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Es lebe die Nachbarschaft!

Es lebe die Nachbarschaft!

Krieg und Frieden werden auch in einem Winzerdorf in Südfrankreich verhandelt.

Da parkt jemand vor meiner Haustür, auf meinem Platz! Schlimmer noch: Er tut es absichtlich! Wie eine heile Welt aufgerüttelt wurde und sich wieder beruhigte.

Dort, wo ich lebe, passiert nicht viel: Ein kleines, verschlafenes Dorf im Süden Frankreichs. Eine Weinkooperative, drei unabhängige Winzer, zwei Bushaltestellen, ein Rathaus, eine alte Burg, eine Kirche, ein Briefkasten. Das Projekt „Brotautomat“ wurde wegen mangelnder Nachfrage wieder aufgegeben. Am Freitag kommt der Austernwagen und ein Mal im Jahr gibt es für alle Dorfbewohner Lamm am Spieß auf dem Platz vor der Kirche. Hier wohne ich.

Meistens geht es friedlich zu. Alteingesessene und Neuankömmlinge legen Wert auf eine gute Nachbarschaft. Ich auch. Im Sommer gibt es Gartenpartys, Silvester ziehen die Leute vom Platz von Haus zu Haus und das ganze Jahr über laden wir uns gegenseitig zum Aperitif ein. Aus diesem Idyll heraus schreibe ich meine Bücher und schicke ich meine Artikel an den Rubikon, um anderen Menschen Mut zu machen, in einer in Aufruhr geratenen Welt den Kopf über Wasser zu halten.

Stolpersteine

Seit kurzer Zeit jedoch gibt es vor meiner Haustür ein Problem: Regelmäßig parkt jemand dort, der nicht dorthin gehört. Denn hier parke ich. Der Platz vor dem Eingang zum Haus gehört zwar nicht mir. Doch bisher gehörte es zum guten Ton, sich nicht genau beim Nachbarn vor die Tür zu stellen. Es gibt genug andere Plätze. Meistens.

Nun aber bricht einer die unausgesprochene Regel und fährt seinen Transporter rückwärts in meinen Oleanderbusch, damit keiner die Türen hinten aufmachen kann. Das Lenkrad wird durch ein Lenkradschloss blockiert. In einem Sechshundert-Seelen-Dorf! Daran sieht man schon, dass etwas nicht stimmt.

Wenn ich vollbepackt vom Einkaufen komme oder nach einem langen Tag erschöpft vorfahre, steht da dieser weiße Transporter. Ich muss mir irgendwo anders im Dorf einen Platz suchen und meine Taschen durch die Sommerhitze schleppen. Argwöhnisch beäuge ich den Fahrer. Was hat der zu verbergen? Wovor hat der Angst? Ist der sozialgestört oder einfach nur blöd?

Gescheiterte Kommunikationsversuche

Ich versuche es mit Freundlichkeit, als ich zufällig seine Frau auf dem Platz sehe: Würden Sie bitte ... die Blumen ... ist ja jetzt umständlicher für mich ... Tags darauf steht der vor meinem Haus und sagt meinem Mann, dass ich seine Frau angegriffen habe. Im Übrigen dürfe er da parken, wo er will.

Nichts zu machen also. Oder doch? Ich versuche es mit noch mehr Freundlichkeit und klemme ihm ein Papier hinter den Scheibenwischer auf die Windschutzscheibe, auf dem ich ein großes Merci! mit einem Herz umrandet habe. Peace and Love. Am nächsten Morgen klebt derselbe Zettel auf der Windschutzscheibe des Autos von meinem Mann. Jetzt fühle ich mich blöd.

Verteidigungsstrategien

Ich spreche mit den anderen Nachbarn. Diese Leute scheinen unberechenbar zu sein. Der von der alten Schmiede steht kurz vor dem Bankrott, weil er solchen Ärger mit denen hat. Aha, die parken also nicht nur egoistisch. Die Kusine kommt weniger, weil die die überhaupt nicht mehr ausstehen kann. Dann mag selbst die eigene Familie die nicht. Madame schmeißt ihre ganzen Kippen in das Beet mit dem Olivenbaum. Die Nachbarn mögen die also auch nicht.

Ich fühle mich in meiner Aufgebrachtheit bestätigt. Bei denen ist also wirklich nichts zu machen. Immer argwöhnischer achte ich darauf, ob der Platz vor meiner Haustür belegt ist. Ist er es nicht, parke ich schnell mein Auto um und besetze ihn. Dann muss der ja woanders parken. Ich muss aus dem Fenster gucken, meine Arbeit unterbrechen, meine Schlüssel suchen, mir Schuhe anziehen und mein Auto holen. Und das bei der Hitze. Es fängt an, richtig anstrengend zu werden.

Mein Aggressionspegel steigt. Ich habe Visionen von aufgestochenen Reifen, ausgebreitetem Müll vor deren Haustür und einer vereinten Nachbarschaft, die denen die Leviten liest. Ich denke darüber nach, einen schweren Gegenstand auf dem begehrten Platz abzuladen. Dann kann der da nicht parken. Ich aber auch nicht. Wenn das Auto auf dem Platz steht, frage ich mich, ob ich es denn wirklich brauche, oder ob es besser ist, zu Hause zu bleiben, um den Platz zu blockieren. Am besten bleibe ich immer dort stehen und gehe zu Fuß. Oder überhaupt nicht mehr aus dem Haus.

Die Ärmel hochkrempeln

Da bin ich aufgewacht. Nicht aus einem Traum, denn diese Nachbarn gibt es wirklich. Ebenso wie meine Rachegedanken.

Mir ist plötzlich klargeworden, wie Fehden beginnen, die ein ganzes Dorf, ja ganze Nationen mitreißen können. Der hat mich beleidigt! Oder: Der tritt meine Prinzipien mit Füßen! Oder schlimmer: Der missachtet das, woran ich glaube!

Eine Redakteurin der Mutredaktion als Kriegstreiberin!? Meine Gedanken zu Paradiesen, Drachen und Rittern – nichts als Märchen? Mein Appell, dem Krebsmonster friedlich zu begegnen – eine Farce? Meine Ermutigungen, frei und authentisch zu leben, dankbar zu sein und Vertrauen zu fassen, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, einander mit Respekt zu begegnen und vor allem bei sich selbst anzufangen, wenn man etwas verändern will – die Selbstlüge einer vor der realen Welt flüchtenden Fabuliererin?

Das geht nicht. Ich meine es ja ernst mit dem, was ich schreibe. Alles, was ich hier von mir gebe, erlebe ich wirklich so. Also muss ich mir jetzt wohl oder übel die Ärmel hochkrempeln und ran an die Mistgabel. Nicht, um den ganzen Dreck dem Nachbarn vor die Tür zu schippen. Den kriege ich sowieso nicht geändert und ich fürchte, dass er mehr Phantasie und Durchhaltevermögen hat als ich, anderen das Leben schwer zu machen. Es geht um mich. Ich muss bei mir anfangen, auszumisten.

Die Reaktionsketten lösen

Ich mag es gern, die Dinge zu „entschlüsseln“. So habe ich es auch bei meiner Krankheit versucht: Was will ein bestimmtes Ereignis mir sagen? Das ist viel spannender und ergiebiger, als mir zu überlegen, wie ich den anderen nur dazu bringen kann, sich so zu verhalten, wie es mir passt. Außerdem bin ich mit dieser Fragestellung bedeutend freier. Ich hänge dann nicht mehr von den von mir als solche interpretierten „Angriffsmanövern“ der anderen ab, sondern kann selbst machen, was ich für richtig halte.

Da parkt also jemand vor meiner Haustür und respektiert eine unausgesprochene Regel für gutes Zusammenleben nicht. Es entsteht mir dadurch kein wirklicher Schaden. Ich muss mich manchmal nur etwas mehr bewegen. Das will ich ja eigentlich sowieso, weil ich eh finde, dass ich zu viel am Schreibtisch sitze. Und: In meiner Umgebung bin ich nicht die einzige, die sich von diesen Menschen nicht respektiert fühlt. Ich kann also davon ausgehen, dass er es nicht auf mich abgesehenen hat.

Damit bin ich ein ganzes Stück weiter und auch schon etwas weniger aufgebracht.

Der handelt also gar nicht so, weil er mir eins auswischen will, sondern weil er vielleicht einfach nicht anders kann. Gut geht es ihm dabei sicher nicht, sonst würde er sich nicht so verhalten. Er steckt vielleicht so sehr in irgendwelchen Ängsten und Zwängen fest, dass es ihm gar nicht wirklich auffällt, was er da bei anderen auslöst.

Das soll nichts entschuldigen. Aber das bringt mich ihm irgendwie näher. Denn das kenne ich von mir selbst.

Vor der eigenen Haustür kehren

Wenn ich ehrlich bin, kann auch ich bisweilen so sehr in einer fixen Idee feststecken, dass ich gar nicht sehe, was das für Auswirkungen auf andere hat. Ich weiß auch, wie es ist, Angst zu haben und sich um etwas zu sorgen. So kann ich den blöden Nachbarn als Menschen in seiner Verletzlichkeit sehen, nicht mehr nur als einen, der mir auf den Nerven herumtrampelt. Ich bekomme Abstand von dem Ärgernis und sehe, dass sich die Welt nicht um mich dreht. Jeder von uns steckt auf seine Weise in irgendetwas fest.

Wo klemmt es denn eigentlich gerade bei mir? Wie sieht es also auf der anderen Seite der Haustür aus? Respektieren die Hausbewohner gerade ihre eigenen „unausgesprochenen Regeln für gutes Zusammenleben“? Sollte da vielleicht einmal etwas ausgesprochen und anders geregelt werden? Mit diesen Fragen drehe ich mich nicht mehr darum, wie blöd sich der andere verhält, sondern bin bei mir.

Während ich die Ereignisse sowieso nicht so hingebogen bekomme, wie ich es für richtig halte, kann ich an meinem eigenen Verhalten sehr wohl etwas verändern. Zum Beispiel, mich einmal mit denen zusammensetzen, die mit im Haus wohnen und darüber sprechen, wie es jedem damit gerade so geht. Wer weiß, vielleicht verhindere ich damit, dass ein ganzes Dorf gegeneinander in die Schlacht zieht ...

Das tat gut! Und wissen Sie was? Der Nachbar hat schon eine ganze Weile nicht mehr vor meiner Haustür geparkt!


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