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Die Tragik von Team Mensch

Die Tragik von Team Mensch

Ein Gespräch zwischen Elisa Gratias und Sven Böttcher offenbart die Widersprüche beim Versuch, eine Alternative zur destruktiven Politik der Herrschenden zu schaffen. Teil 3/3.

Vor der Formulierung des entscheidenden ersten Satzes für diesen Team Mensch Artikel entdecke ich in meiner Mailbox den aktuellen Manova-Newsletter mit den 26 Artikeln dieser Woche. Die Lektüre einer ersten Auswahl von fünf Texten stürzt mich in das bekannte Wechselbad der Gefühle, die sich zwischen den Polen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt bewegen.

Mit „Zeige deine Wunde“ ist der Beitrag von Margit Geilenbrügge überschrieben, deren integrale Arbeit ich aus meiner „Ken Wilber Zeit“ kenne. Er endet mit folgenden Zeilen:

„Der Kern wirklicher Verbundenheit ist geteiltes Leid“, sagt der Friedensaktivist und Konfliktforscher Danaan Parry. Und was brauchen wir mehr in diesen Zeiten als „wirkliche Verbundenheit“ über alle Grenzen hinweg!

Hier finde ich die Verbundenheit, die eine wichtige Komponente des Klebstoffes ausmachen könnte, der Team Mensch zusammenhält. Wer aber ist dieses Team Mensch. In zwei Anläufen konnte ich diese Frage nicht klären und deswegen stelle ich für Teil 3 im Untertitel implizit die Frage nach dem Wesen des Menschen. Auch Margit Geilenbrügge setzt — bezugnehmend auf Eugen Drewermann — auf die Wirkung des menschlichen Wesens.

„Der Berg der Angst, so Drewermann, verschwindet nicht durch unser Tun. Er verschwindet durch die ‚Wirkung unseres eigenen Wesens‘ und die Erkenntnis, dass wir unschätzbar kostbare, über alle Maßen wertvolle, unzerstörbare, ewige Wesen sind.“

An dieser Stelle verschwindet der Berg der Angst, den ich gerade erklommen habe, leider nicht, der Wagen der Achterbahn mit dem Namen „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ stürzt sich mit voller Fahrt ins nächste Tal der Tränen. Zu oft hat die Hoffnung getrogen, die auf die magische Wirkung des menschlichen Wesens gesetzt hat. Auf der Talfahrt bleibt noch Zeit, ein paar der Mythen und Märchen durchzugehen, die sich ins kollektive Bewusstsein eingegraben haben. Geht es mir gerade wie Sisyphos, dessen Stein kurz vor Erreichen des Ziels wieder ins Tal rollt oder schmelzen meine aufgeklebten Flügel wie bei Ikarus, weil ich dem Himmel beim Jauchzen zu nahe gekommen bin?

Beim Absturz ins Tal der Tränen werden auch die Überschriften der anderen Artikel immer bedrohlicher: Über digitale Gitterstäbe, berichtet Tom-Oliver RegenauerWalter van Rossum moderiert in der Reihe The Great WeSet ein Gespräch mit dem Titel „Durchs wilde Digitalien“ und Heinrich Frei greift die noch nicht vollständig geklärten rätselhaften Einstürze des 11. Septembers auf. Ist mein Absturz den versäumten Reifungsschritten geschuldet und muss ich deswegen beim nächsten Anstieg erneut meine persönliche Heldenreise antreten, so wie sie Raymond Unger in seinem Buch „Die Heldenreise des Bürgers“ beschreibt?

Bereits beim Titel dieses Buches schleicht sich ein Gefühl ein, das durch die nachfolgenden Zitate noch verstärkt wird: Immer wenn ich auf der Suche nach dem Team Mensch bin, lande ich beim Individuum. Zwar zitiert Raymond Unger Viktor Frankl, der 1988 folgendes gesagt hat:

„Der Nationalsozialismus hat den Rassenwahn aufgebracht. In Wirklichkeit gibt es aber nur zwei Menschenrassen, nämlich die ‚Rasse‘ der anständigen Menschen und die ‚Rasse‘ der unanständigen Menschen.“

Aber da gibt es noch ein kleines Problem, das zu lösen ist, bevor die Rasse der anständigen Menschen als Team Mensch wirksam werden kann. Raymund Unger schreibt:

„Unreife Individuen bleiben unreife Individuen, auch wenn sie sich zu einer Gruppe zusammenschließen und sich eine politische Agenda geben.“

„Nicht unfähige Politiker sind das Problem, sondern infantile und gleichgültige Bürger, die derartige ‚Eliten’ tolerieren.“

„Erst Nachreifung und Selbstentwicklung der Bürger schaffen die Grundvoraussetzungen zugunsten einer gesünderen Gesellschaft.“

Auch im Gespräch zwischen Elisa Gratias und Sven Böttcher zur Debatte über Team Mensch ging es um diesen persönlichen Reifeprozess, der wiederum an die 2.500 Jahre alte chinesische Weisheit (4) erinnert, die ich im letzten Beitrag zitiert habe. Der erste Teil dieser Weisheit beschreibt den Abstieg von der Welt über die Nation bis hin zur persönlichen Ebene, der mit dem Verständnis endet:

„… Wenn die Erkenntnis der Dinge gewonnen ist, ist das Verständnis erreicht.“

Im zweiten Teil — nach der persönlichen Reifung — folgt dann der Aufstieg vom Verständnis hin zur Ordnung des völkischen Lebens.

„Ist das Verständnis erreicht, dann ist der Wille aufrichtig. Ist der Wille aufrichtig, dann steht das Herz fest. Steht das Herz fest, dann ist das persönliche Leben gepflegt. Wird das persönliche Leben gepflegt, so regelt sich das häusliche Leben. Ist das häusliche Leben geregelt, so herrscht auch Ordnung im völkischen Leben …

Vom Kaiser bis zum gemeinen Mann ist die Pflege des persönlichen Lebens die Grundlage von allem. Ist die Grundlage unordentlich, dann kann der Oberbau nicht ordentlich sein. Nie hat es einen Baum gegeben, dessen Stamm schlank und dessen oberste Äste mächtig und schwer sind. Es ist eine Ursache und eine Folge in den Dingen, und in den Geschäften des Menschen gibt es Anfang und Ende. Die Ordnung der Reihenfolge kennen heißt den ersten Schritt zu Weisheit tun.“

Kann es sein, dass wir nach 2.500 Jahren gerade erst am unteren Umkehrpunkt dieser Parabel angelangt sind? Rollt der Stein des Sisyphus immer wieder kurz vor dem Ziel nach unten, weil wir das notwendige Verständnis noch nicht erreicht haben? Kennen wir die Ordnung der Reihenfolge noch nicht gut genug?

Was die Ordnung der Dinge angeht, so gibt es dazu eine weitere schöne Parabel aus unbekannter Quelle:

„Die Welt in Ordnung bringen

Ein kleiner Junge kam zu seinem Vater und wollte mit ihm spielen. Der aber hatte keine Zeit für den Jungen und auch keine Lust zum Spiel. Also überlegte er, womit er den Knaben beschäftigen könnte. Er fand in einer Zeitschrift eine komplizierte und detailreiche Abbildung der Erde. Dieses Bild riss er aus und zerschnipselte es dann in viele kleine Teile. Das gab er dem Jungen und dachte, dass der nun mit diesem schwierigen Puzzle wohl eine ganze Zeit beschäftigt sei.

Der Junge zog sich in eine Ecke zurück und begann mit dem Puzzle. Nach wenigen Minuten kam er zum Vater und zeigte ihm das fertig zusammengesetzte Bild. Der Vater konnte es kaum glauben und fragte seinen Sohn, wie er das geschafft habe. Das Kind sagte: ‚Ach, auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Den habe ich richtig zusammengesetzt. Und als der Mensch in Ordnung war, war es auch die Welt.‘“

So schön und anrührend derartige Parabeln sind, so wenig helfen sie uns bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Am Ende ergeht es mir noch wie bei der Lektüre der Texte, die ich zitiere, und bei den Videos, die ich auf der Suche nach Team Mensch angesehen habe. Oft finden sich Hinweise auf konkrete Lösungsansätze erst ganz am Ende des Beitrages und dann reicht die Zeit nicht mehr, um sich angemessen damit auseinanderzusetzen; so vermeidet man die Einlösung der möglichen Aufforderung „hic Rhodus hic salta“.

Sind wir von Team Mensch am Ende nur Prokrastinierer, die sich lieber dem Regentanz hingeben, als die mühevolle Aufgabe des Brunnenbohrens anzugehen? Nach zweimonatiger Beschäftigung mit dem Thema Team Mensch wird mir klar, dass wir tief bohren müssen, um das Ziel zu erreichen.

Team Mensch, eine Gleichung mit vielen Unbekannten

Team Mensch ist eine sympathische, aber wie Sven Böttcher im Gespräch mit Elisa Gratias betont, auch bewusst naive Idee. Sie basiert auf einem bedingungslosen Grundvertrauen in das Gute im Menschen. Die grundlegende Frage lautet: Was dient dem Menschen?

Aber bereits das eine Beispiel mit dem Kartoffelhof erschüttert diesen Ansatz. Wenn einer von Hundert sich nicht an die Regeln hält und die ganze Ernte mitnimmt, dann ist das Projekt gescheitert. An dieser Stelle zeigt sich ein erster Riss im Gespräch, der sich zu einer größeren Kluft erweitert.

Das erinnert an einen Brückenbau über den Rhein in der Nähe von Basel, bei dem die beiden Brückenabschnitte, die von beiden Ufern gebaut wurden, am Schnittpunkt in der Flussmitte eine Höhendifferenz von einem halben Meter aufwiesen. Die Mannschaft aus der Schweiz bezog sich bei ihren Berechnungen auf die Höhe über Adria, die Deutsche Mannschaft auf die Höhe über Normal Null.

Elisa Gratias, die auf Mallorca wohnt, bezieht sich auf kleinere Leuchtturmprojekte wie Tamera oder Sieben Linden, während der Norddeutsche Sven Böttcher von größeren Einheiten wie Schleswig Holstein, Deutschland oder gleich der ganzen Erde ausgeht. Damit war das Ergebnis quasi vorprogrammiert, die Gleichung konnte nicht aufgehen, die beiden Gesprächsfäden fanden nicht zusammen.

An diesem Beispiel sieht man, wie wichtig es ist, sich im gleichen Referenzsystem zu bewegen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es so etwas wie ein absolutes Koordinatensystem gibt, was dann die Arbeit erleichtern würde. Hier will ich die Brücke zu dem oben erwähnten Beitrag von Margit Geilenbrügge schlagen. Mit ihrem Integralen Atelier für mehr Lebendigkeit und Durchblick befasst sie sich unter anderem mit der Frage eines derartigen Metakoordinatensystems, das durch die drei Achsen des Wahren, Guten und Schönen aufgespannt wird.

Bei meiner Begegnung mit der integralen Bewegung lernte ich verschiedene Koordinatensysteme kennen, welche das Spektrum des menschlichen Bewusstseins in mehrere Bereiche einteilen. Der Text „Selbst-Entwicklung — Neun Stufen des zunehmenden Erfassens“ von Susanne Cook-Greuter gibt eine schöne Übersicht über diese verschiedenen Entwicklungsstufen und bereits im Titel finde ich die Aufforderung der oben zitierten chinesischen Weisheit, die Erkenntnis der Dinge zu erreichen, wieder.

Um diesem Ziel näher zu kommen, habe ich in meinem letzten Beitrag den Betrachtungsabstand erhöht. Ähnlich wie Saint-Exupéry bei seinem Flug nach Arras wählte ich die Vogelperspektive, um mich auf die Suche nach dem Menschlichen zu machen; paradoxerweise kommt einem der Scheinriese Mensch aus der Ferne größer vor, als er tatsächlich ist. Neben diesem räumlichen Aspekt war es zudem wichtig, den zeitlichen Maßstab zu erweitern.

Die Jasper’sche Achsenzeit, die zugleich den Beginn des mentalen Bewusstseins markiert, bot sich hierfür an. Das Gespräch zwischen Sven Böttcher und Elisa Gratias können wir uns ähnlich im 2.500 Jahre alten chinesischen Kaiserreich sowie auf dem Marktplatz von Athen im Beisein von Plato oder Aristoteles vorstellen. Aber irgendwie ist dieser Gedanke unbefriedigend. Wieso gibt es seit 2.500 Jahren keinen erkennbaren Fortschritt? Wieso sind wir in dieser Zeitschleife gefangen, wieso grüßt das Murmeltier täglich?

Eine Antwort auf diese Fragen wurde in Teil 2 dieser Reihe vorbereitet. Der Witz mit dem Auswahltest für die Psychiatrie verweist auf eine tiefer liegende Wahrheit: Unsere bisherigen Methoden — das Ausleeren der Badewanne mit Löffel, Becher oder Eimer — sind ungeeignet. Wir müssen uns auf eine völlig neue Ebene begeben, wir müssen den Stöpsel ziehen. Jean Gebser, ein Pionier der integralen Bewegung, verortet diese neue Ebene im integralen Bewusstsein, das dem mentalen Bewusstsein nachfolgt und dieses ebenso wie die Vorläuferstufen archaisches, magisches, mythisches Bewusstsein integriert.

Ich denke jeder von uns kann die Notwendigkeit einer integralen Betrachtung nachvollziehen. Zwar sind wir, die Leser von Manova, durch geteiltes Leid verbunden, wie es im Text von Margit Geilenbrügge heißt, aber dieses Leid resultiert ja gerade aus der Zerstörung des ganzen Menschen.

Das, was den Menschen ausmacht, wird gerade zertrümmert. Die Aufgabe des integralen Ansatzes besteht darin, die ursprünglich vorhandene Ganzheit wiederherzustellen. Der Weg des zunehmenden Erfassens führt damit von einer unbewussten Einheit über die bewusste Trennung hin zu einer bewussten Einheit.

Stephanie Bergold schreibt in ihrer Arbeit über das west-östliche Lebensprinzip in Hermann Hesses Lebenswerk:

„Integration ist die Bewusstwerdung aller den Menschen konstituierenden Strukturen und ihrer Auswirkungen auf sein Leben. ... Durch diese Teilhabe am Ursprung ist der Mensch bereits ganz, er hat es leider nur vergessen.“

Ganz pragmatisch gesehen hilft es mir im ersten Moment, die durch geteiltes Leid erzeugte Einheit zu spüren, aber nach kurzer Zeit reicht das nicht mehr aus. Allein in den oben zitierten fünf aktuellen Manova-Beiträgen steckt soviel Potenzial, das danach schreit, zu Realität zu gerinnen, wie es Hans-Peter Dürr so schön ausgedrückt hat. Wenn wir es nicht schaffen, unsere gesammelten Erkenntnisse in Taten umzusetzen — wenn wir an der Klagemauer stehen bleiben — dann können wir uns als Team Mensch nicht mehr ernst nehmen.

Auch wenn ich mit dem Begriff der Sünde nichts anfangen kann, würden wir nach Ken Wilber die einzige mögliche Sünde begehen, die darin besteht, unser Potenzial nicht hinreichend auszuschöpfen. Und damit sind wir bei der Ausgangsthese dieser Reihe, der zufolge die Tragik von Team Mensch genau hier zu suchen ist: im nicht genutzten Potenzial.

Team Mensch, ein Achter ohne Steuerung

Zu Beginn des Gespräches stellt Sven Böttcher folgende Frage: Nehmen wir an, jemand möchte sich bei Team Mensch beteiligen, wohin muss er sich dann wenden? Elisa Gratias antwortet, er muss sich nirgendwo hinwenden, er kann vor Ort bleiben. Er muss sich nur fragen, was er beitragen kann und möchte.

Bereits bei meiner einsemestrigen Ruderepisode im Vierer ohne Steuermann hatte ich andere Erfahrungen gemacht. Es gab da eine genaue Adresse, bei der man sich anmelden konnte und es gab ein Ruderboot und einen Trainer, ohne den wir Anfänger ziemlich hilflos gewesen wären.

Auch bei meinen zahlreichen Team Mensch Projekten, wie zum Beispiel der Gemeinwohl Ökonomie, der Transition Bewegung, der Agenda 21, gab es feste Ansprechpartner und wenn dies bei anderen losen Gruppierungen nicht gegeben war, dann bestand einer der ersten Schritte darin, feste Strukturen wie einen Verein zu schaffen. Oft genug war dies dann auch schon der Anfang vom Ende. Es war dann nicht mehr der Mensch, der die Strukturen gestaltete, ähnlich wie im Gefangenenexperiment gestaltete die Struktur den Menschen. Mit einem Mal war der Vorstand etwas Besseres als das gemeine Mitglied. Die Position des Steuermanns war begehrter als die des Ruderers und selbst die schafften es nicht, die Riemen synchron einzusetzen und so den nötigen Vortrieb zu erzeugen.

Anders ausgedrückt, das Prinzip der Selbstorganisation der gutwilligen Menschen funktioniert im wahren Leben nur ganz selten. Vielleicht erklärt das auch, warum die Zahl der immer wieder genannten Leuchtturmprojekte wie Tamera, Sieben Linden oder Schloss Tempelhof ziemlich überschaubar ist.

Es sind nicht nur die anderen — die von Team Bill — die auf dem Narrenschiff unterwegs sind, auch wir von Team Mensch sind nicht die geborenen Ruderer, die mühelos gegen den Mainstream anrudern können. Die Mannschaft von Team Bill schaut da von ihren 1.000 PS Yachten nur amüsiert zu und jemand vom Kaliber Loriots könnte sicher einen weiteren selbstironischen Film drehen. Unser Achter ist mit sieben Steuermännern und Impulsgebern unterwegs und muss zusätzlich noch ein Beiboot mit Coaches hinter sich herziehen. Voraus fährt ein Motorboot mit den Stars der Manege, die gut bezahlte Keynote-Vorträge halten und sich schnell an einen Bill’schen Lebensstil gewöhnen.

Das Rudern habe ich nach dem einem Semester wieder aufgegeben, weil man im Gegensatz zum Kajak fahren in die falsche Richtung steuert. Ähnlich ging es mir mit Team Mensch Projekten. Oft hatte ich den Eindruck, dass es hier zu der von Ken Wilber analysierten Prä-Transverwechslung kommt. Wir wollen zurück zur Natur und unbewusst damit zurück zu dem Paradies, aus dem wir vertrieben wurden. Peter Horten hat dies in einem wunderschönen Lied mit dem Titel „Zurück“ perfekt ausgedrückt (5).

Dabei ist der Rubikon bereits überschritten, der point of no return liegt hinter uns, es gibt kein zurück zur Natur sondern nur noch ein vorwärts zur Natur des Menschen. Aber wo finden wir diese Natur?

Team Mensch und der Garten des Menschlichen

In dem von Walter van Rossum moderierten Gespräch mit dem Titel „Durchs wilde Digitalien“ spricht Milosz Matuschek vom schlüsselfertigen Totalitarismus. Die neue Digitaltechnik bietet all das, was in den Dystopien „1984“ von George Orwell und „Schöne Neue Welt“ von Aldous Huxley noch Zukunftsmusik war. Damit wird der perfekte Überwachungsstaat möglich.

Was wäre der Gegenbegriff dazu? Können wir dem so etwas wie einen schlüsselfertigen Humanismus entgegensetzen und bietet der Garten des Menschlichen nicht den notwendigen Humus dafür. Können wir dort die unermesslich starken Keimlinge des Neuen einpflanzen, von denen Jean Gebser in seinem Werk „Ursprung und Gegenwart“ spricht?

„Wir können nur eins tun: In der Betrachtung aller Äußerungen unserer Zeit so weit und so tief vorzustoßen, daß uns die dämonischen und zerstörenden Aspekte nicht mehr bannen, so daß wir nicht nur sie sehen, sondern hinter und unter ihnen die unermeßlich starken Keimlinge des Neuen wahrnehmen, für das die einstürzende Welt den Humus liefert.“

Ist es nicht so, dass die magische Anziehungskraft der Marke Team Mensch auf einer verschütteten Erinnerung an die ursprüngliche Natur des Menschen beruht? Ist in unserem kollektiven Unbewussten eine Erinnerung an den Garten Eden, aus dem wir vertrieben wurden, eingepflanzt?

Egal wie wir es drehen und wenden, ohne die entsprechende Infrastruktur oder in den Worten von Kant ausgedrückt, ohne die Bedingungen der Möglichkeit werden wir es nicht schaffen, den Garten des Menschlichen angemessen zu bewirtschaften. Auch Sven Böttcher fragt gegen Ende des Gespräches mit Elisa Gratias: Warum sind die Bedingungen nicht einfach zum Menschlichen hin? Aber das Gespräch endet, ohne dass wir etwas über diese Bedingungen erfahren.

Und auch das Gespräch über das „Wilde Digitalien“ bietet keine Lösung an. Milosz Matuschek setzt auf die Bitcoin und die zugrunde liegende Blockchain-Technologie. Angeblich kann sich jeder innerhalb von drei Minuten ein Bitcoin-Konto anlegen, was nach einer schlüsselfertigen Lösung klingt. Aber selbst wenn das im Einzelfall zutreffen sollte, dann ist es noch ein weiter Weg hin zu einer schlüsselfertigen Team Mensch Infrastruktur.

Sven Böttcher kann sich ein alternatives Facebook vorstellen, das auf die echten Bedürfnisse der Menschen eingeht. Ein Facebook, das die realen Kontakte vor Ort fördert. Wenn ich weiß, welcher von meinen Freunden gerade im Kaffee sitzt, dann kann ich mich dazugesellen. Gerade wollte ich auf die von Tom-Oliver Regenauer geschaffene Facebook Alternative The Natwork hinweisen.

Beim Einloggen erhalte ich die Nachricht, dass diese Plattform Ende Mai geschlossen wird. Das ist kein Grund zum himmelhoch jauchzen, eher zum zu Tode betrübt sein. Auf der anderen Seite verweist es auf die Notwendigkeit einer umfassenden integralen Betrachtung. Hier gab es tatsächlich die schlüsselfertige Lösung für ein soziales Netzwerk, aber dieser einzelne Baustein reicht noch nicht aus, das schlüsselfertige Gebäude einer humanistischen Gesellschaft aufzubauen.

Team Mensch hic Rhodus hic salta

An dieser Stelle wollte ich unter der Zwischenüberschrift zu konkreten Vorschlägen übergehen. Doch der Schock der Nachricht zur Einstellung von The Natwork sitzt tief. Was soll man da noch wohlfeile Vorschläge in den digitalen Raum posten, wenn man so von der analogen Realität eingeholt wird? Es ist, wie wenn man kurz vor dem Ziel die Karte „Gehe zurück auf Start“ zieht. Alles beginnt von vorne, nach stundenlangem Rudern hat man sich nicht vom Fleck bewegt. Was bleibt, ist, die Hoffnung auf die vierte oder die fünfte Gewalt zu setzen. In der Neuen Debatte liest man dazu:

„Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt! Journalismus hat dann eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block — der vierten Gewalt.“

Tom-Oliver Regenauer schreibt zum Thema fünfte Gewalt:

„Selbstermächtigung ist ein Imperativ. Es gilt, nicht mehr nur die kritische Masse zu erreichen, sondern die Massen.“

Auch das Gespräch zwischen Elisa Gratias und Sven Böttcher endet mit dem Aufruf zu Selbstermächtigung, aber auch mit einem Seufzer:

„Eigenverantwortung ja, aber wieso sind denn die Bedingungen so, dass ich mich mit großer Kraft befreien muss, von Facebook und von Fast Food … Warum sind nicht die Bedingungen einfach zum Menschlichen hin.“

Damit erobert sich dieser Punkt — das Schaffen der Bedingungen — Platz 1 auf der To Do Liste von Team Mensch: Wir müssen die Bedingungen der Möglichkeit für die angestrebte Neue Gesellschaft aufbauen. Das aber schaffen wir nur als Team, nicht als Einzelkämpfer. Denn sonst würden wir nur bei der halb humoristischen Bedeutung von Team enden: Toll, ein anderer machts.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Hier geht es zu Teil 1 und hier zu Teil 2.
(2) RUBIKON: Im Gespräch: „Die Debatte um Team Mensch“ (Sven Böttcher und Elisa Gratias)


(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Sisyphos
herzustellen wünschten, gingen zuerst daran, daß sie ihr völkisches Leben in Ordnung brachten. Wollten sie ihr völkisches Leben ordnen, so fingen sie damit an, daß sie ihr häusliches Leben regelten. Wollten sie ihr häusliches Leben regeln, so begannen sie mit der Pflege ihres persönlichen Lebens. Wer sein persönliches Leben pflegen wollte, der fing damit an, daß er sein Herz festigte. Wer sein Herz festigen wollte, der schuf sich zuerst einen aufrichtigen Willen. Wer sich einen aufrichtigen Willen schaffen wollte, der gelangte zuvörderst zum Verständnis. Verständnis aber kommt vom Forschen nach der Erkenntnis der Dinge. Wenn die Erkenntnis der Dinge gewonnen ist, ist das Verständnis erreicht.
Ist das Verständnis erreicht, dann ist der Wille aufrichtig. Ist der Wille aufrichtig, dann steht das Herz fest. Steht das Herz fest, dann ist das persönliche Leben gepflegt. Wird das persönliche Leben gepflegt, so regelt sich das häusliche Leben. Ist das häusliche Leben geregelt, so herrscht auch Ordnung im völkischen Leben … Vom Kaiser bis zum gemeinen Mann ist die Pflege des persönlichen Lebens die Grundlage von allem. Ist die Grundlage unordentlich, dann kann der Oberbau nicht ordentlich sein. Nie hat es einen Baum gegeben, dessen Stamm schlank und dessen oberste Äste mächtig und schwer sind. Es ist eine Ursache und eine Folge in den Dingen, und in den Geschäften des Menschen gibt es Anfang und Ende. Die Ordnung der Reihenfolge kennen heißt den ersten Schritt zu Weisheit tun.
Lin Yutang (1895 bis 1976); Weisheit des lächelnden Lebens
(5) Zurück?
Meine Seele fror
Als ich sah
Daß Du nach langem
Schweigend schönem Aufstieg
An einer Gabelung
Den Weg zurück ins Tal
Du wähltest
Und es schien
Als sei das hart Erkämpfte
Dir auf einmal viel zu viel
Doch eine innre Stimme
Wärmte mich
Und ließ es mich verstehen
Und jetzt weiß ich
Daß wir zurück
In unsere alten Höhlen gehen
Wenn wir etwas vergessen haben
Um zu erlösen
Was sonst ja nur verlassen wäre
Und sei es nur
Der große warme Schal
Erfahrungsreiner Güte
Der jeden Gipfelsucher
Vor innerer Kälte schützen muß
Geht der Weg
Auch noch so steil nach unten
In Wahrheit
Gibt es kein Zurück
In dieser Welt
Auch die Erde kehrt nicht um
Wir gehen scheinbar nur zurück
Um uns noch besser auszurüsten
Und wenn zwei Menschen
Sich auch noch so sehr
Zu trennen scheinen ...
Am Ende
Warten wir doch alle aufeinander

(Peter Horton)


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