Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Journalistisches Marionettentheater

Journalistisches Marionettentheater

Unverfroren demonstriert ARD-aktuell mit ihren Venezuela-Berichten Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht.

Inzwischen kann die Tagesschau schon mal richtig loslegen. Und zwar so: Der „international anerkannte Übergangspräsident“ Guaidó. Die Formel löst in typischer ARD-aktuell-Manier ein kleines Problem: Das Wort „international“ verdeckt nämlich elegant, dass eine beträchtliche Mehrheit der Völkergemeinschaft den Quisling Guaidó als Produkt aus dem US-Geheimdienstlabor für völkerrechtswidrigen regime change betrachtet (3) und weit davon entfernt ist, ihn formell anzuerkennen. Nicht mal die EU-Mehrheit hat sich bis dato dazu bereit gefunden, auch wenn ARD-aktuell das ständig zu soufflieren versuchte.

Binnen kurzem wird die Tagesschau ganz unauffällig für Guaidó den Dauertitel „Interimspräsident“ verwenden. Das klingt vornehm und ist nicht so umständlich wie „international anerkannter Übergangspräsident“, und viele Zuschauer wissen eh nicht so genau, was das eigentlich heißen soll. Wetten?

So, lieber Nachbar, nach diesem kleinen Schlenker können wir uns kurz deinem Parteigenossen Heiko Maas widmen. Für manche Leute ist er der größte Außenminister aller Zeiten, für Normalos — noch rechnen wir auch dich dazu — der größt-anzunehmende Unfall der deutschen Diplomatie.

Tja, da stehste als Soozi machtlos vis-à-vis, gelle? Aber komm erst mal rein, nimm vor der Wunderlampe Platz! Betrachten wir gemeinsam, wie Häuptling Große Klappe öffentlich den Abschied von seinem restlichen Kleinvorrat an politischer Logik zelebriert. Am 4. Februar 2019, nach ergebnislosem Ablauf seines großkotzigen Ultimatums gegen Präsident Maduro, tönte er wortwörtlich:

„Ich bin fest davon überzeugt, dass den (sic) internationalen Druck, den es gibt, auch insbesondere aus Europa, mit dazu beiträgt, dass es zu keiner Gewalt kommt“ (4).

Das ließ ihm die Tagesschau samt verkorkster Grammatik tatsächlich durchgehen, ohne einordnend darauf hinzuweisen, dass er nicht zuletzt mit seinem Ultimatum alle erdenklichen US-Gewaltmaßnahmen mitgemacht hatte, bis hin zur wirtschaftlichen Erpressung. Die Tagesschau verschwieg, dass er als Einpeitscher auf der europäischen Sklavengaleere eine tiefe Spaltung der Europäischen Union herbeigeführt hatte: Nicht einmal die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten hat seine völkerrechtswidrige Anerkennung Guaidós mitmachen wollen. Darauf kommen wir später nochmal zurück, man soll ja den Tag nicht vor dem Abend loben.

Du fragst dich, was wohl das Motiv sein könnte, dass Soozi Maas dem US-Präsidenten Trump so ultimativ von hinten nahe kam? Hat er doch gesagt: wegen „Demokratie als solche“! Macht sich immer gut, wenn ein Soozi sich für Volksherrschaft einsetzt. Das wissen wir spätestens, seit Gustav Noske und Friedrich Ebert auf deutsche Arbeiter schießen ließen.

Du nimmst dem Heiko das nicht ab? Freilich, man muss kein Bäckermeister sein, um zu wissen, wie eine verschimmelte Semmel aussieht. Und kein Proktologe, um ein Arschloch zu erkennen. Aber Gutester, versteh doch bitte: Wenn man, wie unser Außenminister, ums Verrecken einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat erschleichen will, dann macht man auch vorm US-präsidialen Hinterausgang nicht halt, sondern widmet sich der praktischen Anwendung der deutschen Staatsraison.

Dergleichen peinliche Strategien übergeht die ARD-aktuell und schaut vornehm weg. Lieber Nachbar: Nimm die Küchenuhr zum Messen der Schamfrist, die noch verstreichen muss, ehe die Abendnachrichten in der Wunderlampe vom „Machthaber Maduro“ reden. Ganz im Sinne der Bundeskanzlerin Merkel und ihres Außenministerdarstellers Maas. Damit die Beiden wegen ihrer aggressiven Politik keinen Ärger an ihrer Heimatfront bekommen, serviert ARD-aktuell der deutschen Wählerschaft gern verführerische Qualitätsjournalistenklopse. Rund um die Uhr.

Kleiner Blick zurück, auf das Wochenende vor dem Ablauf des deutschen Venezuela-Ultimatums: Das ARD-Morgenmagazin strahlte am Montag, 4. Februar 2019, schnell noch einen Bericht über die Massendemos in Caracas aus (5). Autorin und ARD-Studioleiterin in Mexico-City, Xenia Böttcher:

„ ...Gestern zeigt das Staatsfernsehen Bilder, die glauben lassen, der zentrale Boulevard sei überfüllt mit Maduro-Unterstützern. Doch Videos der Anwohner und Augenzeugen zeichnen ein anderes Bild. Und gekommen sind vor allem Staatsbedienstete, die Linken und andere, die die Staatsregierung herbeibeordert hatte.“

Böttchers Agitations- und Fälschungsabsichten in diesem verlogenen Bubenstück sind unverkennbar. Beweislos behauptet die Qualitätsjournalistin, an der Pro-Maduro-Demo hätten bloß ein paar tausend herbeibeorderte Staatsbedienstete teilgenommen, es seien weit weniger Unterstützer gewesen als vom „Staatsfernsehen“ gezeigt. Das konnte die weitsichtige ARD-Frau von ihrem 3000 Kilometer entfernten Büro in Mexico-City aus einwandfrei erkennen.

Mit solchen Ferndiagnosen weist die hoch bezahlte ARD-Auslands-Journaille ihre Existenzberechtigung nach. Böttcher zeigt in ihrem aus Fremdmaterial zusammengeschnippelten Streifen einen vergnügt grinsenden Minderjährigen, der von einem unbekannten Reporter nach dem Grund seiner Anwesenheit gefragt wird und übersetzt die Antwort des Rotzlöffels so:

„Warum ich Maduro unterstütze? Weil er uns gezwungen hat.“

Du willst wissen, was von solchem Schweinejournalismus zu halten ist? An dieser Stelle geben wir der hohen Trefferdichte halber an eine fachkundige Kollegin ab, die an die Rubikon-Redaktion schrieb, als ihr der Kragen geplatzt war:

„Da wird uns weisgemacht, dass die Massen für Maduro inexistent waren, und zwar mithilfe eines wackeligen ultrakurzen Handyvideos, angeblich von Anwohnern der zentralen Avenida zum Zeitpunkt der Demo aufgenommen. Man sieht nichts Genaues, und es ist nicht nachvollziehbar, ob dieses Video die betreffende Avenida überhaupt zeigt, zu welcher Zeit es aufgenommen wurde, ob es wirklich von Anwohnern stammt, wie glaubhaft die sind, etc. Und dann zerren sie als einzigen Kronzeugen ein Kind vor die Kamera — ich habe gelernt, dass man so nur Volljährige filmen darf — in meinen Augen war das ein Kind, womöglich aus wohlhabenden und daher pro-Guaidó Verhältnissen.

Das Mikro, in das der Junge sprach, war kein ARD-Mikro, sondern stammte von einem mir unbekannten Sender — alles war offensichtlich geklammert aus Fremdmaterial. Wozu hat die ARD Korrespondenten in aller Welt, wenn es offensichtlich zu viel verlangt ist, sie an den Ort des Geschehens zu schicken und sich dort für die Zuschauer selbst ein Bild zu machen und Eindrücke zu verschaffen?“

Gute Frage. Aber lassen wir erst mal Xenia Böttcher weiter zu Wort kommen. Ihr O-Ton auf dem miesen kleinen AgitProp-Filmchen bringt ihr sicher Punkte bei den Vorgesetzten:

„Anders bei seinem Herausforderer, dem selbsternannten Übergangspräsidenten Guaidó. Es heißt, 80 Prozent der Venezolaner wollen den Regierungswechsel, mit internationaler Unterstützung, aber ohne eine Intervention der USA ...“

Belegen kann sie diese abenteuerliche Zahlenangabe natürlich nicht. Deshalb formuliert eine vollwertige ARD-Schmierenjournalistin einfach: „Es heißt, 80 Prozent ...“ Für „es heißt“ braucht man keinen Quellennachweis zu führen.

Und damit wären wir wieder bei der indirekten Beantwortung der zitierten Kolleginnenfrage. 80 Prozent der Venezolaner gegen Maduro? Stuss, reine Erfindung, wie eine Recherche bei der Fachredaktion „Amerika21.de“ zeigt. Sie verweist auf eine aktuelle, qualifizierte Veröffentlichung (6), wonach 78 Prozent der Befragten gegen jede Form ausländischer Einmischung in ihre Angelegenheiten sind. 81 Prozent lehnen die US-Sanktionspolitik ab, mit der Maduro zum Rücktritt gezwungen werden soll. 86 Prozent sind gegen eine ausländische Militärintervention in Venezuela. 84 Prozent wollen einen Dialog zwischen Regierung und Opposition.

Dialog? Den freilich lehnt der „Gegenpräsident“ von Washingtons Gnaden, Guaidó, entschieden ab (7).

Soweit die von ARD-aktuell sorgfältig verschwiegenen Fakten. Der berufsethisch verkommene Laden in Hamburg-Lokstedt konnte am 4. Februar 2019 nicht einmal sauber berichten, wie viele EU-Mitgliedsregierungen sich eigentlich an der formellen Anerkennung Guaidós und damit an der Stiefelleckerei beim imperialen US-Trump beteiligt hatten. Mittags hieß es „alle bis auf Italien“, in der 17-Uhr-Tagesschau war von der „Bundesregierung und sieben weiteren EU-Regierungen“ die Rede (8), in der 20-Uhr-Ausgabe hieß es „... insgesamt 13 europäische Staaten“ (9). Ohne Hinweis darauf, dass Europa aus 47 Ländern besteht und die EU immerhin aus 28!

Einräumen muss man freilich, dass auch in der EU der demokratische Anstand und die strikte Beachtung des Völkerrechts erodieren. Kann durchaus sein, dass in nächster Zeit noch mehr Regierungschefs den Maas machen.

Systematische Desinformationsarbeiter in den Massenmedien nehmen die Unstimmigkeiten und Widersprüche aber locker in Kauf. Es ist müßig, sie an Gesetzesgrundlagen zu erinnern, die sie mit ihrem Qualitätsjournalismus längst nicht mehr respektieren. Zitat aus dem Rundfunkstaatsvertrag für die ARD:

„Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen“ (10).

Wir aber, lieber Nachbar, wollen uns und alle unsere Freunde immer wieder daran erinnern, was eigentlicher Zweck des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist — und weshalb wir uns unter keinen Umständen für dessen Abschaffung einsetzen, sondern für seine Wiederherstellung. Für seine Erneuerung an Haupt und Gliedern.

„Venezuela: Warum informieren die Medien nicht über das Völkerrecht?“ (11).

fragt das Schweizer Internet-Blog „Infosperber“, und damit kommen wir endlich auf den Kern der Problematik: Die korporierten Massenmedien, inklusive unsere öffentlich-rechtliche Regierungströte ARD-aktuell, täuschen zwanghaft darüber hinweg, dass die USA in Caracas putschen lassen und dass Washingtons Vasallen in Lateinamerika — und in der Europäischen Union — die unerhörte Einmischung unterstützen. Der Völkerrechtsbruch ist evident, aber die Nachrichtenschreiber vermeiden peinlichst, darüber sachgemäß und wahrheitsgetreu aufzuklären.

Der Propagandakrieg des Westens zielt nicht nur darauf ab, diesen oder jenen Präsidenten, Maduro oder Putin, Xi oder Kim, als das personifizierte Böse darzustellen beziehungsweise vollends abzusägen. Die weitergehende Absicht ist, totale Verunsicherung zu erzeugen, so dass am Ende niemand mehr irgendeinem irgendetwas glaubt. Eine Gesellschaft der Orientierungslosen ist einfacher beherrschbar.

Ähnlich, wie Kriege nicht mehr für den Sieg einer Nation über eine andere geführt werden, sondern zwecks Chaotisierens einer ganzen Region, die dann von der internationalen Kapitalelite hemmungslos ausbeutet wird, geht es im AgitProp-Krieg um die Zerstörung von Wertvorstellungen und Wertmaßstäben. Der Rechtsnihilismus wird zur Normalität erhoben, Orientierungslosigkeit zum Regelfall.

Am Ende kann beispielsweise die Tagesschau schamfrei einen Regierungssprecher in Berlin mit der Bemerkung zitieren, er wisse nichts Genaueres von Verfassung und Wahlsystem Venezuelas, aber Maduro müsse zurücktreten und Neuwahlen ausschreiben, weil seine Präsidentschaft nicht legal sei. Der Sprecher muss nicht fürchten, dass die Journaille ihn und seinen Dienstherrn dafür öffentlich schlachtet.

Die ARD-aktuell unterschlug (nicht nur) in der Venezuela-Berichterstattung schon ungezählte Informationen, die im Sinne ihres gesetzlichen Programmauftrags unerlässlich gewesen wären. An erster Stelle: Der Hinweis auf die Verpflichtung aller Staatsführungen zu friedlicher Konfliktlösung und das Verbot der Gewaltandrohung, verankert in der Charta der Vereinten Nationen:

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ (12).

Wie oft hat die Tagesschau berichtet, das Europäische Parlament habe mit großer Mehrheit beschlossen, den venezolanischen Oppositionsführer Guaidó als Übergangspräsidenten Venezuelas offiziell anzuerkennen? Lieber Nachbar, kannst du dich an irgendeine einschränkende Zusatzinformation erinnern, dass das großartige EU-Parlament keinerlei außenpolitische Kompetenz hat und dass für die Außenpolitik ausschließlich die nationalen Regierungen sowie ihr „Europäischer Rat“ zuständig sind? Nein? Eine solche Ergänzung gab es auch nicht, obwohl die Tagesschau doch verpflichtet ist, sachlich und umfassend zu unterrichten, so dass jedermann/frau befähigt wird, sich eine qualifizierte eigene Meinung zu bilden.

Es fehlte zudem eine Anmerkung, dass im internationalen Umgang nicht Personen anzuerkennen sind, sondern ausschließlich Staaten, und dass es allenfalls Sache des Weltsicherheitsrates wäre, festzustellen, ob eine Regierung legal im Amt ist oder nicht. Konsequenterweise unterschlug die Tagesschau die Nachricht, dass UN-Generalsekretär António Guterres Zurückhaltung anmahnte, zum Dialog mit der rechtmäßigen Regierung in Caracas aufrief (13), und dass der Weltsicherheitsrat die Forderung Washingtons nach Anerkennung des selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó am 27. Januar 2019 abgelehnt hat (14).

Laufend wiederholt die Tagesschau das penetrante Mantra reaktionärer Regime-change-Politiker von Trump über Pompeo und Merkel bis Maas, dass Maduros Wiederwahl „undemokratisch und illegal“ gewesen, er also nicht der legitime Präsident Venezuelas sei. Sie verlor bisher kein Wort darüber, dass in Venezuela ein außerordentlich transparentes, technisch ausgefeiltes und sicheres Wahlsystem gilt, so dass in den vergangenen 30 Jahren niemals der Vorwurf einer Wahlmanipulation erhoben wurde, ganz anders als in den USA und vielen anderen lateinamerikanischen Staaten.

Kein Wort also darüber, dass Maduro vor gut einem Jahr formal vollkommen korrekt mit 67,8 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden ist, bei allerdings nur knapp 48 Prozent Wahlbeteiligung, weil die traditionell zerstrittene Opposition sich nicht auf einen Gegenkandidaten verständigt und deshalb die Wahl boykottiert hatte (15). Kein Tagesschau-Hinweis, dass es typisches Oppositionsgeschwätz ist, die schwache Wahlbeteiligung nun Maduro in die Schuhe zu schieben und seiner Wiederwahl die Legitimität abzusprechen.

Die Tagesschau verschwieg auch, dass US-Außenminister Pompeo auf der Konferenz der Organisation Amerikanischer Staaten, OAS, mit seinem dreisten Versuch gescheitert war, den Oppositionspolitiker Guaidó als neuen Präsidenten Venezuelas anerkennen zu lassen: Dazu wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich gewesen. Von den 34 Mitgliedsstaaten stimmten jedoch nur 16 zu, nicht einmal die Hälfte (16). Lieber Nachbar, reicht dir das für ein Urteil über die Tagesschau-Nebelwolke, „viele“ lateinamerikanische Staaten seien für Neuwahlen in Caracas?

Darf‘s noch etwas mehr sein? Zusammen mit den USA war ihr europäischer Hampelmann, Heiko Maas, im Weltsicherheitsrat ebenfalls vor die Wand gefahren. Sogar in diesem erlauchten Kreis hatte unser Gernegroß ultimativ „unverzügliche Neuwahlen“ in Venezuela gefordert (17). Dass er dort auch zu Chinesen und Russen sprach und sein Auftritt so passend war wie der Pups im Parfümladen, scheint er nicht bemerkt zu haben. Benehmen wie die Axt am Stamm ... deutsche Diplomatenkunst im Großformat.

Für entsprechende, angemessen meinungsbildende Informationen war in einer Tagesschau-Hauptausgabe natürlich wieder kein Platz. Berichte über ein Nein im UN-Sicherheitsrat, wo es doch galt, die Amtsenthebung Maduros herbei zu schwadronieren? Da sei der deutsche Qualitätsjournalismus vor.

Viel war im „Ersten Deutschen Fernsehen“ hingegen vom vorgeblichen venezolanischen Demokratiedefizit die Rede als dem Motiv des Westens, nun einen „regime change“ herbeizupressen. Die Tagesschau verweist in ihren Sendungen und Internet-Auftritten darauf, dass die USA dabei auch das Öl Venezuelas im Auge hätten. Es ist jedoch nur eine Scheinobjektivität, die sich die Tagesschau hier genehmigt. Sie enthält sich jeder Aussage über die grundsätzliche Illegalität der maßlosen US-Begehrlichkeiten. In der Tat hat US-Sicherheitsberater John Bolton, ein Kriegstreiber allererster Güte, vor wenigen Tagen ganz unverblümt bekannt, er wolle Maduro aus dem Amt hebeln, um Zugriff auf das Öl Venezuelas zu bekommen (18).

Das wahre Motiv der USA erwähnte die Tagesschau ohnehin nie: Öl aus Venezuela wird an chinesischen Börsen gehandelt, gegen chinesische Yuan, und nicht mehr gegen Dollar in New York (19). Washington fürchtet um den Wert des Petro-Dollar. Bricht er weg, sind die USA mit ihren 22 Billionen Dollar Staatsschulden (20) währungspolitisch und wirtschaftlich am Ende. Und auch der Dollar als Leitwährung der Welt und Hauptinstrument für deren Ausbeutung. Man weiß in Washington, dass Fracking-Öl und Fracking-Gas aus US-Quellen im Welthandel langfristig nicht konkurrenzfähig sind und die Zukunft der US-Energieproduktion damit ebenfalls ungewiss ist.

Russlands Rosneft-Konzern ist der hauptsächliche Vermarkter des venezolanischen Öls. Indem John Bolton und Finanzminister Steven Mnuchin das venezolanische Tankstellennetz CITGO in den USA praktisch beschlagnahmen — CITGO ist eine Tochtergesellschaft in Venezuelas Staatskonzern PDVSA — erklärten sie Caracas und Moskau den offenen Handelskrieg (21). Hier geht es um hunderte Milliarden Dollar: CITGO gehört zu den Garantie-Effekten für die russischen Staatskredite, denen die Regierung Maduro trotz der Embargo-Politik der USA ihr Überleben verdankt.

CITGO darf jetzt zwar weiterhin Öl aus Venezuela importieren, der Erlös geht aber auf US-kontrollierte Sperrkonten. Maduro reagierte prompt: Öltransporte in die USA sind nur noch gegen Vorkasse erlaubt — beim Ablegen der Tanker in Venezuela.

Raub als Mittel der Politik haben die USA allerdings schon seit Generationen quasi salonfähig gemacht. Das mag erklären, warum die Tagesschau auch von der rechtswidrigen Seite der CITGO-Affäre keine Notiz nimmt; es entschuldigt die ARD-Qualitätsjournaille aber keineswegs. Sie pflegen das Bild vom jugendfrischen tatendurstigen Hoffnungsträger südamerikanischer Verfechter der Demokratie — und deuten dabei auf die Klasse der Wohlhabenden, denen sozialistische Staatsverfassung und gesetzlich garantierte Volksfürsorge ein Graus sind. Guaidó! Guaidó! Freiheit! Freiheit! skandieren ihre egomanen Gefolgsleute bei den Massendemos.

Tatsächlich, aus Venezuela, dem Land mit dem modernen, vorbildlichen Wahlsystem, transportiert die Tagesschau den hirnrissigen Ruf nach „freien Wahlen“, macht den Präsidenten Maduro damit unausgesprochen zum Usurpator und verklärt seinen Gegner zum Freiheitshelden; einen Mann, den 81,2 Prozent der Bevölkerung bis vor wenigen Monaten noch nicht kannten. Und nicht ein einziges Mal kommt bei den Tagesschauern die Frage auf, was wohl in Deutschland geschähe, wenn sich ein erfolgloser Oppositionspolitiker nach monatelangen Geheimgesprächen in Moskau und Beijing selbst zum Kanzler erklärte, sofort von Moskau anerkannt würde und die Bundeswehr zum Sturz der Regierung aufriefe: Garantiert würde ihm Schlimmeres widerfahren als nur „Einschüchterungsabsichten“ der Polizei. Er säße umgehend wegen Hochverrats im Knast. Oder in einer Gummizelle.

Dass der selbsternannte „Übergangspräsident“ Guaidó seit Monaten auf geheimen Treffen mit Diplomaten in Kanada, Brasilien, Kolumbien und den USA auf seinen Putschversuch vorbereitet worden war, hatte selbst die transatlantisch getrimmte US-Nachrichtenagentur Associated Press gemeldet (22), nicht aber unsere Tagesschau.

Die ließ stattdessen ihre Moskau-Korrespondentin Ina Ruck Gerüchte weitertratschen, Maduro wolle 20 Tonnen Gold mit einem geheimnisvollen russischen Flugzeug aus Venezuela nach Russland „in Sicherheit bringen“. Im Übrigen sei Moskau besorgt, weil es beim Wechsel Venezuelas ins westliche Lager keine russischen Waffen mehr dorthin verkaufen könnte (23).

„Opportune Zeugen“ für solchen Stuss findet eine Qualitätskorrespondentin allemal. Richtig ist dagegen — und wurde deshalb verschwiegen — dass die Bank von England in vorauseilendem US-Gehorsam die Herausgabe venezolanischer Goldreserven im Wert von 1,2 Mrd. Dollar verweigert (24). Es ist nur eine der vielen Aktionen, Maduros sozialistisches Venezuela kaputt zu machen.

In einer weiteren Sendung unterstützte die Tagesschau transatlantische Akzeptanzstrategien des gehätschelten „Übergangspräsidenten“ Guaidó und berichtete, er habe sich an Moskau und an Beijing gewandt: Maduro sei doch nicht mehr in der Lage, ihre Investitionen in Venezuela zu schützen, er, Guaidó, aber werde allen sich daraus ergebenden Verpflichtungen weiterhin nachkommen (25, 26).

Die Tagesschau verleiht Washingtons jüngstem Putschisten sogar die Aura eines wohltätigen Volksfreundes: Er „vertritt die Interessen der Armen“, heißt es in einem als politisches Porträt getarnten Rührstück auf tagesschau.de (27). Es kommt eben drauf an, wie man die Dinge interpretiert. Als einen seiner ersten Schritte werde er den staatlichen Ölkonzern PDVSA privatisieren, das heißt, ihn dem Zugriff US-amerikanischer Investoren anheimgeben, hatte Guaidó an anderer Stelle bereits wissen lassen (28). Das berichtet die Tagesschau wiederum nicht.

Für dieses vornehme Schweigen haben wir ein gewisses Verständnis, nicht wahr, lieber Nachbar? Was die Privatisierung eines Staatsbetriebes für das Volkswohl bedeutet, weiß der deutsche Zuschauer schließlich recht genau. Er hat es beispielhaft an der Geschichte der Deutschen Bundesbahn, heute Bahn AG, erleben dürfen. Vom ruinösen Umgang der Treuhand mit den DDR-Staatsbetrieben gar nicht erst zu reden. Oder von der Geschichte der privatisierten Wasserversorgung.

ARD-aktuell setzt in all ihren Angebotsformaten den Präsidenten Maduro auf die Anklagebank: den Sozialisten, dessen falsche Wirtschafts- und übertriebene Sozialpolitik Venezuela in Armut und Elend geführt habe. Gegen solche Agitation, die den Beschuldigten nicht zu Wort kommen lässt, Fakten erfindet und mit Lügen und Halbwahrheiten arbeitet, kann man nur sehr begrenzt rational argumentieren. Negativbeweise sind selten möglich und noch seltener sinnvoll. Aus guten Gründen gilt vor Gericht der Grundsatz, dass nicht der Beklagte seine Unschuld, sondern der Kläger die Schuld des Beklagten nachweisen muss.

Im Kombinat aus Politik und Medien ist dieser Grundsatz aufgehoben. Es gilt als Fakt, was die USA behaupten. Die Anwendung des Goebbels-Rezepts ist Normalität: Eine Lüge so oft wiederholen, bis sie als Wahrheit empfunden wird — die tägliche Praxis unserer Qualitätsjournalisten. Die Tagesschau macht mit, an erster und wichtigster Stelle.

Sie lässt nicht erkennen, dass die USA auch bezüglich Venezuelas das Völkerrecht schreddern und a la Maidan dabei sind, einen weiteren demokratisch gewählten Präsidenten zu stürzen — wenn es denn sein muss, mit krimineller Gewalt auf der Straße und mit der Folge einer faschistischen Diktatur (29). Neben Venezuela waren in diesem Jahrhundert auch Haiti und Honduras — dieses Land sogar zweimal — Objekte US-amerikanischer Interventionen (30, 31).

Das Fehlen jeglicher Moral und allen Rechtsbewusstseins demonstrierte Kriegshetzer und Hassprediger John Bolton: Maduro werde „in Guantanamo enden“, falls er nicht endlich zurücktrete und aus Venezuela verschwinde (32, 33). Der Sicherheitsberater des US-Präsidenten droht einem Staatsoberhaupt mit dem weltweit berüchtigten US-Folterlager. Er belegt die KZ-Wächter-Gesinnung des Regimes in Washington und seiner Hintermänner. Die Tagesschau fand auch das nicht berichtenswert. Der in Venezuela angezettelte „Vereinigte Staatenstreich“ (34) wird von ihr schöngeschwiegen.

Honduras, anders als Venezuela, hat weder Öl, noch Goldvorkommen noch Seltene Erden. Dafür aber einen Diktator von Washingtons Gnaden, den korrupten Schuft Juan Orlando Hernández, dem deutsche Parteistiftungen den Steigbügel hielten. Die unübersehbaren Massenproteste der Honduraner (35), Ausdruck ihrer Sehnsucht nach Rückkehr demokratischer Verhältnisse und sozialen Reformen, kommen in der Tagesschau-Berichterstattung allerdings nicht vor. Wie will eine Redaktion, die sich dergestalt und permanent doppelter Standards befleißigt, jemals „sachlich und unabhängig“ berichten, die „Grundsätze der Objektivität“ wahren und einen „umfassenden Überblick über das internationale Geschehen“ geben (36)?

Wenn sich Flüchtlingstrecks aus Guatemala und aus Honduras nach USA auf den Weg machen, dann moralisiert ARD-aktuell gegen die Mauerpolitik des US-Präsidenten Trump, was das Zeug hält. Grund der Fluchtwelle seien Armut und Hunger, meldet die Tageschau und bleibt damit schön brav an der Oberfläche. Sie meldet nicht, wer die Armut und den Hunger verursacht, erst recht nicht die deutsche Mitschuld. Das wäre zuviel objektive und umfassende Information. In Gniffkes Namen: Das geht gar nicht.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.dw.com/de/venezuelas-gegenpräsident-wer-ist-eigentlich-juan-guaidó/a-47216180
(2) https://amerika21.de/blog/2018/07/206003/us-regierung-nicaragua-aufstand
(3) https://grayzoneproject.com/2019/01/29/the-making-of-juan-guaido-how-the-us-regime-change-laboratory-created-venezuelas-coup-leader/
(4) https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-29753.html
(5) https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-501447.html
(6) https://grayzoneproject.com/2019/01/29/venezuelans-oppose-intervention-us-sanctions-poll/
(7) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/venezuela-gegenpraesident-guaido-lehnt-gespraeche-mit-maduro-ab-16019107.html
(8) https://www.daserste.de/information/nachrichten-wetter/tagesschau/videosextern/tagesschau-17-00-uhr-3752.html
(9) https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-29753.html
(10) Rundfunkstaatsvertrag, I. Abschnitt, Allgemeine Vorschriften, §10, s. https://www.ard.de/download/538848/Staatsvertrag_fuer_Rundfunk_und_Telemedien_in_der_Fassung_des_20Aenderungsstaatsvertragsvom_8bis_16122016.pdf
(11) https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Venezuela-Warum-informieren-Medien-nicht-uber-das-Volkerrecht
(12) https://www.unric.org/html/german/pdf/charta.pdf
(13) https://www.epochtimes.de/politik/welt/guterres-ruft-zu-dialog-in-venezuela-auf-a2774193.html
(14) https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-01/venezuela-un-sicherheitsrat-neuwahlen-guaido-maduro
(15) https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-02/venezuela-wahl-boykott-opposition-nicolas-maduro
(16) https://operamundi.uol.com.br/diplomacia/54665/reuniao-da-oea-rejeita-reconhecer-guaido-presidente-da-venezuela
(17) https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-01/venezuela-un-sicherheitsrat-neuwahlen-guaido-maduro
(18) https://www.blacklistednews.com/article/70648/john-bolton-openly-admits-he-wants-maduro-out-american-oil-companies.html
(19) https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2017/09/18/gegen-den-dollar-venezuela-stellt-erdoel-handel-auf-yuan-um/
(20) https://www.haushaltssteuerung.de/schuldenuhr-staatsverschuldung-usa.html
(21) https://www.telesurenglish.net/news/Maduro-Denounces-Citgo-Takeover-as-Robbery-20190128-0017.html
(22) https://www.apnews.com/d548c6a958ee4a1fb8479b242ddb82fd
(23) https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-6533.html
(24) https://edition.cnn.com/2019/01/26/uk/venezuela-maduro-bank-of-england-gold-withdrawal-gbr-intl/index.html
(25) https://www.tagesschau.de/ausland/venezuela-krise-wirtschaft-101.html
(26) https://russia-insider.com/en/node/26126
(27) https://www.tagesschau.de/ausland/guaido-portraet-101.html
(28) https://www.blacklistednews.com/article/70632/venezuelas-usbacked-juan-guaidó-immediately-targets-state-oil-requests-imf.html
(29) https://www.zompist.com/latam.html
(30) https://www.truthdig.com/articles/your-complete-guide-to-the-n-y-times-support-of-u-s-backed-coups-in-latin-america/ail/7842/
(31) Blum, William, „Killing Hope: US Military and CIA Interventionalism Since World War II“, Monroe, Maine. Common Courage Press, 1996
(32)https://www.blacklistednews.com/article/70740/john-bolton-threatens-to-send-venezuelas-maduro-to-offshore-us-prison-at.html
(33) http://www.hughhewitt.com/national-security-adviser-ambassador-john-bolton/
(34) http://de.granma.cu/mundo/2019-01-31/venezuela-und-der-vereinigte-staatenstreich
(35) https://amerika21.de/2019/01/220964/honduras-proteste-juan-orlando-hernandez
(36) Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien, II. Abschnitt, Vorschriften für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, § 11, Auftrag. S. https://www.ard.de/download/538848/Staatsvertrag_fuer_Rundfunk_und_Telemedien_in_der_Fassung_des_20Aenderungsstaatsvertragsvom_8bis_16122016.pdf****


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Weiterlesen

Wiegenlieder des „Bösen“
Thematisch verwandter Artikel

Wiegenlieder des „Bösen“

Die CD „Lullabies from the axis of evil“ bringt Künstlerinnen und Künstler aus Ländern zu Gehör, die der Westen als „Feindstaaten“ abgekanzelt hat.

Die verborgene Agenda
Aktueller Artikel

Die verborgene Agenda

Die Logik hinter den freiheitsfeindlichen Umwälzungen der letzten Jahre war weniger die der Kapitalverwertung als vielmehr die eines Angriffs auf die Realität.

Die Angstmaschine
Aus dem Archiv

Die Angstmaschine

Der Neoliberalismus hat ein System despotischer Ausbeutung erschaffen, das nur noch mittels Angstmache funktioniert. Exklusivabdruck aus „Angst und Macht“.