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Trauer statt Randale

Trauer statt Randale

Eine pro-palästinensische Demonstration sollte verboten werden, weil sie den Terror der Hamas feiere — sie fand dennoch statt und vermittelte ein völlig anderes Bild.

„Es findet keine Versammlung statt“, blafft der in dunkelblaue Montur gehüllte Polizist die junge Frau an. Sie ist Mitte zwanzig, hat ihre schwarzen Haare in einem Pferdeschwanz zusammengebunden und hält in der Hand ein Pappschild mit der Aufschrift: „Stand with Gaza“. „Aber ich nehme doch an keiner Versammlung teil“, antwortet sie. „Es gibt doch gar keine, die wurde verboten. Ich stehe hier einfach nur für mich.“ „Sie müssen mir nicht erklären, was eine Versammlung ist“, antwortet der Beamte ungehalten. „Das habe ich gelernt. Solange Sie ein Schild in der Hand haben, sind Sie Teilnehmerin einer Versammlung und jetzt entfernen Sie sich!“

Sie wirft ihr Schild zur Seite und rennt über die Kreuzung in Richtung der Verkehrsinsel, auf der sich die restlichen Demonstranten befinden. „Ahmed“, ruft sie. Ein junger, arabisch aussehender Mann klettert von der Brüstung neben der U-Bahn-Station und kommt auf sie zu. Sie schlingt die Arme um seinen Hals. Sekundenlang stehen sie da, mitten auf der Straße zwischen der Demonstration und dem riesigen Polizei-Aufgebot und umarmen sich, stumm.

Die Demonstration, die am Mittwoch, dem 11. Oktober, am späten Nachmittag auf dem Berliner Hermannplatz stattfand, war einen Tag vorher von den Behörden, einschließlich aller Ersatzveranstaltungen, abgesagt worden. Begründet hatte die Polizei ihre Entscheidung mit Erfahrungen aus vorangegangen Veranstaltungen. Es sei mit Gewaltausbrüchen, Gewaltverherrlichung, antisemitischen und volksverhetzenden Parolen zu rechnen. Etwa 400 Menschen, wesentlich mehr als die, für die verbotene Versammlung angemeldeten 250, ließen sich von dem Verbot jedoch nicht abschrecken.

Eskalation im Nahen Osten

Kurz nachdem die junge Frau ihr Gespräch mit dem Polizisten beendet hat, wird dieser von einer zweiten Person, diesmal blond und Mitte 40 angesprochen. Die Frau kommt ihm ganz nah und sagt: „Danke, dass Sie da sind und hier gegen Faschismus auf der Straße stehen. Das ist wirklich unglaublich, was hier passiert. Bleiben Sie dabei gesund.“ Im Gespräch wird sich die Dame als wesentlich verständnisvoller herausstellen, aber dazu später mehr.

Es ist die zweite Demonstration dieser Art in Berlin, seit der Nahost-Konflikt vergangenes Wochenende eine bedeutende neue Eskalationsstufe erreicht hat. Die islamische Miliz Hamas hatte am Samstag einen Raketen-Großangriff auf israelisches Territorium gestartet, bei dem circa 1200 Menschen getötet und fast 3000 verletzt worden waren. Israel seinerseits reagierte mit der Bombardierung von 450 Zielen im Gazastreifen mit ähnlichen Opferzahlen. Laut UN sind dort 180.000 Menschen obdachlos und suchen Zuflucht in öffentlichen Einrichtungen. Das palästinensische Außenministerium sprach von 22.600 getroffenen Wohnhäusern sowie 48 beschädigten Schulen in den ersten Tagen. Die Hamas wiederum beantwortete Israels Angriffe mit erneuten Raketenschlägen, diesmal in Richtung Tel Aviv (1).

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete die militärische Eskalation als „den Beginn eines langen Krieges“ (2). Mittlerweile ist in Israel hochentwickelte amerikanische Munition eingetroffen, die wie die Times of Israel schreibt „bedeutende Angriffe und Vorbereitungen für weitere Szenarien“ ermögliche.

Alles in allem sieht es nach einem gerade erst in Gang gesetzten Blutbad aus, dessen wirtschafts- und interessenpolitische Hintergründe sicher noch der Klärung bedürfen, das aber in jedem Fall auf den Schultern der Zivilbevölkerung beider Seiten angerichtet wird.

Bereits wenige Stunden nach dem Angriff der Hamas am Samstag hatten sich in Berlin-Neukölln circa 50 Anhänger Palästinas versammelt. Die Berliner Morgenpost schrieb über „Hass-Demonstranten“, die gegen Israel gehetzt, Palästina-Flaggen geschwenkt und die Morde der Hamas an unschuldigen Zivilisten gefeiert hätten (3). Nachdem sie es nicht unterließen, antisemitische Sprechchöre zu skandieren, sei es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Es ist diese Demonstration, die wohl als Blaupause für das Verbot der zweiten herangezogen wird.

Auch der regierende Berliner Bürgermeister Kai Wegner hatte bereits vor Tagen ein solches Verbot gefordert, da nicht geduldet werden könne, dass in Berlin Terror, Mord und Geiselnahmen gefeiert werden. Verschiedenste Medien schreiben von sogenannten „Jubelveranstaltungen“ für den Krieg, bei dem Süßigkeiten verteilt würden (4). Die mediale und politische Annahme, es könnte sich auch bei der Versammlung am Mittwoch um eine Jubelveranstaltung handeln, bewahrheitete sich jedoch nicht.

„Manche Leute haben vor vielen Jahren Scheiße gebaut“

Von Partystimmung war hier keine Spur, die Atmosphäre gedrückt bis gereizt. Am späten Nachmittag fanden sich einige hundert Demonstranten auf dem Hermannplatz ein. Bis in die Abendstunden wurden es immer mehr. Eigentlich hätte der Umzug eine Stunde lang von Neukölln nach Kreuzberg ziehen sollen. Nachdem dieser untersagt worden war, konzentrierte sich die Menschenmenge auf die Kreuzungen rund um eine U-Bahnstation, was die Situation mehr als unübersichtlich machte. Die Polizei versuchte einige Male, die Teilnehmer zurückzudrängen oder einzukesseln, was ihr jedoch aufgrund der vielfältigen Fluchtmöglichkeiten nicht gelang.

Es war zu spüren, welchen massiven persönlichen Bezug viele der Demonstranten zur Thematik hatten. Zu sehen waren hauptsächlich Menschen mit arabischem Hintergrund, darunter erstaunlich viele Frauen. Aber auch Deutsche und viele englisch sprechende Menschen waren anwesend. Generell gab die Zusammenkunft ein sehr diverses Bild ab.

Auf der leichten Erhöhung an der Seite der Verkehrsinsel stehen zwei vollverschleierte Frauen neben einer dritten, ebenfalls arabisch aussehenden Frau ohne Kopftuch, dafür mit langen schwarzen Locken und kaum 15 Centimeter langem Minirock. Auch Kinder, viele unterschiedliche Bewohner Neuköllns und junge Menschen, die optisch der queeren Szene Berlins oder einer typisch linken Jugend dieser Stadt zuzuordnen sind, befinden sich um den harten Kern auf der Verkehrsinsel.

Eine von ihnen ist Klara. Sie ist 27 und allein hier. „Ich stehe hier für die Menschenrechte generell“, sagt sie und läuft dabei etwas rot an.

„Ich habe die letzten beiden Tage durchgängig nichts anderes getan, als zu recherchieren. Ich weiß immer noch nicht, was man mit Sicherheit sagen kann, aber die Menschen in Palästina sollten ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Mich nimmt das Ganze emotional so sehr mit. Ich habe Freunde auf beiden Seiten. Eigentlich sollten beide Staaten doch einfach koexistieren können, aber manche Leute haben halt schon vor vielen Jahren Scheiße gebaut und nun kommt man da nicht mehr raus. Ich stehe hier nicht für die Hamas, sondern für die Zivilbevölkerung. Ich sehe hier auch niemanden, der das tut, alles was gerufen wird, ist Free Palestine und vielleicht wird die palästinensische Flagge gezeigt.“

Von der Diskussion um das Verbot hat Klara nichts mitbekommen, sagt aber: „Versammlungsfreiheit ist schon wichtig, denke ich.“

Und auch antisemitische Parolen hat sie nicht gehört. „Alles, was ich gehört habe, ist, dass Menschen sich darüber aufregen, dass man in Deutschland nicht mehr seine Meinung sagen darf.“

Ob sie das auch so sieht? Nun ja, sie sei ja weiß und privilegiert, aber wenn sie arabisch aussehe, würde sie sich schon komisch fühlen in der U-Bahn in diesen Tagen. „Ich finde es so traurig, wie viele Menschen dort jetzt sterben, aber Menschen sterben eben schon seit 75 Jahren.“

„Das ist eine Verhöhnung der Opfer“

Die Stimmung wird aggressiver. Die Polizei versucht immer wieder, Teilnehmer von der Verkehrsinsel herunter in die Seitenstraßen zu treiben und dann von der anderen Seite einzukesseln. „Wir gehen jetzt auf die Mittelinsel, holen uns die Leute und dann wieder hier rüber“, ruft einer seinem Kollegen zu. Das Ganze funktioniert nicht, zumindest nicht ohne Widerstand. Die meisten Demonstranten lassen sich von der Verkehrsinsel treiben und schlängeln sich dann entweder über die Straße dorthin zurück oder setzen ihren Protest in der Nebenstraße fort. Einige werden wütend, schreien in Richtung der Polizei, die schreit zurück. Oder ist es andersherum? So richtig weiß man das hier auch nicht mehr.

Direkt neben der Reihe aus Polizisten steht die blonde Frau, die sich schon vorher für deren Einsatz bedankt hat. Sie ist eine von ganz wenigen, die nicht zur Versammlung gehören und sich lautstark dagegen positionieren. „Ich finde das ganz schrecklich, was hier passiert und absolut richtig, dass das verboten wurde“, meint sie und schüttelt aufgebracht den Kopf. Sie sei beschimpft worden, hätte nun Angst allein nach Hause zu gehen. Was hier passiere, sei eine Verhöhnung der Opfer des Hamas-Anschlages. Für die Zivilbevölkerung zu protestieren, sei in Ordnung, aber nicht für die Hamas.

„Ich selbst finde ja auch schlimm, was Israel mit den Palästinensern gemacht hat, die ganzen Jahre, aber das sind doch Menschenleben, die darf man nicht gegeneinander aufwiegen. Auf der einen Seite sterben Menschen und auf der anderen Seite auch.“

Je länger sie spricht, desto mehr Verständnis scheint sie für die vermeintliche Gegenseite aufzubringen. Immer wieder betont sie, die Politik des Staates Israel abzulehnen und dass ihr bewusst sei, wie viel Leid auf Seiten der Palästinenser stattgefunden habe. „Ich wohne schon immer in Kreuzberg und ich habe ganz viele arabische Freunde, vor allem Kurden, aber denen ist ja etwas Ähnliches passiert.“ Das Schlimme an der Versammlung jedoch sei die antisemitische Ausrichtung, von der habe sie gelesen.

„Ich habe hier vorhin gehört, wie jemand ‚From the river to the sea’ gerufen hat“, erzählt sie. „Das ist nichts anderes als die Forderung nach der Vernichtung des jüdischen Volkes.“ Ein Mann neben ihr bestätigt, den Satz auch gehört zu haben. „From the river to the sea, palästine will be free“, ist ein bekannter Slogan palästinensischer Aktivisten, der ein freies Palästina zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer fordert. Für viele Israelis bedeutet der Satz nichts anderes als die Negation des Existenzrechts Israels und letztendlich eine Aufforderung zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in diesem Gebiet, die schließlich irgendwie beseitigt werden muss, wenn dort überall ein freies Palästina sein soll. Von anderer Seite wird hingegen angeführt, dass Menschen, die Freiheit vom Fluss bis zum Meer fordern, damit die Entkolonialisierung und den Abbau der rassistischen Kolonialeinheit, die ihr Leben dominiert, meinen und der Spruch rein gar nichts mit den in diesem Gebiet lebenden Menschen zu tun habe.

„Ich bekomme von Todesangst erfüllte Nachrichten von meiner Familie“

Die blonde Frau ist nicht die Einzige, die die Demonstration kritisch sieht. Auch der Mann neben ihr, der sich als Halbiraner zu erkennen gibt, kann ihr nichts abgewinnen. Er fragt:

„Als vor einem Jahr junge Frauen in meinem Land ihre Kopftücher verbrannt haben, ein unglaublich mutiger Akt, wo waren da die Solidaritätsbekundungen der arabischen Community in Berlin?“

Und eine ältere Dame schiebt aufgebracht ihr Fahrrad durch die Menge, während sie die sie umgebenden Demonstranten beschimpft und des Antisemitismus bezichtigt. Ein hochgewachsener Mann mit schulterlangen krausen Locken und einem roten Palästinapullover antwortet ihr: „Sie haben das Recht auf Ihre dumme Meinung.“

Der Name des Mannes ist Nasir. Er ist 39 Jahre alt und wurde im Gazastreifen geboren. In den letzten vier Tagen sind dort mehrere Mitglieder seiner Familie getötet worden. Ihm stehen Tränen in den Augen und all der Schmerz ins Gesicht geschrieben, den jemand mit seinem Hintergrund in diesen Tagen durchleiden muss. „Ich bekomme wirklich Todesangst erfüllte Nachrichten von meiner Familie. Im 12-Stundentakt gibt es mal ein bisschen Internet“, erzählt er. Nasir ist wütend, aber immer wieder weicht die Wut völliger Verzweiflung. Er spricht davon, dass nach dem Hamasangriff von Anfang an Lügen verbreitet worden wären durch die Medien, um jetzt eine kollektive Bestrafung, ein Exempel zu statuieren. „Sie haben geschrieben, es hätte Vergewaltigungen gegeben und tote, enthauptete Babys, aber das stimmt nicht.“

Während er das sagt, geraten einige junge Männer neben ihm mit der Polizei aneinander, die alle Beteiligten daraufhin weiter zurückdrängt. „Es gibt unterschiedliche Meinungen, aber die kann man ordentlich ausdiskutieren“, ruft einer der Polizisten. Nasir entgegnet: „Unsere unterschiedliche Meinung wurde durch Ihre Kraft heute verboten!“ „Es hat eine rechtliche Entscheidung gegeben. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in Deutschland, das weißt du selbst. Das Problem bei euch sind die schwarzen Schafe.“ Nasir lacht auf. „Die schwarzen Schafe sitzen in der israelischen Regierung“, antwortet er.

Er betont wie die meisten anderen Teilnehmer, sich nicht mit der Hamas, sondern mit den Menschen in Palästina zu solidarisieren.

„Wissen Sie, wenn wir davon ausgehen, dass wir anständige Menschen sind, dann brauche ich Ihnen nicht zu sagen, dass ich es bedauerlich finde, dass Zivilisten sterben. Was aber auch bedauerlich ist, ist dass Deutschland nach 75 Jahren nicht in der Lage ist zu erkennen, dass die palästinensischen Zivilisten schon vorher massakriert worden sind. Wir reden hier von 2 Millionen Menschen. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er, von der Polizei, sagt zu mir, hier seien schwarze Schafe. Aber in Wirklichkeit sorgen die schwarzen Schafe in der israelischen Regierung dafür, dass 2 Millionen Menschen kollektiv bestraft werden. Wenn man nur mit Logik und ein bisschen Anstand herangeht, ist das eine ganz andere Sache. Und sogar das internationale Recht garantiert Menschen in besetzten Gebieten ein Recht auf bewaffneten Widerstand.

Dass die Kolonisation ein gewalttätiger Prozess ist, wissen wir alle. Das war in Algerien gewalttätig. In Simbabwe gewalttätig, überall. Die Kolonisation ist keine Teatime Lecture, worüber wir in Ruhe reden können. Es geht hier um das Lebensrecht von Menschen, die seit 75 Jahren unter dieser repressiven, kolonialen Gewalt leiden. Deutschland ist eine Kolonialmacht und unterstützt Israel aufgrund dessen.“

Auf die Frage, wie er zu dem Antisemitismusvorwurf der deutschen Behörden stehe, antwortet er:

„Wir, die Palästinenser, hatten mit dem Holocaust nichts zu tun. Das ist das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts, aber das hat Deutschland zu verantworten, nicht wir. Dieser Vorwurf des Antisemitismus ist nichts weiter als eine Projektion des deutschen Rassismus.“

Ob er sich diskriminiert fühlt?

„Absolut! Ausschließlich! Das ist eine ganz klare rassistische Diskriminierung von Minderheiten. Welche Demos wurden sonst in Deutschland verboten? Nazis dürfen unbehelligt marschieren in Deutschland, im November auf jüdischen Friedhöfen ohne irgendwas. Die sind sogar mitten im Parlament. Das hat Tradition in diesem Land.“

Auch von der deutschen Politik ist Nasir schwer enttäuscht. Die Bundesregierung kündigte an, dass alle Hilfen für die palästinensischen Gebiete überprüft werden sollten, um auszuschließen, dass mit deutschem Steuergeld terroristische Organisationen unterstützt werden. (5)

„Das sagt nichts anderes, als dass Deutschland und die EU sich in einem Zustand der moralischen Pleite befinden. Von diesem Geld hat die Hamas noch nie auch nur einen Euro bekommen, aber jetzt bestraft man alle auf dem Gebiet. Das muss man sich erstmal reinziehen. Es geht genau darum. Es ist eine kollektive Bestrafung einer gesamten Zivilbevölkerung, die eigentlich die unterdrückte ist. Es geht darum, dass jetzt Israel grünes Licht gegeben wurde. Macht, was ihr wollt. Tötet, wen auch immer ihr wollt.“

Ähnliche Ansichten vertreten viele der Demonstranten. Sie sind persönlich betroffen, viele haben Familie in den besetzten Gebieten und das schlägt sich nieder in ihrer Emotionalität. Es sind keine pazifistisch-neutralen Friedensaktivisten. Sie haben eine eindeutige Haltung und die ist, dass Israel in den vergangenen 75 Jahren durch seine brutale Siedlungspolitik die Palästinenser in eine Situation gebracht hat, in der sie kaum Handlungsmöglichkeiten haben, und dass Israel den Angriff der Hamas nutzen wird, um einen noch brutaleren Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu führen.

Das Spiel mit den Medien

Ja, die Hamas wird hier nicht auf die Weise verurteilt, wie es aktuell von Seiten deutscher Medien und Politiker geschieht. Was aber immer wieder zur Sprache kommt, ist das Verständnis dafür, dass auch auf israelischer Seite unschuldige Zivilisten leiden. Und was definitiv nicht stattfindet, sind jubelnde Mengen, die Terrorangriffe feiern und Süßigkeiten verteilen. Außer „Free free Palästine“ und „Stand with Gaza“ wurden nahezu keine politischen Parolen skandiert und die wenigen Palästinaflaggen auf Anweisung der Polizei immer wieder heruntergenommen.

Das mediale Urteil ist jedoch gefällt, noch bevor die Versammlung beendet ist. Der Fokus liegt auf den vereinzelten Rangeleien mit der Polizei. Von israelfeindlicher Ausrichtung ist die Rede.

Die Berliner Zeitung titelt gegen 19 Uhr: Mann ruft in Neukölln: „Wir töten alle Juden“ — dann führt die Polizei ihn ab.“ (6) Auch das ist anscheinend an diesem Abend passiert. Die Aussage ist so menschenverachtend, dass allein das einmalige Vorkommnis berichtenswert ist.

Was auch berichtenswert gewesen wäre, ist die Verzweiflung, Überforderung und ja auch hilflose Wut, die aus den Worten und Gesichtern jedes Einzelnen spricht, der an diesem Abend nach Berlin-Neukölln gekommen ist. Denn auch die in Deutschland lebenden Palästinenser, die ebenso wie die Israelis, schreckerfüllt auf die ersehnte Nachricht ihrer Familien warten, dass ihnen noch nichts passiert ist, verdienen es, medial vorzukommen.

Man muss nicht teilen, was hier empfunden oder gefordert wird. Aber man sollte zumindest im Nachhinein in der Lage sein einzugestehen, dass hier nichts passiert ist, was für Berliner Demonstrationen so ungewöhnlich wäre, dass es ein Demonstrationsverbot rechtfertigt. Zumal auch dieses nur der Anfang zu sein scheint. So kamen in den vergangenen Tagen vermehrt Stimmen auf, die die Ausweisung von Hamas-Anhängern fordern (7). Abgesehen davon, dass Abschiebungen aufgrund der politischen Haltung mehr als kritisch zu sehen sind, stellt sich doch die Frage, wer dann alles als Hamas-Anhänger gilt. Nasir, der sagt, er stände hier für die Zivilbevölkerung, aber fände, Kolonisierte hätten ein Recht auf Waffengewalt? Jemand, der der Meinung ist, dass Israel eine historische Verantwortung für die Eskalation im Nahen Osten trägt? Oder jeder, der an einer solchen Demonstration teilnimmt?

Es bleibt zu hoffen, dass hier keine derartige Verengung des öffentlichen Debattenraumes stattfindet, wie es beispielsweise im Zuge des Ukrainekrieges geschehen ist und wie wir es zur Genüge aus dem Deutschland der letzten Jahren kennen.

Am Rande der Versammlung steht ein Reporter. Um den Hals trägt er mehrere teure Kameras. Verächtlich schaut er in die Menge und sagt: „Oh Gott, wie dumm die alle sind“, bevor er mürrisch damit fortfährt, seine Fotos zu knipsen.


Quellen und Anmerkungen
(1) https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-gaza-hamas-krieg-102.html
(2) https://www.morgenpost.de/politik/article239764759/israel-netanjahu-hamas-angriff-krieg.html
(3) https://www.morgenpost.de/bezirke/neukoelln/article239752341/angriff-israel-krieg-hamas-neukoelln-berlin-demonstration-ausschreitungen-polizei.html
(4) https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-berlin-wegner-fuer-verbot-von-pro-palaestinensischer-demonstration-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-231010-99-516366
(5) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/israel-hamas-deutschland-kritik-muslime-finanzierung-100.html
(6) https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-palaestina-demo-neukoelln-mann-ruft-in-neukoelln-wir-toeten-alle-juden-dann-fuehrt-die-polizei-ihn-ab-li.2148300
(7) https://www.n-tv.de/politik/Roth-will-auslaendische-Hamas-Anhaenger-ausweisen-article24459722.html


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