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Lästige Freiheit

Lästige Freiheit

Zwei Soziologen pathologisieren in ihrem neuen Buch kritische Bürger — ein weiterer Beleg dafür, dass die Preisgabe von Freiheitsrechten zur „neuen Normalität“ gehört.

In ihrem medial gepuschten und kürzlich unter dem Titel Gekränkte Freiheit erschienenen Buch nehmen die Soziologen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger einen neuen Menschentyp unter die Lupe und aufs Korn: „Corona-Kritiker mit Blumenketten, Künstlerinnen, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen, Journalisten, die sich als Rebellen gegen angebliche Sprechverbote inszenieren“. So steht es in der Kurzbeschreibung. Lautstark und wuterfüllt streite der sogenannte „libertäre Autoritäre“ für seine individuellen Freiheiten, frei von Rücksichtnahme, frei von gesellschaftlichen Zwängen, frei von gesellschaftlicher Solidarität (1).

Diese Empörungskultur sei autoritär, weil, so wissen die Autoren, sie eine Abkehr von jeder Form der Einschränkung anstrebe. Das meinen sie herausgefunden zu haben, nachdem sie 45 Personen aus der Querdenken-Szene und 16 aktive AfD-Anhänger interviewt haben. An den Kaffeetafeln der Wutbürger und Verschwörungsgläubigen haben sie sich Kekse und Kuchen servieren lassen, um zu dem Schluss zu kommen, dass mündige, eigenverantwortliche und nach individueller Souveränität strebende Menschen Schmarotzer der Gesellschaft sind.

Verleugner einer „geteilten Realität“ seien jene, die enttäuscht von der Welt sind, die das politische und wirtschaftliche Establishment kritisieren und die sich im Mainstream und mit Wokeness und Gendern unwohl fühlen. Hierzu haben sie nach Ansicht der Autoren keinen Grund. Denn, daran wird nicht gerüttelt, wir leben ja in einem freien Land! Haben wir uns nicht freigekämpft von absolutistischer Monarchie, feudalen Abhängigkeiten, der Herrschaft der Kirchen und Zünfte und der staatlichen Zensur?

Heute, so meinen Nachtwey und Amlinger, seien die Freiheitsrechte, die einen Schutz vor staatlicher Willkür bedeuten, weitestgehend realisiert. Wollen die Unersättlichen denn immer noch mehr? Wer am bestehenden System herummäkelt, der wisse die Straßen nicht zu schätzen, auf denen er fahren, und die Schulen, in denen er sich entfalten darf. Er sei ein Egoist, der alten Leuten nicht über die Straße hilft und in einem vollen Zugabteil Döner isst, ein Abgedrifteter, der sich mit seinem Hang zum Verschwörungsdenken eine Diktatur einbildet und der sich unangemessenerweise für mutig hält, weil er zu sich und seinen Werten steht.

Neue Normalität

Wie mögen sich die fühlen, die geglaubt haben, Menschen gegenüberzusitzen, die sich interessierten für das, was sie zu sagen haben, und die sich in einer Schmähschrift wiederfinden, die sie derart demütigt und beschämt? Wie geht es den übrigen 18 Millionen Menschen in Deutschland, die sich als Gegner der Demokratie beschimpfen lassen müssen, weil sie sich nicht „impfen“ lassen und den Regierungsentscheiden nicht vertrauen? Wie fühlen sich die, die in den letzten Jahren in die soziale Isolation und den wirtschaftlichen Ruin getrieben wurden? Wie ergeht es denen, die an den Nebenwirkungen der Injektionen erkrankt sind, von denen man ihnen versprochen hat, sie seien harmlos?

Sind das alles Verrückte, die nicht begriffen haben, dass man Steuern zahlen muss und nicht bei Rot über die Ampel geht? Spinnen diejenigen, die von den amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention veröffentlichte und hochoffizielle Daten ernst nehmen, wonach ein Viertel der geimpften Personen unter bis zu gravierenden Nebenwirkungen leidet, fast 800.000 Menschen kurz nach der Injektion in die ärztliche Notaufnahme eingeliefert werden mussten und insgesamt 71 Millionen Symptome verzeichnet wurden (2)?

Und ich? Bin ich auch verrückt, weil ich mich mit dem Schweigen und der neuen Normalität nicht abfinden möchte? Bin ich zu dumm zu erkennen, dass im Grunde alles klar ist auf der Andrea Doria und dass nur hier und da ein wenig nachgebessert werden muss?

Bin auch ich ein Sozialschädling, weil ich frei leben will, damit auch andere frei leben können? Denn als einer von diesen Abgedrifteten geht es mir nicht nur um mich, sondern um die Freiheit aller — auch derer, die Bücher schreiben wie Gekränkte Freiheit.

In welchem Kontext mag das Buch von Nachtwey und Amlinger entstanden sein? Wer gab den Impuls zu diesem Buch? Wer hat die dafür notwendigen Studien finanziert? Warum pushen die Medien es so? Wem sind die Autoren Rechenschaft schuldig? Was bedeutet dieses Buch für ihre Karriere? Haben die Soziologen aus freiem Willen gegen kritische, eigenverantwortliche und souveräne Menschen angeschrieben, ohne an ihre eigene Freiheit zu denken? Ist sie ihnen so wenig wert, dass sie sich nicht einmal gefragt haben, ob nicht vielleicht sie selber sich einmal gegen eine Regierung auflehnen, die in ihre intimsten Lebensbereiche eindringt oder ihre Kinder und Enkel an die Front schickt? Haben sie nicht gemerkt, dass sie sich im Grunde selber eine Grube graben?

Verdreht

Doch man soll ja bei sich selbst ansetzen und nicht bei anderen. Also tue ich das. Ich versichere, dass ich keine französischen Käse in vollbesetzte Flugkabinen schmuggele, dass mir das Wohlergehen auch der betagten Damen in meiner Nachbarschaft sehr am Herzen liegt und dass ich immer wieder für Amüsement sorge, wenn ich auf leeren Parkplätzen den Blinker setze. Ich zweifele nicht die Nützlichkeit bestimmter Regeln an und weiß, dass die Freiheit des einen dort aufhört, wo die Freiheit des anderen beginnt.

Ich bin nicht, wie der Titel des Buches suggeriert, beleidigt, weil ich nicht wie ein bockiges Kind meine Launen ausleben darf, und das allgemeine Wohl ist mir in meinem täglichen Handeln ein großes Anliegen. Das ist es, weil ich weiß, dass mein Wohl untrennbar mit dem Wohl anderer verbunden ist. Ich empfinde keine Freude oder Genugtuung, wenn andere leiden. Wenn ich in einer Gemeinschaft lebe, der es gut geht, in der die Menschen gesund und zufrieden sind und sich entfalten können, dann geht es mir auch gut. Wohlergehen färbt sozusagen ab.

Gewalt in Form von Überheblichkeit, Herablassung, Verurteilung, Ausgrenzung, Diskrimination, Demütigung, Beschämung, Verteufelung, Spaltung oder Zwang verhindert nicht nur das individuelle, sondern auch das kollektive Wohlergehen.

So machen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger letztlich selber das, was sie an den „libertären Autoritären“ kritisieren: der Gemeinschaft Schaden zufügen und die Demokratie gefährden. Denn sie graben das Fundament noch tiefer, auf dem sich die Täter als Opfer inszenieren können und die eigentlichen Opfer als Täter kriminalisiert werden.

Geteilte Realität

Aus der Verhaltenspsychologie ist bekannt, dass wir dazu neigen, anderen genau das vorzuwerfen, was wir selber tun. Es sind vor allem unsere eigenen blinden Flecken, die sichtbar werden, indem wir sie auf andere projizieren. So gibt uns erst die Begegnung und Konfrontation mit anderen Menschen Gelegenheit, das zu sehen, was wir in uns nicht sehen können oder wollen.

Doch unser Blick ist nicht klar, sondern getrübt von unseren eigenen (Vor-)Urteilen, Gedankenmustern, Glaubensvorstellungen und unbewussten Programmierungen. Was wir sehen ist nicht die Realität, sondern das, was wir für die Realität halten. Tatsächlich sehen wir nur einen winzigen Teil dessen, was da ist. Es ist, als wären wir in einem riesigen Raum unterwegs und würden mit dem begrenzten Strahl einer Taschenlampe immer nur einzelne Details ausleuchten.

Kriegsvorbereitungen

Meine Taschenlampe leuchtet dorthin, wo die Gefahr für die Demokratie nicht von querdenkenden, blumenkettenbindenden, meditierenden Freiheitskämpfern ausgeht, sondern von im Gleichschritt marschierenden Soldaten und atomwaffenbestückten Drohnen. Die EU plant, 15.000 ukrainische Soldaten auszubilden (3). Vom 17. bis zum 30. Oktober 2022 fand im Luftraum über Belgien, Großbritannien und der Nordsee eine NATO-Übung mit dem Namen Steadfast Noon statt, um auf einen möglichen Atomkrieg vorzubereiten (4). Eric Gujer, Chefredaktor der Neuen Züricher Zeitung, schreibt: „Wer den Atomkrieg verhindern will, muss in der Lage sein, ihn zu führen“ (5).

Mittels einer bellizistischen Sprache wird die Bevölkerung auf das Schlimmste vorbereitet. Zunehmend tauchen in den großen Medien Informationen darüber auf, wie wir uns im Falle einer Atombombenexplosion richtig verhalten.

In seinen Praxistipps rät etwa das Magazin Focus, Zuflucht in Gräben, Mulden, Höhlen oder Kellern zu suchen, und nimmt seinen Lesern sogleich die Illusion, einen Platz in einem gesicherten Bunker zu finden. Während beispielsweise die Schweiz hier gut vorgesorgt hat, gibt es in Deutschland seit dem Jahr 2007 keine funktionierenden Anlagen mehr.

Weiter wird vor dem Fallout gewarnt und davor, sich in die falsche Windrichtung zu bewegen. Wer den GAU überlebt hat, der sollte darauf achten, genug Wasser und ein paar Müsliriegel bei sich zu haben sowie ein Radio, um den Anweisungen der Regierung Folge leisten zu können. Um entsprechend gerüstet zu sein, gibt es Tipps für Dinge, die man im Haus haben sollte. Wenn es noch steht, dann freut man sich über Nützliches wie einen Regen-Poncho, Gummistiefel, eine kleine Säge, einen Gaskocher oder einen Geigerzähler mit Dosimeterfunktion, die man rechtzeitig — dorthin verweisen die Verkaufslinks im Text — über Amazon bestellt hat (6).

Ein Artikel der Therapeutennews stimmt darauf ein, wie wir mit unserer Angst vor einem Atomkrieg umgehen können (7). Zunächst sollte man anerkennen, dass man sowieso nichts tun kann, und tief durchatmen. Dann sollte man sich das Schlimmste vorstellen. Seinen Ängsten, das ist aus der Psychologie hinlänglich bekannt, sollte man nicht ausweichen: „Versetzen Sie sich in die Lage eines Menschen, der noch nie einen Atomkrieg erlebt hat. Dazu sollten Sie sich zunächst vorstellen, wie es auf der anderen Seite der Welt wäre, wenn es zu einem totalen Atomkrieg käme. Stellen Sie sich vor, Sie befänden sich an einem Ort, an dem alle Menschen um Sie herum getötet oder durch eine Strahlenvergiftung verletzt wurden. Die Überlebenden versuchen ihr Bestes, aber sie kämpfen um ihr tägliches Überleben.

Stellen Sie sich als Nächstes vor, wie es sich für Sie anfühlen würde, wenn eine Atombombe Ihre Heimatstadt trifft und von da an alles völlig aus dem Ruder läuft. Würden Sie sich nicht erschrecken? Wahrscheinlich schon, aber denken Sie daran: Angst ist eine normale Reaktion auf etwas so Unbekanntes — vor allem für jemanden, der es noch nie erlebt hat! Stellen Sie sich nun vor, wie es für die Menschen in Ihrer Gemeinde ist, die einer Strahlenvergiftung ausgesetzt waren, und wie sie mit diesem traumatischen Ereignis auch aus ihrer Sicht umgehen würden. Würden sie sich verängstigt fühlen? Vielleicht nicht so sehr wie jemand, der noch nie etwas Ähnliches erlebt hat — aber sie könnten trotzdem Angst oder Furcht empfinden, weil sie nicht wissen, was als Nächstes passieren wird.“

Verfehltes Ziel

Welche Haltung wir auch einnehmen: Wir kommen nicht darum herum, uns zu fragen, wer die Abgedrifteten und die Verrückten in diesem Theater sind. Sind es diejenigen, die vor Zwang, Überwachung, Totalitarismus, Gewalt und Krieg warnen, oder die, die es normal finden, dass heute derartige Dinge geschrieben werden?

„Die Normalen sind die Kränkesten und die Kranken die Gesündesten“ — so drückte es der deutsch-amerikanische Psychologe und Philosoph Erich Fromm in den 1980er-Jahren aus (8). Schon damals waren viele Menschen nicht mehr in der Lage zu merken, dass etwas nicht stimmte. Schon damals konnten viele sich selbst nicht mehr spüren. Als so entfremdet beschrieb er sie, so instrumenten- und roboterhaft, dass sie keinen Konflikt mehr empfinden können, als so verkümmert, dass sie das Bild einer chronischen Schizophrenie bilden.

Über 40 Jahre später sieht es nicht besser aus. Die Entfremdung und die Entfernung von den eigenen Gefühlen haben immer weiter zugenommen. So wird es immer dringlicher, dass wir uns mit den gesunden Anteilen in uns verbinden, mit dem, was noch in der Lage ist, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Wie fühlt es sich an, wenn wir Beschreibungen wie die obigen lesen? Stellen wir uns tatsächlich vor, wie es ist, einer atomaren Explosion zum Opfer zu fallen und bereiten so dem Grauen den Weg? Oder spüren wir, wie etwas in uns rebelliert?

Wer weiß? Vielleicht ist in uns ein Mensch versteckt, der nach Freiheit ruft, einer, der sieht, dass etwas Grundsätzliches schiefläuft. Vielleicht sieht es auch die alte Schulfreundin, der Kollege, das Familienmitglied. Vielleicht haben sie bisher nur nicht gewagt, es auszusprechen.

Wer weiß? Vielleicht ist es ein Buch wie Gekränkte Freiheit, das genau das Gegenteil von dem erreicht, was es erreichen will: die Menschen für die Kränkung zu sensibilisieren und sie dazu zu bringen, aufzubegehren und die Verdrehungen zu lösen. Letztlich ist es, das wusste der Künstler Marcel Duchamp, der Zuschauer, der das Werk macht.



Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger: Gekränkte Freiheit: Aspekte des libertären Autoritarismus, Suhrkamp 2022
(2) https://www.icandecide.org/v-safe-data/
(3) https://www.welt.de/politik/ausland/plus241622509/Soldaten-in-Deutschland-Ausbildungsmission-fuer-die-Ukraine-Wird-die-EU-zur-Kriegspartei.html
(4) https://www.nzz.ch/international/nato-beginnt-uebung-fuer-das-szenario-eines-atomkriegs-ld.1707668?reduced=true
(5) https://www.nzz.ch/meinung/ein-atomkrieg-putins-in-der-ukraine-waere-fuer-russland-ein-debakel-ld.1706905?reduced=true
(6) https://praxistipps.focus.de/im-falle-einer-atombomben-explosion-so-verhalten-sie-sich-richtig_142550
(7) https://therapeutennews.de/angst-vor-einem-atomkrieg-wie-man-damit-umgehen-kann/
(8) https://www.youtube.com/watch?v=Dt09hfllNc8


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