von Binoy Kampmark
Eine Berichterstattung und Kommentierung der Ermordung und des Aushungerns von Bevölkerungsgruppen in Echtzeit ist normalerweise nicht üblich. Die grausame Umsetzung dieser Art von Aktivitäten erfolgt (normalerweise) im Stillen und Geheimen. Im Gazastreifen finden diese Aktionen mit einer selbstbewussten, fast unverfrorenen Dreistigkeit statt.
Israel verfügt über die Mittel, die Waffen und die schiere Entschlossenheit für dieses Verhalten, und die Palästinenser im Gazastreifen haben nur wenige Möglichkeiten zu überleben. Die strategischen Ziele des jüdischen Staates, darunter beispielsweise die Vernichtung der Hamas, erwiesen sich in ihrer Unerreichbarkeit als absurd hinfällig. Gescheiterte Strategien einer De-facto-Annexion und Besatzung finden wieder Eingang in die Debatte zur nationalen Sicherheit.
In einer weiteren Verhandlungsrunde, diesmal durch eine Resolution der UN-Generalversammlung veranlasst, hört der Internationale Gerichtshof eine Reihe von Nationen und Organisationen (vierzig Staaten und vier internationale Organisationen) zu Israels vollständiger Blockade des Gazastreifens seit dem 2. März (2025) an. Inhalt des Verfahrens sind auch Israels Bemühungen, die Vereinten Nationen selbst anzugreifen — und hier vor allem die UNRWA als Hilfsorganisation, der vorgeworfen wird, die Palästinenser zu unterstützen.
Als Anwältin der Palästinenser fasste Blinne Ní Ghrálaigh die wesentlichen Missstände zusammen. Die Einschränkungen der „Grundrechte des palästinensischen Volkes, (Israels) Angriffe auf die Vereinten Nationen und auf Beamte, Eigentum und Geschäftsräume der UNO, seine vorsätzliche Behinderung der Arbeit der Organisation und sein Versuch, ein gesamtes UN-Unterorgan zu zerstören“, seien beispiellos „in der Geschichte der Organisation“. Solche Handlungen „widersprächen“ nicht nur „einem friedensliebenden Staat“, sondern seien „eine fundamentale Zurückweisung der in der Charta verankerten Verpflichtungen Israels gegenüber der Organisation an sich sowie gegenüber allen UN-Mitgliedern und dem Völkerrecht“.
Darüber hinaus hatte Israel alle wesentlichen Grenzübergänge in den Gazastreifen geschlossen und scheinbar geplant, „75 Quadratkilometer von Rafah, ein Fünftel von Gaza, per Annexion dauerhaft in seine sogenannte Pufferzone einzugliedern.
Zusammen mit Israels anhaltender Seeblockade schneidet dies Gaza und seine Bevölkerung von Direkthilfe und Unterstützung sowie vom Rest der Welt ab.“
Weiter dokumentiert der Vortrag von Ní Ghrálaigh das Leid der palästinensischen Kinder, von denen 15.800 ums Leben gekommen sind und Zehntausende weitere verletzt, vermisst oder traumatisiert wurden. Gaza war zur „Heimat der größten Gruppe amputierter Kinder weltweit“ geworden, „der größten Waisenkrise in der modernen Geschichte und einer ganzen Generation, die der Gefahr von Verkümmerung und Verkrüppelung ausgesetzt ist, mit nachfolgenden irreparablen körperlichen Beeinträchtigungen und kognitiven Defiziten.“
Südafrika, das bereits vor dem Gerichtshof eine Klage eingereicht hat, in der Israel der Verletzung der UN-Völkermordkonvention beschuldigt wird, verwies auf das internationale Verbot von „Aushungern als Methode der Kriegsführung, auch unter Belagerung und Blockade“. Sein Vertreter Jaymion Hendricks bestand darauf, dass Israel „das gesamte Arsenal der Hunger- und Aushungerungsmethoden“ gegen „die geschützte palästinensische Bevölkerung, die es unter rechtswidriger Besetzung hält, angewandt hat“. Die Entscheidung, die UNRWA und einschlägige UN-Einrichtungen auszuweisen, solle rückgängig gemacht und der Zugang zu Nahrungsmitteln, Medikamenten und humanitärer Hilfe wiederhergestellt werden.
Zane Dangor, Generaldirektor des südafrikanischen Ministeriums für Internationale Beziehungen und Zusammenarbeit, deckte in einer erschütternden Stellungnahme vor dem Gericht auf, dass die Grausamkeiten einem Plan folgen.
„Das System der humanitären Hilfe steht vor dem Kollaps. Dieser Kollaps ist gewollt.“
Israels Antwort, die bezüglich der Verpflichtungen gegenüber dem humanitären sowie dem Völkerrecht zunehmend wütend ausfiel, formulierte Außenminister Gideon Sa´ar am deutlichsten. Er kündigte an, Israel werde nicht an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen, die als „Zirkus“ verhöhnt werde, und bekräftigte erneut die seit Langem vertretene Position, die UNRWA sei „eine Organisation, die irreparabel von Terrorismus infiltriert“ sei. Gerichte würden wieder einmal dafür missbraucht, „zu versuchen, Israel dazu zu zwingen, mit einer Organisation zusammenzuarbeiten, die von Hamas-Terroristen infiltriert ist — und das wird nicht geschehen.“
Darauf folgte ein aufgeregtes Durcheinander von Beschuldigungen, die schamlos an Émile Zolas „J’Accuse (Ich klage an)“-Notiz erinnerten, die er während der Erschütterungen der Dreyfus-Affäre verfasste:
„Ich klage die UNRWA an. Ich klage die Vereinten Nationen an. Ich klage den Generalsekretär an, ich klage all jene an, die das Völkerrecht und seine Institutionen instrumentalisieren, um Israel, dem am meisten angegriffenen Land der Welt, sein grundlegendstes Recht auf Selbstverteidigung zu verweigern.“
Auch Amir Weissbrod vom israelischen Außenministerium bekräftigte die anhaltende Anschwärzung der UNRWA, indem er die Behauptung wiederholte, sie beschäftige 1.400 Palästinenser mit militanten Verbindungen. Zudem hätten manche von ihnen bei den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mitgewirkt. Dass (nur) eine so geringe Anzahl teilgenommen hatte, war an sich verblüffend und und rechtfertige nicht die gegen sie gewandte schonungslose Kritik. Aber Israel gelüstet es bis heute, eine Organisation auszuweisen, die eine an eine andauernde, ruchlose Politik der Unterdrückung und Enteignung anklagend erinnert.
In ihrer bewegenden Ansprache vor dem Gericht bat Ní Ghrálaigh die Richter dringend, Israel anzuweisen, die Einfuhr von Hilfsgütern nach Gaza zu erlauben und die Büros der UNRWA wieder zu öffnen.
Dies würde das Völkerrecht — ein Schiff, das durch den grausamen Krieg in Gaza vom Kurs abgekommen war — wieder auf den rechten Kurs bringen. Die kalte, etwas fanatische Reaktion der israelischen Funktionäre auf dieses Verfahren in Den Haag lässt vermuten, dass die Verankerung internationaler Verpflichtungen, insbesondere in Bezug auf palästinensische Zivilisten, nicht vorgesehen ist.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The ICJ, Israel and the Gaza Blockade. 15,800 Palestinian Children Have Perished“. Er wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.

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