Es ist immer der gleiche Weg: Vom Eisentor des Datschengrundstücks auf einem mit Gummi ausgelegten Weg zum einstöckigen Holzhäuschen. Für mich ist es der Weg in ein Paradies. Gartenarbeit, den ganzen Tag an der Luft, abends der Grill und Gespräche ohne Hektik und Ziel. Das Alles ist wie auf einem anderen Planeten.
Als ich das letzte Mal den Weg vom Tor zum Häuschen ging, es war Anfang August, raschelte es um meine Füße. Die Birke über mir hatte schon viele Blätter abgeworfen. Ich wunderte mich. Hat sie zu wenig Wasser? Oder habe ich einfach die Zeit verschlafen? Es ist doch erst Anfang August …
Meine Schwiegermutter, die Bewohnerin der Datscha, klärte mich auf: „Die Nächte werden jetzt kälter. Der Herbst hat angefangen. Bitte macht die Luke im ersten Stock nicht zu weit auf, sonst wird mir kalt.“
Dass die Nächte kälter werden, davon bekommt man in Moskau kaum etwas mit. Die Sommerhitze hält sich lange in den Betonschluchten der Millionenstadt.
Strengere Kontrolle der Ausländer
Vor dem Besuch auf der Datscha hatten meine Frau — Sweta — und ich es noch mit Ach und Krach zur Polizei geschafft. Ich hatte mich mit der Registrierung an meinem Wohnort verspätet und musste mich dringend anmelden. Dafür mussten wir in Moskau durch einige Staus. Es war Freitagnachmittag. Da sind die Straßen immer voll.
Die Registrierung bei der Polizei ist für Ausländer aus „unfreundlichen Staaten“ immer dann nötig, wenn man ein neues Visum erhalten hat oder Moskau länger verlassen hat.
Vor der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine bekamen Journalisten aus „unfreundlichen Staaten“ noch ein Jahres-Visum. Doch seit dreieinhalb Jahren gibt es ein Visum für Journalisten aus der EU nur noch für drei Monate.
Die Polizisten waren höflich. Mehrmals verließ ein Major sein Arbeitszimmer, um bei uns Details zu erfragen, wie, „sie sind verheiratet?“ Oder: „Zeigen Sie mir bitte Ihre letzte Registrierung“. Dann wurden von meinen Fingern und Handballen Abdrücke gemacht, die übliche Prozedur für alle Ausländer, die ich 2022 schon mal gemacht hatte. Doch damals hatte man mir kein Dokument über den Vorgang ausgehändigt.
Um mich jetzt neu zu registrieren, musste ich bei der Polizei auch Ausweise eines staatlichen Gesundheitszentrums vorzeigen, aus denen hervorging, dass ich frei bin von gefährlichen Virus-Erkrankungen. Die Zeugnisse über den Gesundheitszustand müssen jährlich neu vorgelegt werden.
Meine Besuche bei der Polizei sind meist mit Stressgefühlen verbunden. Denn die Registrierungsregeln ändern sich ständig.
Dieses Mal hatte ich ein gutes Gefühl. Wir hatten alle nötigen Dokumente zusammengetragen und brauchten nicht lange zu warten. So hatte ich Zeit, mich ganz entspannt mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Mir fiel auf, dass die Polizisten chice, neue, dunkelblaue Hemden und Hosen trugen. Die neuen kurzärmligen Sommerhemden der russischen Polizisten haben am Arm und am Kragen feine Streifen, in den Farben der russischen Trikolore.
Früher, als sie noch „Milizija“ und nicht „Polizija“ hieß, trugen die Polizisten taubenblaue Hemden. Doch die passen nicht mehr in die neue Zeit, wo alle chic rumlaufen und man im Fernsehen und im Kino immer neue Moden — auch aus dem Westen — sieht.
Vor dem Frühstück ins Gewächshaus
Als wir auf der Datscha ankamen, waren wir hundemüde und legten uns — nach einem Tee — schlafen. Am nächsten Morgen wurden wir von warmer Sonne empfangen. Die Kälte der Nacht war schnell verflogen. Ich holte aus dem Gewächshaus frischen Salat und Koreander. Sweta kochte Porridge mit Äpfeln und dazu Frühstückseier. Ich stellte einen Campingtisch auf und dann saßen wir zu Dritt, frühstückten und quatschten.
Die Schwiegermutter erzählte, dass sie alle Erdbeeren geerntet habe. Viele seien es nicht gewesen. Aber die Schimolost(Heckenkirschen)-Sträucher, hätten in diesem Jahr reiche Frucht getragen. Ja, tatsächlich. Bei uns stehen die Gläser mit der Heckenkirsch-Konfitüre schon seit Wochen auf dem Frühstückstisch.
Manche Obstbäume im Datschengarten machten der Hausherrin Sorge. Die Äpfel-Bäume trügen kaum Früchte. Die Birnen an den Bäumen seien — bevor sie fallen — schon angefault. Das hänge wohl mit den späten Frösten im Frühjahr zusammen. Nur der Pflaumenbaum sei voller Früchte, die aber noch reifen müssen.
Um uns herum herrschte eine wohltuende Stille. Vor zwei Wochen, als wir das letzte Mal auf der Datscha waren, war die Gegend noch sehr belebt. Überall hörte man elektrische Geräte zum Stutzen der Büsche und Rasenflächen. Damals war ich froh, dass wir an einen See zum Baden entfleuchen konnten.
Die Ruhe, jetzt am Sonnabendmorgen, hing wohl damit zusammen, dass die Nachbarn noch in den Betten lagen und es nichts mehr zu beschneiden gab.
Eine Katze schlich ums Haus
Kaum hatten wir unser Frühstück beendet, wollte Dusja, die Katze des Hauses auf meinen Schoß. Dusja ist die Abkürzung für den altrussischen Frauennamen „Ewdakija“. Die Vierbeinerin mit dem grau-weiß-schwarzen Fell ist 18 Jahre alt. Sie wurde irgendwo in der Nachbarschaft geboren. Tagsüber ist sie ruhig und gemächlich. Aber nachts wird sie unruhig und fordert, dass man ihr die Tür aufmacht, damit sie Spaziergänge machen kann.
Als es noch warm war, nahm Dusja — alle Viere von sich gestreckt — lange Sonnenbäder am Eingang eines Holzschuppens. Doch jetzt, wo es kühler wird, sah ich sie nur mit einem Buckel, die Beine eng an sich herangezogen.
Dusja hatte eine neue Bekannte — oder war es ein Bekannter? — eine wunderschöne Katze von einer Nachbar-Datscha, die immer wieder vorbeikommt. Die neue Katze hat ein dichtes, glänzendes Fell aus dunklen und hellen rotbraunen Streifen. Sie schlüpfte immer wieder durch den Zaun und testete aus, wie nah sie Dusja und dem Hauseingang kommen konnte.
Befreundet sind die beiden Katzen nicht. Sie halten Distanz. Manchmal liegen sie sich im Abstand von mehreren Metern gegenüber und beobachteten sich.
Einmal versuchte die neue Katze, in die offen stehende Tür des Holzhäuschens zu schlüpfen, offenbar in der Hoffnung, etwas Essbares zu finden. Doch die Hausherrin verscheuchte sie. Eine Stunde später war die Katze mit dem gestreiften Fell wieder da. Sie schlich ums Haus und prüfte mit aufmerksamem Blick, ob von uns irgendwelche Gefahren ausgehen. Von Dusja war kein Ärger zu erwarten, von der Schwiegermutter aber schon.
Es wummerte
Für Sweta gehört zu einem Besuch auf der Datscha immer ein Gang in den nahegelegenen Wald. Sie ist begeisterte Pilzsammlerin und kennt sich aus. Schon ihr Vater war Pilzsammler. Und so zogen wir auch dieses Mal los — ausgerüstet mit Messern und einer Tüte. Wir fanden Pfifferlinge und Täublinge. Groß war die Ausbeute nicht. Aber es reichte für ein Mittagessen.
Der Wald war komplett verwildert. Einen geraden Weg gab es nicht. Aber das machte die Sache spannend. Orientierung gab nur die Sonne.
Als wir den Wald fast durchquert hatten und durch die Baumstämme ein helles Feld leuchten sahen, hörten wir zweimal hintereinander einen dumpfen Knall. Das war zweifellos die russische Luftabwehr, die täglich vor Moskau Drohnen abfängt.
Rund um die Großstadt sieht man Luftabwehrgeschütze, die meist auf extra angeschütteten Anhöhen stehen.
Wir hatten mit einer Drohnenattacke in unserer Nähe nicht gerechnet, obwohl über die Attacken auf das Moskauer Umland täglich in den russischen Medien berichtet wird.
Unsere Gastgeberin erzählte später, dass die Drohnenangriffe seit Juni zugenommen hätten. Auf einem Feld seien schon Trümmer einer abgeschossenen Drohne gefunden worden. Aber sie nahm die Attacken mit Schulterzucken hin. Angst oder Panik hatte sie nicht.
Es würden „Gluschitel“ eingesetzt, erzählte meine Schwiegermutter. Das sind radioelektronische Mittel, die den Drohnen die Navigation erschweren. Darunter leiden auch die Internet- und Telefonverbindungen in der Datschensiedlung. Ins Internet kommen wir auf der Datscha seit Monaten nur noch phasenweise. Ich versuche, mich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass das Leben ohne Internet wirklich schön ist.

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