Die letzte Monografie von Hans-Joachim Maaz mit dem Titel „Das gespaltene Land“ erschien eine Woche vor dem ersten Lockdown. Damit wurde es binnen weniger Wochen von der Realität überholt. Im KenFM-Interview zu diesem Buch im Juni 2020 fragte Ken Jebsen Maaz zu Beginn des Gesprächs, ob er sich vor März 2020 hätte vorstellen können, dass die Menschen in Deutschland wieder einmal so blind gehorchen würden. Ohne eine Sekunde zu zögern, antwortete dieser mit einem „Niemals!“ und gestand zugleich ein, dass er es eigentlich hätte besser wissen müssen.
Zwei Jahre später erschien nun das neue Werk „Angst Gesellschaft“. Darin geht Maaz zu Beginn auf eben diesen Punkt ein. Jahrzehntelang hatte er die Normopathie in beiden deutschen Systemen der Nachkriegszeit — der DDR und der BRD — analysiert. Insbesondere sein Werk „Der Gefühlsstau“ erscheint heute ungemein aktuell, obwohl es bereits kurz nach der Wende veröffentlicht wurde. Dreißig Jahre später vollzog sich mit der „neuen Normalität“ eine Entwicklung, die Maaz dazu anhielt, seine Analyse nachzujustieren. Denn massenpsychologisch setzten sich alte Dynamiken in Bewegung, deren mögliches Wiederaufleben er vorher nicht für möglich gehalten hätte.
Doch die letzten zwei Jahre dürften bei den meisten Menschen den Vorstellungsrahmen des Menschenmöglichen gesprengt haben. Und so muss nun auch Maaz resümieren – beziehungsweise jetzt die Bestätigung erhalten –, dass 70 Jahre der vermeintlichen Demokratisierung wenig bis gar keine Früchte getragen haben: eine Demokratisierung, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf das Außen beschränkt blieb, aber im Inneren der Menschen nie wirklich stattgefunden hat.
Das, was Maaz bereits in „Das falsche Leben“ oder „Die Liebesfalle“ analysierte, wendet er nun konkret auf die Gesellschaft an, die seit zwei Jahren außer Rand und Band geraten ist. Bereits in der Einleitung konstatiert er, dass das falsche Leben der normopathischen Gesellschaft im März 2020 ein Ende gefunden habe, doch nun ein noch falscheres Leben drohe: Das Leben in einer digital überwachten Kontrollgesellschaft.
Vor dem Start der eigentlichen Analyse holt Maaz die Leserschaft bei den Grundlagen seiner Forschung ab, sodass selbst jene Leser, die noch nie zuvor ein Buch von Maaz gelesen haben, etwa mit den Konzepten unterschiedlicher Frühstörungen mütterlicher- wie väterlicherseits vertraut gemacht werden. Diese sind für die nachfolgende Betrachtung essenziell. Menschen mit jeweils unterschiedlichen Selbststörungen — bedrohtes, abhängiges, gehemmtes Selbst et cetera — reagieren jeweils anders auf die einseitige „Berichterstattung“, so bei dieser Propaganda dieses Wort überhaupt noch angemessen ist; sie reagieren anders auf die Hetze, auf die immer absurder und widersprüchlicher werdenden Corona-Maßnahmen, auf das gebrochene Impfversprechen und die Ausgrenzung durch 3G und 2G.
All diese Themenfelder behandelt Maaz in gebührender Ausführlichkeit und nimmt dabei auch kein Blatt vor den Mund. Bei aller Sachlichkeit — das ganze Buch ist mit zahlreichen, seriösen Quellen belegt — bricht auch immer wieder die Entrüstung des Autors zwischen den Zeilen hervor. Weder kann man ihm das verübeln, noch tut es der Qualität des Buches Abbruch. Die letzten zwei Jahre waren in einer Weise kollektiv aufwühlend, verstörend und verletzend, dass es keinen Sinn ergeben würde, täte man als Autor, der das Ganze psychoanalytisch betrachtet, so, als würde man einen abstrakten Forschungsgegenstand untersuchen. Die Angst-Gesellschaft ist Gegenstand einer Gegenwartsanalyse, die sich dem Betrachter unmittelbar aufdrängt.
Maaz gelingt der wunderbare Spagat zwischen sachlicher Analyse einerseits und Bewertung mit klaren Worten andererseits. Folglich ist die Lektüre erkenntnisreich und aufwühlend gleichermaßen.
Darüber hinaus ist der Struktur-Aufbau des Werks lobend hervorzuheben. Maaz arbeitet sehr häufig mit Wiederholungen. Manchen Leser mag dies beim chronologischen Durchlesen vielleicht stören, doch gleichzeitig kann das Repetitive dazu beitragen, dass bestimmte Analyse-Muster eingeprägt werden. Zugleich ermöglicht es dem Leser auch, dass er sich nur spezielle Kapitel gemäß seinem Interesse auswählt, nur diese liest und dabei trotzdem die Grundannahmen der Analyse „serviert“ bekommt.
Am Ende eröffnet Maaz dem Leser auch noch reale Möglichkeiten, in dieser gestörten Gesellschaftskonstellation zu überleben. Er skizziert dabei einen Mittelweg zwischen Anpassung einerseits und totalem Widerstand andererseits. Dabei handelt es sich nicht um einen Alibi-Hoffnungsausblick, der, wie bei vielen anderen Büchern, noch notgedrungen an das Ende gekleistert wird, damit das Werk nicht so deprimierend stoppt. Nein, tatsächlich sind das brauchbare, alltagskompatible Hilfestellungen, die trotz der Begrenzungen ein gewisses Maß an psychischem Gesundbleiben in einer hysterischen Gesellschaft ermöglichen.
Alles in allem ist „Angst-Gesellschaft“ eine messerscharfe und brandaktuelle Psychosozialanalyse über eine Gesellschaft im Ausnahmezustand. Diese Lektüre hilft nicht nur, unser eigenes Handeln in dieser künstlichen Krise besser zu verstehen, sondern auch das der anderen. Auch gerade jene, die uns scheinbar als Feind gegenüberstehen, erscheinen uns beim Lesen wieder menschlicher. Maaz zeigt ihre tiefen innerseelischen Verletzungen auf, die uns wiederum verdeutlichen, dass in den Corona-Hardlinern keine Monster stecken, sondern schwer verletzte Kinder. Es ist ein Buch, das Brücken zwischen den Gräben schlagen kann und in keiner „Corona-Bibliothek“ fehlen sollte.
Hans-Joachim Maaz „Angst-Gesellschaft“
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