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Du bist kein Schaf

Du bist kein Schaf

Die Poetik-Ecke XIII stellt politische Lyrik aus Sachsen vor, die spielerisch die Deformation der Sprache und die Deformation durch Sprache demaskiert.

Aus „Lieder für Menschen“

Enthüllungen eines guten Menschen

Einige meiner Freunde sind Männer.
Einige meiner Freunde essen Fleisch.
Einige meiner Freunde sind reich und —
einige sind zudem weiß.
Und — jetzt pass auf! — seit neustem
hab‘ ich sogar einen ungeimpften Freund.
Er lacht und er weint ganz genauso wie ich,
fast könnte man meinen, er fühle wie ich —

Nur eins bereitet mir Kummer:
Präsentieren kann ich ihn nicht.
Aber sind wir zwei ganz alleine im Haus,
dann hol‘ ich ihn gerne zum Spielen heraus:
Und wie possierlich er argumentiert!
Und wie köstlich er mich amüsiert.
Er spricht von Freiheit genauso wie ich,
fast könnte man denken, er sei Mensch wie ich —
Böse Zungen behaupten zwar, er
wäre völlig imaginär:
Auf Instagram fehlt von ihm jede Spur,
doch weiß ich sicher, sie beneiden mich nur —
Es rührt mich selbst, wie barmherzig ich bin.
Gewiss — das gelingt nur denjenigen,
die die Welt schon ganz verstanden haben;
welch‘ Triumph, einen solchen Freund zu haben!

Integriert

Wissen Sie, mein Mann ist nicht gut integriert,
das muss ich leider gestehen.
Zwar hat er alle Sprachkurse absolviert,
doch als integriert kann man ihn nicht ansehen.

Ja, ganz im Vertrauen, selbst nach so vielen Jahren
fällt er jedes Mal auf, sobald er nur spricht.
Die Lehrer beteuern, dass sie es nicht waren!
Denn an der Aussprache hapert es nicht.

Und auch sein Satzbau ist wirklich passabel
und der Wörter kennt er zuhauf,
letztens schrieb er sogar ‘ne Parabel —
Warum er nicht deutsch klingt? Nun, passen Sie auf.

Stets, wenn wir Nachrichten hör‘n oder schauen
— wirklich, ich weiß nicht, woher er das hat! —,
warnt er, man könne der Regierung nicht trauen,
seufzt tief und flüstert: „Genau wie Assad.“

Und wenn die Regierung uns Freiheiten nimmt,
natürlich zu unserem Besten,
da möchte er schreien, sodass alle es hören:
Es lebe der glorreiche Westen!

Ich habe ihn zu beruhigen versucht,
ihm geraten: Lass doch das Denken!
Doch er hat aus tiefster Seele geschluchzt:
„Nie mehr werde ich mein Haupt senken.
Ich bin so frei wie der Falke, der fliegt,
und im Leben lass‘ ich mich nicht lenken!“

Da endlich wurde mir alles klar
und heute sag ich‘s mit Stolz:
Ob Machtmissbrauch, Krieg oder neuer Erreger,
integriert ist er nicht, na und, was soll‘s?
Weitaus besser:
er ist integer.

Du bist kein Schaf

Du bist kein Schaf.
Die Herde ist nicht da zu deinem Schutz
und um dich schleichen keine Wölfe.

Du bist ein Mensch!
Ein Schrei war dein Beginn in dieser Welt
und bis für dich der Vorhang fällt,
so bist du frei und deine Wut
wird Samen sein.

Aus dem „Zyklus Krieg“

Tag 1

Die Tür öffnet und schließt sich.
Ein kleiner Mann tritt ein, er
Stellt sich an die Fensterbank
Hinter ihm Beton und
Unter ihm Asphalt, und

Stacheldraht so weit
Die Gedanken reichen.

Neulich war da eine Frage

Der Denunziant

Er ist ein kerngesunder Mann.
Das sieht man ihm von Weitem an.
Stolziert gern in der Stadt umher
und wenn es bloß noch Mode wär,
würd‘ er sogar den Hut auch lüften
— nur tät‘ es aktuell nichts nützen,
weil alle Leut‘ zuhause sitzen.

Er hat ein altehrwürdig‘ Amt
— welches genau ist nicht bekannt —
und um ihn her ist stets ein Flair
von Eleganz.
Gern ruft er Frauen hinterher,
sie sollten nicht so rennen.
Er als Instanz.

Er hat studiert. Vierzehn Semester.
Drum weiß er — logisch — alles besser,
und wie er so flanieren geht
und alles um ihn rum versteht,
gelangt er plötzlich an ‘nen Zaun.
Erst traut er seinen Augen kaum:
Dahinter haben Leute Spaß!
Und um sie rum wächst wild das Gras,
da fliegen Bälle und Ballons,
die Kinder jauchzen Marathon,
da wird gestritten und gelacht
und es ist laut — und das um Acht!

Er bleibt verdutzt erst einmal stehen
und tupft den Schweiß von seiner Stirn.
So kann es, klar, nicht weitergehen.
Indes kramt er in seinem Hirn:
Was stört mich an der Szene so?
Ein Zweifel keimt: Bin ich nicht froh?
Und müsste ich sie dann beneiden?
Spaß habe ich ja selber keinen.

Es hat sich nämlich leider so:
Indem er ja ein Amt bekleidet,
ist ihm sein Lebenswerk verleidet,
wenn And‘re alles, was er ist,
— vor allen Dingen Stil und Pflicht —
durch ihre Art in Frage stellen;
als wäre Seinesgleichen nur
Blockade ihrer Frohnatur.

Doch statt in Folge tief zu sinnen:
Was könnte mir denn Freude bringen?
Schaut er zurück in jenen Garten,
erblickt die Hacke und den Spaten
und dies sind Waffen, das ist klar
(War denn die Polizei nicht da?);
und obendrein die Gartenhecke!
Sie ist zu hoch! Zu welchem Zwecke?
Doch sicher, um die illegalen Taten
nicht zu verraten.

Doch bange nicht, oh Vaterland!
Denn unser Herr ist Denunziant.
Und sieht er Leute, die befreit
von Fesseln zu sein er vermeint,
wird er die eigenen
verteidigen.
Schon ist das Telefon zur Hand.

Und er verlässt den grünen Ort.
Spaziert ein Weilchen hier und dort.
Im Hintergrund hört er Sirenen:
Was für ein Wohlklang, welcher Segen!
Der Frieden in ihm hergestellt.
Ein Hoch auf diese schöne Welt!


Quellen und Anmerkungen:

Bis auf das Gedicht „Der Denunziant“ entstammen die Texte dem Band „Nestflucht“. Die Autorin lebt in Sachsen und schreibt unter dem Pseudonym Laura Fuchs Kurzgeschichten und derzeit einen Roman. „Nestflucht“ ist ihre erste Veröffentlichung. Kontakt: laura.fuchs@mailbox.org.


Der Gedichtband kann hier bestellt werden.


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