüchtlingen, allein 200.000 flüchteten in den Gazastreifen. Siehe https://www.palquest.org/en/highlight/21232/israel’s-policy-toward-refugees-gaza-strip
(16) WZO Immigration and Absorption Division 1984: New Dimensions. Aliya to Judäa, Samaria and Gaza. New York, Seite 19. Originaltext: „The sandy, palm-treed beaches of Gaza are the ‚Hawaii’ of Israel. The ten communities stretching from the Erez-Checkpoint in the north to Rafah in the south share the infinitely –stretching view of the Mediterranean. This area, despite its tropical climate and physical beauty, was never heavily populated, and this is what the Gaza Regional Council would like to see changed in the near future”, oben übersetzt mit deepl.
(17) Chris Hedges, Israels Trojanisches Pferd, 12. April 2024, 17:00, in: https://www.manova.news/artikel/israels-trojanisches-pferd, und das Thema „Transfer“ kommt schon bei Herzl vor:
„Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen (...), in: Herzl, Theodor, Tagebücher, Bände I bis III, Berlin 1922, hier Band I, Seite 98, siehe oben
(18) Pappé, 2006, Seiten 102 folgende.
Die Internetseiten wurden besucht zwischen dem 8. und 18. April 2024.

Weiterlesen

Das betrogene Volk
Thematisch verwandter Artikel

Das betrogene Volk

Das Schicksal der Palästinenser kann man mit dem nordamerikanischer Indianer vergleichen. Wer nicht vertrieben wurde, blieb als „Unterschicht“ im eigenen Land. Teil 5 von 6.

Wiegenlieder des „Bösen“
Aktueller Artikel

Wiegenlieder des „Bösen“

Die CD „Lullabies from the axis of evil“ bringt Künstlerinnen und Künstler aus Ländern zu Gehör, die der Westen als „Feindstaaten“ abgekanzelt hat.

In Spaltung geeint
Aus dem Archiv

In Spaltung geeint

Einander unversöhnlich gegenüberstehende Teile der Gesellschaft werfen sich gegenseitig vor, faschistisch zu sein, und verharmlosen damit den echten Faschismus.