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Die ARD rettet die Welt

Die ARD rettet die Welt

Wie man sich feierlich selbst inszeniert.

Auf sowas muss man erst mal kommen.

Ob die Idee auf dem Mist des NDR-Redakteurs Kuno Haberbusch gewachsen war, ist nicht überliefert. Nur, dass der Entwurf des Briefes aus seiner Feder stammt. Ja, der Haberbusch Kuno! Ein Prachtmensch. Früher – das waren noch Zeiten – Westentaschen-Revoluzzer in der Hausbesetzer-Szene; später (gemeinsam mit Anja Reschke als Frontfrau) Abbruch-Unternehmer im NDR-Magazin Panorama. Das vormals gesellschaftskritische Magazin verkam unter seiner Ägide zu einem Forum neoliberaler und transatlantisch formierter Politik. Die Einführung der Agenda 2010 zum Beispiel begleitete Panorama mit Hetz-Beiträgen gegen gewerkschaftliche Positionen. Vom "Festhalten an Arbeitsbildern aus dem vorigen Jahrhundert" war die schnöde Rede, und "Weiter im alten Trott, wo immer es geht", wurde da giftig gehöhnt.

Der Kabarettist Dietrich Kittner damals: "...der Panorama-Beitrag brandmarkt als Haupt-Arbeitsplatzvernichter die Gewerkschaften. Selbstverständlich wird diese einleuchtende These mit zahlreichen Beispielen belegt: So wehrt sich die spießige IG Metall beharrlich gegen Zwölf-Stunden-Arbeitstage bzw. -nächte. Schlimm, weil regelmäßige Überstunden bekanntermaßen neue Stellen schaffen... Auch weigert sie sich stur, in Metallbetrieben schaffende Büroangestellte als Mitglieder abzulehnen. Diese ächzen dann unter einer "Zwangsmitgliedschaft" in der IG Metall (und werden vermutlich bei Unbotmäßigkeit von der örtlichen IGM-Verwaltungsstelle sofort nach Sibirien deportiert)."

Kuno Haberbusch, dem Kittner dies einst ins Stammbuch schrieb, hatte sich jetzt als Auftragsschreiber (neudeutsch: Ghostwriter) seines Intendanten hervorgetan.

Der allerdings fiel mit der Projektidee erst mal auf den Bauch. Die in Frankfurt versammelten ARD-Granden wollten nicht mitschauspielern. Wer unter ihnen hatte sich da wohl an den ebenso häufig wie falsch zitierten einstigen Tagesthemen-Moderator Hanns-Joachim (HaJo) Friedrichs erinnert: „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein....“?

Die Erinnerung an die HaJo-Maxime war allerdings kaum der ausschlaggebende Grund für die Ablehnung der Gemeinschaftsbriefidee. Viel wahrscheinlicher ist, dass einigen der Medienfürsten der Vorschlag als gar zu kindisch, zu gekünstelt und zu klebrig erschien - und dem Rest zu arbeitsaufwändig.

So platzte denn die humanitär schillernde Seifenblase des Duos Marmor/Haberbusch. Und wir können nun den schaumigen Fleck betrachten, den sie auf dem Schild des NDR hinterließ. Was sehen wir da?

Unsägliche Selbstbezogenheit. Die hemmungslose Bereitschaft zur Instrumentalisierung fremden Leids. Wie wir das aus Programmangeboten der ARD-aktuell schon zur Genüge kennen.
Den Projektbetreibern ging es nicht allein um Yücel und dessen Leidensgenossen, sondern um öffentliche Selbstdarstellung. Um PR in eigener Sache. Um das Geltendmachen elitärer berufsständischer Eigeninteressen: Wir, die Journalisten sind die wahrhaft Wertvollen, die Guten. Uns darf kein Haar gekrümmt werden. Uns darf keiner an den Karren fahren, das dürfen nur wir mit den Schwächeren unserer Gesellschaft machen. Mit den Opfern der Agenda 2010 beispielsweise. Die malen wir, ganz im Sinne der Eliten, als Sozialschmarotzer ab, wenn nicht direkt mit solch groben Strichen, dann eben auf die fein ziselierte Art, mit den vielen Widerhäkchen („Fördern und Fordern“) ... Was heißt hier Heuchelei? Wir, die Repräsentanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wir allein sind die Deutungsberechtigten!

Wir betrachten hier weiter den von NDR-Intendant Marmor produzierten Schaumbläschenfleck. Abstimmungsniederlagen kassieren, das geht gar nicht. Nicht nach Überzeugung dieses NDR-Intendanten. Drum: Zugriff auf die Gelder der Rudfunkbeitragszahler!

Der NDR produziert kurz nach der besagten Intendanten-Sitzung einen „Themenschwerpunkt“ zum Internationalen Tag der Pressefreiheit im Fernsehen, im Radio und auf NDR.de. Schon kann sich Chef Marmor doch noch selbst inszenieren: „In Zeiten, in denen die Pressefreiheit in zahlreichen Ländern als Grundlage der journalistischen Arbeit zunehmend gefährdet ist, finde ich es wichtig, dass wir als Sender eine klare Haltung zeigen – nicht nur nach innen, sondern auch in der Kommunikation nach außen“.

Das hat Geschmack. Soll jeder mitkriegen, wie sehr sich der NDR verpflichtet fühlt, „eine klare Haltung“ zu zeigen. Wenn nicht gemeinsam mit den anderen ARD-Anstalten, dann eben ohne sie und ganz für sich allein. In diesen schweren Zeiten! Welch schönes Pfauenrad.

Und jetzt aber richtig, gib ihnen noch einen: Anfang Juni richtet der NDR auf seinem Gelände die jährliche Tagung des Netzwerk Recherche aus. Dem sonderbaren Verein gehören mehr als 800 Mitglieder an. Seine Förderer sind der NDR, die Bundeszentrale für Politische Bildung, die Leipziger Sparkasse, die Augstein-, ZEIT- und Volkswagenstiftung und die „Reporter ohne Grenzen“. Der Verein finanziert sich u.a. aus Mitgliedsbeiträgen, Anzeigenerlösen und Spenden. Die Vorstandsmitglieder stammen überwiegend aus den journalistischen Kadern der Mainstream-Medien und des Vereins "Correktiv", einem nicht minder selbstgerechten Club mit Neigung zum Aktionismus. In den Registern steht wieder der Name Kuno Haberbusch. Sein Träger spielt seit jeher im Netzwerk Recherche die Rolle einer Grauen Eminenz. Kollege kommt gleich...

Intendant Marmor hielt zur Eröffnung die Fensterrede. Er appellierte an die anwesenden Journalistinnen und Journalisten, für Meinungsfreiheit und freie Presse einzutreten: „Vor allem international ist die Pressefreiheit ziemlich unter Druck geraten. Einige Dinge hätten wir uns vielleicht vor zwei, drei Jahren so nicht vorstellen können. Das zeigt zugleich, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Es bedarf einer Haltung, einer ständigen Verteidigung von Meinungs- und Pressefreiheit: Wir müssen zusammenstehen – trotz aller unterschiedlichen Vorstellungen.“
Nach der Logik in den Marmor-Worten „...international ist die Pressefreiheit ziemlich unter Druck geraten“ fragen wir lieber nicht und auch nicht nach dem intellektuellen Gewicht der Intendanten-Erkenntnis „...dass es keine absolute Sicherheit gibt“. Wie meinte Hajo Friedrichs noch gleich? „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken...“

Jörg Kachelmann und Alexander Gauland waren Magneten auf dieser Konferenz. Gauland war erkennbar für die Rolle des Watschenmanns auserkoren worden. Die Veranstalter fanden wohl nichts dabei, den AfD-Repräsentanten erst förmlich einzuladen und dann ausgiebig darüber diskutieren zu lassen, ob man mit so einem überhaupt reden dürfe. Möglicherweise fielen ihnen der Widersinn und die Schändlichkeit dieses Gebarens nicht einmal mehr auf. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt von Peinlichkeiten dieser Art nicht frei, wenn führende Leute vom Schlage Marmor und Haberbusch den Nachweis bringen wollen, dass es für Ehrpieseligkeit einfach keine Grenzen gibt.

Jörg Kachelmann zeigte eindrucksvoll auf, wie Menschen durch Massenmedien in Deutschland fertig gemacht werden können bis hin zur Vernichtung ihrer beruflichen Existenz. An Fälle wie diesen hatte Marmor bei seinem Appell zur Verteidigung der Pressefreiheit vermutlich nicht gedacht.

Das eingangs dargestellte menschelnde Marmor/Haberbusch-Projekt wurde in modifizierter Form schließlich doch noch realisiert: Zahlreiche „namhafte“ Journalisten (so wurde im NDR-intranet berichtet und wurden u. a. Ingo Zamperoni, Armin Wolf, Anja Reschke, Klaus Brinkbäumer, Hajo Seppelt, Julia Stein erwähnt) verlasen einen Offenen Brief an Deniz Yücel, in dem sie nicht nur ihre Solidarität bekundeten, sondern auch an das Schicksal all der anderen inhaftierten Kolleginnen und Kollegen erinnerten. Ein „eindeutiges Signal“, lobte Lutz Marmor.

Und der Yücel hat diese Inszenierung sicher per Konferenzschaltung in seine Zelle sehen dürfen und vor Freude und Dankbarkeit geweint.

Ein NDR-Besucher, der Informatiker Hadmut Danisch, bemerkte zu diesem Theater in seinem Blog:

"Bei der Begrüßungsveranstaltung vorhin hatte ich so plötzlich das Gefühl, im falschen Film zu sein. Gedichteaufsagen, Grundschultheater. Ich musste an eine Szene aus dem 70er-Jahre-Film „Das fliegende Klassenzimmer“ denken: Um auf den in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel hinzuweisen, betraten jede Menge Journalisten die Bühne, sprachen immer so ein oder zwei gestelzte, vom Papier abgelesene Sätze, um sich dann in einer Reihe aufzustellen. Das ist sowas wie Kindergeburtstag mit Singen für den, der nicht kommen kann.

Versteht mich nicht falsch. Ich nehme keine Anstoß daran, dass man an Deniz Yücel erinnert und protestiert. Das ist sicherlich in der Sache berechtigt. Mich stört die lächerliche, alberne Weise in der man es tut."

Chapeau, Kollege Danisch!

Da haben wir ihn also wieder, den klassischen Unterschied zwischen Schein und Sein. Marmor salbadert über Pressefreiheit – wat mutt, dat mutt, und zwar vor allem mit „Haltung“! – Und am Tag darauf macht ein Warnstreik der Gewerkschaft ver.di im NDR kenntlich, was Sache ist: Die Gewerkschafter finden mit Marmor keine Gesprächsebene mehr für ihre Forderung nach normalen Lohnanpassungen für alle Beschäftigten. Der Intendant lehnt ab. Er verlangt stattdessen von den Gewerkschaften, dass sie materiellen Abstrichen für die ohnehin ungenügend bezahlten und tariflich unzureichend geschützten Freien Mitarbeiter zustimmen. Das trifft überwiegend die fürs Programm Tätigen, Autoren, Kameraleute, Realisatoren, Produktionsleiter... die Kreativen also, die das Programm prägen. Die Absicht dahinter ist nicht nur, diese Mitarbeiter noch weiter auszubeuten, sondern den Anpassungszwang zu steigern, dem sie ausgesetzt sind.

So sieht er aus, der konkrete Beitrag Marmors zur Sicherung der Rundfunkfreiheit. Ach, übrigens, weil wir schon beim Bezahlen sind: Die Kosten für die Ausrichtung der aufwändigen Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche tauchen vermutlich nicht als Gesamtposten im Etat des NDR auf (inklusive Betriebs- und Personalkosten für die gesamte Logistik. Immerhin mussten 1100 Tagungsteilnehmer betreut, begleitet und versorgt werden).

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