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Wir bleiben nicht zu Hause

Wir bleiben nicht zu Hause

Sobald es zur Triage bei der Gasverteilung kommt, stellen Ausgangspflichten zur Energieeinsparung eine denkbare Option dar.

Demnächst ist es wohl so weit. Spätestens im Herbst, wenn es wieder kühler wird und wir uns ein warmes Plätzchen wünschen, auf einem Sofa neben einer Heizung: Wir werden es nicht verwirklichen können. Warm zu duschen wird Luxus — oder ein Ding der Unmöglichkeit, je nachdem, wieviel Gas gerade verfügbar sein wird. Der Wirtschaftsminister lässt uns indes schon mal wissen, dass er bereits jetzt weniger duscht als früher: Er ist im Triage-Modus.

Das haben wir doch jetzt die letzten zwei Jahre brav geübt: Triage. Also wie gehen wir damit um, wenn Ressourcen knapp werden und die Nachfrage hoch ist? Die Bundesregierung hat Maßnahmen ergriffen, um genau so eine Triage zu vereiteln. Keine, die wirklich angemessen waren, wie wir seit dem Evaluationsbericht wissen — oder wenigstens wissen könnten. Interessiert ja keinen wirklich: Denn Interesse ist ein so rares Gut wie Gas, ein Intensivbett oder eine Intensivpflegekraft. Es könnte sein, dass ich in den folgenden Zeilen aus purem Zynismus übertreibe, dem Affen Zucker gebe — oder aber, es kommt genau so, wie ich es schreibe: Weil zwischen Satire und Realität schon lange kein großer Unterschied mehr besteht.

Ausgangssperren einst, Ausgangspflichten bald

Um Triage zu verhindern, so der Stand im Frühjahr 2021, konnte nur noch eine Maßnahme helfen: Nächtliche Ausgangssperren. Das Bundesverfassungsgericht ging kurz vor dem Beschluss dieser Maßnahme nochmal nächtlich aus, speiste bei der Bundeskanzlerin und kam Monate, nachdem man den Bürgerinnen und Bürgern des Nachts Hausarrest erteilte, zu der Einschätzung, dass so eine Ausgangssperre noch nicht mal gegen das Grundgesetz verstoße.

Die Situation hat sich nun freilich geändert. Wenn wir eine Triage bei der Gasverteilung vermeiden wollen, dürfen die Menschen nicht daheim rumsitzen, ganz im Gegenteil: Sie müssen raus. Betonung liegt auf Müssen. Das geht nur mit einer täglichen Ausgangspflicht. Wer nicht in den eigenen vier Wänden rumlümmelt, kommt nicht in die Versuchung, am Heizknauf zu nesteln oder am Duschkopf zu fingern. Rausgehen, unterhaken, und das trotz Abstandsgebot — nur so kriegen wir diese Ressourcenproblematik in den Griff.

Die Absonderung war letzten Herbst noch das Gebot des Augenblicks. Je vereinzelter und vereinsamter die Menschen waren, so die These, desto weniger positive Testresultate gibt es. Jetzt wiegt die Lage anders: Wer sich absondert, der friert schneller. Räume heizen sich auf, wenn mehrere in einem sind. Menschliche Körper sind wahre Heizboliden.

Was spricht denn gegen einen Fürsorgestaat, der jetzt Zusammensein verordnet? In so einem Miethaus treffen sich dann alle bei einem Mieter, sitzen zusammen, schlafen in einem Raum. Wenn es kalt wird, kuschelt man. Schmusen, um Triage zu verhindern? Make Love not War! Wer das beanstandet, muss wirklich ein schlechter Mensch sein!

Schon alleine deshalb ist es so wichtig, dass die Maske wieder eine Rolle spielen wird. Die sollte man natürlich tragen. Beim Zusammensitzen, ebenso wie später, wenn es in die Heia geht. Dass hierzu gesondert Abschnitts- beziehungsweise Wohnungsbevollmächtigte zu ernennen sind, wird noch explizit im Infektionsschutzgesetz und im Energiespargesetz erfasst. Der Bevollmächtigte hat Rechenschaft abzulegen, wenn in seinem Abschnitt die Inzidenzen bei Virusnachweis und Gasverbrauch steigen. Nur morgens, wenn man flugs in Dreiergruppen unter den Duschstrahl huscht, darf man mal kurz die Maske lupfen.

Ein glückliches Volk von Clochards

Überhaupt ist ja wohl klar, dass wir mit Parametern wie dem Inzidenzwert beste Erfahrungen gemacht haben. Daher scheint es völlig nachvollziehbar zu sein, dass wir im Herbst noch einen solchen maßgeblichen Wert vorgesetzt bekommen, der anzeigt, wie viele Dusch- und Heizminuten pro 100.000 Menschen in Deutschland verbraucht wurden. Ab einem gewissen Wert wird dann die Bundesnotbremse aktiviert, ein Wellenbrecher oder ein Kurzlockdown, irgendetwas von all diesen wunderbar wirkungsvollen Maßnahmen, die uns das Coronavirus schenkte.

Bitte, ich hoffe doch, dass sich dann auch Leute finden, die bereit sind, sich in einer Sekte zu formieren, die sich einer Zero-Gasverbrauch-Strategie oder einer No-Heizverbrauch-Fraktion verschreiben. Auch das hat uns die vorherige Krise gezeigt: Solche Sekten sind notwendig, nur sie ermöglichen es unter Garantie, dass die Menschen im Lande paranoid genug werden, um jede fiese Regelung zu ertragen.

Es darf einfach keine rote Linie mehr geben, alles muss auf den Tisch, die Unverletzlichkeit der Wohnung sollte zuallererst aufgeweicht werden.

Auch eine Teststrategie ist notwendig. Hierzu wären PH-Teststreifen geeignet. Wer ins Restaurant, Theater oder ins Kino möchte, muss beweisen, dass er ungeduscht ist. Ab einem Inzidenzwert von 500 sollte man das auch auf den Arbeitsplatz ausweiten.

Die Förderung von Vorbildern wird unabdingbar. Daher ist es dringend geboten, dass die Vertreterinnen und Vertreter der öffentlich-rechtlichen Duschanstalten ungewaschen vor die Kamera treten. In dicken Mänteln, die nicht zu protzig sein dürfen, damit sich das gemeine Volk mit ihnen identifizieren kann. Erst wenn Markus Lanz mit Dreitagebart und Speckkragen auf Studiogäste losgehen darf, die geschniegelt und gestriegelt wirken, während sie die Bundesregierung ins Gebet nehmen, endlich mit Russland ins Gespräch zu kommen, um diese Maßnahmen endgültig beenden zu können, werden wir ein glückliches Volk von Clochards sein.

Klar, das ist eine Glosse: Sie muss deswegen aber nicht unbedingt erfunden sein

Mir ist klar, dass etliche unter Ihnen das reichlich albern finden. Ich entschuldige mich dafür. Aber stellen Sie sich vor, ich hätte im Februar 2020 so einen Unsinn auf eine weiße Seite gestampft, als wir aus fernen Erdteilen etwas von einem Virus erfuhren, der vielleicht bald um die Welt gehen wird. Ihre Reaktion wäre ausgefallen wie jetzt. Einen Spinner hätten Sie mich geheißen. Und ich sage nicht mal, dass Sie damit Unrecht gehabt hätten. Denn just in dem Augenblick, als ich damals so ein Szenario beschrieben hätte, wäre mir meine Spinnerei freilich selbst aufgefallen.

Selbstverständlich sind diese Zeilen als Glosse gedacht. Aber wir sollten vorsichtig sein mit dem, was wir für den Stoff von Satire halten und was für Realität.

Die Erfahrung der letzten beiden Jahre lehrt, dass Satire gar nicht so erfindungsreich sein kann wie das, was die Wirklichkeit und ihre willfährigen Protagonisten für uns bereithalten. Der Weltgeist ist zynischer, sarkastischer und obendrein drastischer als jeder Plot.

Indes wir heute noch spötteln, dass sie uns Ausgangsverpflichtungen erteilen könnten, sind wir vielleicht morgen schon unterwegs, um uns Klappstühle zu besorgen, damit wir während des erzwungenen Ausgangs auch mal ein bisschen sitzen können. Und während die Leute einst von Parkbänken verscheucht wurden, lädt sie die Polizei vielleicht morgen schon ein, darauf Platz zu nehmen.

Was sich uns aber aufdrängt, das ist der Umstand, dass Niedergang nie so bierernst ist, auch wenn er wehtut, wenn dabei Menschen leiden müssen. Er vollzieht sich stets so, dass er die ganze Lächerlichkeit des Menschengeschlechts offenbart. Daher sind Zeiten wie diese immer auch voller Lachhaftigkeit. Denn nichts entblößt sich so sehr wie der Mensch, der sich den Logiken des Krieges und der dazugehörigen Propaganda, der Bevormundung und der staatlichen Kontrolle unterwirft. Das Mitläufertum, so elend es ist, so verachtenswert überdies, ist immer auch eine Ausgeburt einer Komik, die offenbart, wie es um den geistigen Zustand solcher Gestalten bestellt ist.

Die Witzfigur ist in diesem Sinne ebenfalls Protagonist der Krise, des Kollapses und der Katastrophe, wie der Hetzer, der Gefolgsmann oder der Aktivist, der sich den kruden Parolen der Stunde unterordnet.

Wenn sie bald schon nicht mehr „Stay Home!“ rufen, sondern die Losung ausweiten, indem sie „Stay away from Home!“ plärren, dann haben wir ob dieses Irrsinns sicher viel zu lachen, während uns synchron dazu die Tränen der Wut und der Verzweiflung die Wangen hinabrinnen.

PS: Die Schwurbelpresse schreibe ich meist am Sonntagvormittag. Kaum habe ich diesen aktuellen Kolumnentext an den Rubikon gesandt, stach mir folgende Meldung der Bildzeitung ins Auge: „Arme und Alte sollen in Hallen schlafen.“ Der Krisenstab der Stadt Ludwigshafen plant dahingehend. Sie sehen also, nächste Woche um diese Zeit ist mein heutiger Text keine Satire mehr, sondern der Fahrplan für den Herbst.


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